Stell Dir vor, es ist Krieg in Taiwan, und keiner macht was! – Die Perspektive der Zaungäste

Ein «kinetischer» Krieg zwischen Taiwan und der Volksrepublik China wird je länger je wahrscheinlicher. Viele behaupten, das sei eine Angelegenheit zwischen den beiden am Konflikt direkt beteiligten Parteien dies und jenseits der Taiwanstrasse. Die schwächere Partei soll sich der stärkeren unterwerfen, und alles ist paletti! Wenn sich nur die Amerikaner oder die Russen nicht einmischen würden, wäre das Problem schon längst gelöst! Bevor zwei bis auf die Zähne bewaffnete Länder aufeinander losgehen, sollten die Zaungäste, die eine solche Politik des laissez-faire befürworten, vielleicht doch überlegen, was für sie selber auf dem Spiel steht.

von Maja Blumer, 12. November 2022

Mit Konflikten ist es wie mit dem Feuer. Zu verhindern, dass Brände gar nicht erst entstehen, ist Sache der Hauseigentümer und -bewohner. Wenn aber verantwortungslose «Bubis» mit dem Feuer spielen, dann ist es Zeit, dass «Zaungäste» einzugreifen, bevor es zu spät ist. Die Feuerwehr erst aufzubieten, wenn ein Haus in Vollbrand steht, ist ziemlich nutzlos – wer anderes glaubt, hat das Glück, noch nie einen entsprechenden Feuerwehreinsatz geleistet zu haben. Und noch eine Parallele besteht bezüglich Konflikten und einem Feuersbrand: Anders als ein kleines Feuerchen, das einen überblickbaren Schaden anrichtet, den der Verursacher allenfalls noch selber tragen kann, betrifft ein Vollbrand eben durchaus auch die «Zaungäste». Nachbarhäuser, die in Brand geraten könnten, die Rettungskräfte, die Versicherung, welche den Schaden zu tragen hat, ein ganzes Dorf, welches durch eine Brandruine verschandelt wird…

Wenn die «Zaungäste» bei einem Konflikt tatenlos danebenstehen, geht es wie bei diesem Haus, bei dem die Feuerwehr erst alarmiert wurde, als es bereits im Vollbrand stand: Es bleibt nur noch Schutt und Asche, zum Schaden Aller. (Bild: privat)

Dasselbe gilt für den drohenden Krieg rund um Taiwan. Wenn die Konfliktparteien nicht in der Lage sind, Ihren Konflikt selber durch Dialog zu lösen (was bedingen würde, dass sie erst einmal einen Dialog führen), ist es eben Zeit, dass die «Zaungäste» eingreifen, und zwar bevor Bomben auf Taiwan fallen, und nicht «bloss übungshalber» auf umliegende taiwanesische und japanische Gewässer abgeworfen werden. Dies nicht zuletzt im Eigeninteresse, denn die Kollateralschäden bei einer Politik des laissez-faire sind beträchtlich.

Das immer wieder wiederholte Argument der Volksrepublik China, die Taiwanfrage sei eine rein innerstaatliche Frage, welche die USA oder sonst jemanden irgendetwas angeht, ist als das zu werten, was es ist: Der Wunsch einer Konfliktpartei, welche sich gegenüber dem Gegner in einer stärkeren Position fühlt und glaubt, lediglich die Einmischung Dritter stehe der Durchsetzung seiner Haltung gegenüber.

Aufgrund der Annahme, dass es durchaus «Zaungäste» gibt, die ein legitimes Interesse haben könnten, sich einzumischen, soll an dieser Stelle auch deren Position ausgelotet werden, und nicht nur diejenigen der direkt involvierten Konfliktparteien dies und jenseits der Taiwanstrasse:

Die Alliierten

Der Konflikt zwischen der Republik China und der Volksrepublik China wird oft zu einem reinen Konflikt zwischen den USA und der Volksrepublik China hochstilisiert, Taiwan als Vasallenstaat der USA, der im Ganzen nichts zu melden hat. Es ist ein Körnchen Wahrheit dran, denn hätte sich der amerikanische Präsident Truman im Juni 1950 nicht zwischen Tschiang Kai-shek und Mao gestellt, wäre der Krieg zwischen den beiden zweifellos weitergeführt worden. Mit ungewissem Ausgang. Hinzu kommt: dass heute Taiwan floriert, ist auf eine enge wirtschaftliche, kulturelle, politische und auch militärische Zusammenarbeit mit den USA zurückzuführen.

Dass sich die Amerikaner 1950 einmischten (die nach dem eben erst beendeten zweiten Weltkrieg eine gewisse Kriegsmüdigkeit an den Tag legten), lag im Übrigen weniger an ihrem Interesse an Formosa (wie Taiwan damals genannt wurde), sondern daran, dass sie im Vorgehen Maos einen Angriff der Kommunisten sahen, der sich gegen eine Reihe von Ländern in der freien Welt richtete. Dass sich dieser Angriff primär gegen Südkorea richten würde, war in diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar; vielmehr sah es danach aus, als Mao erst Taiwan angreifen würde und sich die koreanische Halbinsel erst später unter den Nagel reissen würde, während die Sowjets versuchen würden, sich grössere Teile Europas anzueignen.

Die im Sommer 1950 wahrgenommene Bedrohungslage kommt in einem Schreiben des Schweizerischen Bundesrates Max Petitpierre an seinen Bundesratskollegen Karl Kobelt, dem Vorsteher des Militärdepartements vom 4. Juli 1950 zum Ausdruck:

Une guerre entre la Chine et les Etats-Unis ne doit pas être exclue. Elle risque d’avoir des répercussions en Europe et peut dégénerer en conflict général. […] D’après les informations que nous recevons de Moscou, il semble qu’on cherche à préparer l’opinion publique de l’URSS aux éventualités les plus graves. […] nous éxaminérons tous les préparatifs qu’il y a lieu de faire, en particulier sur le plan militaire et économique.

Mit umgekehrten Vorzeichen ist die Situation heute ganz ähnlich. Nur dass wir es diesmal nicht China ist, das ein Nachbarland angegriffen hat, sondern es Russland ist, welches den ersten Zug macht, und dass nicht nicht in Moskau, sondern in Shanghai und anderen chinesischen Städten der Eindruck entsteht, es würde die chinesische Bevölkerung auf schwerwiegende «Eventualitäten» vorbereitet. Und wir haben es nicht mit Stalin und Mao zu tun, sondern mit Putin und vor allem Xi Jinping. Letzterer ist nicht nur in ziviler, sondern auch in militärischer Hinsicht momentan unangefochtener Herrscher über sein Land. Er beansprucht neben dem Titel eines Präsidenten auch denjenigen eines General Secretary of the CPC Central Committee (dem höchsten Parteiorgan der kommunistischen Partei), Chairman of the CMC (der obersten Militärführung), and Commander-in-Chief of the CMC joint operations command center für sich.

Die Vorbereitungen, um der Kriegsgefahr zu begegnen, sind «im Westen» vielerorts sowohl in militärischer wie wirtschaftlichen Hinsicht bereits am Laufen, und längst nicht nur in den USA. Deutschland etwa hat bereits 2020 eine Strategie und Leitlinien für den Indopazifik erlassen und ist daran, diese umzusetzen, was zeigt, dass man sich der Gefahren sehr wohl bewusst ist. Das deutsche Bundesministerium der Verteidigung führt dazu aus (Stand: 3.11.2022):

Von 2010 bis 2019 sind die regionalen Rüstungsausgaben um 50 Prozent gestiegen, im Falle Chinas sogar um 80 Prozent. China schüttet unbewohnte Inseln im umstrittenen Südchinesischen Meer auf, baut auf ihnen Stützpunkte und verstärkt so seine militärische Präsenz. Überdies droht es, Taiwan mit Waffengewalt zu erobern. Weiteres Sicherheitsrisiko: Die Straße von Malakka ist eine der am meisten befahrenen Wasserstraßen der Welt und wird immer wieder durch Piraterie bedroht. –

In militärischer Hinsicht besteht inzwischen ein ganzer Buchstabensalat, der sich in der Region «Indopazifik» konzentriert: AUKUS, Five Eyes, QUAD, RAA lauten einige der einschlägigen Kürzel. Viele der beteiligten Länder signalisieren mehr oder minder offen Unterstützung für Taiwan als einem der Konfliktherde in der Region.

Auch das eine Parallele zu früher. Präsident Truman handelte schon 1950 nicht im Alleingang. Auch wenn die Initiative im Koreakrieg zweifellos von der amerikanischen Seite ausging, war es schliesslich eine grosse Allianz, welche die Kommunisten zurückschlug. Beteiligt waren an der Seite Südkoreas Kampftruppen aus folgenden 16 Ländern: Australien, Belgien, Kanada, Kolumbien, Äthiopien, Frankreich, Griechenland, Luxemburg, Niederlande, Neuseeland, Philippinen, Südafrika, Thailand, Türkei, Grossbritannien und, last but not least, die USA. Zusätzlich stellten fünf Länder Sanitätstruppen: Dänemark, Indien, Italien, Norwegen und Schweden.

Diese Einbindung von Allianzpartnern ist heute als «Blockpolitik» verschrien. Lieber hätte man eine universal geltende Wertordnung, bei der sich alle einfach so an die Regeln halten. Ob man diese Blockpolitik nun schön findet, sie ist bis heute – oder heute erst recht – eine Realität. Ob man nun von «Wertepartnern», «Nearshoring», «Friendshoring», «strategischem Kooperationspartner» oder «gegenseitigem Vertrauen» spricht, ist es halt nun einfach so, dass man nicht mit allen das Heu auf der gleichen Bühne hat.

Ein wichtiger Unterschied besteht: Angesichts der globalen Verflechtungen sind aber die Konsequenzen eines möglichen Angriffs auf Taiwan noch weit verheerender als der damalige Versuch der Kommunisten, sich die gesamte koreanische Halbinsel unter den Nagel zu reissen. Die amerikanische Seite hat alleine schon die globalen jährlichen Kosten einer Handelsblockade (welche auch als Kriegshandlung einzustufen wäre) auf USD 2,5 Billionen veranschlagt, wie die Financial Times unter Berufung auf nicht verifizierbare Quellen berichtete. Neun der zehn grössten Containerhäfen liegen am Indopazifik, die meisten davon in China und unweit Taiwans. Die «Disruption» der Versorgungsketten im Konfliktfall sprengt die Vorstellungskraft. An die Folgen eines konventionellen Krieges in menschlicher und wirtschaftlicher Hinsicht mag man gar nicht erst denken.

Wo die Kosten des Nichtstuns hohe Kostenrisiken mit sich bringen, bringen auch Gegenmassnahmen wie z.B. Wirtschaftssanktionen ein erhebliches Kostenrisiko. Dies hat auch die Folge, dass die Allianzpartner der USA im Koreakrieg (zu denen noch einige hinzugekommen sind, z.B. Deutschland oder Japan) sich bezüglich Taiwan noch nicht auf eine klare Linie einigen konnten.

Hier besteht in der heutigen Zeit ein wesentlicher Unterschied zur Vergangenheit der «Alliierten». 1950 war die Volksrepublik China und erst recht Nordkorea wirtschaftlich und militärisch unbedeutend, die diplomatische Anerkennung wurde der jungen Volksrepublik in den meisten westlichen Staaten verweigert und der ständige Sitz im Sicherheitsrat war in fester Hand der Republik China.

Heute bekennen sich die meisten Länder vordergründig zu einer «Einchinapolitik» – ohne sich davon abhalten zu lassen, de facto eine «Zweichinapolitik» zu betreiben, in der sie der Republik China den gleichen (oder noch grösseren) politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Stellenwert zumessen, wie der Volksrepublik China.

Dies kam in den letzten Monaten besonders deutlich zum Ausdruck. UNO-Sitz und diplomatische Anerkennung zum Trotz ist die Volksrepublik China in die totale Isolation geraten, dass es ein riesiges Aufsehen erregte, das der deutsche Bundeskanzler eine 11-stündige Stippvisite in Beijing gemacht hat oder angekündigt wurde, die Präsidenten Xi Jinping und Joe Biden würden sich kommende Woche in Bali am Rande des G-20-Gipfels treffen.

De facto betreiben viele Staaten eine Zweichinapolitik, in der sie der Republik China den gleichen oder noch grösseren politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Stellenwert zumessen, wie der Volksrepublik China. Im Bild der Auftritt einer japanischen Band zum 111. Nationalfeiertag der Republik China (Taiwan) am 10. Oktober 2022. Wer hat der Volksrepublik China, die wenige Tage zuvor ihren Nationalfeiertag begangen hat, die Aufwartung gemacht?

Derweil begrüsst die taiwanesische Präsidentin fast täglich Staatsgäste in ihrem Regierungspalast. Der taiwanesische Vizepräsident unterhält sich im Rahmen eines Auslandsbesuchs ganz zufällig mit der amerikanischen Vizepräsidentin Kamala Harris oder lässt durchblicken, dass er – natürlich rein privat – Beziehungen in höchsten japanischen Regierungskreisen pflegt. Der taiwanesische Aussenminister gibt Interviews am laufenden Band, nachdem Scharen von Korrespondenten der globalen Medienhäuser nach Taipei umgesiedelt sind. Zum Umzug am Nationalfeiertag der Republik China entsendet Japan seine gefeierte «Kyoto Tachibana Senior High School Band», die quasi-Botschaft Südkoreas lädt zu einer Hanbok-Modeschau.

Fast alle Länder verfolgen nicht nur de facto eine «Zweichinastrategie», sondern haben sich von der Volksrepublik China (Billigprodukte) und von Taiwan (teure Elektronikprodukte, insbesondere Microchips) in einem unglaublichen Mass abhängig gemacht. Allerdings in unterschiedlichem Masse. Während die USA zwar sehr viel aus China importiert, haben sie dank eigenem Erdöl, grossen Landwirtschaftsflächen und technologischem Vorsprung gute Karten. Am anderen Ende der Skala steht Deutschland, dass sowohl bezüglich Energie als auch Vorleistungsgütern stark importabhängig ist – im Hinblick auf die Energiewende insbesondere auf Photovoltaik und Windkraftanlagen ganz besonders auf die Volksrepublik China (70% der weltweiten Produktion von PV-Anlagen und 58% der weltweiten Fertigungsleistung für Windkraftanlagen); zwar besteht neben der Einbindung in die NATO eine klare Strategie bezüglich der Region Indo-Pazifik, diese Strategie auf die Schnelle umzusetzen dürfte aber nicht ganz einfach sein. Mit japanischen, koreanischen und australischen Kollegen Luftwaffenübungen abzuhalten und eine Fregatte in den Indopazifik zu entsenden ist das Eine, in einen Konflikt im Fernen Osten tatsächlich reingezogen zu werden, das Andere.

Beziehungen zu «Wertepartnern» zu pflegen und gleichzeitig zu Autokratien wie Russland und der Volksrepublik China, das eine tun und das andere nicht lassen, das hat in den vergangenen Jahren ganz gut funktioniert. Jedenfalls bis die Volksrepublik in die (selbsterwähnte?) Isolation schlitterte.

Was aber, wenn ein Angriff auf Taiwan eine klare Entscheidung erfordert? «Ja, wir haben eine Verpflichtung dazu, Taiwan bei der Verteidigung beizustehen, falls es zu einem Angriff kommt», sagte US-Präsident John Biden mehrfach. Wie aber stehen die anderen «Alliierten» dazu?

Um auf das Bild des Grossbrandes zurückzukommen: Rücken die «Alliierten» aus, wenn an einem schönen Sonntagmorgen um drei Uhr in der Früh der Feueralarm losgeht? Versuchen sie, zu retten was noch zu retten ist? Versuchen Sie, wenigstens die Vergrösserung des Schadens zu vermeiden? Oder sind sie die Zaungäste, die einige Stunden später vor der Brandruine stehen und staunen, welchen Schaden ein Feuer anrichten kann?

Russland

Wie schon 1950 spielt die Sowjetunion, oder was von ihr übrig geblieben ist, bezüglich Taiwan eine gewisse Rolle. Die Sowjetunion hielt sich während dem Koreakrieg ostentativ im Hintergrund, nicht etwa, weil sie ihn nicht unterstütze, sondern weil sie die Ablenkung nutzen wollte, um ihre Macht in Europa zu konsolidieren, während die USA und die anderen Alliierten im fernen Osten kämpften.

Bezüglich Taiwan hat sich Russland ebenso ostentativ auf die Seite der Volksrepublik China gestellt, Taiwan würde «entsprechend dem Zeitplan» in den «Heimathafen» der Volksrepublik China einlaufen, verkündete Igor Sechin, ein enger Vertrauter Putins am 27. Oktober 2022. Anzunehmen ist, dass Russland bezüglich dieses Zeitplans informiert ist. Und angesichts der dringlichen Warnungen der amerikanischen Seite muss davon ausgegangen werden, dass die Geheimdienste der «Alliierten» in dieser Hinsicht auch über mehr Informationen verfügen, als sie preisgeben.

Wie gross die Isolation der Volksrepublik China inzwischen ist und die Angst Chinas, Russland als «Freund» zu verlieren, zeigt sich an einer Äusserung des Sprechers des chinesischen Aussenministeriums, Zhao Lijian, hinsichtlich von Spekulationen, die russisch-chinesische Freundschaft könnte brüchig sein. An der Pressekonferenz des chinesischen Aussenministeriums vom 11. November 2022 sagte er dazu:

塔斯社记者:日前,美国总统拜登表示他不认为俄中关系正朝着结盟的方向发展,而且中国政府试图同俄罗斯保持一定的距离。中方对此有何评论?

赵立坚:我可以告诉你的是,中俄关系坚如磐石。作为彼此最大邻国和新时代全面战略协作伙伴,中俄双方始终秉持不结盟、不对抗、不针对第三方原则,在相互尊重、平等互利基础上发展两国关系和各领域合作。中俄关系长期保持健康稳定发展主要基于两国间的高度互信和强大内生动力。中方愿同俄方一道,推动两国关系始终沿着正确方向稳步前行。中方将坚持在和平共处五项原则基础上同各国发展友好合作,推动构建新型国际关系,促进大国协调和良性互动。


TASS: Vor einigen Tagen sagte US-Präsident Joe Biden, er glaube nicht, dass sich die russisch-chinesischen Beziehungen in Richtung eines Bündnisses bewegten und dass die chinesische Regierung versuche, eine gewisse Distanz zu Russland zu wahren. Was sagt China dazu?

Zhao Lijian: Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass die Beziehungen zwischen China und Russland solide wie ein Fels sind. Als grösster Nachbar des jeweils anderen und umfassender strategischer Kooperationspartner in der neuen Ära [mit «neuer Àra» ist die Herrschaft von Xi Jinping gemeint] haben China und Russland stets die Grundsätze der Blockfreiheit, der Nichtkonfrontation und des Nichtangreifens Dritter beachtet und ihre Beziehungen und Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt, Gleichheit und gegenseitigem Nutzen entwickelt. Die langfristig gesunde und stabile Entwicklung der chinesisch-russischen Beziehungen beruht vor allem auf dem hohen Mass an gegenseitigem Vertrauen und der Stärke der endogenen Dynamik der beiden Ländern. China ist bereit, mit der russischen Seite zusammenzuarbeiten, um den stetigen Fortschritt der Beziehungen zwischen den beiden Ländern in die richtige Richtung zu fördern. China wird darauf bestehen, die Freundschaft und Zusammenarbeit mit anderen Ländern auf der Grundlage der fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz zu entwickeln, den Aufbau einer neuen Art von internationalen Beziehungen zu fördern und die Koordination und gesunde Interaktion zwischen den Großmächten zu unterstützen.

Ob diese chinesisch-russische Freundschaft solide wie ein Stein ist (der Ausdruck stammt nicht von Zhao Lijian sondern vom chinesischen Aussenminister Wang Yi), wenn es den Ukrainern tatsächlich gelingt, Russland in die Schranken zu weisen, wird sich zeigen. In der Vergangenheit waren die chinesisch-russischen Beziehungen durchaus wechselvoll. Bedeutet «strategische Kooperationspartner» im Klartext: «Du greifst im Westen an, ich im Osten!» Und die «endogene Dynamik», heisst das, dass beide Länder gerade sehr dynamisch daran sind, zu kollabieren? So etwas wie «Dynamic Destruction»? Passt. Man denke nur an die «dynamische» Zero-Covid-Politik Chinas, welche Millionen in die Verzweiflung und den Ruin treibt. Wie der Grundsatz des «Nichtangreifens Dritter» zu verstehen ist, wäre interessant zu erfahren. Wäre es als freundnachbarliches «Nichtangreifen» zu werten, wenn die Ukraine einen Bombenregen über Moskau niedergehen liesse, oder die taiwanesische Regierung ihre Raketen auf festlandchinesischem Territorium niedergehen liesse?

Die interessanteste Frage: Glaubt Zhao Lijian diesen Humbug? Oder übt er sich vielleicht ganz einfach in der Kunst der Satire?

Und die «neutrale» Schweiz?

Die Schweiz tat sich schon 1950 schwer getan, sich zwischen den grossen Blöcken zurechtzufinden. Durch ihr lavieren zwischen Hitler-Deutschland, General Franco und Mussolini einerseits, den Alliierten andererseits, geriet sie nach dem Ende des zweiten Weltkriegs aufs Abstellgleis, was sich etwa darin äusserte, dass sie bei der Gründungsversammlung der UNO noch nicht einmal eingeladen war. Es gelang der Schweiz nicht, ihre Idee der Neutralitätspolitik den Siegermächten verständlich zu machen. Mit der raschen Anerkennung der Volksrepublik China am 17. Januar 1950, mit der die Schweiz gehofft hatte, sich aus der internationalen Isolation zu befreien, geriet die Schweiz noch tiefer in den Sumpf, was wenige Monate klar wurde, als sich die Allianz im Koreakrieg formierte.

Nachdem sich nun auch noch Schweden und Finnland der NATO angeschlossen haben, steht die Schweiz mit ihrer immerwährenden Neutralitätsdiskussion ziemlich alleine da. Hinzu kommt eine ziemlich konfuse China-Strategie (eine Taiwan- oder Ostasienstrategie fehlt völlig).

Wenn die Schweiz von beiden sich abzeichnenden Blöcken als neutral angesehen würde, wäre das hervorragend. Dann würde dieser Blogserie noch ein weiteres Kapitel folgen: die Schweiz als neutrale Vermittlerin zwischen Taiwan und der Volksrepublik China. Hier darf man sich aber kaum Hoffnungen machen:

Auf taiwanesischer Seite dürften begründete wenn auch nicht explizit geäusserrte Zweifel an der Neutralität eines Landes bestehen, welches die Republik China sang und klanglos hat fallenlassen und blindlings auf die Karte von Rotchina gesetzt hat. Die Schweiz hätte vielleicht noch wettgemacht werden können, wenn die Schweiz in irgendeiner Form den demokratischen Wandel in Taiwan anerkannt hätte, den das Land in den letzten Jahrzehnten durchgemacht hat. Hier ziert sich die Schweiz aber nach wie vor.

Auf der Seite der Volksrepublik China hat sich die Schweiz darin hervorgetan, schnelle Zusagen zu machen, aber dann doch wieder zurückzukrebsen. Paradebeispiel ist der Freihandelsvertrag, der in einer Hau-ruck-Übung durch das Parlament gepaukt wurde, bei dem aber von schweizerischer Seite dann Forderungen nach «Nachbesserungen» laut wurden, kaum war die Tinte trocken. Solche Dinge funktionieren in der Schweiz, wo man die Bundesverträge seit dem 13. Jahrhundert auch laufend neu verhandelt und ergänzt hat. In China löst dies schlicht Unverständnis aus. Ob die Volksrepublik China unter diesen Bedingungen die Schweiz als neutrale Vermittlerin akzeptieren würde, deren Votum ein gewisses Gewicht hat, ist fraglich.

Und auch bei den «Alliierten», die je nachdem zu Konfliktparteien werden, könnte die Neutralität in Frage gestellt werden. Nicht zuletzt deshalb, weil die Schweiz es im Gegensatz zu fast allen westlichen Ländern noch nicht einmal ansatzweise Regeln für chinesische Investitionen aufzustellen – der entsprechende Gesetzesentwurf zur «Lex China» dümpelt wieder irgendeinmal in der BundesverwaltungC. Dies birgt das Risiko, dass die Schweiz für Umgehungsgeschäfte genutzt wird. Der Schweiz bliebe in diesem Falle wie nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine nichts anderes übrig, als auf die Schnelle den «autonomen Nachvollzug» zu üben.


Dr. iur. Maja Blumer, LL.M. (Tsinghua), Rechtsanwältin, hat nach dem Studienabschluss in der Schweiz in der Volksrepublik China sowie in Taiwan studiert.