Schweizer Botschafter drückt seine Bewunderung für die Rolle der VR China auf der koreanischen Halbinsel aus

In internationalen Beziehungen gibt es immer wieder mal Kommunikationspannen. Etwa «la petite gaffe», die kleineren und grösseren Fettnäpfchen, über welche die Betroffenen stolpern und später lächeln können. Dann die Kategorie des «Lost in Translation», die auch die sprachlich gewandtesten Vermittler auf dem internationalen Parkett ins Schlittern bringt. Und dann gibt es noch die Kategorie «Hochnotoberpeinlich». In diese fällt die angebliche Aussage des abtretenden Schweizer Botschafters in Peking, der seine Bewunderung über die Rolle der VR China auf der koreanischen Halbinsel zum Ausdruck gebracht haben soll.

Oops, meine Frau ist ja gar nicht Japanerin, sondern Chinesin! Echte japanische Hochzeitsgesellschaft im Meiji Schrein in Tokio (Photo: privat)

La petite gaffe

Normalsterblichen wie hochdotierten Diplomaten kann sie passieren: «La petite gaffe», der Faux-pas, bei dem man am liebsten vor Scham im Boden versinken würde, das Fettnäpfchen, in das man tritt, gerade weil man es krampfhaft zu vermeiden sucht. Ein typisches Beispiel für eine petite gaffe ist der Ausrutscher, der dem britischen Aussenminister Jeremy Hunt bei einem Staatsbesuch in China 2018 passierte, als er seine Frau als Japanerin bezeichnete, bevor er sich korrigierte und sagte, sie sei Chinesin. Die chinesische Seite soll sich köstlich amüsiert haben.

Etwas weniger amüsant fand Präsident Jiang Zemin 1999 die diversen Patzer beim Staatsbesuch in der Schweiz, etwa Bundesrätin Dreifuss, die ihm mütterlich-beruhigend auf die Schulter klopfte oder Lektionen in Menschenrechten erteilen wollte; der Protokollchef, der ihn auf den falschen Platz führt und nicht einmal merkte, warum der zugewiesene Platz noch falscher war als der vorige, usw. Die Legenden und Schuldzuweisungen um die zahlreichen Fettnäpfchen, in denen die beteiligten Parteien damals mit grösster Zielgenauigkeit getreten sind, sind bandfüllend. Alles in allem war es aber doch sehr viel Aufregung um nichts, und man geschäftete weiter wie bisher.

Lost in Translation

Das etwas grössere Problem in der zwischenstaatlichen Kommunikation ist dasjenige des «Lost in Translation», bei dem etwas ganz anderes herauskommt, als man eigentlich sagen wollte. Das Problem trifft so gut alle, die in mehreren Sprachen kommunizieren.

Nicht immer führt das «Lost in Translation» zu einer Tragödie, im Idealfall regen Übersetzungsprobleme sogar zum Nachdenken an. Ein Beispiel ist die Sonnenuhr auf dem Campus der Tsinghua University mit der lateinisch klingenden aber eigentlich unleserlichen Inschrift «Fagta non **ba», der möglicherweise als englische Widmung zu verstehenden «C*ASS 1920» (später geändert zu «CEASS 1929») und dem rätselhaften chinesischen Spruch 行勝於言 (Xíng/Háng/Hàng/Heng shèngyú yán) – Übersetzbar als: Aktionen sind besser als Worte? Oder: Linien sind besser als Worte? Oder: Berufe sind besser als Worte? Die Sonnenuhr schweigt und regte Generationen von Studenten und Professoren auf dem Campus zum Nachdenken an – jedenfalls bevor die Sonnenuhr Korrekturversuchen mit Hammer und Meissel unterzogen wurde.

Rätselhafte Sonnenuhr auf dem Campus der Tsinghua University. (Bild: Post der Tsinghua University)

Wenn bei einer Übersetzung allerdings mal der Wurm drin ist, beginnt man besser von vorne bzw. sucht andere Worte der Verständigung. Verbesserungsversuche richten meistens grösseren Schaden an. Das zeigt nicht nur die Sonnenuhr der Tsinghua, sondern auch ein Beispiel des berühmt-berüchtigten Wolf-Warrior Diplomaten Zhao Lijian. Im Zusammenhang mit einem Telefonat zwischen dem chinesischen und ungarischen Aussenminister twitterte er am 18. Juli 2022 auf dem chinesischen Portal Weibo:

中国从来不是欧洲对手 (Zhōngguó cónglái bù shì Ouzhōu duìshǒu). – Übersetzbar als: China war noch nie ein ebenbürtiger Gegner Europas.

OK, das war’s wohl nicht so ganz. Zweiter Versuch von Zhao Lijian:

中国从来不是欧洲的对手而是合作伙伴 (Zhōngguó cónglái bù shì Ouzhōu de duìshǒu érshì hézuò huǒbàn) – Übersetzt: China war noch nie ein Gegner Europas, sondern ein Partner.

Schön, aber offensichtlich nicht das, was unser Wolf-Warrior sagen wollte. Es folgt der dritte Versuch:

中国和欧洲从来不是对手而是合作伙伴 (Zhōngguó hé Ouzhōu cónglái bù shì duìshǒu érshì hézuò huǒbàn) – China und Europa waren seit jeher nicht Gegner, sondern Verbündete.

Ohalätz! Verbündet gegen wen?

Hochnotoberpeinlich: Die Schweiz bewundert den von der VR China auf der koreanischen Halbinsel geführten Krieg!

Die Frage was die beiden Aussenminister zueinander gesagt haben oder sagen wollten, muss leider offen bleiben. Sie führt aber über zur Frage, mit wem und gegen wen sich die Schweiz verbündet hat. Eine mögliche Antwort darauf ergibt sich aus einer Mitteilung auf der Website des chinesischen Aussenministeriums, wonach sich der abtretende Schweizer Botschafter in Peking, Bernardino Regazzoni, mit dem Vertreter der Regierung der VR China für Angelegenheiten der koreanischen Halbinsel, Liu Xiaoming, am 28. Juli 2022 getroffen hat.

Wieso dieses Treffen? Auf der chinesischen Seite ist der Fall klar: die VR China strebt an, dass die Sanktionen gegenüber Nordkorea aufgehoben werden, so dass die chinesische Pufferzone gestärkt bzw. (im Falle einer Abrüstung Südkoreas) ausgeweitet würde. In diesem Zusammenhang war es nicht gerade die Krönung der diplomatischen Bemühungen, dass die VR China und Russland die einzigen waren, die im Sicherheitsrat im Mai 2022 gegen eine Verschärfung der Sanktionen das Veto eingelegt haben, während die 13 anderen Mitglieder dafür stimmten. Eine solch heftige Niederlage birgt für die VR China das Risiko, dass die Legitimation der VR China und Russlands, den Sitz der Republik China bzw. den sowjetischen Sitz im Sicherheitsrat zu besetzen, die im Lichte der UN-Charta durchaus zweifelhaft ist, in Frage gestellt werden könnte. Die VR China will die Schweiz hier schon einmal auf seine Seite ziehen, bevor sie am 1. Januar 2023 ihren Sitz im Sicherheitsrat einnimmt. Was nicht so ganz klar ist, ist, wieso sich der Schweizer Botschafter in Peking in diese heikle Situation hineinziehen lässt.

Wieso gerade jetzt? Nun, vielleicht hat der Schweizer Botschafter in Peking im Moment nichts gescheitertes zu tun. Viele Flugverbindungen sind gestrichen. Diverse «Dialoge» mit China sind derzeit auf Eis gelegt, unter anderem derjenige über die Nachbesserungen am Freihandelsabkommen von 2014, allerdings nur bis die Schweizer dem chinesischen Wunsch entspricht, die Schweizer Seite könne doch die störenden Elemente (sprich: Menschen) beseitigen (瑞方能够排除人为干扰因素), welche aus chinesischer Sicht der Fortführung der bereits 2017 begonnen Gespräche über eine Verbesserung des Abkommens im Weg stehen.

Apropos: wäre es eigentlich nicht der Fall für eine geharnischte offizielle Reaktion, wenn man von einem fremden Staat aufgefordert wird, Menschen zu eliminieren, die ihre verfassungsmässigen Rechte auf Meinungsäusserungsfreiheit wahrnehmen (gemeint dürften Verfassungsrechtler, Menschenrechts- und Umweltaktivisten etc., welche sich zum Freihandelsabkommen kritisch geäussert haben)?

Aber zurück zur Frage: Auf Seiten der VR China dürfte der 28. Juli 2022 als Datum sehr bewusst gewählt worden sein. Am 27. Juli 2022 jährt sich der Waffenstillstand auf der koreanischen Halbinsel zum 69 Mal – ein Umstand, der auch der nordkoreanische Diktator Kim Jong Un zum Auftritt veranlasste.

Vielleicht bestand auch das Bedürfnis, einmal etwas positives zu vermelden. Schliesslich drehen sich die fast täglichen Pressekonferenzen immer um die wieder die gleichen Fragen zu Taiwan, Nancy Pelosi (oder welcher Parlamentsdelegation die Taiwan gerade einen Besuch abstattet) und die gerade unkontrolliert abstürzende chinesische Trägerrakete (da war wohl wieder einmal der Chabuduo Xiensheng [差不多 先生] am Werk…).

In diesem Zusammenhang ist auch möglich, dass der Schweizer Botschafter und der chinesische Regierungsvertreter sich eine Win-Win-Situation ausgemalt hatten, bei der beide Seiten ihr internationales Image aufpolieren könnten.

Die Schweiz hatte im Koreakrieg nämlich eine etwas unrühmliche Rolle gespielt, hatte sie sich doch schon am im Januar 1950 auf die Seite von Mao Zedong geschlagen, der wenige Monate ungefähr drei Millionen chinesische «Freiwillige» auf die koreanische Halbinsel sandte, um den Krieg zugunsten Nordkoreas zu entscheiden. Die Schweiz wusch sich die Hände in Unschuld, während andere Länder den Kopf hinhielten, um das Übergreifen des Kommunismus zu verhindern, oder wie z.B. Dänemark, Norwegen und Schweden zumindest humanitäre Hilfe leisteten.

Möglicherweise bestand die Hoffnung, mit Hilfe der sauberen und «neutralen» Schweiz könnte die VR China das Odium des Kriegstreibers und Friedensverhinderers allenfalls abstreifen. Etwas, was mit dem Heldenepos “The Battle of Lake Changjin” nicht restlos gelungen ist, auch wenn sich die VR China in diesem Film als Sieger darstellt.

Dass in Südkorea wie hier in Paju nahe der innerkoreanischen Grenze diese Flagge weht, ist nicht unbedingt das Verdienst Chinas. (Bild: privat)

Die in der Eidgenossenschaft gerne gehegte Idee, dass die Schweiz als Brückenbauer auf der koreanischen Halbinsel wirken könnte, dürfte ebenso im Spiel gewesen sein. Nüchtern betrachtet dürfte sie nie besonders realistisch gewesen sein, denn ein Vermittler müsste idealerweise von allen Seiten als unparteiisch angesehen werden. Eine Vermittlerrolle der Schweiz dürfte gerade noch ein bisschen unrealistischer geworden sein.

Das chinesische Aussenministerium hat dem Schweizer Botschafter nämlich Worte in den Mund gelegt, die er vermutlich (siehe oben, “Lost in Translation”) so nicht gesagt hat. In der englischen Version der Pressemeldung heisst es: “Bernardino Regazzoni commended China for the important role it has played in addressing the Peninsula issue.” Das klingt noch einigermassen passabel. Die Chinesische Version hat es aber in sich: 罗志谊赞赏中方在半岛问题上发挥的重要作用 (Luō zhì yì zànshǎng Zhōngfāng zài bàndǎo wèntí shàng fāhuī de zhòngyào zuòyòng) – Regazzoni äusserte seine Bewunderung für die von der chinesischen Seite für die «Lösung» des Problems auf der koreanischen Halbinsel getätigten «wichtigen Aktionen».

Das klingt gerade so, als bewundere der Schweizer Botschafter die VR China dafür, dass sie vor 72 Jahren die koreanische Halbinsel mit Krieg überzogen hat? Oder die Bewunderung dafür, dass die VR China seither auch nicht nur einen kleinen Finger gerührt hat, diesen Krieg zu beenden? Oder die Bewunderung dafür, dass die VR China sich zusammen mit Russland im Mai 2022 das Veto gegen die von den anderen 13 Mitgliedern des Sicherheitsrats befürworteten Sanktionen gegen Nordkorea einlegte?

Und nachdem bisher noch keine Richtigstellung dieser Aussage von Botschafter Regazzoni in der Zentrale in Bern erfolgt ist, ist anzunehmen, dass diese Aussage von der offiziellen Schweiz geteilt wird. Die Schweiz also als Verbündeter der Volksrepublik China, um sich gemeinsam als Friedensstifter für die koreanische Halbinsel darzustellen?

Wenn dem so ist, ist das derart hochnotoberpeinlich, dass einem als Schweizer Bürger nur noch ein Ausweg bleibt: sich in der Kunst zu üben, in vier Sprachen zu schweigen – weil es einem die Sprache verschlägt. Ein Glück, dass sicher schon bald wieder neue Wortsalven von Zhao Lijian folgen, die die Sache vergessen machen.