Ein abgesagter Besuch von Staatssekretär Blinken, ein abgeschossener Ballon aus China, eine Bombendrohung eines «Little Pink» und dann noch die Finnen: Wie der Parlamentarierdelegation aus der Schweiz in Taiwan die Show gestohlen wurde

Vor wenigen Tagen wurde in diesem Blog über den geplanten Besuch einer Handvoll Schweizer Parlamentarier in Taiwan berichtet. Dem Besuch kam im Rahmen der praktisch inexistenten politischen Beziehungen zwischen der Schweiz und Taiwan nur eine sehr untergeordnete Bedeutung zu. Nun wurde der Parlamentariergruppe aber definitiv die Show gestohlen. Erst war das an internationalen Politik interessierte Publikum in der Schweiz durch das über den USA fliegende chinesische Luftschiff und dessen Abschuss sowie die damit verbundene Absage des Besuchs von Staatssekretär Blinken abgelenkt. Und wer heute Morgen ein Schnappschuss von den fünf Parlamentariern vom Flughafen in Taipei erwartete, wie sie dort begrüsst werden, schaute dumm aus der Wäsche: da waren zwar Parlamentarier zu sehen, aber solche aus Finnland, die offenbar zu einem nicht angekündigten Besuch in Taipei weilen.

von Maja Blumer, 5. Februar 2023

Und nein, das fehlende Begrüssungsphoto der Schweizer Delegation ist keine Gaffe des taiwanesischen Aussenministeriums, wie sie in aussenpolitischen Beziehungen durchaus einmal vorkommen kann. Dass der gleichzeitige Besuch der finnischen Parlamentsdelegation nicht wie üblich angekündigt wurde, sondern von langer Hand geplant war, lässt sich auch annehmen. Der Tweet gibt einen Hinweis: Es geht hier um «Synergien zwischen gleichgesinnten Staaten», zwischen Mitkämpfern für die Verteidigung der Demokratie. Die finnischen Parlamentarier werden als «fellow defenders of democracy» betrachtet.

Man muss sich dabei vor Augen führen, welche geopolitische Brisanz den Begriffen «Staat» und «Mitkämpfer für die Verteidigung der Demokratie» und damit dem Besuch der finnischen Delegation zukommt. Staat nur in im entferntesten in Zusammenhang mit Taiwan zu bringen, ist aus Sicht der Volksrepublik China ein absolutes no-go. Finnland steht kurz vor dem Beitritt in die Nato (der Beitritt wird derzeit von der Türkei blockiert) und dürfte darin aufgrund seiner geographischen Bedingungen nicht unbedeutend sein. Die Rolle der Nato in Ostasien wird gleichzeitig von Tag zu Tag sichtbarer (auch wenn die Nato-Staaten bereits im Koreakrieg eine Schlüsselrolle hatten). Seit dem kürzlichen Besuch des Nato-Generalsekretärs in Japan und Südkorea liegen die Nerven in China blank. Verteidigungsbündnisse wie die Nato in Verbindung mit Taiwan sind ein doppeltes no-go für die Volksrepublik China.

Und die Schweizer? Sind sie auch «fellow defenders of democracy»? Sind die Schweizer Parlamentarier überhaupt in Taiwan eingetroffen? Und finden die angekündigten Treffen in den kommenden Tagen statt? Das wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Laut Twitternachricht des taiwanesischen Aussenministeriums sind die Schweizer Parlamentarier wohlbehalten in Taiwan eingetroffen, auch wenn statt eines Fotos eine hübsche Fotomontage gezeigt wird.

Dass es auch für die Fotomontage und die guten Wünsche einen Grund gibt und es nicht selbstverständlich (und auch nicht sicher) ist, dass die Schweizer wohlbehalten in Taipei eingetroffen sind, lässt sich unschwer erkennen, wenn man ein bisschen über den Tellerrand blickt.

Offenbar gingen bei der Metro, welche Taipei und den Flughafen verbindet, mehrere Bombendrohungen ein. Zuletzt am Freitag, 3. Februar, wurde eine solche Bombendrohung mit dem Begehren verbunden, die Einreise nach Taiwan sei den Schweizer Besuchern zu verweigern und die taiwanesische Regierung solle auf ein Treffen mit der Schweizer Parlamentarierdelegation verzichten.

Inzwischen hat sich laut offiziellen Angaben herausgestellt, dass die Drohung von einem «Little Pink» stammte, einem jungen chinesischen Staatsbürger, der zwar in Taiwan studiert hat, aber sich jedenfalls nicht in Taiwan aufhält, wobei die Drohung auch nicht von einer taiwanesischen IP-Adresse stammte.

Ist die Bombendrohung dieses Little Pink dadurch, dass er sich nicht in Taiwan aufhält, weniger bedrohlich? Wenn er sich in der Volksrepublik China aufhält, durchaus nicht. Die Strafverfolgung dort wäre schlicht unmöglich, selbst wenn sich die Schweizer Bundesanwaltschaft einschalten würde – was sie eigentlich tun müsste, denn schliesslich handelt es sich um gewählte Mitglieder des Schweizer Parlaments, welche nicht nur ihre eigenen verfassungsmässigen Rechte ausüben, sondern auch in ihrer Funktion als Mitglieder des Parlaments und einer offiziellen Freundschaftsgruppe dieses Parlaments mit immerhin über dreissig Mitgliedern.

In seinem Song nimmt der malaysische Sänger Namewee die «Little Pinks» auf die Schippe. Harmlos sind die «Little Pinks» deshalb nicht.

Und selbst wenn der Täter in einem anderen Land leben sollte, ist die Bombendrohung ernst zu nehmen und nicht davon auszugehen, dass man ihm so leicht das Handwerk legen kann. Man macht sich gerne lustig über die fragilen «Little Pinks» oder «Pinkies». (Unter «Little Pinks» versteht man übrigens die «hypersensitiven, hyper-nationalistischen Keyboard-Kommandanten der Volksrepublik China»). Solange sie sich in den chinesischsprachigen sozialen Medien austoben, ist der Schaden, den sie anrichten, beschränkt. Bei Bombendrohungen ist es etwas anderes, zumal wir hier nicht von einzelnen Vorfällen sprechen und auch nicht von chinesischen Bürgern, welche sich in ihrer Heimat aufhalten, sondern von «Quasi-Polizisten» und Quasi-Soldaten», die chinesische und ausländische Bürger gleichermassen bedrohen – auch mit Bombendrohungen. Das gilt z.B. für Deutschland und die Niederlande, wo inzwischen gegen die illegalen Polizeistationen vorgegangen wird, was gar nicht so einfach ist, wie die kürzlich erschienene Dokumentation des Y-Kollektiv in eindrücklicher Weise zeigt. Ein Aufwachen wäre auch für die Schweiz angezeigt, zumal die Drohungen des namenlosen «Little Pinks» nicht chinesische Landsleute, sondern eben Schweizer Parlamentarier betreffen und es naiv ist, anzunehmen, dass hier keine chinesischen «Polizeistationen» existieren.

Aber wie wehrt man sich gegen solche «akute» Bombendrohungen am besten? Indem man zu Hause bleibt und sich einigelt? Indem man ihr wie Nancy Pelosi die Stirn bietet und einen Besuch im Rampenlicht rückt – obwohl oder gerade deshalb weil die «Little Pinks» davon schwafelten, die Volksarmee solle ihr Flugzeug abschiessen und viele westlichen Stimmen ihr Vorgehen für unverantwortlich hielten? Oder indem man «fellow defenders of democracy» aufbietet – in diesem Falle die finnische Delegation – welche die Schweizer Parlamentarier aus der Schusslinie genommen haben (ihnen allerdings gleichzeitig auch im Rampenlicht stehen)?

Wenn die Schweizer Parlamentarierdelegation in Taiwan ihr Programm wie geplant durchziehen, müsste man angesichts ihrer Courage meines Erachtens den Hut ziehen und darf gespannt sein, wie andere Parteien, die derzeit lieber den Kopf in den Sand stecken und lieber nicht zu den «fellow defenders of democracy» gezählt werden möchten, bei den nächsten Parlamentswahlen abschneiden.

Wenn den Schweizer Parlamentariern, namentlich, Fabian Molina (32, SP), Nicolas Walder (56, Grüne), sowie Mustafa Atici (53, SP), Léonore Porchet (33, Grüne) und Yves Nidegger (65, SVP) angesichts der Bombendrohung lieber abwarten und Tee trinken wollen, dann wäre das auch verständlich. Schliesslich ist Taiwan für Tee berühmt – insbesondere für Bubble Tea. Hier das passende Video dazu, aus dem zukünftigen Nato-Mitglied Schweden. Dort ist immerhin Tsai Ing-wen’s Katze anzutreffen, falls das Treffen die taiwanesischen Präsidentin nicht zustandekommt. Neben einigen anderen subversiven politischen Botschaften.

Das Video «Bubble Tea» des schwedischen Musikers M. Tone.

In geopolitischer Hinsicht ist bemerkenswert, dass innert 24 Stunden gleich zwei offizielle Besuche von Drohgebärden begleitet waren. Im Fall von Staatssekretär Blinken führte das als Drohgebärde interpretierte Auftauchens eines chinesischen Luftschiffs zur Absage seines Besuchs in China. Im Fall der Schweizer Parlamentarierdelegation entfiel die sonst in solchen Fällen absolut üblichen offiziellen Begrüssung mit Fototermin am Flughafen, wie sie insbesondere der gleichentags eingetroffenen finnischen Delegation zuteil wurde. Ob die Vorfälle weitere Kreise ziehen, wird sich weisen.


Dr. iur. Maja Blumer, LL.M. (Tsinghua) hat in der Schweiz, in der Volksrepublik China und in Taiwan studiert. Sie ist als Rechtsanwältin tätig.