Hunde die bellen beissen nicht – was das chinesische Aussenministerium nach langem Schweigen zu sagen hat

Hunde die bellen beissen nicht, sagt man. Ob das auch für artverwante Wölfe gilt, ist unbekannt. Immerhin schien es zunächst recht beruhigend, dass Zhao Lijian, den man zuletzt am 1. August gesehen hat, am 29. August 2022 wieder bei einer Medienkonferenz des chinesischen Aussenministeriums auftrat. Jedenfalls solange man sich nicht näher mit den Implikationen seiner Aussagen auseinandersetzt.

von Maja Blumer, 29. August 2022

Der «Wolf Warrior» Zhao Lijian anlässlich der Pressekonferenz des chinesischen Aussenministeriums vom 29. August 2022. (Bild: Aussenministerium der Volksrepublik China).

Ist es möglich, dass der berühmteste Wolf Warrior in den letzten vier Wochen um mindestens 10 Jahre gealtert ist, oder täuscht der Eindruck? Zhao schien schon vor seinem Urlaub erschöpft, nun wirkt er möglicherweise noch müder als vorher, wenn auch durchaus kohärent.

Gründe dafür gäbe es genug. Der Spott, den er sich vor ein paar Tagen mit der Twitternachricht «Knowledge is Power» zu einem Bild von vor der Bibliothek in Chongqing wartenden Studenten eingefangen hat, ist bändefüllend. Könnte es etwa sein, dass die Studenten die Bibliothek wegen der Klimaanlage (immerhin jagen sich die Temperaturrekorde in Chongqing und anderswo in China) und nicht wegen ihres Bildungs- und Machthungers aufsuchten? Oder sind es Fake News, dass im ganzen Land Menschen einem Hitzschlag zum Opfer fallen, während die Bauern ihre Ernte verdorren sehen.

Etwas besorgniserregender waren die Gerüchte um sein Privatleben betreffend einen Vorfall, der sich zwischen Zhao Lijian und seiner Ehefrau am 26. Juli 2022 ereignet haben soll und eine anschliessende fachärztliche Behandlung. In diese Richtung deuten könnte eine der Antworten eines Kommentators, eines «Human», der die oben erwähnte Twitternachricht mit einem Zitat von Bruce Lee konterte: «Knowledge will give you power, but character respect.» Andererseits war Zhao Lijian an den Pressekonferenzen vom 27., 28. und 29. Juli und vom 1. August noch zu sehen.Mindestens allerdings am 27. Juli 2022 schien er allerdings ziemlich von der Rolle und schien Mühe zu haben, den vorbereiteten Text zu rezitieren. Am 1. August 2022, am Tag bevor er für vier Wochen von der Bildfläche verschwand, war es möglicherweise noch schlimmer; Zhao Lijian spricht so abgehackt, als sei ihm übel und müsse er um jedes Wort kämpfen, und hätte man nicht den schriftlichen Redetext, so würde man kaum verstehen, was er sagen will. Diesem subjektiven Eindruck, welcher die Gerüchte zu bestätigen scheint ist allerdings zu entgegnen: Es bleiben Gerüchte, und solange das Privatleben die Eignung oder Nichteignung von Zhao Lijian als Diplomat nicht beeinflussen, sind sie seine Privatsache..

Ganz harmlos ist ein solches Gerücht aber nicht. Das gilt in der Volksrepublik China besonders, denn längst nicht jeder Chinese hat Zugang zu Twitter, und wenn erlaubt wird, dass derartige Gerüchte kursieren, kann man getrost davon ausgehen, dass hinter den Kulissen ein Machtkampf im Gange ist, bei dem der Wahrheitsgehalt von Gerüchten keine Rolle spielt. Immerhin wurde schon etliche Male die Frage aufgeworfen, ob er wirklich für die Volksrepublik China spricht und die Positiion seines Landes aus purer Dummheit untergräbt. Was aber, wenn Zhao Lijian sein Land absichtlich karikiert, was eine beträchtliche Intelligenz voraussetzen würde? Anzunehmen, jemand sei dumm, oder psychisch krank, nur weil man seine Meinung nicht teilt, ist jedenfalls gefährlich.

Wie aber geht man mit dem, was Zhao Lijian in seiner offiziellen Funktion zu sagen hat, um? Soll man das, was er sagt, ignorieren, eingedenk der Warnung «全国人民天天都在听一个精神病的声音 – das ganze Land hört jeden Tag auf die Stimme eines Psychotikers», oder soll man gerade deshalb dieser Stimme stärker Beachtung schenken?

Lassen wir diese Frage zunächst offen nehmen wir die Aussagen von Zhao Lijian an der Pressekonferenz vom 29. August 2022 zum Nennwert. Auf den ersten Blick gab es an der Pressekonferenz nicht viel zu sagen (auch der Rest der Sprachrohre des Aussenministeriums ist seit 20. August verstummt). Themen waren:

  • Die x-te Konferenz betreffend Nuklearwaffen (China hat neue Ideen) sowie die Kooperation von USA, Grossbritannien und Australien bezüglich Nuklear-U-Booten (China ist dagegen).
  • Der Umstand, dass Taiwaner und auch Chinesen vom Festland von Menschenhändlern nach Cambodia gelockt wurden (und dass die Volksrepublik China das möglichste tut, diesen Menschen zu helfen).
  • Die Ambitionen der NASA und Chinas im Weltall.
  • Der Umstand, dass die US Navy zum x-hundertsten Mal durch die Taiwanstrasse gesegelt ist (China ist dagegen).
  • Dass der EU-Diplomat gesagt oder nicht gesagt haben soll, dass Taiwan ein kleines Land ist (da das, was er wirklich gesagt hat, nicht dokumentiert ist, muss die Aussage als «Lost in Translation» abqualifiziert werden).
  • Huawei und Cybersecurity bzw. Truss und der «China Threat» in Grossbritannien.
  • Chinesische Drohnen über Jinmen.
  • Überschwemmungen in Pakistan.
  • Xinjiang (China sieht Fortschritte)

Der Titel des heutigen Blogs könnte also auch heissen: und täglich grüsst das Murmeltier. Dennoch gebührt zwei Aussagen eine gewisse Beachtung.

Erstens sagte Zhao Lijian bezüglich der Drohnenüberflüge über Jinmen: «中国的无人机在中国的领土上飞一飞,这不是什么值得大惊小怪的事。– Wenn Drohnen mal eine Runde über chinesisches Territorium drehen, ist keine Sache, über die man ein grosses Gescher zu machen braucht.» Ob Zhao Lijian bzw. die Volksrepublik China gleich reagieren, wenn die Republik China, die ja auch eine offizielle Einchinapolitik verfügt, seine Drohnen über das chinesische Festland fliegen liesse? Und was ist, wenn Drohnen, Raketen, Gewehrkugeln und anderes militärisches Gerät nicht nur fliegt, sondern auf einem bewohnten Gebiet landet, sei es in einem «kleinen Land» oder oder im Territorium einer Grossmacht?

Die zweite problematische Aussage: Tatsache ist, dass die US-Navy seit 1950, nachdem Präsident Truman dies angeordnet hat, ungefähr einmal im Monat durch die Taiwanstrasse segelt. Dass die Volksrepublik das ärgert, wissen wir. Beunruhigend ist, dass Zhao Lijian und/oder die Volksrepublik China dies als «是对地区和平稳定的蓄意破坏, als absichtliche Zerstörung des Friedens und der Stabilität in der Region» kommentiert. Dazu kommt noch die Aussage zur die Volksbefreiungsarmee habe «alles unter Kontrolle» (一切尽在掌握).

Was heisst das? Dass die Volksbefreiungsarmee den Finger am Drücker hält, sich aber bisher darauf verzichtet hat, zu schiessen? Dass die Volksbefreiungsarmee keine bipolare Störung hat? Dass sie die (von der US-Navy angekündigte) Passage am Radarbildschirm verfolgen, wie dies viele Seefahrernationen und Hobbykapitäne routinemässig tun? Oder heisst «alles unter Kontrolle», dass das Recht auf friedliche Durchfahrt für die Volksrepublik China nicht mehr gilt und die Durchfahrt nur duldet, weil sie durch die Volksarmee gnädigerweise toleriert wird?

Was, wenn einem plötzlich die friedliche Durchfahrt verboten wird? Schiffe unter schwedischer, schweizerischer, amerikanischer und dänischer Flagge im Öresund zwischen dem dänischen Schloss Kronborg (links) und dem schwedischen Helsingborg (rechts). (Bild: privat)

Wir haben eine ziemlich kuriose Situation, dass eine seit 72 Jahren regelmässig stattfindende Passage der U.S. Navy durch die Taiwanstrasse als eine absichtliche Zerstörung von Friede und Stabilität qualifiziert wird, während der Überflug einer Drohne über eine taiwanesische Insel in derselben Taiwanstrasse (ob es eine Kampf- oder eine Spionagedrohne war, wissen wir nicht) etwas völlig normales ist, das den Frieden und die Stabilität nicht gefährdet. Man wünscht sich beinahe, dass Zhao Lijian und/oder das chinesische Aussenministerium wieder zum Schweigen übergeht, um nicht mit solchen Widersprüchlichkeiten umgehen zu müssen, die einem tatsächlich zum Wahnsinn treiben könnten.


Die Autorin, Dr. iur. Maja Blumer, Rechtsanwältin, LL.M. hat nach dem Studienabschluss in der Schweiz an der Tsinghua University in Beijing von 2008 bis 2009 chinesisches Recht studiert sowie 2013 bis 2015 an der Beijing Language and Culture University sowie an der National Chengchi University in Taipei die chinesische Sprache studiert.