Blanke Nerven in der Taiwanstrasse: Ein Crashkurs im Seerecht – nicht nur für Freizeitkapitäne

Während sich die Weltöffentlichkeit wieder anderen Themen zugewandt hat, spitzt sich die Lage in der Taiwanstrasse immer mehr zu. Inzwischen geht es nicht nur um Taiwan, sondern um einen ehernen Grundsatz im Seerecht: dem Recht auf freie Durchfahrt. Dass die Volksrepublik China nicht mehr an diesen dem Völkergewohnheitsrecht angehörigen Prinzip folgen will und die Taiwanstrasse als «inneres Gewässer» qualifiziert ist zwar nicht ganz neu. Neu ist aber, dass die Volksrepublik China androht, dieses neue Konzept gewaltsam umzusetzen. Kurz darauf haben die Salomonen angekündigt, die Regeln innerhalb ihrer «EEZ» ebenso zu ändern. Die Gefahr einer Eskalation und damit der Beeinträchtigung der Schifffahrt insgesamt ist gross.

Von Maja Blumer, 30. August 2022

Das Problem der Seegrenzen

Die vergleichsweise einfache Regelung von Streitigkeiten um Landgrenzen

Territorialstreitigkeiten um Landgrenzen sind relativ einfach. Ein Stück Boden gehört entweder zu einem Land oder zu einem anderen Land, z.B. gehört Taiwan entweder zur Volksrepublik China oder zur Republik China. Oder es ist Niemandsland, wie z.B. die demitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea oder die Pufferzone zwischen Nord- und Südzypern.

Man kann natürlich behaupten, man habe Anrecht auf mehr als man hat – siehe Russland in der Ukraine. Und man kann natürlich versuchen, diesen Anspruch gewaltsam durchzusetzen, wie das so in ziemlich allen Kriegen in der Vergangenheit geschehen ist und in Zukunft wieder geschehen wird, bis dass die Menschheit es im 3., 4. oder 5. Weltkrieg es schafft, sich ganz auszulöschen.

Sinnvoller wäre es natürlich, den Status quo zu akzeptieren und mit seinen Nachbarn Friedens- und Handelsverträge auszuhandeln. Oder, wenn es wirklich wichtig ist, eine Grenze zu ziehen, eine kreative Lösung finden (im Gegensatz zu Krieg, welcher der Inbegriff einer destruktiven Lösung ist, auch wenn einige Kriegsgewinnler davon profitieren). So wie es angeblich die Urner und die Glarner der Legende nach getan haben sollen, als sie das Problem der Grenze am Klausenpass mit einem Wettlauf regelten. Eine patente Lösung, die bis heute für beide Seiten funktioniert.

Nachdem die Grenzstreitigkeit zwischen Glarus und Uri auf eine etwas unkonventionelle Art beigelegt wurde, entwickelten sich die bilateralen Beziehungen inklusive das Recht auf freie Durchreise prächtig. Gotthardpost auf dem Weg zum Klausenpass und über die Grenze, die nicht ganz dort zu liegen kam, wo es sich die Glarner gewünscht hätten. (Bild: privat)

Schwierige Seegrenzen

Bei den Seegrenzen ist das etwas schwieriger. Niemand – ausser Piraten – hat ein Interesse daran, dass das Recht nur bis zur Küste gilt, und auf dem Meer jeder tun und lassen kann, was er will. Gleichwohl geht es nicht ohne Grenzen und Gesetze. Es ging noch ohne internationales Seerecht, als die Bevölkerung der meisten Länder sich darauf beschränkten, in Küstennähe zu fischen. Ausnahmen sind etwa die Wikinger und den australasischen Völker, die um die halbe Welt segelten. Seit die Weltmeere aber als Transportroute entdeckt wurden, also mindestens seit Zeiten des römischen Rechts, kam man nicht umhin, zu regeln, welche Regeln sowohl für die Meeranstösser als auch für Dritte gelten. Die entsprechenden Regeln wurden über viele Jahrhunderte etabliert und gelten heute als Völkergewohnheitsrecht. 

United Nations Convention on the Law of the Sea (UNCLOS)

Im zwanzigsten Jahrhundert wurden diese zum Teil ungeschriebenen völkerrechtlichen Regeln zum Seerecht dann unter anderem im Seerechtsübereinkommen der UNO, der United Nations Convention on the Law of the Sea (UNCLOS) geregelt.

Die UNCLOS ist einer der erfolgreichsten völkerrechtlichen Verträge überhaupt. Er wurde 1982 in Montego Bay, Jamaica abgeschlossen. Über 160 Länder haben das Abkommen inzwischen unterzeichnet. Einige fehlen zwar, etwa die USA, Columbien, Venezuela oder die Türkei z.B. die Türkei, weil sie mit Griechenland über Inseln streitet, oder die USA, die fürchtete, ihre Mitspracherechte könnten durch den verstärkten Einfluss der UNO beeinträchtigt werden (https://www.nytimes.com/1982/07/10/world/us-will-not-sign-sea-law-treaty.html). Aber auch die nicht-Signatarstaaten halten sich in aller Regel an die Grundsätze der UNCLOS, zumal sie als ungeschriebendes Völkergewohnheitsrecht ohnehin gelten, und nicht erst seit vierzig Jahren.

Freedom of Navigation

Einer dieser Grundsätze des Völkergewohnheitsrecht ist derjenige der «Freedom of Navigation», zu deutsch «Freiheit der Schiffart» bzw. «Freiheit des Überflugs» (Schiffe und Flugzeuge werden gleich behandelt). Die Freedom of Navigation ist in Art. 87 (1) (a) und (b) UNCLOS kodifiziert. Er besagt, dass jedes Schiff bzw. Flugzeug unter der Flagge eines souveränen Staates (auch eines Binnenlandes, Schweizer Hochseeschiffe haben z.B. den Heimathafen Basel und führen die Schweizer Flagge) nicht durch einen anderen Staat behindert werden darf, ausser es sei so im internationalen Recht so vorgesehen. Insbesondere haben Schiffe (und analog Flugzeuge) das Recht, sich zu bewegen, in Häfen einzulaufen, die Docks und andere Hafenanlagen zu nutzen, Waren zu transportieren, an Bord zu nehmen oder zu löschen oder Personen an Bord zu nehmen, zu transportieren oder aussteigen zu lassen. 

Von besonderer Bedeutung ist die Freiheit der Schiffahrt bei den Meerengen, z.B. in der Strasse von Gibraltar, dem Bosporus oder der Strasse von Malakka. Hier gilt der Grundsatz der «freien Durchfahrt». Könnte ein Anrainerstaat bei diesen «Choke Points» bestimmen, wer durch die Meerenge durchsegeln kann oder nicht, würde der weltweite Handel abgewürgt.

12-Meilen-Zone und EEZ

Generell sieht die UNCLOS vor, dass die Länder mit Meeranstoss bezüglich der «Territorial Waters», zu deutsch «Küstenmeer» am meisten Rechte haben. Das Küstenmeer ist definiert als 12-Meilen-Zone (19,3 km) von der Küstenline gemessen – der Einfachheit halber nennt man das Küstenmeer auch ganz einfach so. Innerhalb dieser Zone gilt grundsätzlich das Landesrecht. Das betreffende Land kann dort fischen, Rohstoffe fördern, Bauten (z.B. Windmühlen) erstellen, die Durchfahrt von Schiffen (oder den Überflug von Flugzeugen) erlauben oder einschränken etc., ganz so, wie man es auch auf dem Land tun dürfte, beziehungsweise bei «inneren Gewässern», gemeint sind hier abgeschlossene Buchten, Fjorde und dergleichen. Auch für das Küstenmeer und die inneren Gewässer gelten natürlich Einschränkungen bezüglich der Souveränitätsrechte. So darf z.B. ein Binnenland nicht den Überflug von Flugzeugen oder deren Landung einfach verbieten. 

Darüber hinaus gibt es eine «Exklusive Economic Zone» (EEZ) bestehend aus dem «continental shelf», d.h. dem Meeresgrund und dem darüberliegenden Wasser bis zu einer Distanz von 200 Meilen (322 km) von der Küste. Die in der EEZ zu findenden Meereslebewesen und Rohstoffe gehören ebenfalls zum jeweiligen Land, die Durchfahrt von Schiffen (bzw. der Überflug von Flugzeugen) darf aber nicht verboten werden.

Die 12-Meilen-Zone und die EEZ mehrerer Länder können natürlich überlappen, in diesem Fall wird der überlappende Teil in der Regel zu gleichen Teilen zwischen den Parteien aufgeteilt.

Seerecht jenseits der EEZ

Auf der «hohen See» jenseits der EEZ können grundsätzlich alle Länder mit ihren Schiffen durchfahren, fischen, Rohstoffe gewinnen und so weiter, es gibt hier natürlich aber doch auch gewisse Grenzen. Etwa muss ein Land für an Bord oder gegenandere Schiffe begangene Straftaten zuständig sein (Piraterie), die Rechte der Seeleute und Passagiere an Bord müssen gewahrt werden, Regeln für den Umweltschutz (Abfallentsorgung, Überfischung usw.) sind erforderlich usw. 

Das Problem der Taiwanstrasse

Die Taiwanstrasse ist zwar nicht direkt eine Meerenge, an der schmalsten Stelle ist sie 130 Kilometer (81 Meilen) breit. Aber weil die meisten grossen Handelsschiffe durch die Taiwanstrasse segeln müssen, um die grössten Frachthäfen der Welt anzulaufen, die allesamt in Festlandchina sind, kommt es, dass innerhalb eines Jahres etwa 88% aller grossen Containerschiffe der Welt irgendeinmal durch die Taiwanstrasse kommen. Aus Sicherheits- und Effizienzgründen tun sie das entlang festgelegter Routen entweder entlang der Küste des chinesischen Festlands oder entlang der Westküste Taiwans.

Schiffsverkehr in der Taiwanstrasse. (Bild: https://www.marinetraffic.com/en/ais/home/centerx:122.1/centery:23.9/zoom:7; Screenshot vom 30.08.2022)

Grundsätzlich ist aber in der Taiwanstrasse genug Platz, dass die Riesenmenge an Schiffen diese passieren kann, ohne die 12-Meilen-Zonen um das chinesische Festland bzw. um Taiwan zu berühren. Niemand darf diese Schiffe daran hindern, die Taiwanstrasse zu passieren. Das gilt unabhängig davon, ob Taiwan zur Volksrepublik China gehört oder ob das chinesische Festland zur Republik China gehört. Die EEZ, welche die Republik China (Taiwan) bzw. die Volksrepublik China allenfalls beanspruchen können, gibt keinem Land das Recht irgendeinem Schiff aus welchem Land auch immer die Durchfahrt zu verbieten.

Das Recht auf freie Durchfahrt gilt unabhängig vom Flaggenstaat, unabhängig davon, ob die UNCLOS es sich unterzeichnet wurde, unabhängig davon, ob es sich um ein sich friedlich verhaltendes Kriegsschiff, einen Frachter oder ein privates Segelboot handelt, und unabhängig davon, ob und von wem die Flaggenstaaten förmlich anerkannt werden. Das Völkerrecht ist hier stärker als irgendetwas.

Am meisten profitiert hat davon übrigens die Volksrepublik China, dessen Schiffe sonst in den meisten Gewässern der Welt bis in die Siebzigerjahre oder länger nicht hätten zirkulieren können (Südkorea hat die Volksrepublik China erst 1992). Kein Wunder war die Volksrepublik China einer der Signatarstaaten der UNCLOS.

Allerdings ist vor einiger Zeit bekannt geworden, dass die Volksrepublik China das Seerecht abändern möchte und sich deshalb aus der UNCLOS zurückziehen möchte. Formell ist das bisher nicht geschehen, denn man dürfte inzwischen auch in China, das bisher nicht gerade als Nation mit grosser Seefahrertradition gegolten hat, dass ein Rückzug nicht viel am Völkergewohnheitsrecht ändern würde.

Inzwischen ist die Volksrepublik China auf eine andere Idee gekommen: es hat die Taiwanstrasse als «inneres Gewässer» bezeichnet. Das ist war seerechtlich etwa so irr, als würde man der Oberblegisee als «Küstenmeer» bezeichnen.

Das Problem beim Versuch, eine jahrhundertealte Praxis über Bord zu werfen und vertragliche Verpflichtungen zu negieren (was ein inneres Gewässer ist, ist natürlich in den UNCLOS genau definiert): Niemand kann die Volksrepublik China zwingen, sich an seine Verpflichtungen zu halten. Die einzige praktisch wirksame Lösung wäre die Retaliation, d.h. Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Die dadurch entstehende Eskalation nach dem Motto kann aber zu einem noch grösseren Streit führen: Erst verbietet man sich gegenseitig die Durchfahrt von Kriegsschiffen, dann die Durchfahrt von Handelsschiffen (wenn sie sich dann ohne den Schutz der Kriegsschiffe noch in piratenverseuchten Gebieten zu verkehren getrauen), dann die Fischerboote (was ein Segen für die Weltmeere wäre) usw. 

Wenn die Volksrepublik China die Idee weiterverfolgen würde, würde es sich selbst den Ast abschneiden, auf dem es sitzt. Dass die Exporte einbrechen würden (und damit die Deviseneinnahmen wegfallen würden), wäre noch das eine. Bis in die Siebzigerjahre hatte die Volksrepublik China auch praktisch keine Exporte. Dass Problem wäre vielmehr, die Importe, von Erdöl aus dem Nahen Osten über Microchips aus Taiwan über Treibstoff über Nahrungsmittel etc., von denen die Volksrepublik China hochgradig abhängig ist.

Bis vor kurzem hat die Völkergemeinschaft zwar vor diesem Schritt, das Seerecht aus den Angeln zu heben, zwar gewarnt, aber nicht ernsthaft angenommen, dass die Volksrepublik China die Drohung wahrmacht, die Taiwanstrasse nicht nur als inneres Gewässer zu bezeichnen, sondern auch der U.S. Navy die Durchfahrt durch die Taiwanstrasse zu verbieten such. Genau das ist nun geschehen. Und das nicht einfach in einer Tirade eines Sprechers des chinesischen Aussenministeriums – Zhao Lijian, der bekannte Wolf Warrior sagte am 29. August 2022 natürlich auch seine Meinung dazu – sondern am Tag vorher, am 28. August 2022, als die U.S. Navy eine ihrer «Freedom of Navigation» Durchfahrten durch die Taiwanstrasse machte, die Volksbefreiungsarmee. 

Ein Funkamateur schnitt den Funkverkehr zwischen einem Helikopterpiloten und Vertretern der Volksbefreiungsarmee am Sonntag, 28. August 2022 während längerer Zeit mit, in der mehrfach fast identische Botschaften ausgetauscht wurden, wobei keiner auf den anderen hört. 

Vertreter der Volksbefreiungsarmee: “This is the Chinese PLA Air Force. You are approaching China’s territorial airspace. Leave immediately, leave immediately, or you will be intercepted.”

Der amerikanische Pilot antwortete: “I am a United States military aircraft conducting lawful military activities in international airspace and exercising these rights as guaranteed by international law. I am operating with due regard to the rights and duties of all states.”

https://www.youtube.com/watch?v=OBTW3sk_dx0&t=91s

Das beängstigende daran ist, dass beide Seiten offensichtlich der Auffassung sind, im Recht zu sein. Die chinesische Seite fühlt sich verpflichtet, den Helikopter vom Überflug abzuhalten (z.B. abzuschiessen), obwohl klar ist, dass der Überflug nicht über der 12-Meilen-Zone, d.h. der «Territorial Airspace» stattfand, sondern mehr oder weniger weit davon entfernt. So schlecht die chinesischen Soldaten auch Englisch sprechen ist dabei klar, dass sie einen vorbereiteten Text wiedergeben. Mindestens die Stimme des zweiten chinesischen Sprechers lässt darauf schliessen, dass die Nerven blank liegen

Der amerikanische Pilot bleibt zwar ruhig, aber auch er ist gezwungen, den vorgegebenen Text zu rezitieren und geht nicht auf die Gegenseite ein. Zu Recht weist er nicht nur auf das Recht hin, das fragliche Gebiet zu überfliegen, sondern er auch verpflichtet ist – so wie unzählige Piloten und Kapitäne vor ihm, denn die siebte Flotte hat diese Aufgabe seit 1950, als sie von Präsident Truman abkommandiert wurde, um den Wiederausbruch des Bürgerkriegs zwischen der Republik China und der Volksrepublik China zu verhindern.

Einfach so die Segel streichen? Wohl kaum! Segler im Öresund zwischen Dänemark und Schweden. (Bild: privat)

Die Botschaft des amerikanischen Piloten kommt auf der anderen Seite ebenso wenig an, wie die Aufforderung, die Segel zu streichen, ist klar. Aber genau darum geht es: «die Segel streichen» stammt aus der Zeit, als man als Zeichen der Kapitulation die Segel einholte und sich damit die Möglichkeit nahm, dem Feind zu entfliehen. Ein namenloser Soldat der Volksbefreiungsarmee verlangt von der U.S. Navy die bedingungslose Kapitulation und damit die Beseitigung jahrhundertelanger völkerrechtlicher Prinzipien. Ein Soldat, der sich einem solchen Begehren unterzieht, würde Landesverrat begehen. Sich dem Begehren nicht zu unterziehen, würde nicht nur die Stabilität der Region bedrohen, sondern der gesamten Welt (zumal die U.S. Navy so ziemlich an allen neuralgischen Punkten solche «Freedom of Navigation»

Falls das nicht Grund genug wäre, sich zu fragen, ob wir am Rand des Irrsinns stehen, sind wir heute einen Schritt weiter: Die Salomonen (das bis 2020 diplomatische Beziehungen zur Republik China gepflegt hat, seither zur Volksrepublik China) hat angeblich alle Länder gebeten Patrouillen in der EEZ zu unterlassen, bis man die Bestimmungen für Besucher revidiert hätte. Ob dies auch für chinesische Kriegsschiffe und pseudo-Fischerboote der «People’s Armed Forces Maritime Militia» gilt, ist unklar, aber wohl kaum.

Taiwan hat inzwischen angekündigt, dass man inskünftig Drohnen über militärischem Gebiet abgeschossen würden, wenn die Warnungen des taiwanesischen Militärs weiterhin ignoriert würden (Nachtrag vom Donnerstag, 1. September 2022: Nachdem die taiwanesische Volksarmee an den Vortagen mehrmals Warnschüsse gegen chinesische Drohnen abgegeben hat, hat sie am 1. September 2022 bekanntgegeben, erstmals eine Drohne, welche die Warnschüsse ignorierte, abgeschossen zu haben). Völkerrechtlich ist Taiwan dazu (innerhalb der 12-Meilen-Zone) dazu grundsätzlich legitimiert. Die Gefahr der Eskalation besteht: krebst die Volksrepublik China nicht zurück, ist Taiwan zum Abschuss gezwungen, sonst fühlt sich die Volksrepublik bestätigt und es kommen nach den Spionagedrohnen Kampfdrohnen und anderes Kriegsgerät. Schiesst Taiwan eine Drohne ab, so besteht die Gefahr, dass die Volksrepublik dies als Kriegserklärung versteht – möglicherweise genau das, was im Anbetracht der innenpolitischen Probleme (Zero Covid Policy, Hitzewelle, Dürre, Wassermangel, Kollaps des Immobilienmarktes, Bankenkollaps, Wiederwahl von Xi Jinping usw.) in gewissen Kreisen auf dem Festland gewünscht ist.

Statt die Muskeln spielen zu lassen, kann man die Dinge auch einmal ruhen lassen. Schiffe im Hafen von Gilleleje, Dänemark. (Bild: privat)

Man kann einfach nur noch Hoffen, dass die Beteiligten einen kühlen Kopf bewahren, wie die Soldaten der Volksarmee, die ihre Drohungen gegenüber dem amerikanischen Helikopterpiloten letztendlich nicht wahrgemacht haben. Und vielleicht ist auch der Rat des in Bedrängnis geratenen Sprechers des chinesischen Aussenministeriums, Zhao Lijian, in einem etwas abgewandelten Sinne gar nicht so schlecht: Nicht die Muskeln spielen zu lassen. Kein grosses Getue um die Drohnen zu machen. Indem man sie einfach am Boden lässt und sich den schönen Dingen des Lebens widmet, oder wenigstens echten Problemen. Wenn sich alle an diesen Rat halten würden, ändert sich zwar nichts am Status quo, der unbefriedigend sein mag. Aber es würde wenigstens Raum für eine kreative Lösung bieten, wie sie die Urner und Glarner am Klausenpass gefunden haben.


Die Autorin, Dr. iur. Maja Blumer, Rechtsanwältin, LL.M., hat nach dem Abschluss ihrer Studien in der Schweiz an der Tsinghua University in Beijing 2008/2009 chinesisches Recht studiert sowie an der Beijing Language and Culture University bzw. an der National Chengchi University in Taipei von 2013 bis 2015 die chinesische Sprache erlernt. Dieser Artikel beruht ausschliesslich auf eigenen Recherchen und gibt nicht notwendigerweise die Rechtsauffassung einer der involvierten Staaten wider. Als Angehörige eines Binnenlandes ist die Autorin nur als Freiteitmatrosin auf hoher See unterwegs, es wird deshalb um Nachsicht gebeten, wenn sich in militärischer oder seerechtlicher Hinsicht Fehler eingeschlichen haben.