Die unrühmliche Rolle der Schweiz in der Republik China: Ein steiniger Weg zu einem Freihandelsabkommen mit Taiwan

Die Schweiz hat bislang bezüglich der Republik China besonders in rechtlicher Hinsicht eine unrühmliche Rolle gespielt. Insbesondere tritt sie den 2018 mit der Republik China abgeschlossenen und immer noch gültigen Freundschaftsvertrag mit Füssen. Die Eidgenossenschaft täte gut daran, sich an die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Republik China zu halten, bevor weitere Diskussionen darüber geführt werden, ob und wie die Beziehungen zu Taiwan allenfalls mit einem Freihandelsabkommen verbessert werden können, ohne die gegenüber der Volksrepublik China eingegangenen Verpflichtungen zu verletzen.

von Maja Blumer, 28. August 2022

Die Schweiz hat die Republik China am 7. Oktober 1913 anerkannt

Der extreme Fokus der Schweiz in der Schweiz in ihrer Aussen(wirtschafts)politik auf die Volksrepublik China und die mit dieser in den letzten zwei Jahrzehnten abgeschlossenen Wirtschaftsabkommen und die sich bezüglich der Verbesserung der Beziehungen zu Taiwan im Kreis drehenden Diskussionen lassen eine wichtige Tatsache vergessen: Nämlich dass die Schweiz das «andere» China,  die Republik China – später auch als Nationalchina, Formosa, Taiwan oder «Chinese Taipei» bezeichnet – 1913 anerkannt hat und mit ihr schon 1918 ein erstes Abkommen abgeschlossen hat, das bis heute von grundlegender Bedeutung ist. 

Der Botschafter in Washington, Paul Ritter, hatte sich schon am 27. März 1912 dafür ausgesprochen, dass die Schweiz das erste Land sein sollte, welches die Republik China anerkennt und wies darauf hin: 

«Wie ich die Chinesen kenne, wird derjenige Staat, welcher ihnen die grosse Freude der ersten Anerkennung und der Gleichstellung bereitet, sich ihre unverbrüchliche Dankbarkeit sichern.» – Botschafter Paul Ritter an den Bundespräsidenten Ludwig Forrer, Schreiben vom 27. März 1912 

Der Botschafter in Japan, Ferdinand von Salis, plädierte ebenfalls schon im Februar 1912 für eine rasche Anerkennung, mit dem Argument:

«So mangelhaft auch die neue Regierung ausfallen mag, sie wird immer noch besser sein, als die korrupte Schützlings- und Eunuchenwirtschaft, wie sie seit mehr als 50 Jahren in Peking bestanden hat.» – Botschafter Ferdinand von Salis an den Bundesratspräsidenten Ludwig Forrer, Schreiben vom 10. Februar 1912 

Ins gleiche Horn stiess der Schweizer Professor Louis Bridel, ein bekannter Zivilrechtsspezialist und Vorkämpfer für zivilrechtliche und politische Gleichstellung der Frauen. Er wurde nach einer Tätigkeit an der Universität Genf und einer politischen Tätigkeit in der Schweiz nach Japan berufen, um die Meiji-Reform mit seinem Wissen zu unterstützen. Von 1900 bis 1912 unterrichtete er an der juristischen Fakultät der Tokio Imperial University.

Mit Verve plädierte Bridel beim Bundesrat dafür, hinsichtlich der Republik China nicht nur materielle Interessen in den Vordergrund zu rücken«In China zu einer guten politischen Organisation beitragen, beispielsweise eine Gesetzgebung, die von einem wahren Esprit der Gerechtigkeit und Freiheit beseelt ist, mit der Erfahrung, die man im öffentlichen Unterrichtswesen gewonnen hat: das ist etwas, was unser Land tun kann, und gut tun kann. » Und weiter: «…die rein materiellen Interessen sind für den Menschen nicht alles was zählt, und sind auch für eine Nation nicht alles was zählt.»

«Apporter à la Chine les éléments d’une bonne organisation politique, l’exemple d’une législation inspirée d’un veritable ésprit de justice et la liberté, l’expérience acquise dans la domaine de l’instruction publique: voilà ce que notre pays est en mesure de faire et de bien faire. … les intérêts exclusivement matériels ne sont pas le tout de l’homme ni d’une nation.» –  Professor Louis Bridel an den Bundespräsidenten Ludwig Forrer, Schreiben vom 1. März 1912 

Trotz den Plädoyers für eine rasche Anerkennung und eine kluge China-Strategie zögerte der Bundesrat – wie üblich. Erst wartete man ab, ob die USA die Republik China anerkennen würde. Und als das geschehen war, verschob man die Anerkennung noch einmal, bis feststand, dass die Wahl des neuen chinesischen Präsidenten gesichert war (vgl. Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 23. Mai 1913). Die Anerkennung der Republik China durch die Schweiz erfolgte dann effektiv erst am 7. Oktober 1913. 

Aufnahme der diplomatischen Beziehungen und der Freundschaftsvertrag von 1918

Auch bezüglich der Aufnahme diplomatischen und anderweitigen Beziehungen zögerte man im Bundesrat und schlug insbesondere den professoralen Rat von Bridel (er starb 1913 in Tokio) in den Wind. Die chinesische Seite wünschte zwar die Aufnahme solcher Beziehungen, in der Schweiz wollte man sich aber zuerst vertraglich gewisse Vorrechte sichern (Bundesrat Hoffmann an Botschafter von Salis, Schreiben vom 1. Juni 1917).

Die Türen für Diplomaten, Akademiker und andere Interessierten wären in der Republik China bereits 1912 offen gestanden, die Eidgenossenschaft hat es aber verpasst, rechtzeitig davon Gebrauch zu machen. Park der 1911 gegründeten Tsinghua University. (Bild: privat)

Dies gelang erst am 13. Juni 2018, als der «Freundschaftsvertrag zwischen der Schweiz und der Republik China» (SR 0.142.112.491) abgeschlossen wurde. Nachdem der Vertrag von der Bundesversammlung am 27. Juni 1919 genehmigt worden war, wurden am 8. Oktober 1919 die Ratifikationsurkunden ausgetauscht und der Freundschaftsvertrag trat gleichentags in Kraft.

Das Abkommen zwischen der Schweiz und der Republik China wurde zwar als «Freundschaftsvertrag» betitelt, hatte und hat aber mit Freundschaft rein gar nichts zu tun. Der Vertrag an sich sah zwar schon gleiche Rechte und Pflichten für beide Parteien vor. Die Republik China war 1918 dazu gezwungen, der Schweiz in einer separaten Erklärung neben einer Meistbegünstigungsklausel (welche für beide Parteien gilt) auch einseitig zugunsten der Schweiz Extraterritorialitätsrechte inklusive der sogenannten Konsularjurisdiktion einzuräumen, wie sie Jahre zuvor schon den Kolonialmächten eingeräumt worden waren. 

Konkret sah die Erklärung (BBl 1918 V 657) vor: 

«Was die Konsularjurisdiktion und die Extraterritorialität betrifft, geniessen die schweizerischen Konsuln die gleichen Rechte, welche den Konsularagenten der meistbegünstigten Nation gewährt werden oder gewährt werden können. Sobald China seine Gerichtsorganisation wird abgeändert haben, wird die Schweiz im Verein mit den anderen Mächten bereit sein, auf das Konsularjurisdiktionsrecht in China zu verzichten.»

Statt wie von Professor Bridel vorgeschlagen die Schaffung eines modernen Rechtsstaates zu unterstützen, schuf man also rechtsfreie Zonen für Schweizerbürger und Schweizer Firmen. Sie waren dadurch – für die nächsten fünfundzwanzig Jahre – der chinesischen Zivil- und Strafgerichtsbarkeit entzogen und unterstanden (theoretisch) dem Schweizer Recht. Für die Gerichtsbarkeit waren die Konsulate zuständig, die in China tätigen Schweizer Firmen konnten sich ins Schweizer Handelsregister eintragen lassen und mussten sich um das lokale Recht nicht kümmern, das gleiche galt für Immobilientransaktionen in China und dgl. Wann immer sie in den Streit mit einer chinesischen Vertragspartei geraten würden, wussten die Schweizer, dass sie den schweizerischen Konsularbeamten auf ihrer Seite hatten, der sie im Zweifelsfall schon schützen würde. 

Die Schweiz nutzte ihre Vorrechte skrupellos aus. 1927 befand der Bundesrat beispielsweise, es sei gar kein Problem wenn «Freiwillige» – geschützt durch die Konsulargerichtsbarkeit – an der Seite von Rebellen in Shanghai gegen die Republik China kämpften. Von der Republik China beschlossene Zölle wurden schamlos umgangen – der Bundesrat selbst ordnete Umgehungsmassnahmen an.

Auch in diplomatischer Hinsicht rührte man keinen Finger für die Republik China, so zierte man sich, als die Regierung 1930 ihren Regierungssitz von Beijing nach Nanjing und später nach Chongqing und zuletzt nach Chengdu verlegen musste. Erst recht galt das, als Taipei am 7. Dezember 1949 zur neuen Hauptstadt wurde – die Schweiz hatte ihre Botschaft in Nanjing bereits im Oktober 1949 geschlossen und lehnte auch jede Hilfe ab, als der Botschafter der Republik China in der Schweiz am 5. Oktober 1949 um die guten Dienste der Eidgenossenschaft im Zusammenhang mit der Sowjetunion bat – oder wenigstens um sicheres Geleit im Falle der Schliessung seiner Botschaft nach der Anerkennung der Volksrepublik.

Der «Freundschaftsvertrag» war mit anderen Worten ein typischer Fall eines «ungleichen Vertrages» (不平等条约 bùpíngděng tiáoyuē), in welche die Qing-Dynastie und danach die Republik China ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – oft mit Waffengewalt – hineingezwungen wurden. Die extraterritorialen Rechte, die der Schweiz mit diesem Vertrag zugesichert wurden, waren eigentlich schon 1918 ein Relikt aus düsteren Zeiten des Kolonialismus, welches mit dem modernen Völkerrecht nicht vereinbar war. Schon 1917 verloren Deutschland und Österreich-Ungarn ihre Vorrechte, die USA und Grossbritannien folgten 1942, nicht zuletzt weil die Republik China unter Chiang Kai-shek ein wichtiger Verbündeter gegen die Japaner war.         

Auch als im wesentlichen nur noch Portugal über einen vergleichbaren Vertrag mit der Republik China verfügte, tat sich die Schweiz ausserordentlich schwer mit der Aufgabe ihrer Extraterritorialitätsrechte in China, obwohl die Schweiz gemäss der Erklärung im Anhang zum Freundschaftsvertrag längst hätte verzichten müssen. Noch am Freitag, dem 27. Juli 1945 beschloss der Bundesrat, «demnächst» mit der Regierung der Republik China in Verhandlungen zu treten. Die zögerliche Haltung (es geschah zunächst gar nichts) ist vor dem Plan zu sehen, der Republik China einerseits Zugeständnisse abzuringen, andererseits Zeit zu gewinnen – es hätte ja sein können, dass die Japaner die Oberhand behalten würden, so dass man lieber mit dem «freien» China (sprich: Mao Zedong) paktieren würde, eine Idee, die in Wirtschaftskreisen in der Schweiz schon länger zirkulierte.

Wenige Tage nach dem Entscheid des Bundesrates, vorerst nicht über die Aufgabe der schweizerischen Vorrechte zu entscheiden, überreichte der japanische Botschafter in der Schweiz am 10. August 1945, die Kapitulationsurkunden der japanischen Regierung zuhanden der USA und der Republik Chinas. Der zweite Weltkrieg war definitiv zu Ende und die Republik China stand plötzlich auf der Seite der Siegermächte. 

Es kam (für die Schweiz) noch schlimmer. Im 27. August 1945 war der chinesische Botschafter in der Schweiz zwar mit einem fixfertigen Memorandum vorstellig geworden, und hatte die sofortige Aufhebung der Konsulargerichtsbarkeit mittels gegenseitiger Erklärung gefordert, in der Schweiz tat man aber so, als müsse man erst prüfen, ob vielleicht die Bundesversammlung der Aufhebung zustimmen müsste; zudem formulierte man eine lange Liste von Voraussetzungen, welche für einen Verzicht notwendig wären, wie in einer Notiz vom 15. September 1945 vermerkt wurde.

Es kam wie es kommen musste: Am 28. September 1945 ratifizierte die Republik China als Gründungsmitglied der UNO deren Charta und wurde damit ein wichtiges Mitglied mit einem ständigen Sitz (und Vetorecht) im Sicherheitsrat – die Schweiz war zur Gründungsversammlung der UNO in San Francisco noch nicht einmal eingeladen worden. 

Die Schweiz war zur Party nicht eingeladen, als die Republik China zu einer der führenden Weltmächte aufstieg und einen Platz im Sicherheitsrat einnahm. Servierpersonal bei einem Bankett in Beijing mit chinesischen und ausländischen Teilnehmern. (Bild: privat)

Die Republik China war von einem Tag auf den anderen zu einem weltpolitisch wichtigen Akteur geworden. Wobei diese Entwicklungen eigentlich den Bundesrat eigentlich nicht unvorbereitet hätten treffen sollen, bereits Monate zuvor hatte ein Berichterstatter gewarnt, der UN-Sicherheitsrat würde weitreichende Befugnisse, «des compétences très vastes» haben und fügte an, die Grossmächte würden das Heft in der Hand haben – «les plus grandes puissances auront préponderance». Der Bundesrat wollte allerdings auch in diesem Punkt keinen klaren Entscheid fällen, sondern beschloss, erst einmal abzuwarten.

Nachdem die Republik China zu einer Weltmacht geworden war, konnte sich die aussenpolitisch isolierte Schweiz nicht länger leisten, auf ihre wirtschaftlich interessanten Vorrechte aus dem Freundschaftsvertrag von 1918 zu pochen oder der Republik China Zugeständnisse abzufordern. Im März 1946 musste sich der Schweizer Bundesrat der Macht der Fakten beugen und in einer Hals-über-Kopf-Aktion auf die extraterritorialen Rechte verzichten, ohne die möglicherweise wünschenswerte Zustimmung des Parlaments einzuholen. Man hoffte allerdings, die Sache wieder glattbügeln zu können, indem man einen neuen Handelsvertrag abschliesst, wie er ja eigentlich schon in der Erklärung von 1918 vorgesehen worden war.

Zu einem Handelsvertrag kam es nie, die Republik China machte zwar einen Vorschlag, aber dieser wurde von der Schweiz als zu kostspielig eingestuft – oder von der Republik China. Vor dem Krieg hatte man nämlich in der Schweiz schöne Handelsbilanzüberschüsse gemacht, z.B. standen 1938 schweizerischen Exporten nach China in der Höhe von CHF 27 Millionen Importen von 20 Millionen. gegenüber, an die Vorkriegserfolge wollte man anknüpfen, während man z.B. Kredite wie man sie anderen Ländern gewährt hatte, ausschloss. 

Zudem kam tauchte im März 1946 erneut die Idee auf, die Republik China könnte doch auch die Schweizer für Kriegsschäden entschädigen, die sich auf ihrem Territorium ereignet hatten. Das Interesse der Republik China, nach der Aufhebung des letzten ungleichen Verträgen einen weiteren solchen abzuschliessen, war offensichtlich gering.

Die Bedeutung des Freundschaftsvertrags der Schweiz mit der Republik China in seiner heute geltenden Fassung

So kommt es, dass der «Freundschaftsvertrag» zwischen der Schweiz und der Republik China seit 1946 unverändert in Kraft ist. Oder genauer gesagt, der «Freundschaftsvertrag» ist seit 1918 unverändert in Kraft, denn aufgehoben wurden ja nur die extraterritorialen Rechte der Schweiz, und die Bedingungen für diese waren gemäss der dafür relevanten Erklärung ohnehin schon längst nicht mehr erfüllt. Auch wenn er anders als moderne Staatsverträge nicht sehr umfangreich ist, hat der Freundschaftsvertrag durchaus einige interessante und auch heute noch relevante Bestimmungen, die eine nähere Betrachtung rechtfertigen:

Freundschaft und das Völkerrecht

In seinem Artikel 1 sieht der Freundschaftsvertrag zwischen der Schweiz und der Republik China vor, dass zwischen den beiden Staaten sowie deren Angehörigen dauernd «Friede und Freundschaft» herrschen soll. Nun sind «Friede und Freundschaft» im Völkerrecht im Allgemeinen und in diplomatischen Beziehungen im besonderen eine sehr flüchtige Angelegenheit. Will man sie erzwingen, so landet man sehr schnell bei «Krieg und Feindschaft», welche im Kriegsvölkerrecht sehr viel klarer geregelt ist als alle anderen internationalen Rechtsverhältnisse. 

Vielleicht sollte man sich gleichwohl in Erinnerung rufen, dass Freundschaft zwischen Staaten und ihren Angehörigen nicht ganz so belanglos ist. Bereits das als ältester völkerrechtliche Vertrag geltende Abkommen zwischen den Königen von Ebla (im heutigen Syrien) und Assur (im heutigen Irak), das im dritten Jahrtausend vor Christus abgeschlossen worden sein soll, soll nicht einfach nur ein Handelsabkommen gewesen sein, sondern ein Freundschafts- und Handelsabkommen.

Es ist auch durchaus nicht so, dass sich die Freundschaft zwischen den Staaten einer Definition entziehen würde oder bloss eine Frage der Moral und nicht des Rechts wäre (Vgl. zum Ganzen Klaus Dicke, Freundschaftliche Beziehungen zwischen Staaten – ein altruistisches oder ein rechtliches Prinzip der internationalen Beziehungen, Jahrbuch für Recht und Ethik, 1998, S. 163 ff.). Die Generalversammlung der UNO hat sich sogar die Mühe gemacht, den Begriff der Freundschaft zu definieren ( vgl. Erklärung über Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen vom 25. Oktober 1970).

Dass Freundschaft auch in der Praxis wichtig ist, insbesondere bei Vertragsbeziehungen, sei es zwischen Staaten, sei es zwischen Privaten, dürften inzwischen auch die meisten gemerkt haben, die sich jemals mit Verträgen und deren Scheitern befasst haben. Beruhen Verträge auf geteilten Werten und Interessen, wie sie eine Freundschaft kennzeichnen, so spielt der Vertragstext eine geringe Rolle, ja, genügt sogar «ein Handschlag». Ist die Freundschaft dahin und das Vertrauen zerstört, nützt auch ein technisch perfekt formuliertes Vertragswerk nichts.

IN FULL: Taiwan’s foreign minister Joseph Wu speaks to press about diplomacy | ABC News, https://www.youtube.com/watch?v=u4_6tlJTzHU

Welche Rolle Freundschaft für die Republik China besonders heute spielt, brachte deren Aussenminister Joseph Wu kürzlich an einer Pressekonferenz zum Ausdruck: «Wir in Taiwan brauchen in der internationalen Gemeinschaft die Unterstützung anderer Länder, egal ob es die Unterstützung der USA ist, die Unterstützung Japans, oder die Unterstützung anderer Länder.» Und: «Der Druck Chinas kann uns nicht daran hindern, mit der internationalen Gemeinschaft Freundschaften zu pflegen.»

我們台灣在國際社會上面需要這個國際的支持, 不管是美國的支持, 是日本的支持或者是其他國家的支持。中國的壓不會停止台灣在國際時會上面交朋友。– 吳釗燮 (Joseph Wu), Aussenminister der Republik China, Pressekonferenz vom 26. August 2022, ABC News (Australia), https://www.youtube.com/watch?v=u4_6tlJTzHU

Es wäre in der Schweiz vielleicht eine Überlegung wert, ob es nicht klug wäre, sich auch bezüglich anderen Staaten zunächst darauf zu konzentrieren freundschaftliche Beziehungen zu pflegen, so eine gemeinsame Basis zu schaffen, und erst danach eine Vertragsbeziehung aufzubauen oder anzupassen, statt sich nicht einfach von subalternen Beamten ausgehandelte Verträge verlassen. Das gilt auch, aber nicht nur, für die Republik China, der der Bundesrat (oder mindestens Bundesrat Petitpierre) 1949 oder 1950 (der Entscheid ist nicht dokumentiert) aus diffusen Gründen die Existenzberechtigung abgesprochen hat, so dass es von vornherein unmöglich ist, mit Taiwan, das aus der Sicht der Schweiz gar nicht mehr existiert, eine gemeinsame Basis zu schaffen. 

Was die in Artikel 1 des Freundschaftsvertrags angesprochenen freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Angehörigen der beiden Staaten betrifft, haben die Regierungen, zwischen denen der Vertrag geschlossen wurde, zwar nichts dazu sagen, sollten aber doch alles unterlassen, was die Pflege freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Staatsangehörigen ungebührlich erschwert. 

Diese persönlichen Freundschaften haben sich in der Vergangenheit für die Eidgenossenschaft in Taiwan immer wieder nützlich erwiesen, wenn es z.B. um das Einholen von Wirtschaftsinformationen ging und das Anknüpfen von politischen Beziehungen ging. Der für die 1974 170 Köpfe zählende Schweizer Kolonie zuständige Vertreter des Generalkonsulats in Hong Kong berichtete, wie er Interessenten eingestandenermassen an einen umtriebigen Mittelsmann verwies, mit dem er häufig in Kontakt stand, zum Rest der Schweizer Expats in Taiwan oder zu Taiwanern hatte er als offizieller Vertreter der Schweiz keinen Kontakt; erst recht nicht zur taiwanesischen Regierung. 

Es gibt viele Wege, um Kontakte zu pflegen. Hier die Buchmesse in Taipei 2017. (Bild: privat)

Bis heute basiert die seit 1982 bestehende quasi-Botschaft in Taipei, das Trade Office of Swiss Industries (TOSI) auf einer privaten Initiative, die erst seit 1987 halbherzig vom Bund unterstützt wird – 1990 wurde gerade einmal eine Stelle finanziert. Etwas wenig, wenn man bedenkt, dass die amerikanische Botschaft in Taiwan ungefähr 400 Mitarbeiter beschäftigt und viele andere Länder Jahre und Jahrzehnte früher quasi-diplomatische Beziehungen zu Taiwan aufnahmen.

Bilaterale Beziehungen mit einem geopolitisch und wirtschaftlich wichtigen Staat einfach Privaten zu überlassen, ist allerdings gefährlich. Es gibt insbesondere in Ostasien unter den «Expats» solche, die über Jahre und Jahrzehnte die oft missverstandenen «Guanxi» aufgebaut haben und bloss den Telefonhörer in die Hand zu nehmen brauchen, um den Präsidenten oder einen wichtigen Regierungsbeamten ihres Gastlands an der Strippe zu haben. Gerade weil diese Personen um den Wert ihrer Beziehungen wissen, stellen diese nicht einfach dem Meistbietenden zur Verfügung und haben zudem besonders in Taiwan gelernt, ohne Unterstützung von Bundesbern auszukommen. Ob die Eidgenossenschaft auf diese Leute zurückgreifen kann, wenn Not an Mann ist, ist fraglich. 

Recht auf diplomatische und konsularische Beziehungen

Ob die Privaten im Notfall bereit sind, für die Schweiz die Kohlen aus dem Feuer zu holen, ist auch deshalb fraglich, weil das Fehlen von zwischenstaatlichen Beziehungen zur Republik China seitens des für die Aussenpolitik hauptverantwortlichen Schweizer Bundesrats völlig selbstverschuldet ist. Niemand anderes, weder die Sowjets noch die Volksrepublik China können dafür verantwortlich gemacht werden.

In seinem Artikel 2 sieht der Freundschaftsvertrag zwischen der Schweiz und der Republik China nämlich vor, dass beide Regierungen das Recht haben, konsularische und diplomatische Beziehungen im jeweils anderen Land zu pflegen, wobei die gleichen Rechte, Vorrechte, Begünstigungen und Immunitäten gelten, wie sie der meistbegünstigten Nation gewährt werden.

Wenn der Bundesrat will, kann er bereits morgen diplomatische Beziehungen zu Taiwan aufnehmen. Er hat das staatsvertraglich zugesicherte Recht dazu, und selbst die Volksrepublik China müsste akzeptieren, dass die Schweiz an den Staatsvertrag gebunden ist.

Bezüglich der Durchsetzbarkeit besteht bezüglich des Rechts auf konsularische nzw. diplomatische Beziehungen ein ähnliches Problem wie bei der «Freundschaft». Es ist leicht, der Form halber diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Ob diese jedoch die gewünschten Resultate bringen, hängt von der Beziehungspflege ab. Ob dies im offiziellen oder inoffiziellen Rahmen geschieht, ist unerheblich. Hier hat Taiwan offensichtlich die Nase vorn, es hat wahrscheinlich in den letzten fünfzig Jahren mehr zu seinen Netzwerken in der Staatengemeinschaft beigetragen, als in den rund 60 Jahren (1913 bis 1972), in denen es zu den meisten Ländern diplomatische Beziehungen pflegte, und in den rund 25 Jahren, als die Republik China einen festen Sitz im UN-Sicherheitsrat innehatte (1945 bis 1971) und damit zu den Weltmächten zählte.

Der Schweiz scheint dies allerdings bei der Pflege der inoffiziellen diplomatischen Beziehungen zu Taiwan etwas weniger gut gelungen zu sein. Andere Staaten pflegen auch nach 1971 ihre diplomatischen Beziehungen zu Taiwan weiter, auch wenn sie offiziell nur noch solche zur Volksrepublik China unterhalten.

Sie bewegen sich im sicheren Fahrwasser der USA, welche im Taiwan Relations Act von 1979 festgehalten haben, dass wo immer amerikanische Gesetze auf Begriffe wie «Land», «Nation», «Staat», «Regierung» und dergleichen erwähnt werden, diese Begriffe auch auf Taiwan anwendbar sind (Sec. 4 (b) des Taiwan Relations Act), und die bezüglich ihrer «One China Policy» auch klipp und klar festgehalten haben, dass sie damit nicht die Hoheitsansprüche der Republik China bzw. Volksrepublik China auf das jeweilige Territorium des anderen Staates anerkennen.

Absichtserklärung zum Abschluss eines Handelsvertrags

Eine weitere schwer durchsetzbare Vertragsbestimmung findet sich sowohl in der Erklärung zum Freundschaftsvertrag von 1918 als auch im diplomatischen Notenaustausch von 1946: Die Vereinbarung, dass zu «gelegener Zeit» ein Niederlassungs- und Handelsvertrag zwischen den Parteien abgeschlossen werden soll. Eine Verpflichtung zum Abschluss kann aus dieser Bestimmung natürlich nicht abgeleitet werden. Wenn die Schweiz in den ersten hundert Jahren der Geltung des Vertrags der Meinung war, ein solcher Vertragsschluss komme ihr «ungelegen». 

Ob dies immer noch so ist, ist allerdings unklar. 2020 reichte Nationalrat Imark eine Interpellation ein und verlangte die Prüfung eines Wirtschaftsabkommens mit Taiwan. Der Bundesrat kam die Idee jedoch ungelegen, und die Diskussion wurde im Nationalrat verschoben, nachdem sich der Interpellant mit der Antwort des Bundesrats als «nicht befriedigt» erklärt hat. Entsprechend können keine Schlüsse gezogen werden, ob der Abschluss eines solchen Vertrages jetzt opportun wäre oder nicht. Einem jeden Vertragsschluss müsste die Willensbildung vorangehen. Wenn der in einer Demokratie notwendige politische Diskurs abgeblockt wird, bevor man überhaupt über das ob, was, wann, wie etc. spricht, wird der Vertrag immer «ungelegen» kommen. 

In einem weiteren Postulat wurde 2021 verlangt, dass geprüft werden solle, «in welchen Bereichen im Interesse von Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur die bestehenden Beziehungen zur Republik China (Taiwan) graduell vertieft werden können»; das Postulat wurde vom Nationalrat am 14. September 2019 angenommen. Denkbar ist, dass ein Niederlassungs- und Handelsvertrag ein Mittel zu den Verbesserung der bilateralen Beziehungen sein könnte. Der Weg dahin ist allerdings lang. Der Bericht des Bundesrats ist frühestens 2023 zu erwarten – einem Wahljahr in der Schweiz, in dem sich die politische Situation gründlich verändern könnte, nicht zu reden von der aktuellen geopolitischen Situation und den Wahlen in Taiwan 2024. Wer immer hier «den Doktor macht», dessen Arbeit dürfte schon obsolet sein, bevor der Bericht in die Hand der aussenpolitischen Kommission des Parlaments kommt.

Möglicherweise schliesst sich das Zeitfenster, in dem ein Abschluss eines Handelsvertrages oder eines anderweitigen Wirtschaftsabkommens zwischen der Schweiz und Taiwan überhaupt noch möglich ist. Der Vertreter Taiwans in der Schweiz, David Huang signalisiert zwar Bereitschaft zu einem solchen Abkommen (Christoph Bernet, Taiwans Vertreter in Bern: «Wir sind offen für ein Handelsabkommen mit der Schweiz», Watson, 15. August 2022).

Sollte das im Moment zwischen Taiwan und den USA in Verhandlung befindliche Wirtschaftsabkommen zustande kommen, könnte sich das Zeitfenster für die Schweiz rasch schliessen. Andere Länder wie z.B. die baltischen Staaten, die skandinavischen Länder oder Tschechien und die Slovakei, welche die nötige Vorarbeit geleistet haben, dürften hier eher zum Zuge kommen.

Meistbegünstigung bis zum Abschluss eines Handelsabkommens

Bis zum Abschluss eines Handelsabkommens gilt weiterhin die auch im Notenaustausch von 1946 vereinbarte Meistbegünstigungsklausel. Demnach 

«…werden die Angehörigen (inbegriffen Gesellschaften und Vereinigungen) jeder vertragschliessenden Partei auf dem ganzen Gebiet der andern die gleichen Rechte und Privilegien geniessen, die den Angehörigen der meistbegüns­tigten Nationen gewährt worden sind oder noch gewährt werden, insbesondere was das Recht, zu reisen, Aufenthalt zu nehmen, Handel zu treiben, vor Gerichten zu klagen und aufzutreten betrifft; ebenso in Steuerangelegenheiten. Die Gewährung dieser Behandlung geschieht unter der Bedingung der gegenseitigen Einräumung der gleichen Rechte und Privilegien durch beide vertragschliessenden Länder. Hinsicht­lich Chinas gilt als diese Behandlung diejenigen, die sich aus den Verträgen ergibt, die die Regierung der Republik China mit andern Regierungen seit dem 11. Januar 1943 abgeschlossen hat.»

Die gegenseitig gewährten Rechte wären also bis zum weit in der Ferne liegenden Abschluss eines Handelsabkommens immerhin nützlich, wenn die Schweiz bereit ist, sich wenigstens in diesem Punkt an das Freundschaftsvertrag zu halten. Das ist nicht immer der Fall gewesen.

Im Lichte dieser Meistbegünstigungsklausel ist es beispielsweise problematisch, dass der Bundesrat immer wieder versucht hat, die Reisefreiheit aufzuheben (z.B. Verweigerung von Visas beim Besuch taiwanesischer Orchester), Niederlassungsbewilligungen zu erziehen (z.B. beim ehemaligen taiwanesischen Botschafter bei der UNO in Genf, der nach dem Verlust seines Amtes in Zürich Wohnsitz nahm) oder bei der Anknüpfung von Wirtschaftsbeziehungen zu intervenieren (z.B. indem Parlamentariern ein Besuch in Taiwan durch den Bundesrat ausgeredet wurde).

Rechtsetzungsprozess

Interessant ist der in Artikel 5 des Freundschaftsvertrages definierte Prozess der Rechtssetzung. Dieser sieht folgendes vor: 

«Der vorliegende Vertrag wird von den gesetzgebenden Räten der Schweiz und seiner Exzellenz dem Präsidenten der Republik China gemäss der in Kraft bestehenden Gesetzgebung ratifiziert werden …».

Dies bietet gewisse Hinweise darauf, wie der vertraglich nicht geregelte Fall zu behandeln wäre, wenn von einer Partei eine Änderung oder Kündigung des Vertrages gewünscht würde. Hier wären nach dem allgemeinen Vertragsgrundsatz des sogenannten Parallelismus der Zuständigkeiten vorzugehen gewesen: Wenn der Bundesrat für den Vertragsabschluss nicht allein zuständig ist, sondern es eines Beschlusses des Parlaments bedarf oder der Beschluss dem Referendum unterliegt, kann der auch für die Änderung oder Kündigung des Vertrages nicht allein zuständig sein. Nach diesem durchaus logischen Grundsatz hätte bis 2019 das Parlament zustimmen müssen, wenn der Freundschaftsvertrag geändert hätte werden sollen, etwa indem man die Volksrepublik China anstelle der Republik China zum Vertragspartner gemacht hätte, oder wenn man der Republik China das Recht hätte absprechen wollen, diplomatische und konsularische Beziehungen in der Schweiz zu pflegen, wie dies die meistbegünstigten Nationen tun.

Unter der Annahme, dass der Grundsatz des (formellen) Parallelismus auch bezüglich der Republik China gilt, stellt sich die interessante aber mässig relevante Frage, ob nach wie vor ausschliesslich der Präsident der Republik China zuständig für eine Änderung oder Aufkündigung des Friedensvertrags zuständig wäre, oder ob die Frage dem Volksreferendum unterstellt werden müsste. 1918, als der Vertrag geschlossen wurde, hatte die Republik China erst eine von vielen provisorische Verfassungen, und damals scheint die verfassungsmässige Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge beim Präsidenten gelegen zu haben. Erst am 25. Dezember 1946 wurde die heute geltende Verfassung verabschiedet, welche seit 25. Dezember 1947 in Kraft ist und seit dem Ende der Militärdiktatur auch vollumfänglich zur Anwendung kommt. Die Verfassung sieht neben der Zuständigkeit des Präsidenten für den Abschluss von Verträgen im Einklang mit der Verfassung auch ein Referendumsrecht vor, von welchem rege Gebrauch gemacht wird. Würde in Taiwan öffentlich diskutiert, ob der Freundschaftsvertrag mit der Schweiz aufgehoben werden soll, wäre das ziemlich peinlich.

Allerdings wird Taiwan kaum das Problem der Schweiz lösen wollen, dass sie nach wie vor an den Freundschaftsvertrag mit der Republik China gebunden ist. Noch schwieriger ist die Lage allerdings in der Schweiz, wenn man den Vertrag ausser Kraft setzen möchte. Die Zeiten, in denen das der Bundesrat hinter verschlossenen Türen hätten tun können, sind vorbei. Der schweizerische Bundesrat versuchte jahrelang vergeblich, sich eine Kompetenz zum Abschluss, zur Änderung und Kündigung von völkerrechtlichen Verträgen zuzuschanzen, ohne Erfolg. Die Frage wurde schliesslich 2019 mit der gesetzlichen Verankerung des materiellen Parallelismus gelöst.

Seither hat das Parlament die Aufgabe, die internationale Entwicklung mitzuverfolgen und bei der Willensbildung über wichtige aussenpolitische Grundsatz­fragen und Entscheide mitzuwirken, die Beziehungen zu ausländischen Parlamenten zu pflegen, über den Abschluss, Änderung und Kündigung völkerrechtlicher Verträge zu entscheiden, soweit sie nicht in der alleinigen Kompetenz des Bundesrats liegen.

Angesichts der politischen Tragweite des Entscheids, die diplomatischen Beziehungen zur Republik China formell abzubrechen und die entsprechenden Rechte der Republik China einfach zu streichen, dürfte eine Entscheidkompetenz des Bundesrates, den immer noch in Kraft stehenden Friedensvertrag mit der Republik China aufzuheben, nicht zur Diskussion stehen. Dass solche Diskussionen peinlich wären, ist klar.

Der Bundesrat könnte sich auf den Standpunkt stellen, die Aufhebung des Vertrags sei bloss vergessen gegangen, dessen Aufhebung sei eine rein technische Angelegenheit. Tatsächlich wird herumgeboten, Bundesrat Petitpierre habe 1949 oder 1950 die Republik China aberkannt und die diplomatischen Beziehungen zur Regierung in Taipei (die Hauptstadt der Republik China seit Dezember 1949) abgebrochen. Das mag sein. 

Nur ändert dies nichts daran, dass die Republik China ein explizit vertraglich zugesichertes Recht hat, in der Schweiz eine Botschaft oder ein Konsulat zu unterhalten mit allen Rechten und Pflichten, die andere Länder auch haben. Dazu kommt der explizite Hinweis auf die Genehmigung durch das Schweizer Parlament und die jeweilige Gesetzgebung beider Länder. Beides könnte die Schweiz in eine ziemliche Bredouille bringen, wenn der Republik China die Rechte abgesprochen werden sollen bzw. der jedenfalls in der Schweiz nicht ausser Kraft gesetzte Vertrag für nichtig erklärt werden soll.

Denkbar ist natürlich, dass der Staatsvertrag mit der Republik China in Vergessenheit geraten ist. Bloss: als Bundesrat Petitpierre, der 1945 die Aufgabe der extraterritorialen Rechte mit dem Vorwand verzögern wollte, argumentierte, das Parlament müsse darüber beschliessen und eventuell müsse ein Referendum durchgeführt werden, konnte er wenige Jahre bei einem viel weitergehenden Verzicht später wohl kaum behaupten, es sei nicht notwendig, dass das Parlament darüber entscheidet oder ein Referendum notwendig ist. Es wird auch niemand ernstlich behaupten wollen, die Volksrepublik China habe die Rechte und Pflichten aus dem Freundschaftsvertrag übernommen, zumal die Republik China als Vertragspartei nach wie vor der gleiche Staat mit der gleichen Verfassung wie 1947 ist und damit Träger dieser Rechte und Pflichten ist, ob die Schweiz das nun akzeptieren will oder nicht. Und wenn Bundesrat Petitpierre und seine Nachfolger den Freundschaftsvertrag und dessen rechtlichen Implikationen doch vergessen haben sollte: Ignorantia iuris nocet – Nichtwissen schützt nicht.

Daraus, dass die Eidgenossenschaft ihre vertraglichen Verpflichtungen ignoriert, kann sie ebenfalls nichts zu ihren Gunsten ableiten. Die Schweiz kann von Glück reden, dass Taiwan gelassen reagierte, als z.B. der Bund die Hände in den Schoss legte, als die taiwanesische Vertretung in Bern ein neues Gebäude benötigte, und schlussendlich der Berner Stadtpräsident einsprang und Taiwan ein adäquates Gebäude anbot (Bernhard Ott, Von Graffenrieds Herz für Taiwan, Tagesanzeiger vom 5. August 2022), Wenn Taiwan sich auf den gültigen Freundschaftsvertrag mit der Schweiz berufen hätte, wäre das ein erheblicher Gesichtsverlust für die Schweiz gewesen, erst recht, wenn die Republik China ihren Vertreter mangels adäquater Residenz hätte aus der Schweiz abziehen müssen. Nun wird dies Taiwan im eigenen Interesse möglichst vermeiden, um nicht die prekären Beziehungen zur Schweiz noch mehr zu gefährden. Nur weil die Schweiz sich als Verbündete der Volksrepublik China am längeren Hebel glaubt, ist das aber keine Rechtfertigung dafür, vertragliche Verpflichtungen mit Füssen zu treten.

Weitere Statsverträge mit der Republik China

Auch wenn man in der Schweiz die Existenz der Republik China offiziell leugnet, besteht natürlich gleichwohl ein praktisches Bedürfnis nach einer Zusammenarbeit mit dieser, nicht zuletzt zur Wahrung der schweizerischen Interessen. Diese reichen von konsularischen Aufgaben wie Visavergabe über Zusammenarbeit der Justiz- und anderen Behörden (Rechtshilfe in Zivil- und Strafsachen, Steuern usw.) über den kulturellen Austausch, Bildung bis hin natürlich zur Wahrung der Interessen der Exportwirtschaft und der Schweizer Industrie, welche auf essentielle Importe aus Taiwan (auch, aber nicht nur, Microchips) angewiesen ist.

Auch in den Folgejahren kam die Schweiz nicht umhin, zahlreiche bilaterale Verträge (z.B. Doppelbesteuerungsabkommen) und multilaterale Abkommen (z.B. WHO-Beitritt von Taiwan) mit der Republik China abzuschliessen. Das Freundschaftsabkommen ist allerdings der einzige Staatsvertrag, auf dem die Republik China als Vertragspartner figuriert. Man tut einfach so, als halte man sich in der Schweiz an die «Einchinapolitik», indem man zur Fiktion greift, die Verträge würden zwischen privaten Institutionen und nicht mit einer gemäss der Verfassung demokratisch gewählten Regierung, in dessen Kompetenz der Abschluss Verträge fällt, abgeschlossen. Und das auch nur mit «Chinesisch Taipei» (eine Fantasiebezeichnung) und nicht etwa mit Taiwan und schon gar nicht mit der Republik China. Konsequenterweise müsste eigentlich die Bezeichnung der Schweiz auch verklausuliert werden, Deutsch-Bern oder West-Zürich wären z.B. passende Bezeichnungen

Ob jemals wieder ein Anwendungsfall für dieses Bundesgesetz eintritt, ist fraglich. Geteilte Staaten sind in der Geschichte zwar häufig anzutreffen, ebenso der Umstand, dass ein Teil des Staates den anderen beansprucht und vice versa (Vichy-Frankreich, DDR-BRD, Nord- und Südkorea, Nord- und Südvietnam, Zypern). Dass man während mehr als siebzig Jahren nur einen Teil anerkennt und dem anderen die Existenzberechtigung abspricht, ist aber zum Glück doch eher selten. Noch seltener dürfte der Fall sein, dass man mit dem Staat, den man als inexistent betrachtet, doch ein Doppelbesteuerungsabkommen abschliessen will.

Besonders lächerlich sind diese Windungen und Wendungen im Doppelbesteuerungsabkommen von 2007, für das 2011 extra ein als «Bundesgesetz über die Anerkennung privater Vereinbarungen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen» erlassen wurde – einschliesslich einer Botschaft und der Durchführung einer Vernehmlassung. Dass diese Verklausulierungen die Volksrepublik China eher erzürnen denn besänftigen dürfte inzwischen (fast) allen klar geworden sein.

Erste Gedanken betreffend Chancen und Risiken eines möglichen Wirtschaftsabkommens der Schweiz mit der Republik China

Aufgrund des starken Fokus der Schweiz auf die Volksrepublik China ging in den letzten 70 Jahren vergessen, dass Taiwan sich für die Schweiz zu einem wichtigen Exportmarkt entwickelte. Waren die Schweizer Exporte nach Taiwan nach dem Krieg bis 1960 auf noch CHF 3,6 Millionen geschrumpft (von 1950 bis 1960 wurden die Exporte nach Hong Kong und Taiwan der Volksrepublik China zugerechnet, so dass keine Zahlen vorliegen), überholte Taiwan das flächenmässig sehr viel grössere Volksrepublik China bereits 1973, als die Schweizer Exporte CHF 133,5 Millionen betrugen. 1990 exportierte die Schweiz Waren für CHF 653,32 Millionen nach Taiwan, die Schweizer Exporte in die Volksrepublik China im selben Jahr betrugen lediglich CHF 415 Millionen.

In den letzten Jahren haben sich die Schweizer Exporte nach Taiwan unterdurchschnittlich entwickelt, während die Importe aus Taiwan in die Schweiz enorm angestiegen sind. Die wirtschaftliche Bedeutung Taiwans heute würde durchaus für ein Wirtschaftsabkommen sprechen. Modelle, wie z.B. die beiden Freihandelsabkommen zwischen Taiwan und Singapore bzw. Neuseeland aus dem Jahr 2013 lägen vor. Ebenfalls läge derzeit auf taiwanesischer Seite das Know-how (die taiwanesische Präsidentin war vor ihrer politischen Professorin für internationales Handelsrecht) und der Wille für den Abschluss von weiteren Wirtschaftsabkommen vor. Auf Schweizer Seite wären auf privatwirtschaftlicher Basis Vertragsverhandlungen dieser Grössenordnung nicht zu bewältigen, anders als z.B. beim Doppelbesteuerungsabkommen können nicht einfach Standardklauseln aus der Schublade gezogen werden. D.h. die im Freundschaftsvertrag vorgesehenen diplomatischen Beziehung zur Republik China wären ein Minimalerfordernis, damit überhaupt zielführende Gespräche über ein Wirtschaftsabkommen geführt werden könnten.

Bei der Abwägung von Chancen und Risiken wäre neben den Wünschen der Volksrepublik China, die ad nauseam diskutiert wurden, daran zu denken, dass es bei Grossprojekten und natürlich auch im lukrativen Geschäft mit Kriegsmaterial ohne die Mitwirkung des Bundes nicht geht. So war z.B. die schweizerische Brown Boveri & Cie. an der Erstellung der 400 km langen Bahnlinie entlang der Westküste Taiwans beteiligt und die Schweiz gewährte deshalb 1972 eine Exportrisikogarantie. Immer wieder zu Reden gaben auch Kriegsmaterial- bzw. Sprengstoffexporte, die mal bewilligt wurden, mal nicht. Es ist davon auszugehen, dass die erratische Bewilligungspraxis des Bundesrates, bei der immer wieder das Totschlagargument «die Schweiz anerkennt Taiwan nicht« viele Unternehmen davon abschreckt, solche Projekte überhaupt erst weiterzuverfolgen.

Fazit

Die Schweiz hat mehr als 110 Jahre Zeit gehabt, seine politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zur Republik China auf eine rechtlich solide Grundlage zu stellen. Hier ist noch nicht einmal ansatzweise ein Fortschritt zu verzeichnen, obwohl sich die Republik China inzwischen sich nicht nur von einer Diktatur zur Demokratie gewandelt hat, sondern auch zu einem der wirtschaftlich und geopolitisch wichtigsten Länder der Welt. 

Aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen fühlt sich der Bundesrat seit jeher nicht an den Freundschaftsvertrag von 1918 gebunden. Um sich im Hinblick auf eine allenfalls gewünschte Vertiefung der Beziehungen zu Taiwan als vertrauenswürdiger Vertragspartner zu beweisen, täte die Schweiz gut daran, sich an die bestehenden Verträge zu halten, bevor auch nur eine Debatte innerhalb der Schweiz wird, ob nun ein Handelsabkommen, wie schon 1918 vorgesehen, abgeschlossen werden soll, oder gar ein umfassendes Wirtschaftsabkommen, wie es die USA ins Auge gefasst hat.


Die Autorin, Dr. iur Maja Blumer, LL.M., Rechtsanwältin, hat nach ihren Studienabschlüssen in der Schweiz von 2008 bis 2009 an der Tsinghua University in Beijing chinesisches Recht studiert und von 2013 bis 2014 an der Beijing Language and Culture University sowie an der National Chengchi University in Taipei die chinesische Sprache studiert. Der vorliegende Artikel basiert auf den von der Autorin konsultierten Originalquellen, insbesondere aus der Datenbank Dodis, Diplomatische Dokumente der Schweiz. Dieser Beitrag gibt ausschliesslich die daraus gebildete persönliche Meinung der Autorin wieder. Weder wurden Vertreter von Regierungen, Universitäten oder andere Personen bezüglich der hier aufgeworfenen Fragen konsultiert, noch ist der Autorin die Meinung der betreffenden Personen dazu bekannt.