Evergrande: Der Finanzkrieg

Am Donnerstag, 17. August 2023 initiierte das chinesische Konglomerat Evergrande in New York ein Verfahren, um Schutz vor seinen Gläubigern zu erhalten. Dass nicht nur Evergrande sondern auch weitere chinesische Mischkonzerne marode sind, war seit längerem allen klar. Zwei Fragen drängen sich auf: Wieso wurde gerade der 17. August 2023 für die «Bankrotterklärung» gewählt? Und wer zahlt am Ende die Zeche?

von Maja Blumer, 18. August 2023

Dass Evergrande, ein riesiges Konglomerat, das neben dem Immobiliensektor auch im Bereich Nahrungsmittel, Bildung, Elektrofahrzeuge, Solar, Gesundheit, Tourismus etc. tätig war, früher oder später vor dem Richter in New York auftauchen würde, war absehbar. Dass das Unternehmen zahlungsunfähig ist, war schon vor zwei Jahren für viele klar, als es mit der Zahlung von Schulden in Verzug geriet. Dass etwas nicht stimmte, liess sich spätestens ab 2015 feststellen, als die «Assets» von Evergrande in unerklärlicher Weise explodierten. Zwischen 2010 und 2020 soll sich deren Wert aus dem Nichts heraus mehr als verzehnfacht haben. 2018 soll Evergrande nicht nur der zweitgröste chinesische Immobilienkonzern gewesen sein, die Marke «Evergrande» allein soll laut den chinesischen Staatsmedien USD 16,1 Milliarden wert gewesen sein, wobei sich deren Wert gegenüber dem Vorjahr verdoppelt haben soll. Damit soll sie die wertvollste Marke der Welt im Immobilienbereich gewesen sein. Der Fussballclub des Konglomerats, Guangzhou Evergrande, soll bereits 2016 der wertvollste Fussballclub der Welt gewesen sein, noch vor Real Madrid, Barcelona und Manchester United.

Zwischen 2010 und 2020 explodierten die «Assets» von Evergrande.

Die Erfolgsmeldungen der staatlichen Agentur Xinhua hat offenbar kaum jemand hinterfragt. Unter anderem hat scheinbar niemand bemerkt, dass Evergrande erst 1996 gegründet worden ist und die chinesische Verfassung den Schutz des Privateigentums erst seit 2004 vorsieht. Die erste grosse Immobilienblase in China soll 2005 begonnen, ihren Höhepunkt 2009 erreicht und insgesamt bis 2011 gedauert haben. Das chinesische Sachenrecht wurde nach einer 14 Jahre dauernden Debatte erst 2007 erlassen. Der Unternehmenssitz von Evergrande befindet sich in China und auch die «Assets» befinden sich grösstenteils dort, offizieller Firmensitz sind aber die Cayman Islands, wo denn eigentlich auch der Konkurs abgewickelt werden müsste, falls denn einer stattfindet. 2009 ging Evergrande in Hong Kong an die Börse. 2021, als Evergrande seine Schulden nicht mehr bedienen konnte, hatte Evergrande 778 Immobilienprojekte in 223 Städten.

Ob Evergrande nicht nur illiquide, sondern überschuldet ist, ist unbekannt. Kein Analyst, dem seine Arbeit lieb ist, würde diesbezüglich eine Aussage wagen, nachdem ein amerikanischer Analyst, Andrew Left von Citron Research, wegen eines entsprechenden Berichts, den er 2012 verfasst hatte, für fünf Jahre von der Börse in Hong Kong verbannt wurde. Left hatte in seinem Bericht unter anderem gesagt:

“Citron wants to make one thing clear: we do not recommend shorting any of China’s state owned banks or any construction project backed by the Government of China. On the other hand, we believe that Evergrande has misled investors and represents the worst of Chinese neo-capitalism, and therefore represents a good short opportunity in relation to other exposure
in the Chinese capital markets. Whether it be the capital markets, government enforcement, hard or soft landing, the endgame for Evergrande is a certainty; the only uncertainty is the timing.”

Wohlgemerkt: Beim in New York eingeleiteten Verfahren handelt es sich offiziell nicht um ein eigentliches Konkursverfahren, es geht dort nur um ein Hilfsverfahren, in dem die USD 19 Milliarden Auslandschulden (von insgesamt USD 22,7 Milliarden) von Evergrande geregelt bzw. die «Sanierungsbestrebungen» von Evergrande unterstützt werden sollen.

Wie hoch die Schulden von Evergrande sind, ist unbekannt. Offiziell sollen sie 2022 «lediglich» USD 340 Milliarden betragen haben, was im Vergleich zum Kollateralschaden, den ein Zusammenbruch des Giganten auslösen könnte, geradezu bescheiden ist. Allerdings sind diese Schulden eine wandelnde Grösse. Im März dieses Jahres war noch lediglich von «mehr als» USD 270 Milliarden Schulden die Rede, wobei gleichzeitig angekündigt wurde, Evergrande benötige noch etwa USD 44 Milliarden neue Kredite um die Immobilienprojekte abzuschliessen und um die USD 30 Milliarden, um das Geschäft mit Elektrofahrzeugen anzukurbeln. Und dann müsste man auch noch wissen, was die «Assets» von Evergrande realistischerweise wert sind.

Schliesslich ist da auch noch die Frage, ob die Sanierungsbemühungen Aussicht auf Erfolg haben. Was geschieht, wenn es Evergrande gelingt bzw. gelungen ist, weitere USD 74 Milliarden locker zu machen, um das Geschäft mit Immobilien und Elektrofahrzeugen wieder in Schwung zu bringen, weiss niemand. Es dürfte Evergrande wie auch anderen Immobilienentwicklern schwer fallen, chinesische Bürger zu motivieren, sich für den Kauf von Bauruinen noch tiefer in die Schulden zu stürzen. Denkbar sind natürlich Zwangsumsiedlungen, um die zahlreichen Geisterstädte in China zu besiedeln, etwa aus den überfluteten Gebieten im Osten in Richtung Nordwesten Anfangs August (die chinesische Regierung ist diesbezüglich abgetaucht). Bei den Elektromobilen ist Evergrande nur einer von Dutzenden Herstellern, der nach dem Ende der grosszügigen Subventionen das Aus droht. Auch hier sind natürlich Zwangsmassnahmen möglich, wie etwa das Verbot von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren oder von Elektrofahrzeugen gewisser Hersteller wie Tesla oder bürokratische Hürden für E-Bikes, wie sie punktuell in China schon bestehen.

Dann ist da noch das Ansteckungsrisiko. Dass Evergrande andere chinesische Unternehmen, welche den amerikanischen bzw. weltweiten Finanzmarkt in Anspruch genommen haben, nachfolgen werden, zeichnet sich bereits ab. Im Gespräch sind derzeit unter anderem ein weiteres auf Immobilien fokussiertes Konglomerat nahmens Country Garden und und die Schattenbank Zhongzhi Enterprise Group und der damit verbandelte Zhongrong-Trust, der für Unternehmen und wohlhabende (chinesische) Anleger um die USD 87 Milliarden verwalten soll. In einem Land in dem alles – Versicherungen, Banken, öffentliche Hand – mit einem Immmobiliensektor verbandelt sind, in dem seit Jahren auf Halde gebaut wird, ist anzunehmen, dass Evergrande nur die Spitze des Kartenhauses ist, welches im Begriff ist, zusammenzubrechen. Dass ist angesichts des Umstandes, dass der Immobiliensektor in China angeblich bis zu 30% des Bruttosozialproduktes ausmachen soll, kein erfreulicher Ausblick, besonders dann nicht, wenn die Exporte weiter einbrechen, wie in den letzten Monaten.

Ein zusammenbrechendes Kartenhaus bei den «Simpsons» (https://www.youtube.com/watch?v=JRFIWnfb7H0)

Dass das noch junge chinesiche Insolvenzrecht einer Kaskade riesiger zusammenbrechender Konglomerate nicht gewachsen wäre, liegt auf der Hand. Ob der amerikanische Konkursrichter oder sonst jemand Hilfe weiss, ist ungewiss. Und wenn, stellt sich die Frage: ist diese Hilfe, wenn von chinesischer Seite überhaupt erwünscht?

Hier fällt zunächst einmal auf, dass der Zeitpunkt, an dem die Sache zur Sprache hätte gebracht werden müssen, spätestens beim Besuch von Janet Yellen im vergangenen Monat gewesen wäre. Das Vertrauen in den chinesischen Finanzmarkt und chinesische Firmen auf dem internationalen Finanzmarkt dürfte inzwischen nachhaltig gestört sein, soweit es noch nicht auf regulatorischer Ebene zerstört wurde, etwa durch das neue Spionagegesetz und die damit verbundene Kampagne, bei der die Bevölkerung aufgefordert ist, (ausländische) Spione zu überführen, wobei eine hohe Belohnung winkt.

Aber ist der Zeitpunkt, in dem Evergrande im Speziellen und der chinesische Immobilien- und Finanzmarkt erneut aufs Tapet gebracht wurde, überhaupt zufällig?

Ein bewusst gewählter Zeitpunkt?

Wir befinden uns in einer geopolitisch brenzligen Situation, bei der Konflikte rund um China immer neuen Höhepunkten zustreben. Nicht nur bezüglich Taiwan, wo der Zwischenhalt von Vizepräsident Lai in den USA wie üblich mit Militärmanövern quittiert wurde. Sondern auch bezüglich der Philippinen, wo nach einem Angriff der chinesischen Küstenwache mit Wasserkanonen auf ihre philippinischen Kollegen nun wieder einmal eine Invasion der chinesischen Fischerboote droht. Auch in Indien, wo eine weitere Runde zur Lösung des Grenzkonflikts mit China gescheitert ist. Auch in Südkorea und Japan, wo die Regierungsoberhäupter bei ihrem trilateralen Gipfeltreffen mit Präsident Joe Biden in Camp David Geschlossenheit demonstrierten.

Könnte es sein, dass in dieser Situation, in der China keine Freunde ausser vielleicht noch Russland und Nordkorea zu haben scheint, während sich die «Feinde» rundherum verbünden das Bedürfnis entstand, mit etwas anderem mit den üblichen Scharmützeln und Militärübungen zu reagieren?

Insofern wäre der 17. August 2023 der ideale Tag gewesen, um sowohl Taiwan zu zeigen, dass man es mit den Drohungen gegen den taiwanesischen Vizepräsidenten William Lai, der gleichentags in Kalifornien einen zweiten Zwischenstopp einlegte und gleichzeitig den südkoreanischen und japanischen Regierungsoberhäuptern, welche in Camp David eintrafen, ein Signal zu senden.

Ein echter Finanzkrieg?

Oder ist es gar keine Drohung, sondern der Beginn eines echten Krieges? Man denkt bei «Krieg» immer an einen «kinetischen» Krieg und dabei an das Gespenst des Atomkriegs. Dieser ist natürlich möglich. Doch es gibt auch noch andere Eskalationswege. Einer davon ist der Finanzkrieg. In einer koreanischen Fernsehserie mit dem Titel «Money Game» (ep. 6), welche die asiatische Finanzkrise thematisiert, wird die Rolle der Finanzen im Krieg beleuchtet:

In the past, war was all about fighting with guns and swords, it was about killing each other. Of course, there are nuclear bombs and missiles. But they don’t exist so we can go to war. They exist so we don’t go to war. These days, war is about money, oil, and finance.

Diese drei Themen, welche bei «modernen» Kriegen zur Anwendung kommen, spielen nicht nur beim Krieg in der Ukraine eine Rolle, sondern auch bezüglich China. Mit dem Geld hat China seine Probleme. Renminbi kann China zwar – mittels Kreditschöpfung – in beliebiger Menge produzieren und das tat es auch, nur muss man mit dem Geld auch noch etwas kaufen können. Bezüglich Erdöl ist China im Wesentlichen auf die Kooperation der Anrainer des südostasiatischen Meers und insbesondere von Taiwan und den Philippinen angewiesen, wo die Ölimporte passieren müssen.

Die Trumpfkarte Chinas sind die Finanzen. Zwar kann China nicht gänzlich verhindern, dass ausländische Direktinvestitionen ausbleiben oder das Land auf dem gleichen Weg wieder verlassen, wie sie gekommen sind. Ebenso kann China nicht alle Wege versperren, auf denen die chinesischen Bürger ihr Geld ins Ausland transferieren. Aber China hat es in der Hand, eine «Subprime-Krise 2.0» zu kreieren, welche die Krise von 2007/2008 in den Schatten stellt, so wie die aktuelle chinesische Immobilienblase diejenige von 2005 bis 2011 in den Schatten stellt.

Nun kann man einwenden, ein solcher Finanzkrieg würde in erster Linie die chinesische Bevölkerung treffen. Aber stimmt das wirklich?

Ein realer Bedarf an Wohnraum besteht angesichts der schrumpfenden Bevölkerung und der Überproduktion der letzten Jahre kaum. Selbst viele der fertiggestellten Wohnungen stehen leer, weil sie nicht für Wohnzwecke sondern zur Spekulation gekauft werden. Die Last, Hypothekarzinszahlungen für ein Objekt zu leisten, das nur auf dem Papier besteht, kann den Millionen Unglückseligen, welche auf die Fertigstellung ihrer Wohnung harren, welche sie bereits «gekauft» haben, mit einem Federstrich von den Schultern genommen werden.

Die Finanzen der Kommunen, denen die Schulden ohnehin schon am Hals stehen, würden noch etwas mehr in Schieflage geraten, wenn sie nicht immer noch mehr Baurechtsgrundstücke verkaufen könnten. Dafür wäre aber der Natur und der Ernährungssicherheit gedient, indem nicht noch mehr Ressourcen für den Bau von Geisterstädten und -strassen gesteckt würden.

Problematischer sind die chinesischen Versicherungen und Schattenbanken, welche ihr Geld vorzugsweise in Schuldverschreibungen der Kommunen oder den Immobilienmarkt stecken. Das Problem kann durch «Helikoptergeld» gelöst werden, nur sind wir damit wieder beim Problem, dass man mit dem Geld ja am Ende etwas kaufen möchte, was für Chinesen angesichts des zerfallenden Wechselkurses und der sich abzeichnenden Nahrungsmittelkrise zunehmend schwierig wird.

Dann sind noch die Arbeiter, die wohl endgültig um ihren Lohn geprellt werden. Andererseits könnte man mit den USD 74 Milliarden, welche allein für die Fertigstellung der Evergrande-Immobilienprojekte und das am Laufen-halten von der Elektromobilsparte von Evergrande veranschlagt wurde, auch diesen Arbeitern direkt helfen.

Bleiben also noch die ausländischen Gläubiger, welche man wohl kaum mit Renminbi abspeisen kann und auch nicht mit zukünftigen Gewinnen der Immobilien- und Elektromobilsparte, sondern die ihr Geld in «harten» Dollars fordern. Sie werden wohl das gleiche Schicksal erleiden, wie die Gläubiger von «Festlandchina», welche vor 1939 angehäuft wurden, wobei diese Schulden in der Höhe von etwa einer Billion USD angeblich auf die Volksrepublik China übergegangen sind. Ob das wirklich zutrifft, wäre zu klären. Mindestens soll Margaret Thatcher die Rückzahlung einer analogen Schuld gegenüber Grossbritannien 1987 zu einer Bedingung für den Zugang zum britischen Finanzmarkt gemacht haben.

Aber sind diese ausländischen Gläubiger wirklich diejenigen, welche die Zeche zahlen? Denkbar ist ein Kaskadeneffekt, wie er bei der ehemaligen Credit Suisse zu beobachten ist, der dazu führt, dass Verluste nicht dort anfallen, wo sie eigentlich zu erwarten wären, und Gewinne nicht dort eintreten, wo man es vermuten würde.

Auch bei der Credit Suisse schienen die Verluste bei Luckin Coffee, Archegos, Greensill mindestens zum Teil bei der Credit Suisse hängenzubleiben. Am Ende musste aber nicht die Credit Suisse und ihre Verantwortlichen den Schaden tragen, sondern die Risikokapitalgeber, bei denen CHF 17 Milliarden Wandelkapital ausradiert wurde, und die Aktionäre. Derweil brüstet sich die Schweizer Bundesrätin Keller-Sutter damit, der Bund habe dank der Rettungsaktion mittels «Notrecht» CHF 200 Millionen «verdient». Wenn die Vermutungen der internationalen Finanzpresse, insbesondere der Financial Times zutrifft, dass der Übernahmepreis für die UBS deutlich zu tief angesetzt war, dürfte auch die UBS und damit die CS, die in ihr aufgeht, zu den Gewinnern zählen. Der Schaden dürfte damit an der Schweiz insgesamt hängenbleiben, dessen Reputation als Rechtsstaat auf längere Sicht beeinträchtigt sein dürfte.

Es ist nicht auszuschliessen, dass in China ähnliche Mechanismen zu beobachten sein werden, falls Evergrande und andere Konglomerate «saniert» werden müssen.

Vor allem stellt sich im Hinblick auf einen möglichen Finanzkrieg die Gefahr, hinsichtlich der Zahlungsausfälle bei Evergrande und anderen chinesischen Unternehmen die Gefahr einer internationalen «Ansteckung» besteht. Diese wird allgemein als gering angesehen, weil der chinesische Immobilienmarkt wenige Berührungspunkte zu den weltweiten Finanzmärkten hat. Allerdings dachte man das auch bei den «Sub-prime» Hypotheken in den USA, die ja eigentlich nur ein kleines Segment von Hypotheken abdeckten. Und doch landeten sie irgendwie in den Büchern von Banken auf der ganzen Welt und lösten eine Finanzkrise aus. Ähnlich war es bei der Asiatischen Finanzkrise, welche eigentlich nur ein Teil von diversen Finanzkrisen war, welche in den Neunzigerjahren im Zweijahrestakt von einem Land ins andere schwappten: EMS-Krise in Europa 1992/1993, Mexiko-Krise 1994/1995, Asiatische Finanzkrise 1997/1998, Russische Finanzkrise 1998 und schliesslich den Zusammenbruch von LTCM 1998 (welcher im direkten Kontext der Asiatischen/Russischen Finanzkrise steckt).

Ob die Volksrepublik China tatsächlich einen Finanzkrieg führen will, lässt sich zu diesem Zeitpunkt nicht sagen. Sicher ist, dass China alle Finanzkrisen und insbesondere die Asiatische Finanzkrise gründlich studiert hat.

Und die Schweiz?

Inwieweit die Schweizer Finanzbranche bei Evergrande (und Country Garden und Zhongzhi) involviert waren oder sind, ist unklar. Sowohl Credit Suisse als auch UBS sollen als «Bond Runner» von Evergrande fungiert haben, aber rechtzeitig die Reissleine gezogen haben. Wenn das zutrifft, ist das schön. Doch wenn es einmal funktioniert hat, heisst das nicht, dass es immer funktionieren wird. Wie viele China-Risiken schlummern in den Büchern der Pensionskassen, Investmentfonds und Anlageportfolios der Schweizer Anleger? Who knows!

Sicher ist, dass der Risikoapettit der Schweizer Nationalbank ungebremst ist, gerade auch im Hinblick auf chinesische Unternehmen. So hat sie im 2. Quartal 2023 «America Depositary Receipts» (ADR) zweier chinesischer Firmen in ihr Portfolio aufgenommen: Die im Kreditgewerbe tätige Lufax Holding («Lufax Holding Ltd. operates a technology-empowered personal financial services platform. It offers personal lending and wealth management solutions.»), die nach einem IPO an der Wall Street im November 2020, wo die ADR über 90% ihres Wert verloren, im April 2023 auch noch in Hong Kong an die Börse ging, wo ihr Kurs bereits um 40% einsackte. Und die «leading Credit-Tech platform in China» Qifu Technology Inc., eine der Firmen, hinter welcher der «Internet Bad Boy» Zhou Hongy steht. Auch Qifo Technolgy Inc. hat seit dem Kurshöchst im Juni 2021 rund zwei Drittel ihres Werts eingebüsst, aber in beiden Fällen kann man natürlich sagen, dass noch Luft nach oben besteht.

Wahrscheinlich ist leider auch, dass die Energie, welche man auf das Listing chinesischer Firmen bei der Schweizer Börse SIX investiert hat, mehr oder weniger verpulvert ist. Die Propagandaaktion des chinesischen Staatsfernsehens hat da wohl kaum geholfen. Man kann nur hoffen, die Sache gehe ohne Schaden für die Schweizer Anleger, die Reputation des Schweizer Finanzplatzes und die involvierten chinesischen Firmen aus – bis und mit Juli waren es deren 15.

Apropos verpulvert. U.S. Präsident Biden wird mit seinen plakativen Aussagen oft nicht ernst genommen, etwa als er letztes Jahr sagte, die USA seien bei einem Angriff auf Taiwan verpflichtet, einzugreifen. Oder als er andeutete, der chinesische «Dikator» habe seine Spionageballone nicht im Griff. Was aber, wenn er Recht behält, wenn er behauptet, China sei aufgrund seiner wirtschaftlichen Probleme eine tickende Zeitbombe oder wenn er sagt, China habe «einige Probleme» und die Befürchtung ausspricht, dass dies «nicht gut» sei, weil «schlechte Menschen», die Probleme haben, «schlechte Sachen machen». Was genau ist daran nicht richtig? Die Wortwahl? Das Bruttosozialprodukt Chinas, welches laut Biden eher bei 2% pro Jahr liegt, während von offizieller chinesischer Seite zuletzt die Zahlen von 4,5% und 6,3% genannt wurden (andere Quellen gehen davon aus, dass die offiziellen Angaben schon seit langem nicht mehr einmal annähernd stimmen).

«China is a ticking time Bomb. … They have got some problems. That’s not good because when bad folks have problems, they do bad things.»

Quelle: MIT Visualizing Cultures (https://visualizingcultures.mit.edu/boxer_uprising/bx_essay03.html),

Es sei daran erinnert, dass man schon einmal Warnungen, China sei eine tickende Zeitbombe, nicht ernst genommen hat, insbesondere indem man an den «ungleichen Verträgen» festhielt, welche beiden Seiten am Ende nur schadeten; das gilt insbesondere auch für die Schweiz, welche besonders lang an einem solch ungleichen Vertrag festhielt, nur um nach dem Verzicht auf die Privilegien aus diesem Vertrag die vertraglichen Verpflichtungen aus diesem «Freundschaftsvertrag», welche sie gegenüber der Republik China (Taiwan) nach wie vor hat, zu ignorieren, und zwar bis heute.

Manch einer wird nun einwenden, dass er weder auf die Anlagepolitik der Banken und Pensionskassen Einfluss nehmen kann noch auf die Aussenpolitik und die Einhaltung von seit Jahrzehnten ignorierten völkerrechtlichen Verträgen. Was also kann der Einzelne tun? Wohl nicht viel, ausser vielleicht das eine, was Staaten und ihren Verwaltungen schwerfällt: Vorausschauend denken und sich mit anderen Menschen vernetzen, die dasselbe tun. Solche, wie der Unbekannte, den Homer Simpson in einer Bar trifft (im untenstehenden Video ab Minute 1:11) und der seine düsteren Zukunftsprognosen überzeugend präsentiert, um am Schluss zu sagen: «I’m the person you want to know when the stuff hits the fan.» Nun kann man von den Simpson-Prognosen halten was man will, dass auf dem weiter oben abgebildeten zusammenbrechenden Kartenhaus des Fremden, unter anderem ganz zuoberst dem Wort «Mylar Balloons» prangt, weckt angesichts der «Ballon-Posse» Anfangs dieses Jahres ein gewisses Unbehagen.

Wer die mysteriöse Person ist, die Homer Simpson trifft, muss jeder selber herausfinden. So wie jeder selber herausfinden muss, auf welche Personen und welche Prognosen er im realen Leben vertrauen will.


Dr. iur. Maja Blumer, LL.M. (Tsinghua) hat an der Universität Bern, an der Tsinghua University in Beijing, an der Beijing Language and Culture University sowie an der National Chengchi University in Taipei studiert. Sie ist als Rechtsanwältin in der Schweiz tätig.