First Island Chain: Einführung

Während die Containment-Politik der USA bestenfalls noch aus dem Geschichtsunterricht bekannt ist und mit dem Zerfall der Sowjetunion als beendet galt, hat ein Versatzstück dieser beinahe in Vergessenheit geratenen Politik seit 73 Jahren eine unverändert wichtige geopolitische Bedeutung: die First Island Chain. Wer im fernen Osten wirtschaftliche Erfolge erzielen will, tut gut daran, sich mit der Sicherheitsarchitektur der Region auseinanderzusetzen, deren Rückgrat die First Island Chain bildet.

von Maja Blumer, 8. August 2023

Der Schweizer Traum von der wirtschaftlichen Dynamik Südostasiens und die internationale Sicherheitspolitik

Heute kehrt der schweizerische Aussenminister Cassis von einem Kurzbesuch in Indonesien, Singapore, Australien und Neuseeland zurück. Auf den ersten Blick ist nicht so ganz klar, was damit bezweckt wurde. War es schon ein Abschiedsreisli von Bundesrat Cassis?

Im Pressecommuniqué des Bundesrats wurde unter dem Titel «Neue Dynamik in den Beziehungen zu Südostasien» hervorgehoben, dass die Hälfte des Schweizer Handels mit Südostasien heute über Singapur abgewickelt wird und kein anderes asiatisches Land mehr Schweizer Direktinvestitionen an als der Stadtstaat anzieht. Bundesrat Cassis besuchte in Singapore lokalen Niederlassungen der ETH Zürich und der EHL Hospitality Business School (besser bekannt als École hôtelière de Lausanne). Bezüglich Indonesien wurde hervorgehoben: «Die wirtschaftliche Dynamik Indonesiens ist auch für Schweizer Unternehmen interessant.»

Nun ist das alles schön und gut. Nur braucht es keine 60’000 Flugkilometer, um das herauszufinden.

Ausserdem ist zu bedenken, dass diese «wirtschaftliche Dynamik Indonesiens» und die «neue Dynamik in den Beziehungen zu Südostasien» auf einer komplexen Sicherheitsarchitketur beruht, die gerade einem «Stresstest» unterzogen wird. Sich ohne vertiefte Kenntnisse dieser Sicherheitsarchitektur auf die wirtschaftlichen Opportunitäten im Fernen Osten einzulassen, ist brandgefährlich. Besonders jetzt.

Dessen dürfte sich auch Bundesrat Cassis durchaus bewusst sein, Die vom Schweizer Bundesrat im Februar erlassene Südostasien-Strategie 2023-2026 diskutiert die sicherheitspolitische Lage in Südostasien, insbesondere die konkurrierenden Hoheitsansprüche im südchinesischen Meer, mindestens ansatzweise. Die bundesrätliche Strategie beruht auf der These, dass sich «Südostasien» seine «Unabhängigkeit» gegenüber der zunehmenden Einflussnahme durch die «Grossmächte» China und USA bewahren und seinen aussenpolitischen Handlungsspielraum erweitern möchte; entsprechend rechnet sich der Bundesrat Chancen aus, dass «Südostasien» ein Interesse hätte «an der Zusammenarbeit wie die Schweiz, die sich im geopolitischen Spannungsfeld eigenständig positionieren wollen.» (Südostasien-Strategie 2023-2026, S. 19).

Auf die doch eher gewagten Annahmen in der bundesrätlichen Strategie soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Der Traum vom freien Handel mit den «blockfreien Staaten» ist fast so alt wie der Mythos der Schweizer Neutralität. Der Bundesrat tut jedenfalls gut daran, im seine Thesen im persönlichen Gespräch mit den Repräsentanten der einzelnen südostasiatischen Länder wie auch der dortigen Expats zu verifizieren. Die Adjektive «interessant» und «dynamisch», viele Schweizer Unternehmen dürften aber solche wie «vorhersehbar» und «stabil» bevorzugen. Der Wunsch der Schweiz nach einer «eigenständigen» Positionierung im geopolitischen Spannungsfeld kann in Ländern, die sich in der internationalen Sicherheitsarchitektur klarer positionieren wollen oder müssen, auf Skepsis stossen.

Alle vier Länder, welche Bundesrat Cassis besucht hat, spielen in der Sicherheitsarchitektur Südostausiens eine wichtige Rolle. Indonesien und Singapore üben beispielsweise zusammen mit Malaysia und Indien die Kontrolle über die Strasse von Malacca aus, einem der «Choke Points» des internationalen Welthandels. China etwa bezieht etwa 80% seiner Erdölimporte durch dieses Nadelöhr. Indonesien und Singapore sind Teil der ASEAN, kooperieren in sicherheitspolitischer Hinsicht jedoch auch zunehmend mit den USA. Australien und Neuseeland sind in der Region Asien-Pazifik wichtige «Treaty Allies» der USA und bilden zusammen mit den USA, Grossbritannien und Kanada die «Five Eyes», die untereinander Informationen ihrer Nachrichtendienste teilen. Singapore und Neuseeland weisen eine weitere Gemeinsamkeit auf: Sie haben sowohl mit der Volksrepublik China als auch mit Taiwan je einen Freihandelsvertrag abgeschlossen, insofern kann auch gesagt werden, sie würden eine eigenständige Positionierung verfolgen.

Einer der wichtigsten für den Welthandel (und damit auch die Schweiz) «Maritime Choke Points» wird von Indonesien, Malaysia und Singapore kontrolliert.

Das Rückgrat der Sicherheitsarchitektur im fernen Osten: Südkorea, Japan, Taiwan und die Philippinen

Das Rückgrat der Sicherheitsarchitektur im fernen Osten bilden jedoch vier andere Länder. Sie befinden sich «on the knife edge of freedom», wie es Major General Joel “JB” Vowell, ehem. Commanding General, U.S. Army Japan, ausgedrückt hat: Südkorea, Japan, Taiwan und die Philippinen. Diese vier Länder bilden in Ostanien die First Island Chain, welche von Norden Japans bis tief hinunter in das südchinesische Meer reicht und die drei autoritären bzw. totalitären Regime in Russland, Nordkorea und der Volksrepublik China in die Schranken weist. Jenseits der First Island Chain bestehen Rechte auf «Life, Liberty and the pursuit of Happiness» entweder nicht oder nur in ganz beschränktem Masse.

Ein Zusammenschnitt von Passagen aus dem Briefing von Major General Vowell von Taiwanreporter. (https://www.youtube.com/watch?v=KMnBh3FdlM8). Das Transkript und der Audio-Mitschnitt des gesamten Vortrags vom 20. April 2023 findet sich auf der Website des U.S. Department of State (https://www.state.gov/digital-press-briefing-with-major-general-joel-vowell-commanding-general-u-s-army-japan/)

Insbesondere von chinesischer Seite wird behauptet, diese Trennung zwischen freier und unfreier Welt sei überholt, die Blockpolitik sei ein Hirngespinst von Kriegstreibern, die den Kalten Krieg reaktivieren wollen. Mehr noch: Die First Island Chain sei eine Provokation und würde früher oder später zum Krieg führen, wenn die USA und andere Staaten ihre Zusammenarbeit mit den Ländern der First Island Chain nicht stante pede einstellen würden.

Andere, und dazu zählt Major General Vowell, betrachten diese Abgrenzung durch die First Island Chain als nötiger denn je, um die jenseits dieser Grenze errungene Freiheit zu bewahren und einen Krieg zu verhindern. Major General Vowell kann man wohl kaum als Kriegstreiber bezeichnet, wenn er ausführt:

And so our goal … number one, no war.  Any conflict in this region is going to be horrific. … One could only project what that might mean if there were a larger conflagration or conflict here in the first island chain in the Indo-Pacific.  It would be – it would be catastrophic economically across the world and also just in a personal human cost, something that would exceed or at least equal those of World War II, where thousands of soldiers across different formations were lost in a week, something that we’re not prepared to do or not want to do.  No one wants that.

Und auch wenn «Freiheit» und «Friede» konretisierungsbedürftige Begriffe sind, bildet die First Island Chain eine markante Trennlinie, wenn man gängige Messgrössen anwendet.

Beispielsweise rangieren die 3 Länder der First Island Chain im «Index of Economic Freedom» unter den freiesten Ländern dieser Welt: Taiwan auf Rang 4, Südkorea auf Rang 15 und Japan auf Position 31. Als Repressivstes Land der Welt, das es noch ins Ranking geschafft hat, ist Nordkorea auf 167 gelandet und China nicht weit entfernt auf Platz 154. Am besten von den dreien schneidet noch Russland auf Rang 125 ab. Auch wirtschaftlich liegen Taiwan, Südkorea und Japan mit einem Bruttosozialprodukt pro Kopf von je knapp USD 35’000 (nominal, Schätzung 2023) vorne. Die Negativliste führt wiederum Nordkorea an mit USD 654 (Schätzung 2021), China und Russland rangieren bei höchstens USD 13’000 (Schätzung 2023). Und alle vier Staaten der First Island Chain verfügen über demokratisch gewählte Regierungen und Parlamente sowie eine pluralistische Parteienlandschaft. Das ist umso bemerkenswerter, als es der Bevölkerung Südkoreas, Taiwans und der Philippinen Diktatoren abzuschütteln, welche jahrzehntelang mit eisener Hand herrschten. Alle vier Länder der First Island Chain haben es in den letzten 70 Jahren zudem geschafft, Konflikte untereinander friedlich auszutragen und darauf zu verzichten, militärische Provokationen der Volksrepublik China, Nordkoreas und Russlands mit gleicher Währung heimzuzahlen.

Von der anderen Seite – der Volksrepublik China, Nordkorea und Russland – werden die vier Länder der First Island Chain gleichwohl oder gerade deswegen als externe Bedrohung wahrgenommen und als Aussenposten der USA gebrandmarkt. Südkorea etwa im Zusammenhang mit der Militärpräsenz der USA (mit einer Truppenstärke von 28’500 Mann) und insbesondere dem Raketenabwehrsystem THAAD, Japan im Zusammenhang mit deren Selbstverteidigungskräften sowie ebenfalls mit den amerikanischen Militärstützpunkten (mit 56’000 Mann), Taiwan im Hinblick auf dessen Bestrebungen, als unabhängiges Land international anerkannt zu werden und für seine Verteidigung zu sorgen, und schliesslich die Philippenen bezüglich der dortigen US-Militärstützpunkte und die von dort mögliche Kontrolle des Handels via das südchinesische bzw. westphilippinische Meer.

Trotz allem Missfallen über die Containment-Politik ist es der Volksrepublik China, Russland und Nordkorea in den vergangenen 70 Jahren und bis heute nicht gelungen, die First Island Chain ernsthaft anzugreifen und es ist nicht ersichtlich, welchen praktischen Vorteil sie sich davon versprechen, wenn sie es morgen versuchen sollten. Die Länder der First Island Chain sind über die letzten 70 Jahre in den Genuss von Friede und politischen Freiheiten und wirtschaftlichen Wohlstand gelangt, dort besteht kaum Anlass, den Status quo in Frage zu stellen.

Wieso ist die First Island Chain plötzlich wieder ein Thema? Übertreibt Major General Vowell, wenn er im Bezug zur First Island Chain sagt, es seien die anspruchsvollste Zeit in seinen 32 Jahren im Aktivdienst angebrochen, ein Notstand und ein Durcheinander in der globalen Sicherheitsarchitektur, welche Siebziger- und Achtzigerjahren in den Schatten stellt, als man die Invasion der Sowjets in die NATO-Länder befürchtete? Und was sind die dramatischen Veränderungen der letzten fünf Jahre, von denen Major General Vowell spricht?

So this is the most challenging time I have seen in my 32 years of active duty.  And I’m an Army dependent who grew up with a father in the service and we lived in West Germany, a country that doesn’t exist anymore.  But we were there to stop the Soviet invasion of NATO and expansion into Western Europe.  That was going to be a horrific conflict in the ‘70s of ‘80s if that ever happened.  Thank goodness it didn’t.  But even with that in mind, as a young dependent child living overseas, I haven’t seen the security framework so distressed and in disarray and challenged as it is right now in ’23 across the globe.  …  So in that five years, we and I personally have seen some dramatic changes.

Um diese Fragen zu beantworten und die geopolitische Bedeutung der First Island Chain zu verstehen, muss man zunächst einmal in die Geschichte zurückblättern:

Die Geschichte der First Island Chain

Nach dem zweiten Weltkrieg konzentrierten sich die USA erst einmal darauf, in Europa Stabilität zu schaffen, um den Kommunismus einzudämmen und den Ausbruch eines Dritten Weltkrieges zu verhindern. Die Truman-Doktrin zielte zunächst vor allem darauf, Griechenland und die Türkei nicht auch noch in die Hände der Sowjets fallen zu lassen – was gelang, schon 1952 traten diese beiden Ländern der am April 1949 gegründeten NATO bei.

China und der koreanischen Halbinsel mass man 1949 noch eine relativ geringe strategische Bedeutung zu. Man hatte anderswo in Ostasien zu tun. So mussten etwa die Holländer zur Räson gebracht werden, die nichts besseres zu tun wussten, als die Hilfen aus dem Marshall-Plan zu verwenden, um die Unabhängigkeitsbestrebungen ihrer ehemaligen Kolonie in Indonesien zu bekämpfen. Japan musste wiederaufgebaut werden. Bis Ende Juni 1949 zogen die Amerikaner ihre Truppen aus Südkorea ab, im Glauben, die Lage auf der koreanischen Halbinsel habe sich stabilisiert und man könnte die Truppen anderswo besser gebrauchen. Auch vom chinesischen Festland zogen die Amerikaner 1949 ihre Truppen ab, während in Taiwan gar nie solche stationiert waren. Die strategische Bedeutung Taiwans war zwar schon damals klar, gleichzeitig war aber auch klar, dass den Amerikanern die Ressourcen fehlten, um Taiwan zu Hilfe zu eilen. Man hoffte, mit diplomatischen Mitteln und wirtschaftlicher Hilfe dafür zu sorgen, dass der in den USA nicht gerade beliebte «Generalissimo» Chiang Kai-shek das Probem selber lösen könnte.

Im Dezember 1949 drehte der Wind in Washington und es wurden Gerüchte gestreut, dass die USA einschreiten würden, falls die Volksrepublik China Formosa (Taiwan) angreifen würde. Dass als nächstes Hong Kong, Vietnam und die Philippinen an der Reihe wären, wenn China die Annektion Taiwans gelingen würde, schien aus damaliger Sicht klar. Am 23. Dezember 1949 befürwortete die Joint Chiefs of Staff eine verstärkete Militärhilfe an die Republik China «short of the dispatch of a major military force». Gleichzeitig distanzierte man sich von der im Oktober 1949 ausgerufenen Volksrepublik China. Man schob die Anerkennung der Volksrepublik China auf die lange Bank und wollte erst schauen, ob die Kommunisten ihren internationalen Verpflichtungen nachkommen würden, ob sie sich «zivilisiert» aufführen würden. Lange hoffte man, eine Allianz zwischen den Sowjets und China verhindern zu können. Diese Hoffnung wurde zerstreut, als am 14. Februar 1950 der chinesisch-sowjetische Freundschaftsvertrag unterzeichnet wurde. Der Vertrag soll laut einem Bericht der CIA vom 4. Januar 1950 eine Geheimklausel enthalten haben, wonach China Taiwan im Frühjahr 1950 angreifen würde und die Sowjetunion Hilfe leisten würde, falls die USA Taiwan unterstützen würde. War das der Grund, weshalb sich Präsident Truman am 5. Januar 1950 beeilte, zu erklären, die USA würden Taiwan nicht militärisch unterstützen? Im März 1950 ging die CIA davon aus, dass ein Angriff auf Taiwan zwischen Juni und Dezember 1950 zu erwarten sei, allenfalls auch erst 1951, nachdem China bezüglich Luftwaffe und Marine aufgerüstet hatte.

Beim Angriff auf Südkorea half auch die mächtige Stadtmauer von Seoul nicht mehr. (Bild: privat)

Zu einem Angriff der Volksrepublik China auf Taiwan kam es in der Folge (noch) nicht. Denn vor 73 Jahren, am 24. Juni 1950, griff Nordkorea den Süden der koreanischen Halbinsel an. Dies hatten die Militärstrategen ebensowenig vorausgesehen wie die CIA. Hinter dem Angriff vermutete man die Sowjets, erst später wurde klar, dass die treibende Kraft wohl Mao Zedong war, der hoffte, mit Hilfe der Sowjets sein Militär zu modernisieren. Taiwan und Japan sollten «erst» nach der (erfolgreichen) Beendigung des Koreakriegs bombardiert werden.

Am Tag nach dem Beginn dieses Kriegs, am 25. Juni 1950 trafen Präsident Truman und sein Stab nicht nur die Entscheidung, dem Angriff der Nordkoreanern auf die südliche Hälfte der koreanischen Halbinsel entgegenzutreten (der Entscheid mündete am 27. Juni 1950 in die Resolution 83 des UN-Sicherheitsrates). Gleichzeitig wurde auch der Beschluss gefasst, ein Wiederaufflammen des Krieges zwischen den Truppen von Mao Zedong und Tschiang Kai-shek zu verhindern. General Omar Bradley sagte anlässlich der von Präsident Truman nach dem Angriff auf Südkorea einberufenen Sitzung am 25. Juni 1950, die USA müsse gegenüber den Kommunisten eine Grenzlinie zu ziehen (“draw the line”). Bereits am 25. und 26. Juni 1950 wurde die Siebte Flotte der U.S. Navy in die Taiwanstrasse entsandt, und dort patrouilliert sie zum grossen Verdruss der chinesischen Regierung bis heute, und zwar unabhängig davon, wer im Weissen Haus gerade das Sagen hat.

Der Begriff «Island Chain» taucht, soweit ersichtlich, erstmals 1951 auf und wird John Foster Dulles zugeschrieben, der als Staatsmann und Berater von Präsident Truman mit der Mission betraut wurde, den Friedensvertrag mit Japan auszuhandeln. Auch wenn der Koreakrieg noch im Gange und dessen Ausgang (der auch das Schicksal Taiwans beeinflussen würde) höchst ungewiss war, war aus amerikanischer Sicht klar, dass Japan neben den Philippinen ein wichtiger Bestandteil der Island Chain sein würde, die bis weit hinunter ins südchinesische Meer führen würde. Ebenso war klar, dass Japan von den Amerikanern unterstützt würde, sich notfalls zu verteidigen.

Der Secretary of State, George G. Marshall, konzipierte die Mission von Dulles in einem Entwurf des Schreibens vom 9. Januar 1951 (welcher von Präsident Truman am 10. Januar 1951 gutgeheissen wurde) unter anderem wie folgt:

You should also, in carrying out your discussions, have in mind that it is the policy of the United States Government that the United States will commit substantial armed force to the defense of the island chain of which Japan forms a part, that it desires that Japan should increasingly acquire the ability to defend itself, and that, in order further to implement this policy, the United States Government is willing to make a mutual assistance arrangement among the Pacific island nations (Australia, New Zealand, the Philippines, Japan, the United States, and perhaps Indonesia) which would have the dual purpose of assuring combined action as between the members to resist aggression from without and also to resist attack by one of the members, e.g. Japan, if Japan should again become aggressive. In connection with this latter point, the United States Government should agree to this course of action only as the other nations accept the general basis on which the United States is prepared to conclude a peace settlement with Japan.

Vieles in diesem Schreiben hat bis heute Gültigkeit. Erstens ist auch heute noch ein beträchtlicher Teil der US-Truppen im Pazifik stationiert, um die Verteidigung der «Island Chain» zu gewährleisten. Die betreffenden Inselstaaten dürften zweitens aller Wahrscheinlichkeit im Grossen und Ganzen weit besser ausgerüstet sein, sich selbst zu verteidigen, als 1951, aber inzwischen ist auch vielerorts die Erkenntnis gewachsen, dass sich militärische Macht nicht nur an der Grösse des Militärarsenals misst, sondern auch von menschlichen Fähigkeiten zur Bildung von Allianzen derjenigen zum kritischen und kreativen Denken abhägt. Diese Allianzen, die State Secretary Marshall skizziert hat, sind heute weitgehend Realität. Auch wenn die USA nach wie vor die führende Rolle haben, ist die Island Chain nicht einfach eine aus einer Laune heraus geborene Idee eines einzelnen State Secretary oder «der Amerikaner». Vielmehr ist die 1951 konzipierte Sicherheitsarchitektur inzwischen vielfach staatsvertraglich abgesichert. Und drittens hat die Island Chain primär einen defensiven Charakter im Hinblick gegen Angriffe von aussen, beinhaltet aber auch eine friedenserhaltende Komponente für den Fall dass eines der Mitglieder ausscheren und zum Agressor mutieren würde.

Trügerische Idylle? Die Insel Jeju ist auch in militärischer Hinsicht ein wichtiger Teil der First Island Chain. (Bild: privat)

Die staatsvertragliche Absicherung der Sicherheitsarchitektur der First Island Chain

Bemerkenswert an der Island Chain ist insbesondere deren Dauerhaftigkeit. Während die europäische Sicherheitsarchitektur immer wieder umgebaut wurde, nicht zuletzt durch die Ausweitung der NATO auf immer mehr Mitgliedsländer, haben die grundlegenden Staatsverträge welche die First Island Chain mit den USA und anderen Allianzpartnern verbinden, bis heute Bestand.

So besteht der Mutual Defense Treaty zwischen den USA und den Philippinen, der 1951 abgeschlossen wurde, bis heute. Ein analoger Treaty of Mutual Cooperation and Security zwischen den USA und Japan wurde ebenfalls 1951 abgeschlossen und 1960 erneuert. Ein analoger Sicherheitvertrag zwischen den USA und Südkorea besteht seit 1953.

Daneben sind auch Neuseeland, Australien, Canada und Grossbritannien («Five Eyes» bzw. AUKUS) sowie Thailand (seit 1954) als «Treaty Allies» in die Sicherheitsarchitektur der First Island Chain eingebunden.

Auch ausserhalb dieses Kreises der Alliierten melden sich Stimmen, welche die Respektierung der Länder der First Island Chain fordern. Erstmals hat sich beispielsweise Indien zu Wort gemeldet, welches China dazu aufgefordert hat, den Entscheid in der «South China Sea Arbitration» endlich zu akzeptieren. Und die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen hieb anlässlich ihrer Rede bei einem Staatsbesuch in den Philippinen am 31. Juli 2023 in die gleiche Kerbe:

Die Europäische Union betont, dass der Schiedsspruch des Schiedsgerichts für das Südchinesische Meer aus dem Jahr 2016 rechtsverbindlich ist und die Grundlage für eine friedliche Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Parteien bildet. Wir sind bereit, die Zusammenarbeit mit den Philippinen im Bereich der maritimen Sicherheit in der Region zu verstärken, indem wir Informationen austauschen, Bedrohungsanalysen durchführen und die Kapazitäten Ihres nationalen Küstenüberwachungszentrums und Ihrer Küstenwache ausbauen.

Einziges Wermutspflaster ist Taiwan, hier wurde ein entsprechender bilateraler Vertrag mit den USA 1979 durch den Taiwans Relations Act ersetzt und offizielle Kontakte auf Regierungsebene wurden seither auf ein Miniumum reduziert.

Allerdings zeichnet sich diesbezüglich ein Paradigmenwechsel ab. Während die USA bisher beispielsweise lediglich mit Südkorea ein Freihandelsabkommen abgeschlossen hatte, hat der amerikanische Präsident Biden soeben die erste Etappe eines umfassenden Wirtschaftsabkommens mit Taiwan unterzeichnet, welches am 1. Juni 2023 abgeschlossen und von beiden Kammern des Parlaments gebilligt worden war (https://www.congress.gov/118/bills/hr4004/BILLS-118hr4004enr.pdf).

Sind die Länder der First Island Chain unmittelbar bedroht?

Auf den ersten Blick scheint es, als sie die Sicherheitsarchitektur der First Island Chain so fest gefügt wie nie zuvor. Seit der (weitgehenden) Einstellung der Kampfhandlungen im Koreakrieg blieb es, von einigen Scharmützeln abgesehen, an der Grenzlinie der First Island Chain weitgehend ruhig.

Was also meint Major General Vowell, wenn er vorab bezogen auf Japan von «dramatischen Veränderungen» in den vergangenen fünf Jahren spricht (siehe oben)? Wovon spricht Henry Kissinger, wenn er sagt, bezüglich Taiwan sei ein militärischer Konflikt sei angesichts des derzeit verfolgten Kurses wahrscheinlich? Was genau veranlasste die deutsche Aussenministerin Baerbock, ihren Antrittsbesuch bei ihrem nicht-mehr-Amtskollegen Qin Gang in China als «mehr als schockierend» zu bezeichnen? Was veranlasst einige Auguren, zu behaupten, ein Angriff auf Taiwan könnte schon in wenigen Tagen Realität sein?

Es ist offensichtlich ausserordentlich schwierig, diese subjektiven und auf einzelne Länder bezogenen Aussagen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, geschweige denn, sie zu objektivieren.

Eine Möglichkeit der Objektivierung ist die Gesetzgebung. Mit zunehmender Kadenz werden in China Gesetze erlassen, welche dem Kriegsrecht (Martial Law) im Sinne einer Ausnahmegesetzgebung zugeordet werden können.

Hinzuweisen ist zunächst einmal auf die Flut von Gesetzen, welche ich in meinen Blogartikeln unter dem Titel «Das chinesische Notfall-Notfallgesetz» bzw. «Kriegsvorbereitungen in Taiwan und China?» erwähnte. Die Kadenz der Gesetzgebung wurde allerdings noch einmal gesteigert. Zeitgleich mit der Inkraftsetzung Anti-Spionagegesetz per 1. Juli 2023 wurde auch überraschend das «Foreign Relations Law» in Kraft gesetzt. Zusammen mit dem im Juni 2021 verabschiedeten Anti-Sanktionengesetz und der bereits 2020 vorgenommenen Änderung des Foreign Investment Law (welche unter «speziellen Umständen», inklusive Krieg, die Nationalisierung von ausländischen Vermögenserten und investitionen zullässt) kann nunmehr mit Sicherheit gesagt werden, dass die Rechtssicherheit für ausländische Unternehmen inzwischen komplett aufgehoben wurde.

Dass im Juli noch ein Entwurf für ein Gesetz über die patriotische Erziehung und die Sicherstellung der Ernährungssicherheit in die Vernehmlassung geschickt wurden, macht die Sache auch nicht besser. Dass sich die Erziehung zum Patrioten auch auch auf die «Kompatrioten» in Taiwan und Hong Kong erstreckt und nicht nur die Schulen, sondern auch Unternehmen, Kirchen, Gewerkschaften usw. in die Pflicht genommen werden, versteht sich von selbst. Dass die Umsetzung dieses Vorhabens in der Republik China erst nach der gewaltsamen Annektion Taiwans möglich ist, braucht ebenfalls keiner Erläuterung.

Zweitens hat das Köpferollen in der Regierung und im Militär ein Ausmass angenommen, wie man in China zuletzt vor 50 Jahren beobachten konnte. Neben Aussenminister Qin Gang, dem Notenbankgouverneur Yi Gang sind auch etwa 10 Kadermitglieder der «Rocket Forces» verschwunden. Das hat den wohl beabsichtigten Effekt, dass der Informationsfluss von und zu diesen Personen unterbrochen ist. Versuche, via diese Personen eine Deeskalation des Konfliktes zu erreichen, ist somit von Vornherein ausgeschlossen. Das ist insbesondere bezüglich Qin Gang, der noch im Mai mit Verve dafür plädiert hat, einen kühlen Kopf zu bewahren und eine Wiederholung der Fehler der Vergangenheit zu vermeiden, ein herber Verlust. Er mag ein Wolf Warrior gewesen sein, ein Kriegstreiber war er kaum.

In wirtschaftlicher Hinsicht fehlt es in China seit jeher an halbwegs plausiblen Zahlen. Feststellbar ist jedoch, dass auch gemäss offiziellen Angaben die Jugendarbeitslosigkeit sehr hoch ist. Eine Problemlösung für die Jugendarbeitslosigkeit liegt auf der Hand: Krieg.

Schliesslich sind da noch die militärischen Vorbereitungen. Die Die Manöver der Volkssbefreingsarmee im August 2022 sowie im April 2023 scheinen verschiedene Aspekte eines möglichen Angriffs auf Taiwan geprobt worden zu sein, namentlich Raketenangriffe, Seeblockade und die Unterbrechung der Kommunikation (letzteres mit der Kappung zweier Unterseekabel von Taiwan nach Matsu). Lediglich ein Probelauf mit einem amphibischen Angriff fehlt nach Ansicht einiger Experten noch. Daneben scheint die Aktivität der Volksbefreiungsarmee immer grössere Kreise zu ziehen. In den Philippinien beschoss die chinesische Küstenwache in Boot ihrer philippinischen Kollegen, was dort einmal mehr die Frage aufwarf, ob diplomatische Proteste in einer solchen Situation genügen. Gleichzeitig kreuzten 11 russische und chinesische Kriegsschiffe vor Alaska auf, die USA reagierten mit vier Zerstörern.

So leichtfüssig, wie es dieser freundliche Tintenfisch auf Jeju vormacht, geht ein amphibischer Angriff wohl nicht vonstatten. (Bild: privat)

In politischer Hinsicht steht fest, dass sich weder das amerikanische Parlament noch der amerikanische Präsident bisher davon haben abhalten lassen, die Idee eines Wirtschaftsabkommens mit Taiwan aufzugeben oder die Waffenlieferungen an die Republik China einzustellen. Anzunehmen ist auch, dass sich der taiwanesische Vizepräsident William Lai sich von nicht von der geplanten Reise nach Paraguay abhalten lassen wird, wo er am 15. August 2023 an der Amtseinsetzung des neuen paraguayanischen Präsidenten Santiago Peña Palacios teilnehmen will. Ebenso ist anzunehmen, dass William Lai von amerikanischer Seite wie üblich der Transit erlaubt, wie es im Taiwan Travel Act vorgesehen ist. Und schliesslich ist auch anzunehmen, dass William Lai es sich nicht nehmen lassen wird, mit wem auch immer er auf seiner Reise antrifft ein paar Worte zu wechseln, wie er das bei ähnlichen Gelegenheiten auch tat. Leider ist auch absehbar, dass China seine Drohung einmal mehr wahrmachen wird, «feste und strenge Massnahmen» um William Lai für die wahrgenommene Verletzung der «nationalen Souveränität und territorialen Integrität» zu bestrafen. Praktisch zeitgleich mit der Durchreise von William Lai will U.S. Präsident Biden am 18. August 2023 in Camp David ein Gipfeltreffen mit japanischen Premierminister Fumio Kishida und dem Südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk Yeol abhalten.

Wo ist das schwächste Glied?

Die 1951 konzipierte First Island Chain ist zum Grundpfeiler der Sicherheitsarchitektur Ost- und Südostasiens geworden und hat ihre Aufgabe, China, Russland und Nordkorea in die Schranken zu weisen, erfüllt. Sie scheint in Stein gemeisselt. Gleichzeitig gibt es Anhaltspunkte, welche dafür sprechen, dass ein Angriff auf die First Island Chain unmittelbar bevorstehen könnte.

Eine Kette ist bekanntlich immer nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Entsprechend ist zu vermuten, dass ein Angriff dort stattfinden würde. Doch wo ist dieses schwächste Glied? In Sückorea, dessen Nachbar im Norden auf die Unterstützung Chinas und Russland zählen kann und nicht zurückschreckt, in grosser Regelmässigkeit Raketentest über den Köpfen der Sückoreaner zu machen? Japan mit Blick auf die dort stationierten Kontingente von amerikanischen Truppen? Taiwan, das die Volksrepublik China erklärtermassen einverleiben will? Oder die Philippinen als wirtschaftlich schwächster Staat der First Island Chain?

Die Antwort auf diese Frage liegt nicht auf der Hand. Es müssten die Verteidigungskapazitäten der vier involvierten Länder in Betracht gezogen werden, eine Aufgabe, die im Rahmen der nachfolgenden Artikel an die Hand genommen wird, mit dem caveat, dass auch bei umfassender Kenntnis aller Akteure böse Überraschungen nicht ausgeschlossen sind. Den Koreakrieg hat scheinbar niemand kommen sehen. Und auch bezüglich des Ukrainekriegs ignorierten viele die vorhandenen Warnzeichen.


Dr. iur. Maja Blumer, LL.M. (Tsinghua) hat in der Schweiz, an der Tsinghua University in Beijing sowie an der Beijing Language and Culture University sowie in Taiwan an der National Chengchi University studiert. Sie arbeitet als Rechtsanwältin in der Schweiz