Schweizer Parlamentarier in Taiwan

Nachdem Parlamentarierdelegationen aus der ganzen Welt in den letzten Monaten im Präsidentenpalast in Taipei einander die Türklinke in die Hand gegeben haben, ist es auch für die Schweiz soweit. Vom 5. bis 10. Februar 2023 sollen die Schweizer Parlamentarier Fabian Molina (SP, ZH), Nicolas Walder (Grüne, GE), Yves Nidegger (SVP, GE), Mustafa Atici (SP, BS) und Léonore Porchet (Grüne, VD). Geplant ist, dass sie von Präsidentin Tsai Ing-wen (蔡英文), dem Sprecher des Legislative Yuan You Si-kun (游絲坤), den Präsidenten des Control Yuan Chen Ju (陳菊) sowie dem Aussenminister Joseph Wu (吳釗燮) empfangen werden. Ein Novum? Ja und Nein.

von Maja Blumer, 2. Februar 2023

Ausländische Besucher zu empfangen gehört sozusagen zur DNA der Republik China. Schon der Landesvater Sun Yat-sen (國父孫中山先生) weibelte in der ganzen Welt für die Gründung der Republik. Der Politiker und Professor Louis Bridel und viele andere Kenner der Materie sprachen sich gleich nach der Gründung der Republik China 1912 für eine Vertiefung der politischen Beziehungen zur neuen Regierung aus.

Mit Verve plädierte etwa Professor Bridel beim Bundesrat dafür, hinsichtlich der Republik China nicht nur materielle Interessen in den Vordergrund zu rücken«In China zu einer guten politischen Organisation beitragen, beispielsweise eine Gesetzgebung, die von einem wahren Esprit der Gerechtigkeit und Freiheit beseelt ist, mit der Erfahrung, die man im öffentlichen Unterrichtswesen gewonnen hat: das ist etwas, was unser Land tun kann, und gut tun kann. » Und weiter: «…die rein materiellen Interessen sind für den Menschen nicht alles was zählt, und sind auch für eine Nation nicht alles was zählt.»

«Apporter à la Chine les éléments d’une bonne organisation politique, l’exemple d’une législation inspirée d’un veritable ésprit de justice et la liberté, l’expérience acquise dans la domaine de l’instruction publique: voilà ce que notre pays est en mesure de faire et de bien faire. … les intérêts exclusivement matériels ne sont pas le tout de l’homme ni d’une nation.» –  Professor Louis Bridel an den Bundespräsidenten Ludwig Forrer, Schreiben vom 1. März 1912 

Der Bundesrat tat sich schwer mit der Errichtung einer tragfähigen Beziehung zur Republik China, und Bundespräsident Petitpierre zog ihr im Januar 1950 endgültig den Stecker, und seither haben die Mitglieder der taiwanesischen Regierung von Glück zu reden, wenn sie am Katzentisch Platz nehmen dürfen.

Apropos Katzentisch: Zählen diverse taiwanesischen Aussenpolitiker und Diplomaten deshalb zu den berühmtesten Repräsentanten der Cat Warrior Diplomacy? Die Politik der Cat Warriors ist immerhin so erfolgreich, das Besucher der taiwanesischen Präsidentin es als Ehre betrachten dürfen, am Katzentisch Platz nehmen zu dürfen. Andere Länder, andere Sitten. Oder besser gesagt: andere Zeiten, andere Gepflogenheiten der Pflege zwischenstaatlicher Beziehungen. Wobei zur Vermeidung von Missverständnissen zu betonen ist, dass Präsidentin Tsai Ing-wen sehr wohl versteht, sich auf dem diplomatischen Parkett zu bewegen und regelmässig den roten Teppich für ihre Staatsgäste ausrollt.

Am Katzentischchen Platz nehmen zu müssen ist bei Präsidentin Tsai Ing-wen jedenfalls keine Beleidigung, wie ihr kürzlich veröffentlichtes Video zum Neujahrsfest zeigt.

Was quasi-offizielle Besuche von Schweizer Politikern betrifft, traf die Anknüpfungen von Beziehungen über Jahrzehnte auf den heftigsten Widerstand des Bundesrates. Erst in den letzten Jahren scheint sich diese Haltung ein klein wenig gelockert zu haben. Immerhin existiert aber seit September 2017 die offizielle parlamentarische Freundschaftsgruppe Schweiz-Taiwan mit dem Ziel von Informationsveranstaltungen, kulturellen Veranstaltungen, Trips nach Taiwan, Treffen mit Taiwaner Parlamentariern, Regierungsbeamten und Vertretern der Zivilgesellschaft. Entsprechend ist es nichts als normal, dass fünf Angehörige dieser Freundschaftsgruppe Taiwan besuchen und dort hochrangige Mitglieder der taiwanesischen Regierung treffen.

Allerdings sind solche Besuche ausländischer Parlamentarier keineswegs selbstverständlich. Spätestens seit dem Besuch von Nancy Pelosi im vergangenen August ist in der Volksrepublik China das Feuer im Dach, wenn irgendein Politiker es wagt, einen Fuss nach Taiwan zu setzen, geschweige denn, die taiwanesische Präsidentin oder ein anderes Regierungsmitglied der Republik China zu treffen, die es nach chinesischer Lesart gar nicht gibt. Man kann schon antizipieren, was die Sprecherin des Aussenministeriums der Volksrepublik China morgen verkünden wird, wenn sie auf den heute vom taiwanesischen Aussenministerium angekündigten Besuch der Schweizer Parlamentarier angesprochen wird. Nämlich dasselbe, was sie heute zum angekündigten Besuch der Vorsitzenden des tschechischen Parlaments:

Bloomberg: The speaker of the Czech parliament has said that she will visit Taiwan in March. Does the foreign ministry have any comment on the potential visit to Taiwan in March of the Czech parliament speaker?

Mao Ning: The Taiwan question is China’s internal affair and concerns China’s core interest. China firmly opposes any form of official interaction between its Taiwan region and countries having diplomatic ties with China. We oppose any political manipulation using the Taiwan question.

We urge certain Czech politician to take China’s position seriously, respect China’s sovereignty and territorial integrity, cancel the wrong decision, and stop sending wrong signals to “Taiwan independence” separatist forces.

Mao Ning, sprecherin des chinesischen Aussenministeriums am 2. Februar 2023

Allerdings könnte die Reaktion auf den Besuch der fünf Parlamentarier aus der Schweiz eine Spur milder ausfallen. Immerhin will die parlamentarische Vorsitzende der unteren Parlamentskammer, Markéta Pekarová Adamová, eine 80-köpfige Delegation aus Wirtschaft und Politik nach Taipei führen.

Ganz so weit ist die Schweiz noch nicht, so fehlen in der stark links-grünlastigen Delegation offensichtlich Vertreter der FDP und der Mitte. Immerhin: Ein Anfang zur Verbesserung der politischen Beziehungen zu Taiwan ist gemacht.


Dr. iur. Maja Blumer, LL.M. (Tsinghua), hat in der Schweiz, in der Volksrepublik China und in Taiwan studiert und ist als Rechtsanwältin tätig.

Gastfreundschaft gehört sozusagen zur DNA der Republik China. Ein ganz normaler Sonntagnachmittag mit Gästen aus dem In- und Ausland in einem taiwanesischen Haushalt. (Bild: privat)