Schweigeminute im chinesischen Aussenministerium

Gestern war von den Studierenden der Tsinghua University die Rede, welche mit der Friedmann-Gleichung ihren Proteste auf intelligente Weise zum Ausdruck brachten. Heute wurden wir Zeuge eines noch eindrücklicheren Statements eines der brilliantesten Diplomaten Chinas, Zhao Lijian.

von Maja Blumer, 29. November 2022

Man erlebt es nicht oft, dass es dem hier oft zitierten Wolf-Warrior Zhao Lijian die Sprache verschlägt. Heute an der täglichen Medienkonferenz des chinesischen Aussenministeriums scheint das der Fall gewesen zu sein.

Dass sich ein Journalist von Reuters überhaupt die Frage zu stellen wagte, ist schon einmal aussergewöhnlich. Hätte er die Frage auch gestellt, wenn die todlangweilige Sprecherin Mao Ning oder ein anderer Vertreter des Aussenministeriums auf dem Podium gestanden hätte? Dies war in den letzten Monaten eher die Regel als die Ausnahme, Zhao Lijian wird offenbar nur aus der Versenkung geholt, wenn es die heissen Kastanien aus dem Feuer zu holen gilt.

Wie auch immer, die Frage des Reporters von Reuters wurde gestellt (wenngleich natürlich sowohl die Frage als auch die Antwort auf der offiziellen Website des chinesischen Aussenministeriums zensuriert worden ist):

Given the widespread display of anger and frustration at the Zero-Covid policies in recent days across China, is China thinking about ending it, and if so, when?

Für die sich inklusive der Bitte um Wiederholung der Frage über rund zwei Minuten erstreckende Antwort von Zhao Lijian braucht es keine Sprachkenntnisse:

Im Englischen spricht man von «to draw a blank», wenn man keine Antwort weiss. Eine Antwort nicht zu kennen, weil es keine gibt, und dies auch zuzugeben, zeugt von innerer Grösse. Zhao Lijian braucht kein weisses Blatt Papier, um der Haltung der Demonstranten Ausdruck zu geben. Er tut dies mit seiner Körperhaltung und seinem Schweigen.

Wenn Zhao Lijian, der den innersten Zirkeln der chinesischen Macht angehört, den Mut aufbringt, sich die Frage des Journalisten nicht einmal, sondern zweimal anzuhören, und dafür nicht sofort mit einer billigen Antwort aufzufahren, ist das beeindruckend. Man mag sich allerdings nicht ausmalen, welche Risiken Zhao Lijian mit seiner Haltung eingeht. Es ist zu hoffen, dass Menschen, welche die Fähigkeit zu denken und zu beobachten an den Tag zu legen wagen, in der chinesischen Regierung auf allen Ebenen noch nicht ganz ausgestorben sind, und dass es diesen Menschen gelingt, der abstrusen Zero-Covid Policy, die bei Abermillionen von Menschen unermessliches Leid schafft, ein Ende zu setzen.


Dr. iur. Maja Blumer, LL.M. (Tsinghua), hat in der Schweiz, in der Volksrepublik China und in Taiwan studiert und ist als Rechtsanwältin tätig.