Ins Schwarze getroffen: Wieso BBC den Zorn des chinesischen Aussenministeriums auf sich gezogen hat

Die Tirade von Zhao Lijian gegen das Medienhaus BBC anlässlich der Pressekonferenz vom 29. November 2022 wirft für Uneingeweihte die Frage auf, was Anlass für Zhao Lijian gab, sich gegen die ausländische Presse derart in Rage zu reden. Dazu gibt es drei Antworten: Einmal ist es «Befehl von Oben», die Verantwortung für die Proteste in zahlreichen chinesischen Provinzen auf ausländische Agitatoren abzuschieben. Zweitens geht dem chinesischen Aussenministerium das Zielpublikum verloren. Und drittens hat BBC mit seiner Berichterstattung offensichtlich ins Schwarze getroffen.

von Maja Blumer, 30. November 2022

Neben dem Schweigen von Zhao Lijian an der Pressekonferenz des chinesischen Aussenministeriums vom 29. November 2022 auf die Frage des Reporters von Reuters, wie die Chinesische Regierung mit der Zero-Covid Policy zu verfahren gedenke, gab der berühmteste Wolf Warrior des chinesischen Aussenministeriums an diesem Tag noch mit einem weiteren Statement zu reden. Anlass gab der Umstand, dass der BBC-Reporter Edward Lawrence bei der Ausübung seiner Berufspflichten in Shanghai von Sicherheitskräften malträtiert und verhaftet worden war. Dies hat auf britischer Seite zu grosser diplomatischer Verstimmung geführt. Der chinesische Botschafter in London wurde ins Aussenmisterium zitiert und der britische Premierminister ging in einer Rede auf den Vorfall ein und erklärte, die goldene Ära der chinesisch-britischen Beziehungen sei vorbei. Er und der britische Aussenminister klassifizierten China (wie bereits die NATO) als «Systemic Challenge»:

«More broadly, we recognise that China poses a systemic challenge to our values and interests.» – David Rutley, Britischer Aussenminister, Ansprache vom 29. November 2022

Zhao Lijian goss noch mehr Öl ins Feuer, indem er nicht nur Edward Lawrence selbst die Schuld dafür in die Schuhe schob, dass er von mindestens vier Sicherheitskräften misshandelt und verhaftet worden ist, er setzte gleich auch noch zu einer Tirade gegenüber BBC an.

Auf den ersten Blick erstaunt das, denn die täglichen Pressekonferenzen des chinesischen Aussenministeriums richten sich eigentlich primär an die ausländischen Medienschaffenden, welche die chinesische Sicht in die Welt tragen sollen. Wenn die Sprecher des Aussenministeriums die ausländischen Medien verprellen und nur noch einheimische Berichterstattern an den Pressekonferenzen erscheinen, deren Berichte es nie über die Grenze schaffen, ist die Übung eigentlich zwecklos. Gerade dies droht aber schon länger, viele renommierte internationale Korrespondenten, nicht nur von BBC sondern auch von CNN, CBC etc. haben längst Zuflucht in Taipei gesucht, es macht zunehmend den Eindruck, dass bestenfalls noch die zweite Garde an journalistischen Talenten in Shanghai und Beijing ausharrt, die mit der Einordnung der politischen Entwicklungen in den letzten Monaten überfordert scheint. Diese zweite Garde muss nun ernsthaft befürchten, dass es ihnen ähnlich ergehen könnte, wie ihrem Berufskollegen von BBC, und die Medienhäuser werden sich gut überlegen müssen, ob sie nicht besser alle ihre Korrespondenten abziehen.

Selber schuld? Der BBC-Journalist wird von vier Sicherheitskräften zu Boden geworfen und dann abgeführt. Er hat offenbar seinen Journalisten-Ausweis nicht vorgewiesen (wie das mit auf den Rücken gefesselten Händen geht, ist ein bisschen erklärungsbedürftig).

Trotz dieser Bilder, die für sich sprechen und damit Zhao Lijian als Lügner abstempeln und den negativen aussenpolitischen Konsequenzen für China hat die Tirade von Zhao Lijian gegen BBC, mit der Zhao Lijian noch eins oben drauf setzte, eine gewisse Konsequenz. Denn es können gleich drei Gründe für diesen scheinbaren Ausraster ausgemacht werden.

Erstens handelte Zhao Lijian auf «Befehl von Oben». Gleichentags hat nämlich ein enger Vertrauter des Führers Xi Jinping, Chen Wenqing, Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der KPCh und Sekretär des Zentralkomitees für politische und juristische Angelegenheiten, ganz offiziell die Order herausgegeben, dass die Proteste durch ausländische Agitatoren hervorgerufen worden seien. Die Proteste wurden von Chen Wenqing auf «Infiltrations- und Sabotageaktivitäten feindlicher Kräfte» zurückgeführt. Das ist natürlich sehr bequem, so braucht man sich natürlich nicht mit den Anliegen der Demonstrierenden auseinanderzusetzen. Und vor allem braucht man dem Führer Xi Jinping nicht klar zu machen, weshalb seine Zero-Covid-Politik ein noch grösseres Desaster ist als die ungehinderte Verbreitung des Virus, dem weder eine funktionierende Spitalinfrastruktur noch eine funktionierende Impfung noch ein starkes Immunsystem entgegengehalten werden kann, (wobei es natürlich nicht ausgeschlossen werden kann, dass es gerade das Ziel der Zero-Covid-Policy ist, möglichst viele Menschen umzubringen).

Die Schwierigkeit für die Untergebenen ist aber natürlich, diese Agitatoren in genügender Anzahl zu finden, um die These von Chen Wenqing zu untermauern. Edward Lawrence war ein gefundenes Fressen. Die Wahrscheinlichkeit, dass noch andere Ausländer (und nicht nur Journalisten) den Kopf hinhalten müssen, ist gross. Ein verhafteter ausländischer Agitator dürfte wohl kaum ausreichen.

Zweitens dürfte hier die persönliche Frustration von Zhao Lijian durchgeschlagen sein. Seine täglichen Auftritte, bei der er den ausländischen Medienschaffenden die chinesische Position näherzubringen versucht, sind absolut nutzlos, wenn die ausländischen Medienschaffenden lieber über die Proteste berichten und nicht über nette Dinge wie spielende Pandas oder was sonst Zhao Lijian gerade als twitterwürdig betrachtet.

Ablenkungsmanöver? Was immer Zhao Lijian hier sagen wollte, die Korrespondenten der ausländischen Medienhäuser beschäftigten sich lieber mit den gleichentags zuspitzenden Demonstrationen im ganzen Land als den Verrenkungen eines Pandas.

Drittens ist es ein später nochmaliger Versuch, der BBC-Berichterstattung über Xinjiang etwas entgegenzuhalten. Zhao Lijian führte dazu an der Pressekonferenz vom 29. November 2022 aus:

On Xinjiang, based only on several non-photorealistic satellite images and reports written by anti-China elements, BBC journalists stationed in Beijing propagated “lies of the century” to slander Xinjiang. – Zhao Lijian, Pressekonferenz des Chinesischen Aussenministeriums vom 29. November 2022

Es ist unschwer zu erkennen, was damit gemeint sein dürfte. BBC veröffentlichte 2018 und 2019 eine ganze Serie von Beiträgen zu Xinjiang, darunter solche mit Satellitenbildern der Internierungslager in Xinjiang ( https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-sh/China_hidden_camps) und Dokumenten zur Baumwollproduktion in Xinjiang (https://www.bbc.co.uk/news/extra/nz0g306v8c/china-tainted-cotton). Allerdings scheint sich Zhao Lijian diese Reportagen nicht so genau angeschaut zu haben. Der BBC-Journalist John Sudworth hat sich nämlich nicht nur mit Satellitenbildern informiert, sondern vor Ort geforscht. Wer die Bilder und Interviews der BBC-Reportage aus den Umerziehungslagern in Xinjiang gesehen hat, wird sich vom chinesischen Aussenministerium keinen Bären mehr aufbinden zu lassen, noch nicht einmal einen Pandabären. Der Reporter hat mit seiner Berichterstattung offensichtlich ins Schwarze getroffen.

Eine «Schule», in der man zwei bis vier Monate braucht, um zu lernen, wie man ein Bett macht.

Mit seiner Bezugnahme auf die BBC-Berichterstattung hat Zhao Lijian seinem Führer tatsächlich einen Bärendienst erwiesen. Er hat damit eine Reportage wieder in Erinnerung gerufen, welche als eines der grössten Debakel bei der Medienarbeit des chinesischen Aussenministeriums angesehen werden dürfte. Offenbar war man beim chinesischen Aussenministerium davon ausgegangen, ein Journalist wie John Sudworth würde der Propagandamaschinerie aus der Hand fressen und nicht zwischen den Zeilen lesen können. Andere für dumm zu halten, ist dumm. Das erklärt auch die gehässigte chinesische Reaktion auf die Reportagen, denen das chinesische Aussenministerium keine Fakten entgegenzuhalten wusste – John Sudworth musste letztendlich fluchtartig das Land verlassen.

Zugunsten von Zhao Lijian darf übrigens angenommen werden, dass er nicht dumm ist, sondern schlicht nie die Gelegenheit hatte, sich die Reportagen von John Sudworth anzusehen.


Dr. iur. Maja Blumer, Rechtsanwältin, LL.M., hat in Bern und an der Tsinghua University in Beijing Recht studiert.