Bei Vertragsschlüssen im Allgemeinen und im Geschäftsleben im Besonderen gilt die althergebrachte Grundregel: «Trau, schau wem!» Mehr denn je gilt diese Regel auch für China. Wer in oder mit China geschäften will, muss über die überlebenswichtige Fähigkeit verfügen, Informationen zu sammeln und einzuordnen. Verfügt mein Geschäftspartner wirklich über die nötigen Beziehungen und ist er bereit, diese im gemeinsamen Interesse einzusetzen, oder ist er nur ein Betrüger, der mich über den Tisch ziehen will, oder noch schlimmer, ein korrupter Beamter? Kann ich auf die Einhaltung der vertraglichen Abreden vertrauen? Sind die rechtlichen Bedingungen für die Geschäftstätigkeit morgen noch dieselben wie heute?
Von der Informationsbeschaffung der «Old China Hands» lernen
Viele der «Old China Hands», welche seit Jahren oder Jahrzehnten erfolgreich in China geschäftet haben, verstehen die Kunst der Informationsverarbeitung und der Schaffung von Vertrauensbeziehungen aus dem FF – einschliesslich der Kunst, China rechtzeitig zu verlassen, wenn nötig. Manche, die glaubten, in ihre Fussstapfen treten zu können und in China das schnelle Geld zu machen, wurden auf dem falschen Fuss erwischt. Dies gilt ganz besonders für die letzten Jahre. Wer nicht genau hinschaute und beispielsweise blindlings auf die Empfehlung von Blackrock, UBS und anderen Experten hörte und Junk Bonds von Evergrande und Konsorten kaufte, holte sich eine blutige Nase. Wer sich bezüglich Handel und Produktion ganz von Lieferungen aus China abhängig machte, drehte monatelang Däumchen. Und wer glaubte, die Lockdowns in Shanghai würden nur ein paar Tage dauern, oder würden per 1. Juni 2022 komplett aufgehoben, und alles wäre wieder beim Alten, nun ja, wer das glaubte, der irrte.
Aber wie vermeiden die Old China Hands solche Irrtümer, wie kommen sie an ihre Informationen? Jeder hat sein Geheimrezept, aber grundsätzlich kochen alle mit Wasser. Einige Tipps:
- Die Old China Hands konsultieren eine Vielzahl von Medien, von innerhalb und ausserhalb Chinas, also alles vom Renmin Ribao (dem Parteiorgan der KPC) bis zu den Taiwannews, von CCTV bis CNN.
- Die Old China Hands greifen neben Medienberichten auf persönliche Kontakte und Besuche vor Ort zurück (oder notfalls auf Youtube und TikTok).
- Die Old China Hands haben ein Augenmerk auf typische Mechanismen in Medienberichten wie (einseitige) Selektion, Verschleierungstaktiken, Ausblenden des Kontextes und pure Propaganda.
Besonders der letzte Punkt ist entscheidend. Nicht an die Informationen zu kommen ist das Problem, sondern sie einzuordnen. Zu den einzelnen Mechanismen, welche das richtige Einordnen von Informationen verhindern:
Selektion
Jeder Medienkanal trifft notwendigerweise eine Selektion, je nachdem er eher eine akademische oder eine publikumswirksame Strategie verfolgt, eher der KPC zugeneigt ist oder westlichen Demokratien. Hinzu kommt in den chinesischen Medien die Zensur (und in den westlichen Medien die Selbstzensur), als gezielte Form der Selektion. Die Art der Selektion lässt Rückschlüsse auf die Informationsquelle und die Qualität der Information zu, so dass adäquat reagiert werden kann. Ein Beispiel:
Diverse Medien berichteten über ein Telefongespräch zwischen den Präsidenten Xi Jinping und Wladimir Putin am 15. Juni 2022. Die amerikanische CNBC verkündete, Präsident Xi habe auf eine «saubere» Beilegung des Ukrainekriegs zwischen Kiev und Moskau gepocht, was den unbedarften Leser annehmen lassen müsste, die Friedensglocken würden bald läuten.
Chinese President Xi Jinping told Russian President Vladimir Putin in a phone call that Kyiv and Moscow “should push for a proper settlement” in the ongoing war in Ukraine, according to a Chinese readout of the call. – Meldung auf CNBC vom 15. Juni 2022
Ganz anders berichtete der chinesische Staatssender CCTV über das gleiche Telefongespräch. Da war plötzlich nicht mehr von Kiev und Moskau die Rede, sondern von «allen Beteiligten», was durchaus bedeuten kann, dass die «saubere» Lösung, wie immer sie aussehen soll über den Kopf der Ukraine hinweg getroffen werden kann. Ausgeblendet wurde aber auch der aus chinesischer Sicht wichtigere Teil des rapportierten Telefongesprächs, wonach man sich «praktische Zusammenarbeit» bei der Schaffung einer neuen, «vernünftigen» und vor allem multipolaren Weltordnung und bei der Abwehr gegen Eingriffe in «interne Angelegenheiten» zusichert. Es braucht wohl kaum gesagt zu werden: für Putin gehört die Ukraine bzw. das ganze Territorium der UdSSR zu diesen «internen Angelegenheiten», so wie für Xi Xinjiang, Hong Kong und Taiwan etc. zu den «inneren Angelegenheiten der Volksrepublik China zählen.
Since the start of the year, the practical cooperation between Russia and China has been developing steadily, he said, adding that Russia supports the Global Security Initiative proposed by the Chinese side, and opposes any force to interfere with China’s internal affairs using so-called issues regarding Xinjiang, Hong Kong and Taiwan, among others, as an excuse.
He noted that Russia is ready to strengthen multilateral coordination with China so as to make constructive efforts in boosting multipolarization of the world, and establishing a more just and reasonable international order. – Meldung auf CCTV vom 16. Juni 2022
Wer also auf die Selektion von CNBC vertraut, kann darauf hoffen, dass auf Drängen von Präsident Xi Jinping hin bald ein Friedensschluss in der Ukraine zustandekommen könnte und könnte so bei den ersten sein, der wieder Geschäfte mit Russland macht. Wer auf CCTV hört, geht von einem Schulterschluss zwischen Russland und China aus und rechnet damit, dass nicht nur ein erhöhtes Konfliktpotential rund um Taiwan besteht, sondern er sich auch darauf einstellen muss, dass in einer multipolaren Welt andere Regeln gelten.
Verschleierung und der «Veiled Swipe»
Die als diplomatisch geltende Verschleierungstaktik und insbesondere des «Veiled Swipe», bei der man auf Konfrontationskurs geht, ohne die Dinge (und den Gegner) beim Namen zu nennen, hat im Zusammenhang mit China eine lange Tradition. Präsident Truman spricht z.B. in seiner nach Ausbruch des Koreakriegs im Juni 1950 ergangenen Anordnung, die 7th Fleet der U.S. Navy in die Taiwanstrasse zu entsenden, nie von der Volksrepublik China oder von der chinesischen Volksbefreiungsarmee, sondern von «invading forces», «invading troops», «Communist forces», «Communists» oder «the mainland». Ebenso getraut sich fast niemand die offiziellen Vertretungen der Republik China als solche zu bezeichnen, die Schweiz etwa verwendet die Bezeichnung «Délegation économoique et culturelle de Taipei». Litauen, welches die Bezeichnung Taiwan verwendet, hat sich diesbezüglich am weitesten aus dem Fenster gelehnt.
Die diplomatischen Verrenkungen, Dinge nicht beim Wort zu nehmen, nehmen teilweise groteske Ausmasse an, welche beispielsweise auf dem Youtubekanal von China Uncensored kürzlich im Zusammenhang mit dem Shangri-La Dialog auf die Schippe genommen wurde. Es ist natürlich nicht einfach, Dinge beim Namen zu nennen. Eine «militärische Operation», wie sie Präsident Putin in der Ukraine betreiben will, tönt natürlich netter als «Krieg». Schulungszentren in Xinjiang tönen natürlich besser als Internierungslager. Oder, um das neueste Beispiel des Notstand-Notstandgesetzes zu nennen, «militärische Operationen ausserhalb von Krieg» klingen natürlich besser als das, was vermutlich damit gemeint ist, nämlich die Annexion eines Landes mit Waffengewalt. Wer sich allerdings durch solche Verschleierungstaktiken in die Irre führen lässt, ist selber schuld. Insbesondere beim «Veiled Swipe» ist erhöhte Aufmerksamkeit angesagt.
Kontext ausblenden
Die meisten Old China Hands müssen früher oder später mit der Erfahrung umgehen, dass in einem riesigen Land mit Abermillionen von Menschen bei fast allem, was man über das Land sagt, auch das Gegenteil zutrifft. Ja, dank der Einkindpolitik haben es viele chinesische Familien zum Wohlstand gebracht; und ja, wegen der Einkindpolitik droht China der wirtschaftliche Absturz. Ja, zu Maos Zeiten hat die Lebenserwartung der chinesischen Bevölkerung (wahrscheinlich) zugenommen; und ja, wegen der maoistischen Politik sind Dutzende von Millionen von Menschen an Hunger (Grosser Sprung nach vorn) und Gewalt (Kulturrevolution, Freiwillige im Koreakrieg) gestorben. Der einfachste Weg, nicht irrige Annahmen zu treffen, ist ein Problem unter mehreren Aspekten zu betrachten und dazu verschiedene Quellen zu berücksichtigen.
Pure Propaganda
Dann gibt es noch die einfache, pure Propaganda. Hier gilt als Faustregel, dass man vom Gegenteil ausgehen kann. Prangen auf der Titelseite des Renmin Ribao goldene Weizenfelder und Bilder von glücklichen Bauern? Dann besteht möglicherweise ein Problem bei der Nahrungsversorgung. Hängen an den Strassenrändern überall Spruchbänder, die für eine «harmonische Gesellschaft», die «Polizei als Freund und Helfer» werben? Vielleicht liegt da gesellschaftlich etwas im Argen, dem man sein Augenmerk schenken sollte.