Treffen zwischen Putin und Kim: (K)ein Grund zur Sorge?

Anfang September 2023 empfing der russische Präsident Putin im Kosmodrom in Wostotschny nahe Wladiwostok den nordkoreanischen Herrscher Kim Jong Un mit allen Ehren. Einige Kommentatoren fürchten, dieses Treffen sei ein Zeichen für ein näheres Zusammenrücken der drei Atommächte Russland, China und Nordkorea. Andere Kommentatoren sehen das als irrelevante Propagandashow zweier an Grössenwahn leidender Diktatoren. Doch welche Konsequenzen soll der «Normalbürger» aus diesem Zusammentreffen ziehen? Und welche die Politik?

von Maja Blumer, 16. Oktober 2023

Neulich verfolgte ich im Postauto einen aufschlussreichen Dialog zwischen zwei älteren Damen, bezugnehmend auf dem Bildschirm laufenden Nachrichten des Nachrichtensenders Nau, der über das Treffen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem nordkoreanischen Herrscher Kim Jong-un berichtete:

Erste Dame (besorgt): Putin hat Kim getroffen.

Zweite Dame (abwertend): Weiss ich schon. Sie sagen, man müsse keine Angst haben.

Erste Dame (skeptisch): Ha. Bin ich Hellseherin?!

Mir geht es wie dieser ersten Dame. Ich bin keine Hellseherin. Und wenn «Sie» sagen, man müsse keine Angst haben, jagt mir das erst recht Angst ein. Verstehen diese «Sie» mehr von ihrem Metier als jene Schweizer Zahnärztin, welche sagte, eine Spritze sei nicht nötig und ich müsste keine Angst haben, bevor sie den Nerv anbohrte und dann auch noch eine Nadelspitze im Wurzelkanal abbrach, um mir für ihre Fehlleistung am Ende noch eine dicke Rechnung zu präsentieren?

Diese Skepsis hat mich veranlasst, der Frage nachzugehen, wer diese «Sie» sind und weshalb «Sie» sagen, man müsse keine Angst haben. Einige Argumente für diese These, welche ich in den deutschsprachigen Medien gefunden habe:

These 1: Wladimir Putin hat Parkinson

In der fraglichen im Postauto ausgestrahlten Nachrichtensendung von Nau ging es unter dem Titel «Wladimir Putin zuckt bei Diktatoren-Treffen mit Kim wild herum» konkret um folgendes Gerücht:

«Wladimir Putin hat in Russland den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un getroffen. Auf Videos ist zu sehen, wie der Kreml-Chef seinen Fuss verbiegt. Die Gerüchte, dass Putin an Parkinson leidet, halten sich hartnäckig.»

Dieses Gerücht unbekannter Herkunft ist tatsächlich geeignet, eine gewisse Sorge auszulösen. Nicht weil die Ferndiagnose Parkinson irgendwelche Bedeutung hätte, sondern weil Sendezeit verschwendet wird, um Belanglosigkeiten zu verbreiten, welche den Blick auf das Wesentliche verdecken.

These 2: Munitions- und Waffenlieferungen an Russland

In den Medien wird vielerorts angenommen, Putin und Kim könnten einen Deal vereinbart haben, in dem Nordkorea Munition und Waffen an Russland liefert. Das Schweizer Fernsehen SRF dazu:

«Nordkoreas Waffen werden laut Experten wohl den Krieg gegen die Ukraine nicht entscheiden, doch sie könnten in der derzeitigen Materialschlacht eine wichtige Rolle spielen.»

Auch hier handelt es sich vorerst um ein blosses Gerücht, welches von nicht näher bezeichneten «Experten» gestreut wird. Niemand weiss, was die beiden Diktatoren vereinbart haben. Diverse Kommentatoren wiegeln diesbezüglich ab, die Munitionsbestände seien veraltet, die Waffen nicht die Modernsten und ohnehin mangle es der nordkoreanischen Rüstungsindustrie angesichts der jahrzehntelangen Sanktionen an Ressourcen, um einen nennenswerten Beitrag zu leisten. Das mag alles stimmen, aber: Auch ein Experte müsste erst mal wissen, ob und welche Waffen- und Munitionsexporte geplant sind, bevor eine Aussage darüber gemacht werden kann, ob sie gar keine, eine entscheidende oder eine wichtige Rolle im Krieg gegen die Ukraine spielen würden. Es sei denn, dieser Experte sei Hellseher, der dann auch vorausgesehen hätte, dass die Waffen möglicherweise nicht direkt für Russland sondern für den Krieg gegen Israel vorgesehen war.

Weiter wird ins Feld geführt, solche Waffenlieferungen an Russland bzw. die Gegenleistungen an Nordkorea (vermutet werden Hilfestellungen bezüglich Satelliten) würde gegen die Sanktionen der UNO verstossen. Wer dieses Argument ins Feld führt, muss sich die Frage gefallen lassen: «So what?»

Die «alte» UdSSR, welche in der Vorstellung Putins mindestens teilweise deckungsgleich ist mit dem «neuen» Russland, hat sich schon 1950 um die UNO foutiert, als sie Nordkorea im Krieg gegen den Süden und die Alliierten unter der UN-Flagge aktiv mit Waffen und militärischer Beratung unterstützten. Damals sorgte Stalin allerdings immerhin für «plausible deniability» (glaubhafte Abstreitbarkeit), indem er einen Vorwand fand, den Sitz im UN-Sicherheitsrat in der entscheidenden Phase ab Januar 1950 für einige Monate einfach vakant liess.

Ob sich Russland heute noch die Mühe machen würde, irgend ein Feigenblatt zu finden um Waffen- und Munitionslieferungen aus Nordkorea und die entsprechenden Gegenleistungen an Nordkorea zu kaschieren, ist zweifelhaft. Der UN-Sicherheitsrat, der hier eingreifen will, gilt schon längst als «Gremium, das alles Mögliche debattiert und darin versagt, irgend etwas zu ändern.» (Palki Sharma, Firstpost, 21.3.2023).

Aus russischer und nordkoreanischer Sicht könnte ein anderer Aspekt eine wichtigere Rolle spielen: Aus historischer Sicht schuldet Nordkorea Russland tatsächlich Waffenhilfe, hat Russland bzw. die Sowjetunion doch nicht nur koreanische Freiheitskämpfer (nicht zuletzt die Urgrosseltern und den Grossvater von Kim Jong-un) im Kampf gegen die japanische Besetzung unterstützt, sondern auch beim bisher misslungenen Versuch, die Kontrolle über die ganze koreanische Halbinsel zu erlangen, der 1953 in einer Pattsituation endete. Zudem hat Moskau 2014 90% der nordkoreanischen Schulden abgeschrieben, welche sich in Sowjetzeiten angehäuft haben. Die restlichen 10%, immerhin noch 1,09 Milliarden USD, sollten über 20 Jahre in halbjährlichen Raten abgestottert werden.

Mittlerweile steht entsprechend Beobachtungen des amerikanischen Geheimdienstes fest, dass in den letzten Wochen irgendetwas in der Grössenordnung von 1’000 Containerladungen – mutmasslich Waffen oder Munition – aus Nordkorea in Richtung Russland verschifft und von dort gen Westen geschickt wurde. Ebenso bekannt ist, dass nordkoreanische Waffen im Arsenal der Hamas aufgetaucht sind. Nordkorea bestreitet allerdings, hier die Finger im Spiel zu haben.

1000 Container sollen von Nordkorea nach Russland verschifft worden sein. Nur: was war drin? (Bild: Installation im National Museum of Modern and Contemporary Art in Seoul, 2016)

Treffen die Mutmassungen zu, dass Nordkorea im Ukrainekrieg Russland und im Krieg gegen Israel die Hamas tatkräftig unterstützt, geht das Land ein doppeltes Risiko ein: Erstens liefert es Südkorea und seinen Verbündeten einen Vorwand für eine gezielte Aktion, um zu verhindern, dass die russische Gegenleistung (etwa Satellitentechnologie) nach Nordkorea gelangt – mit ein paar Sanktionen mehr gegen einige russische Oligarchen dürfte es dabei nicht getan sein. Zweitens schwächt sich Nordkorea selbst militärisch, was China zum Anlass nehmen könnte, seinen Einfluss auf Nordkorea auszuweiten und sich so endlich einen Meerzugang im fernen Osten zu verschaffen.

Ähnliche Situationen, in denen das Land zwischen die Fronten geriet, hat Korea zigfach erlebt, etwa im 17. Jahrhundert als es sich das Königreich Joseon auf die Seite der Ming-Dynastie schlug, was dazu führte, dass die Jurchen (Manchus) sich zunächst gegen Joseon wandte, worauf die koreanische Halbinsel unter die brutale Gewaltherrschaft der nördlichen Barbaren (und späteren Herrschern der Qing-Dynastie) gelangte. Ähnliches wiederholte sich in den japanisch-chinesischen Kriegen (nach denen das stolze Joseon als japanische Kolonie endete) und schliesslich im zweiten Weltkrieg (als die koreanischen Unabhängigkeitskämpfer an Seiten der Alliierten kämpften, nur um am Ende mit ansehen zu müssen, wie die koreanische Halbinsel mit einem Federstrich in eine amerikanische und eine sowjetische Besatzungszone aufgeteilt wurde).

Angesichts der Risiken, welche eine Waffen-/Munitionslieferung im grösseren Stile für Nordkorea bietet, würde man meinen, Kim Jong-un hätte eine diskretere Methode gewählt und entweder über Mittelsmänner kommuniziert oder Putin heimlich getroffen und er hätte nicht hunderte von Containern über die Grenze nach Russland geschickt.

Insgesamt scheint es nach dem derzeitigen Kenntnisstand tatsächlich, als habe sich Nordkorea mit allfälligen Waffen- und Munitionslieferungen nach Russland vor allem selbst geschadet.

These 3: Drohgebärde zweier Grössenwahnsinniger gegenüber dem «Erzfeind USA»

Nicht nur das Schweizer Fernsehen, das im Treffen eine Drohgebärde gegenüber dem «Erzfeind USA» sondern auch andere Deutschland Medien qualifizierten das Treffen von Putin und Kim im fernen Osten primär als «Propagandshow». Die Kommentatorin Gesine Dornblüth bezeichnete die beiden Dikatatoren in einem Artikel von Deutschlandfunk als

«…zwei, die sich in ihrem Wahn zu Höherem berufen fühlen, zwei, die mehr darstellen möchten, als sie sind.»

Die These hat etwas für sich, nur wirft sie verschiedene Fragen auf: Auf wen zielt die Propaganda ab? Was soll die Propagandashow bewirken? Wenn Nordkorea Russland im Ukrainekrieg unterstützt, kämpft er in erster Linie gegen die Ukraine, in zweiter Linie gegen die Europäer (mit einer geschwächten Energieversorgung und Industriebasis) sowie auf Getreideimporte aus der Ukraine angewiesene Drittweltländer. Es ist unwahrscheinlich, dass Kim die USA mit dieser angeblichen «Drohgebärde» beeindrucken würde.

Die Ironie der Geschichte ist, dass Russland der Ukraine eine ähnliche Pufferfunktion aufzwingen will, die Nordkorea bezüglich der Volksrepublik China und Russlands bereits einnimmt.

Dass Putin und Kim sich dazu berufen fühlen, den Traum von einem sozialistischen Grossreich zu verwirklichen, ist durchaus nicht auszuschliessen. Wenn dieser Traum aber von anderen geteilt wird, wie etwa die Demonstrationen zugunsten der Hamas vor der UNO in New York kürzlich vermuten lassen, wo, neben der Palästinenser-Flagge auch die chinesische Flagge sowie diejenige der UdSSR auftauchte, ist der Schulterschluss zwischen Putin und Kim durchaus eine ernstzunehmende Drohung.

Palästinenserflagge Seite an Seite mit der Flagge der Volksrepublik China und der sowjetischen Flagge bei einer Demonstration am 9. Oktober 2023 in New York (Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=wlOcsN1DRCg).

Insgesamt ist die These der Drohgebärde wenig stichhaltig. Wenn sich diese gegen die USA gerichtet hätte, hätten sich Putin und Kim wohl etwas anderes einfallen lassen müssen.

These 4: 大怪招 (Dà guài zhāo) von Russland, China und Nordkorea

Die vierte These gründet auf der Annahme, das Treffen deute auf ein Zusammenrücken von Russland, China und Nordkorea ist derart gewagt und setzt sich aus derart vielen Beobachtungen zusammen, die von einigen wenigen als Puzzleteilchen eines grossen Ganzen gesehen werden, von den meisten aber als pure Spekulation abgetan werden. Während bestenfalls die Zeit weisen wird, wer hier recht behält, kann es von Interesse sein, diese Puzzleteile im Auge zu behalten.

Ein Puzzleteilchen ist, dass in der Vergangenheit persönliche Treffen auf höchster Ebene jeweils kriegerischen Handlungen vorangegangen sind. Ein Beispiel der Koreakrieg, wo Kim Il-sung im März 1949 zu Stalin reiste, um seine Unterstützung zur Eroberung der gesamten koreanischen Halbinsel zu besiegeln, gefolgt von Mao Zedong im Dezember 1949, welcher den Deal mit den Sowjets besiegelte (Stalin stellte die Waffen und die Militärstrategen zur Verfügung, Mao stellte seine «Freiwilligenarmee» und lieferte den Vorwand für das Fernbleiben der Sowjetunion bei den Sitzungen des UN-Sicherheitsrats). Weiteres Beispiel ist der Ukrainekrieg, wo Putin und Xi anlässlich der olympischen Spiele ostentativ ihre unverbrüchliche Freundschaft demonstrierten.

Der hungrige russische Bär, Ausschnitt aus der Karikatur «Die Situation im fernen Osten», ca. 1902–1903 (https://visualizingcultures.mit.edu/boxer_uprising/bx_essay02.html)

Historisch gesehen zogen Russland, China und Korea selten am gleichen Strang. Der Schulterschluss zweier Nachbarländer wurde vom Dritten nicht selten als Anlass für einen Angriff genommen. Wenn Kim Jong-un im Gegenzug für seine Hilfeleistung an Russland eigene Pläne bezüglich Südkorea, Japan oder den USA verwirklichen will, muss er aller Wahrscheinlichkeit die Rückendeckung der Volksrepublik China haben. Dies umso mehr, als China und Russland ewige Freundschaft geschworen haben, während zwischen Nordkorea und der Volksrepublik China soweit ersichtlich seit Jahren Funkstille herrscht. Gab es also etwa ein trilaterales Treffen? Nicht zwingend, aber es ist auffallend, und ein weiteres Puzzleteilchen, dass sich der chinesische Führer Xi zufällig zur gleichen Zeit ganz in der Nähe von Putin und Kim aufhielt.

Doch was wäre der Gegenstand eines solchen Treffens gewesen – wohl kaum Munitions- und Waffenlieferungen an Russland?! Einer Quelle zufolge haben die drei Führer, ob sie nun grössenwahnsinnig sind oder nicht, einen 大怪招 (Dà guài zhāo), unzulänglich übersetzbar als «grossen und seltsamen Schachzug» im Auge, so etwas wie die «36 Stratageme» für Fortgeschrittene.

Doch wie würde eine solche unübliche Strategie aussehen? Eine Theorie ist diejenige der «Drei Kriege» (三场战争), welche auf Mao und dessen Kriegsstrategie gegen die Kuomintang (welche gleichzeitig Krieg gegen die Japaner, die amerikanischen «Silverites» und die Maoisten zu kämpfen hatte).

In geographischer Hinsicht könnte das wohl bedeuten, dass die Nato-Länder und ihre Alliierten (Australien, Neuseeland und die Länder der «First Island Chain») in mehrere Konflikte gleichzeitig hineingezogen würden. Einige sehen unter Bezugnahme auf entsprechende Gedankenspiele in den chinesischen Medien den Angriff der Hamas auf Israel als Teil dieses grossen und seltsamen Schachzugs, der weitere Brandherde – beispielsweise auf der koreanischen Halbinsel, in Taiwan, im südchinesischen Meer – folgen könnten.

Friedenstaube oder Rakete? Ein Kunstwerk im Heiri Art Valley nahe der innerkoreanischen Grenze. (Bild: privat)

Die Stärke der Theorie des grossen und seltsamen Schachzugs ist, dass sie eine Erklärung für Manches bieten könnte, was bisher (jedenfalls in der Öffentlichkeit) ungeklärt geblieben ist, angefangen beim Anschlag auf die Nord Stream Pipelines über das Köpferollen von Kadern im chinesischen Aussenministerium und im chinesischen Militär, dem Näherrücken zwischen Iran und der Volksrepublik China bis hin zum Empfang des syrischen Herrschers Assad im Rahmen der Asian Games (welchem vor dem Hintergrund der kürzlichen Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen Syrien und der Hamas eine ominöse Rolle zukommt).

Gleichzeitig ist diese Erklärungsmacht der vierten These ihre Schwäche. Sie zementiert die Vorstellung, Xi Jinping und allenfalls noch Wladimir Putin hätten alles unter Kontrolle, von Kim Jong-un über die Taliban und die Wagner Group bis hin zu den Hamas. Dies entspricht den Allmachtsphantasien von Xi und Putin, die von Veränderungen träumen, wie man sie in 100 Jahren nicht gesehen hat. Noch sind diese Allmachtsphantasien nicht Realität. Aufgabe des vernunftbegabten Teils der Menschheit ist, nicht auf die entsprechende Propaganda hereinzufallen.

Fazit: Ein Grund fürs «Derisking», kein Grund zur Angst

Während die ersten drei Thesen als insgesamt wenig stichhaltig erscheinen, ist die vierte These eines Komplotts zwischen China, Nordkorea und Russland nach dem jetzigen Kenntnisstand schwer zu verifizieren aber durchaus besorgniserregend. Ein Hellseher wäre hier tatsächlich von Nutzen, wer keinen solchen zur Hand hat, sollte jedoch nicht vor Angst erstarren, den Angst ist ein schlechter Ratgeber.

Nach dem Motto «Gefahr erkannt, Gefahr gebannt» auf der persönlichen Ebene jeder seine eigene Meinung und seine eigenen Strategien zum «De-risking» entwickeln. Beispielsweise indem er sich vor einer Reise über die geopolitische Situation in einem Land informiert oder bei der Wahl von langfristigen Vertragspartnern (Lieferanten und Kunden) eine gewisse geographische Diversifizierung anstrebt.

Auf der politischen Ebene ist es ein bisschen heikler. Von Staatsbeamten, einschliesslich der Angehörigen von staatlich finanzierten Medien und Universitäten, können zwar keine hellseherischen Fähigkeiten erwartet werden, aber ein gewisser Informationsvorsprung aus dem internationalen Austausch, ein gewisses Expertenwissen bezüglich geopolitischer Brennpunkte und die gesetzgeberische Umsetzung des entsprechenden Wissens.

Es entsteht der Eindruck, man lasse sich in Bern in Bern damit sehr viel Zeit und handle erst reaktiv, wenn es schon zu spät ist. Beispiele sind z.B. das Verbot der Hamas (welches vom Bundesrat lange vehement abgelehnt wurde), die lasche Umsetzung der Sanktionen gegenüber russischen Oligarchen, welche die Botschafter von G7-Staaten (Michael Flügger aus Deutschland, Scott C. Miller aus den USA, Frédéric Journès aus Frankreich, Silvio Mignano aus Italien, Patrick Wittmann aus Kanada, James Squire aus Grossbritannien, Fujiyama Yoshinori aus Japan und Petro Mavromichalis von der EU) zu harscher Kritik veranlasst hat, das stillschweigende Beerdigen von Rufen nach Sanktionen im Zusammenhang mit dem Verdacht auf Genozid an den Uiguren mit Blick auf eine mögliche Verbesserung des Freihandelsabkommens mit China etc.

Nur langsam wird man in der Schweiz gewahr, wie sehr der Ruf des Landes durch dieses Verhalten gelitten hat. Die unkooperative Haltung der Schweiz kann gravierende Auswirkungen auf jeden einzelnen Schweizer Bürger haben, nämlich dann, wenn die Schweiz ihrerseits auf Hilfe anderer Länder angewiesen ist, z.B. bei einer weiteren Bankenkrise, bei der Evakuation von Bürgern aus Kriegsgebieten, beim Austausch und der Analyse von sicherheitsrelevanten Informationen. Die für die Nato-Mitglieder und ihre Verbündeten unverständliche, scheinbar auf kurzfristigen Profit ausgerichtete Haltung des Schweizer Bundesrates ist jedenfalls für die Schweizerbevölkerung momentan die grössere Gefahr als das, was Kim und Putin bei ihrem Treffen im fernen Osten ausgeheckt haben mögen.

Dr. iur. Maja Blumer, Fürsprecherin, LL.M. (Tsinghua), hat in der Schweiz, in der Volksrepublik China und in Taiwan studiert und ist als Rechtsanwältin in der Schweiz tätig. Ihr Interesse als Privatgelehrte gilt den geopolitischen Einflüssen auf das schweizerische Wirtschaftsrecht.