Die Schweiz und der Iran: Die Gretchenfrage

Am 18. Oktober 2023 endete Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrates, welche bezüglich dem Iran den Handel mit und die Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit Trägersystemen und Rüstungsgütern sowie den Handel mit Nukleargütern einschränkte. 47 Staaten erklärten in einer am 18. Oktober 2023 veröffentlichten gemeinsamen Erklärung, sie würden die Sanktionen gemäss Resolution 2231 fortsetzen. Und die Schweiz?

von Maja Blumer, 20. Oktober 2023

Auch wenn es bei der Umsetzung der meisten der inzwischen 2701 Resolutionen des UN-Sicherheitsrats hapert, hat das Erlöschen der Resolution 2231 im jetzigen Kontext eine besondere Bedeutung. Viele Staaten – etwa Russland oder China – können sich darauf berufen und den Handel mit (Atom-)Waffen, Raketenträgern, Drohnen und anderen Rüstungsgütern mit dem Iran aufnehmen oder ausdehen. Eine besondere Gefahr besteht bezüglich dem politisch und wirtschaftlich geschwächten Libanon (vgl. Resolution 2695), wo der Iran ungeniert Waffen an die Hisbollah liefern könnte. Die Befürchtung ist, dass sich für Israel im Norden eine neue Front auftut.

Da vom UN-Sicherheitsrat bezüglich der Weiterführung der Sanktionen gemäss Resolution 2231 nichts zu erwarten war, wurde von den USA und ihren Alliierten eine Koalition geschmiedet, welche am 18. Oktober 2023 eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in der sie die Fortsetzung der Sanktionen gemäss Resolution 2231 bekräftigen und begründen.

Auffällig ist, dass die Schweiz auf der Liste der 47 Staaten, welche die gemeinsame Erklärung abgegeben haben, fehlt. Diese Liste der Länder, welche die Erklärung unterzeichnet haben umfasst: Antigua and Barbuda, Argentinien, Österreich, Australien, Bahrain, Belgien, Belize, Bulgarien, Kanada, Kolumbien, Kroatien, Zypern, Tschechien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Island, Irland, Israel, Italien, Japan, Lettland, Litauen, Luxemburg, Montenegro, Marokko, Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Palau, Panama, Polen, Portugal, Republik Korea, Rumänien, San Marino, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Ukraine, Grossbritannien und last but not least die USA.

Dass die Schweiz früher oder später nachziehen muss, war klar, auch wenn der Bundesrat sich mit Händen und Füssen gegen die Übernahme der EU-Sanktionen gegen den Iran gewehrt hat, mit der immergleichen Begründung, dies enspreche «innen- und aussenpolitischen Interessen der Schweiz», namentlich der «guten Dienste der Schweiz in Iran» und dem «offenen und kritischen Dialog mit der iranischen Regierung» (so der Bundesrat im Bezug auf die Übernahme der EU-Sanktionen im Hinblick auf das brutale Vorgehen gegen Demonstranten im vergangenen Dezember).

Immerhin übernahm der Bundesrat am Freitag, 29. September 2023 die EU-Sanktionen gegenüber Iran vom 20. Juli 2023 im Zusammenhang mit Drohnenlieferungen und betonte bei dieser Gelegenheit «die enge Partnerschaft der Schweiz und der EU im Sanktionsbereich». Ob die EU das gleich sieht, ist höchst zweifelhaft. Über zwei Monate zuzuwarten, bis man punktuell einige Sanktionen übernimmt, deutet eher auf Gegner- als auf Partnerschaft.

Wie auch immer, bezüglich der Weiterführung der Sanktionen gemäss Resolution 2231 beeilte sich der Bundesrat. Schon am 18. Oktober 2023 beschloss er, «wie die EU» den bestehenden Rechtsrahmen beizubehalten.

Wenn grosse Blöcke aufeinandertreffen, muss man sich auf die rechte Seite schlagen. Hier in der Taminaschlucht bei Bad Ragaz (Bild: privat)

Damit dürfte – vorausgesetzt die Sanktionen werden auch umgesetzt – die Gefahr gebannt sein, dass die Schweiz als Drehscheibe für den Waffenhandel mit dem Iran dient, was zwar im Interesse einiger Finanzintermediäre sein dürfte, aber sicher nicht im Interesse der Schweiz.

Das bei den 47 Mitunterzeichnern der gemeinsamen Erklärung vom 18. Oktober 2023 geschaffene Misstrauen, dass die Schweiz die Sanktionen nur widerwillig und punktuell mitträgt, ist damit allerdings nicht aus dem Weg geräumt. Das wiegt umso schwerer, als unter diesen 47 Ländern auch die wirtschaftlich wichtigsten Partner der Schweiz sind.

Das Abseitsstehen der Schweiz bezüglich der Sanktionen gegenüber Iran kann letztendlich auch dazu führen, dass die Rolle als neutraler Vermittler, in der sich die Schweiz gerne sehen würde, über kurz oder lang anderweitig besetzt werden muss. Dass, was die Schweiz als neutrales Verhalten darstellen möchte, wird vielerorts nicht als neutral sondern als purer Opportunismus wahrgenommen. Bei einem parteiischen Vermittler weiss man wenigstens, mit wem man es zu tun hat. Bei einem opportunistischen Vermittler muss man jederzeit damit rechnen, dass er einem ans Messer liefert, weil der insgeheim die Position der Gegenseite vertritt. Wenn die Schweiz in den verbleibenden vierzehn Monaten, welche ihr im UN-Sicherheitsrat verbleiben, irgendetwas erreichen will, müssen der Bundesrat und das neu zu wählende Parlament schleunigst über die Bücher, bevor der Rest der Glaubwürdigkeit der Schweiz noch endgültig verspielt wird.