Präsidentschaftswahlen in Taiwan: Die Kandidaten

Am 13. Januar 2024 wird die Bevölkerung Taiwans zum 8. Mal seit 1996 an die Urnen gerufen, um den 8. Präsidenten seit dem Inkrafttreten der aktuell gültigen Verfassung der Republik China, welche vor 75 Jahren in Kraft getreten ist, zu wählen. Zur Wahl stehen drei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten.

von Maja Blumer, 1. Januar 2024

Zur Auswahl stehen drei Präsidentschaftskandidaten mit je einem «Running Mate» für das Amt des Vizepräsidenten: William Lai zusammen mit Hsiao Bi-khim (Demokratic Progressive Party DPP), «Sheriff» Hou Yu-ih mit Shaw Jaw-kong (Kuomintang, KPT) und Koh Wen-jie mit Cynthia Wu (Taiwan People’s Party, TPP). Seit 1996 lagen die KMT und die DPP ziemlich genau gleich auf. Die KMT stellte den Präsidenten von 1996 bis 2000 und von 2008 bis 2016, die DPP von 2000 bis 2008 und seit 2016. Gemäss letzten Meinungsumfragen liefern sich die drei Kandidaten für das Präsidentenamt ein Kopf- an Kopfrennen.

Lai Ching-te (William Lai)

Am meisten Aussichten auf eine Wahl wird derzeit dem aktuellen Vizepräsidenten William Lai (Lai Ching-te) zugeschrieben. Er wurde am 29. Oktober 1959 in Wanli im Norden Taiwans geboren. Im Alter von zwei Jahren verlor er seinen Vater bei einem Minenunglück und wurde zusammen mit seinen fünf Geschwistern von seiner Mutter alleine aufgezogen.

Im Rahmen des Wahlkampfs wurden Vorwürfe laut, er habe aus der Behausung seiner Eltern in Wanli illegalerweise ausgebaut. Hier klafft in Taiwan eine Gesetzeslücke, weil die Hütten der Arbeiter bei den inzwischen stillgelegten Kohleminen in der taiwanesischen Überbauungsordnung nicht vorgesehen sind. Ob die Vorwürfe William Lai, der an seinem Heimatort ein Museum einrichten will, geschadet haben, ist ungewiss. Viele pilgerten nach Wanli, um sich selbst ein Bild zu machen. Wenn sie hofften, eine mondäne Villa vorzufinden, wurden sie enttäuscht. Der kleine aber gepflegte Garten ist dagegen ein Besuch wert.

William Lai studierte in Taiwan Medizin und erwarb an der Harvard University in den USA einen Abschluss in Public Health. Er spezialisierte sich in seiner Tätigkeit als Arzt auf die Rehabilitation von Wirbelsäulenverletzten. Daneben war er politisch für die Democratic Progressive Party tätig. Von 1999 bis 2010 bis war er Mitglied der taiwanesischen Legislative (Legislative Yuan), von 2010 bis 2017 Bürgermeister von Tainan, von 2017 bis 2019 Premierminister und seit 2020 Vizepräsident der Republik China.

Von offizieller chinesischer Seite wird William Lai als «Separatist» gebrandmarkt, was die Zusammenarbeit zwischen der Volksrepublik China und der Republik China erschweren dürfte, sollte William Lai (oder ein anderer «Separatist») gewählt werden. Hingegen ist bekannt, dass William Lai gute Beziehungen zu Japan pflegt, namentlich ist er mit der Familie des ermordeten japanischen Premiers Shinzo Abe eng befreundet.

William Lai anlässlich der privaten Abdankungsfeier des ermordeten Shinzo Abe.

Hsiao Bi-Khim (Louise Hsiao)

An der Seite von William Lai kandidiert Hsiao Bi-khim. Sie wurde am 7. August 1971 als Tochter eines taiwanesischen Vaters und einer amerikanischen Mutter in Japan geboren und wuchs in Taiwan und den USA auf. Sie verfügt über einen Masterabschluss in Politologie von der Columbia University. Im Hinblick auf ihre politische Tätigkeit in Taiwan gab sie 2002 ihre amerikanische Staatsbürgerschaft auf (Taiwan lässt Doppelbürgerschaft nur in ganz wenigen Fällen zu).

Hsiao Bi-khim ist Berufspolitikerin. Unter anderem war sie von 2000 bis 2002 als Übersetzerin und Beraterin des taiwanesischen Präsidenten Chen Shui-bian tätig, von 2002 bis 2008 sowie von 2012 bis 2020 gehörte sie der taiwanesischen Legislative an. Von 2020 bis 2023 hatte sie das Amt einer quasi-Botschafterin in den USA inne.

Hsiao Bi-khim ist eine der bekanntesten und erfolgreichsten «Cat Warriors» Taiwans. Sie dürfte insbesondere einen Anteil an der erfolgreichen Aushandlung des ersten Handelsabkommens im Rahmen der U.S.-Taiwan Initiative on 21st Century Trade gehabt haben, welches am 1. Juni 2023 unterzeichnet wurde. Selbstverständlich wird Hsiao Bi-Khim in der Volksrepublik China ebenfalls als unverbesserliche Separatistin gebrandmarkt.

Hou Yu-ih («Sheriff Hou»)

Verglichen mit dem Duo von der DPP ist der Kandidat der Kuomintang, Hou Yu-ih, in Bezug auf nationale und internationale Politik ein relativ unbeschriebenes Blatt. Geboren am 7. Juni 1957, soll er der Kuomintang (KMT) 1975 beigetreten sein, diese aber später im Hinblick auf seine Karriere als Polizeibeamter verlassen haben. Seine langjährige Polizeikarriere hat ihm den Übernahmen «Sheriff» eingetragen.

Ab 2010 wirkte «Sheriff» Hou als Vizebürgermeister bzw. ab 2018 als Bürgermeister von Neu-Taipei, erst 2013 soll er der KMT erneut beigetreten sein.

Hou gilt generell als Saubermann. Allerdings wurde ihm vorgeworfen, ein offiziell seiner Frau gehörendes Haus sei illegal in «Studentenwohnungen» umgewandelt werden, wobei exorbitante Preise verlangt würden.

Jaw Shaw-Kong

Der «Running Mate» Jaw Shaw-Kong wurde am 6. Mai 1950 in Keelung geboren. Sein Vater stammte aus der Provinz Hebei in Festlandchina und hatte in der Armee der Republik China gegen die Maoisten und die Japaner gekämpft.

Jaw Shaw-Kong in der war in den Achtziger- und Neunzigerjahren für die KMT politisch tätig, namentlich war er von 1987 bis 1991 und 1993 bis 1994 Mitglied der taiwanesischen Legislative. 1993 wurde er einer der Mitgründer der New Party, einer welche sich von der Kuomintang abspaltete. Die New Party ist heute in der vielfältigen Parteienlandschaft Taiwans relativ unbedeutend (sie soll um die 500 Mitglieder haben). Die New Party sticht dadurch hervor, dass sie eine Vereinigung mit Festlandchina unter dem Motto «ein Land, zwei Systeme» anstrebt.

Nach seinem Rückzug aus der Politik schuf sich Jaw mit dem Fernsehsender Broadcasting Corp of China (BCC) eine eigene Plattform, dessen Vorsitzender und General Manager er war oder ist. Er will zwar in den Ausstand getreten sein bzw. gab am 1. Januar 2024 in der Debatte der Kandidaten für das Vizepräsidentenamt seinen Rücktritt bekannt. Angesichts der Rolle, welche die Medien in einer Demokratie im Wahlkampf einnehmen, stellt sich allerdings die Frage, ob das genügt.

Ko Wen-jie («Ko P»)

Ko Wen-jie, geb. 6. August 1959, machte eine Karriere als Arzt und Medizinprofessor, was ihm den Übernahmen Ko P oder KP eintrug, der für «Professor Ko» steht.

Politisch war er bereits in den Neunziger Jahren aktiv, indem er den späteren taiwanesischen Präsidenten Chen Shui-bian von der DPP im Wahlkampf für das Bürgermeisteramt in Taipei (1994) und dann im Präsidentenwahlkampf (2000) unterstützte. 2014 gewann Ko als unabhängiger Kandidat die Bürgermeisterwahlen in Taipei.

Als Bürgermeister von Taipei pflegte er auch internationale Beziehungen. 2015 machte er etwa Schlagzeilen, als er bei einem Besuch der britischen Verkehrsministerin Baroness Kramer über die geschenkte Uhr witzelte, worauf die britische Presse meinte, Baroness Kramer habe eine «Gaffe» begangen und sich die Ministerin entschuldigte.Was eindeutig nicht nötig war, weil es sich bei der Uhr um eine Taschenuhr (懷錶, huáibiǎo) und nicht um eine Stand- oder Wanduhr bzw. Glocke (鐘, zhōng) handelte, was tatsächlich ein Fauxpas gewesen wäre, weil «einem Toten die letzte Ehre erweisen» (送終, sòngzhōng) auf Chinesisch gleich klingt wie «jemandem eine Glocke schenken» (送鐘, sòngzhōng). Ko entschuldigte sich seinerseits für seine unpassende Bemerkung. Die britisch-taiwanesischen Beziehungen dürften unter dem Vorfall kaum gelitten haben.

Eine «Gaffe» die keine war: Die britische Transportministerin Baroness Kramer zu Besuch beim damaligen Bürgermeister Taipeis und jetzigen Präsidentschaftskandidaten «Ko P» (Bild: AFP/Getty Images/BBC, https://www.bbc.com/news/world-asia-30994307)

Auch Ko P hat ein Problem mit seinen Immobilien: Er soll Agrarland illegalerweise als Parkplatz umgenutzt haben.

Cynthia Wu (Wu Hsin-ying)

Cynthia Wu (Wu Hsin-ying), welche an der Seite von «Ko P» in den Wahlkampf gestiegen ist, wurde am 18. Mai 1978 geboren. Sie gehört einer einflussreichen Politiker- und Unternehmerfamilie in Taiwan an, die ursprünglich aus der Provinz Fujian stammt. Ihre familiäre Herkunft hat ihr den Übernamen «Shin Kong Princess» (新光公主) eingetragen.

Auch Cynthia Wu hat zugunsten von Taiwan auf ihren amerikanischen Pass verzichtet. Sie musste sich allerdings, wie Hsiao Bi-khim, die Frage gefallen lassen, wem ihre Loyalität gilt, wenn die Interessen der USA und Taiwans divergieren.

Ihren Bachelor of Arts hat Cynthia Wu vom Wellesley College erworben, welches die US State Secretaries Hillary Clinton und Madeleine Albright zu ihren Alumni zählt – und auch Madame Chiang Kai-shek, Soong Mei-lin, welche als First Lady in der Geschichte der Republik China eine bedeutende Rolle spielte. Ihren Masterabschluss erwarb Cynthia Wu am The Cortauld Institute of Art in London. Zudem soll sie laut Angaben des WEF ein MBA von der London Business School erlangt haben.

Nach einer Tätigkeit als Finanzanalystin für Merill Lynch in London arbeitet sie seit ihrer Rückkehr nach Taiwan für das Familienunternehmen Shin Kong Group, ein 1945 gegründetes Konglomerat in den Bereichen Finanzen, Immobilien, Energie, Detailhandel, Gesundheit und Sicherheit.

Cynthia Wu ist in zweiter Ehe mit dem Belgier Baron Renaud van der Elst verheiratet. Damit hat sie indirekt auch Verbindungen zur Schweiz: Baron van der Elst ist seit langem als «Director of European Regulatory Affairs» der ALPIQ AG tätig, welche ihren Hauptsitz in der Schweiz. Mit ihrem Mann zusammen hat Cynthia Wu einen am 9. Februar 2023 geborenen Sohn. Angesichts der verschiedenen Arbeitsorte pendelt das Paar eigenen Angaben gemäss bis auf weiteres zwischen Europa und Taiwan.

Glamour und internationale Vernetzung: Die Kandidation der TPP für das Amt der Vizepräsidentin, Cynthia Wu, und ihr belgischer Ehemann Baron Renaud van der Elst beim Hochzeitsfest im Stammsitz des Barons, Schloss Oosterkerke in Flandern (Bild: CNA/https://www.taiwannews.com.tw/en/news/5053826).

Die Heirat mit dem Baron brachte einige Probleme mit sich: es wurde Cynthia Wu vorgeworfen, sie habe die Vermögenswerte ihres Ehemanns bei der Registrierung als Kandidatin nicht korrekt offengelegt. Für sich selbst deklarierte sie Grundstücke in Neu-Taipei sowie in Grossbritannien, ein Auto (Mini Cooper), Sparguthaben bei der Bank von US$79,000, Wertschriften im Wert von ca. 1,2 Mio., Schmuck im Wert von USD 260’000, zwei Versicherungspolicen und Schulden von Total ca. U$D 320’000. Ihrem Ruf als Expertin in Wirtschaftsfragen und demjenigen ihres Mannes als Jurist dürften diese möglichen Unterlassungen bei der Offenlegung der Vermögensverhältnisse nicht unbedingt zuträglich sein.

Die politische Karriere von Cynthia Wu ist noch sehr jung. Im November 2022 konnte sie einen freiwerdenden Sitz im Legislative Yuan übernehmen. Der Einstand verlief etwas holprig, aber vielleicht erfreute sich Cynthia Wu gerade deshalb eines grossen Medieninteresses.

Auch wenn sie die Jüngste im Kandidatenkarrussel ist und am wenigsten politische Erfahrung aufweist, ist Cynthia Wu aufgrund ihrer internationalen Vernetzung wohl nicht zu unterschätzen.