Die Cat Warrior Diplomatie in Taiwan und Südkorea (Teil 2/2)

Koreanische Diplomaten werden gerne als Papiertiger abgetan, weil es den Eindruck macht, Südkorea schaffe es nicht, Nordkorea oder China die Stirn zu bieten. Ein Grund dafür sehen einige Koreaner darin, dass Korea über Jahrhunderte in das Tributsystem der chinesischen Kaiserreichs eingebunden war. Dennoch feiert die koreanische Diplomatie auf dem internationalen Parkett erstaunliche Erfolge und greift dabei wie die taiwanesischen Cat Warriors zu ungewöhnlichen Mitteln, wie das Remake von «Naatu Naatu» der koreanischen Botschaft in Indien zeigt.

von Maja Blumer, 2. März 2023

Südkorea hat den Ruf, in diplomatischer Hinsicht ein Papiertiger zu sein. Einerseits steht das Land in einer engen Beziehung zu den USA, gleichzeitig aber hat es sich in immer grössere Abhängigkeit zur Volksrepublik China gebracht – ausgerechnet dem Land, das mit hunderttausenden von Soldaten überhaupt erst den Koreakrieg ermöglicht hat, der bis heute nicht beendet ist (es besteht seit 1953 lediglich ein Waffenstillstand).

Ähnlich wie in Taiwan könnte aber der Eindruck der diplomatischen Schwäche täuschen und es könnte sein, dass die koreanischen Diplomaten subtile Cat-Warrior-Strategien an den Tag legen, die längerfristig vielleicht mehr Erfolg verspricht als das Gebrüll der Wolf-Warriors.

Ein Beispiel bot kürzlich die koreanische Botschaft in Indien, wo die Belegschaft mitsamt dem Botschafter Chang Jae-bok ein Remake des Dance-Covers Naatu Naatu aus dem für die Oscars im März nominierten indischen Film «RRR» veröffentlichte.

Das Filmchen verbreitete sich innert wenigen Tagen in den sozialen Medien, der indische Premierminister Modi kommentierte das Video als «lively and adorable team effort». Auch die indischen Medien nahmen den PR-Stunt scheinbar positiv auf.

Dass eine Botschaft derart scheinbar spielend leichten Erfolg auf der Tanzbühne erlangt und von sich nicht nur in der Politik zu reden macht, sondern auch ein Millionenpublikum begeistert (aktuell kratzt das Video allein auf Twitter an der 6-Millionen-Grenze), ist keineswegs selbstverständlich. Und nicht nur wegen der Choreographie, bei der selbst der Schauspieler Ram Charan sagt, dass ihm immer noch die Knie wackeln, wenn er an die Filmaufnahmen in der Ukraine denkt, wo der Film «RRR» kurz vor dem Ausbruch des Ukrainekriegs gedreht wurde:

Talking about it, my knees still wobble. – Ram Charan

Ein PR-Stunt, wie es die südkoreanische Botschaft in Delhi geboten hat, könnte bös’ in die Hosen gehen und als Anbiederung verstanden werden, als Nachäffen oder gar als ein Versuch, der indischen Filmindustrie, welche mit der Oscar-Nomination für den Film «RRR» einen Erfolg gelandet hat, die Show zu stehlen. Letzteres gilt ganz im besonderen Masse für Südkorea, das mit dem Oscargewinner «Parasite» einen Schritt voraus ist. (Nachtrag vom 13. März 2023: «Naatu Naatu» hat den Oscar für den «Best Original Song» geholt).

Der koreanische PR-Stunt ist somit nicht leicht zu kopieren. Aber man kann daraus lernen. So wie hinter den Erfolgen der taiwanesischen Cat-Warrior-Diplomatie talentierte (quasi-)Diplomaten stehen, gilt dies auch für die koreanischen Botschaftsangehörigen. Das beginnt damit, dass Südkorea 2021 mit Chang Jae-bok einer seiner erfahrensten Botschafter nach Delhi entsandt hat.

Vor seiner Ernennung in Indien war Chang Jae-bok mit seinen inzwischen rund 35 Dienstjahren unter anderem als Botschafter bei der UNO, bei der Organization Internationale de la Francophonie sowie in Frankreich, Ghana, der Schweiz tätig.

Notabene: ist es ein Zufall, dass alle drei Länder derzeit im Sicherheitsrat Einsitz nehmen? Ghana für die Jahre 2022 und 2023, die Schweiz von 2023 bis 2024 und Frankreich als permanentes Mitglied? Und ist es ein Zufall, dass der Song veröffentlicht wurde, kurz bevor sich heute in Indien anlässlich des G20-Treffens die Aussenminister der USA, Chinas und Russlands treffen sollen?

Dass Südkorea einen altgedienten Diplomaten nach Indien geschickt hat, dürfte allerdings nicht nur an der (oftmals unterschätzten) geopolitischen Rolle Indiens liegen, sondern auch an wirtschaftlichen Interessen. Die koreanische High-tech-Unternehmen, die bislang sehr stark von der Volksrepublik China abhängig waren, suchen nicht gerade seit gestern dringend nach Alternativen.

Das gilt insbesondere für die Chip- und Elektronikindustrie. Am Dienstag, 28. Februar 2023 wurde dazu in Hawaii der «Economic Security Dialogue» zwischen den USA, Japan und Südkorea initiiert, der im Kontext des «Chip-War» zu sehen ist. Gleichentags traf der CEO von Foxconn, Young Liu (劉揚偉), bereits zum zweiten Mal den indischen Premierminister Modi (ein weiteres Exploit der taiwanesischen quasi-Diplomatie), um eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen dem taiwanesischen Tech-Giganten und dem bevölkerungsreichsten Land der Erde zu diskutieren. Das taiwanesische Unternehmen Foxconn, genauer Hon Hai Technology Group, ist mit über einer Million Beschäftigten in 24 Ländern alles andere als ein Leichtgewicht.

Selbstredend wird die Entwicklung zwischen Südkorea und Indien bzw. Taiwan und Indien von der Volksrepublik China argwönisch beobachtet. Zudem hatte Indien seit jeher bezüglich China, Russland und insbesondere Südkorea eine etwas zwiespältige Haltung. Einerseits war Indien eines der ersten Länder, die 1950 die Volksrepublik China anerkannten. Gleichzeitig leistete Indien im Koreakrieg den Alliierten Unterstützung, indem es vom November 1950 bis im Mai 1954 Sanitätstruppen nach Südkorea entsandte. In den letzten Jahren wurden die indisch-südkoreanischen Beziehungen merklich vertieft. Die diplomatische Mission von Chang Jae-bok ist angesichts der aktuellen geopolitischen Spannungen aber alles andere als ein Spaziergang. Insbesondere muss Südkorea bezüglich eines allfälligen Angriffs Nordkoreas gewappnet bleiben und muss sicherstellen, dass die Allianzen auch dann halten, wenn es hart auf hart geht.

Mit der Anerkennung, welche die südkoreanische Botschaft mit ihrem Remake von Naatu Naatu gegenüber dem indischen Gastland zeigt, ist ein kleiner Beitrag bezüglich der Erhaltung von guten Beziehungen geleistet.

Auf der persönlichen Ebene hat scheinbar auch Chang Jae-bok das Seinige getan. Er soll bereits in Seoul freundschaftliche Beziehungen zu indischen Expats gepflegt haben und vor seinem Amtsantritt noch einmal für anderthalb Monate die Schulbank gedrückt zu haben um etwas Hindi zu büffeln und sich mit der indischen Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur auseinanderzusetzen. Es macht den Eindruck, als seien es etwas mehr als die obligatorischen 12 Lektionen à anderthalb Stunden gewesen.

Vielleicht ein Fingerzeig für Aussenminister Cassis? Letzterer liess an einem hochkarätig besetzten Treffen des UN-Sicherheitsrats seine Rede von einer Dolmetscherin übersetzen, während es seine Amtskollegen wie beispielsweise die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock bemühten, sich auf Englisch auszudrücken. Er hält sich wohl an den Spruch von Amtskollegen Wirtschaftsminister Parmelin: «I can English understand … but je préfère repondre en français».

Vielleicht wäre es nach dem Debakel der Schweizer Diplomatie im Iran eine Idee, diese Haltung zu überdenken und sich vielleicht minimale Sprachkenntnisse anzueignen, um sicherzustellen, dass die Botschaft beim Empfänger auch ankommt. Für Fortgeschrittene kommt auch Bollywood-Dance in Frage. Oder K-Pop.


Dr. iur. Maja Blumer, LL.M. (Tsinghua) hat in der Schweiz, in der Volksrepublik China und in Taiwan studiert. Sie ist als Rechtsanwältin tätig.

Koreanische Popgrössen wie Choi Siwon oder Shim Changmin treten im Juni 2016 während ihrem Militärdienst an einem Gratiskonzert anlässlich einer Messe der koreanischen Verteidigungsindustrie auf. Verfolgt von hunderten Fans, die zum Teil extra aus dem Ausland angereist sind. Auch das eine subtile Form der Diplomatie. (Bild: privat).