Messi’s Rebellion: Wer hat genügend Zivilcourage, um sich gegen Propaganda und Aufruf zum Hass zu widersetzen?

Der argentinische Fussballer Lionel Messi wurde an der Achillessehne getroffen. Er wurde in der Volksrepublik China und in Hong Kong zum Volksfeind erklärt. «Hong Kong hates Messi» verkündete der Editor der einflussreichen South China Morning Post, Yonden Lhatoo, und das Propagandaorgan der Volksrepublik China, die Global Times geht noch einen Schritt weiter und sieht eine amerikanische Verschwörung: «external forces deliberately wanted to embarrass Hong Kong».

von Maja Blumer, 9. Februar 2024

Hintergrund des Debakels ist, dass der berühmte Fussballer Lionel Messi zusammen mit seinem Klub Inter Miami am 4. Februar 2024 in Hong Kong ein Freundschaftsspiel gegen die Hong Kong League XI austragen wollte. Mit der Begründung, er habe eine Verletzung an der Achillessehne erlitten, blieb er das ganze Spiel über auf der Ersatzbank sitzen. Er kam auch Aufforderungen nicht nach, als «Wiedergutmachung» am Ende des Spiels für die Mannschaft den Pokal entgegenzunehmen oder eine Rede zu halten. Dass er sich im Nachhinein nicht entschuldigte (für was?) und erklärte, er würde gerne wieder nach Hong Kong kommen, wurde als Beleidigung aufgefasst. Dass Messi sich erfrechte, drei Tage später in Japan zu spielen und dort ein Interview zu geben, als rassistischer Affront. Der Presse und Fussballverband der Volksrepublik China hat Messi inzwischen zur Persona non grata erklärt und die Zusammenarbeit mit dem argentinischen Fussballverband aufgekündigt.

Der «Managing Editor» der South China Morning Post begründet den seiner Meinung nach begründeten Hass auf den Fussballstar wie folgt:

He sat it out on the bench the entire time all petulent in pink like some thuggish Flamingo. Everyone looking at him might as well have been staring at a pouty Little Ballerina in a tutu sulking about something.

Die gereizten, schlampigen Flamingo bzw. die schmollende kleine Ballerina, die Yonden Lhatoo hier schildert, erinnert eigentlich das typische Verhalten eines fragilen Vertreters der Little Pinks und weniger an einen der berühmtesten Fussballer der Welt, den die South China Morning Post noch einige Monate davor auf den Schild hob, als Messi nicht der Leage XI, sondern XI Jinping persönlich anlässlich von dessen Geburtstag Tribut leistete.

Die Aufregung in Hong Kong und der Volksrepublik China ist derart lachhaft, dass man tatsächlich dazu geneigt ist, Messi zu raten, sich in aller Form zu entschuldigen. Vielleicht mit den Worten aus dem Song «Fragile», der auch farblich zum Trikot von Messi passt: «Es ist mir nicht klar, wieso ich dich verletzt habe, Du denkst, die Welt sei Dein Feind, Dein fragiles Selbstbewusstsein ist zerbrochen wie Glas…ich entschuldige mich, Dich verletzt zu haben…»

Das Debakel hat aber einen ernsten Hintergrund. Der Match zwischen Inter Miami und League XI ist eine Propagandaaktion der Regierung Hong Kongs, welche den Event mit HK$ 16 Millionen (CHF 1,8 Millionen) subventionierte, um den Ruf der Stadt aufzubessern und insbesondere internationale Besucher aus ASEAN-Ländern und dem nahen Osten anzuziehen, deren Zahl gegenüber 2018 drastisch zurückgegangen ist, während die Zunahme von «Billigtouristen» aus der Volksrepublik China gemischte Gefühle weckt. Und das schwerste Verbrechen Messis dürfte gewesen sein, dass er es vermieden hat, mit dem «Führer» John Lee und anderen Regierungsvertretern am Ende des Spiels die Hand zu schütteln. Noch einmal O-Ton der South China Morning Post:

[Messi] was skulking at the back to avoid shaking hands with Hong Kong’s leader [John Lee] and his top officials who were left red-faced at the scene.

Messi and his Sunshine Band received a right Royal booing from the near capacity crowd in the end when the clueless Beckham [David Beckham ist einer der Besitzer des Fussballklubs Inter Miami] tried to thank them for their incredible support.

Haben die Buhrufe vielleicht gar nicht (nur) dem «herumschleichenden» Messi, dem «ahnungslosen» Beckham und ihrer «Sunshine Band» gegolten, sondern (auch) der Regierung Hong Kongs, die eine Propagandaaktion auf Kosten der Steuerzahler und der Fans (die exorbitante Preise für die Tickets bezahlten) veranstalteten? Und hat Messi ein bewusstes Zeichen gegen die Vereinnahmung durch die Propaganda setzen wollen?

Es war nicht das erste Mal, dass Messi in eine Propagandaaktion der Volksrepublik China einbezogen wurde. Kurz nach der Bekanntgabe seines Wechsels zu Inter Miami im vergangenen Sommer trat Messi mehrmals in der Volksrepublik China auf. Insbesondere an einem Match im Juni in Beijing, der angeblich zu Ehren des Geburtstags von Xi Jinping ausgerichtet worden ist. Wurde die Propaganda für «League XI» zu dick aufgetragen?

Schon im Juni 2023 gab es einige Misstöne. So hatte Messi, der mit seinem spanischen Pass anreiste, «vergessen», dass er anders als in der Republik China in der Volksrepublik China ein Visum brauchte. Irgendwie wurde die Einreise arrangiert. Doch beim anschliessenden Spiel im schwül-heissen Beijing (das Thermometer stand bei 34 °C), stürmte ein begeisterter jugendlicher Fan das Spielfeld, um Messi zu umarmen (der die Sache gelassen nahm) und anschliessend eine Ehrenrunde über das Spielfeld zu drehen, bis er von den Häschern ergriffen wurde. Damals klang die South China Morning Post noch ganz anders:

Nicht klar ist, welches Nachspiel der Vorfall hatte und ob Messi etwas dazu erfahren hat. Bekannt ist nur, dass der junge Fan unter Arrest gesetzt wurde. Ob und wie er bestraft wurde, ist hingegen nicht bekannt. Die Pekinger Polizei sagte dazu nur «Games have rules. … Soccer fans watching games also have rules to follow. Acts that cross the line will also be punished in accordance with the law.»

Das kann viel heissen. Der Vorfall rief den Reisebericht einer Bekannten in Erinnerung, die Ende der Neunzigerjahre mit einer Schweizer Reisegruppe Xinjiang bereist hatte. Die Reisegruppe besichtigte eine Schule, und die Kinder wurden in einer Reihe aufgestellt, um ein Lied zu singen. Am Ende des Liedes tanzte ein Kind aus der Reihe, um die Knie der Reiseleiterin zu umarmen. Die Reisegruppe empfand dies als rührend, bis sie von der Reiseleiterin erfuhren, dass das Kind im Nachhinein mit einem Dutzend Hieben auf die Fussohlen bestraft worden ist. Das Kind hat offenbar auch eine rote Linie überschritten und musste bestraft werden.

Fussball als Mittel der Propaganda ist nichts neues. Dass es Regeln für Fussballer wie auch ihre Fans gibt, ist auch nichts neues. Aber gibt es eine Regel, dass ein Fussballer sich in die staatliche Propaganda eines Landes einbeziehen lassen muss und dabei die Regeln des Fussballs negiert, zu denen nun einmal gehört, dass man im eigenen Interesse wie auch demjenigen seiner Mannschaft nicht spielt, wenn man verletzt ist? Und ist es ratsam, bei dieser Propaganda mitzuspielen und alles zu machen, was von einem verlangt wird?

Wie gefährlich Fussball-Propaganda sein kann, zeigt ein Beispiel aus der Nazizeit. Ca. 1944 filmten die Nazis im Ghetto Theresienstadt einen Propagandafilm mit dem Titel «Der Führer schenkt den Juden eine Stadt». In sorgfältig orchestrierten Szenen wurden die Insassen bei der Arbeit in der Manufaktur und im Gemüsegarten, beim Orchesterkonzert im Kaffeehaus, bei Vorträgen und eben auch bei einem Fussballmatch vor vollbesetzten Rängen. Maurice Rossel, der Schweizer Vertreter des IKRK, der das Ghetto Theresienstadt während 8 Stunden besichtigte, bestätigte in einem Bericht, dass das, was er bei seinem Besuch gesehen hatte, dem im Film gezeichneten Bild entsprach. Die Häftlinge, die im Propagandafilm und beim Besuch Rossels als Staffage dienten, berichteten später, mit welcher Verzweiflung sie versucht hätten, Rossel und die IKRK-Inspektoren vom von den SS Offizieren vorgegebenen Pfad abzubringen und ihm die tatsächlichen Verhältnisse aufzuzeigen. Rossel will davon nichts gemerkt haben. Die meisten Juden, die bei der Propagandaktion mitgewirkt hatten, bezahlten es mit dem Leben, dass es ihnen nicht gelungen ist, klare Signale auszusenden.

Möglicherweise ist es Messi gelungen, ein Zeichen gegen die von der Regierung Hong Kongs verbreitete Propaganda zu setzen. Genügt das? Wer setzt ein Zeichen gegen die South China Morning Post, die den angeblichen Hass Hong Kongs für berechtigt erklärt? Wer setzt ein Zeichen gegen den nordkoreanische Führer Kim Jong-un, der sich laut South China Morning Post für berechtigt erklärt Südkorea «auszulöschen»?

Jeder kann zum Objekt des Hasses erklärt werden, der aus der Sicht des Täters immer «berechtigt» ist. Mal waren Ziel des Hasses die Juden, dann die Katholiken oder die Protestanten, mal die Amerikaner, mal die Japaner, mal sind es Prominente, mal sind es Leute wie Du und ich. Wer bei diesem Spiel mitspielt, hat schon verloren.