Was der Kollaps der Silicon Valley Bank mit China und der Credit Suisse zu tun hat

Wird diese Woche in die Weltgeschichte eingehen, weil das gesamte Bankensystem auf den Kopf gestellt wurde? Unsere Nachfahren werden diese Frage wohl eines Tages beantworten müssen. Jedenfalls ereigneten sich diese Woche drei Dinge, die scheinbar nicht im Zusammenhang stehen, vielleicht aber doch: Im sonnigen Kalifornien kollabierte am Freitag die Silicon Valley Bank. Am Zürcher Paradeplatz wurde am Donnerstagmorgen dem Geschäftsbericht der Credit Suisse von der amerikanischen Börsenaufsicht der Stecker gezogen und gleichentags vermeldet, die Credit Suisse habe in China die langersehnte Vermögensverwaltungslizenz erhalten. Und in China selbst wurden am Freitag «weitreichende» und «intensive» Reformen des Staatsapparates verabschiedet, die direkt auch die Finanzinfrastruktur betreffend.

von Maja Blumer, 11. März 2023

Beginnen wir beim Einfachsten, dem Bankrun auf die Silicon Valley Bank (SVB), dem zweitgrössten Bankenkollaps in der amerikanischen Geschichte. Nun ist die Geschichte von Bankenkollapsen ungefähr so alt wie die Geschichte der Banken an sich, und die Welt ist darob nicht untergegangen. Wer erinnert sich noch an den Kollaps einer Burgdorfer Ersparniskasse in den Sechzigerjahren, bei dem meine Mutter als Kind ihre ganzen Ersparnisse verlor? Oder der Bank Run 1991 auf die Spar- und Leihkasse Thun? Oder die Rettung der Glarner Kantonalbank 2008 durch den Steuerzahler?

Nun ist also die Silicon Valley Bank dran, und es stellt sich die Frage, ob man diese «hopps» gehen lässt. Dass man diese Frage nach 15 Jahren Regulierungswut um Bail-ins, Bail-outs, Too-big-to-fail etc. überhaupt noch stellen muss, ist bemerkenswert. Auf den ersten Blick ist die Silicon Valley Bank mit «Assets» von gerade einmal USD 209 Milliarden und lediglich 17 Filialen in zwei Bundesstaaten (California und Massachusetts) ein No-name.

Oder vielleicht doch nicht? Die SVB gilt als bedeutende Kreditgeberin für Start-up Unternehmen. Was, wenn sich zeigt, dass diese Assets von USD 209 Milliarden als nichts als heisser Luft bestehen? Fugazzi sind, wie es die Figur von Mark Hanna im Film «Wolf of Wall Street» (2013) ausdrückt:

«Fugayzi, fugazi. It’s a whazy. It’s a woozie. It’s fairy dust. It doesn’t exist. It’s never landed. It is no matter. It’s not on the elemental chart. It’s not fucking real.» (Matthew MacConaughey in der Rolle von Mark Hanna in «Wolf of Wall Street», 2013)

Ein gewichtiger Aspekt könnte sein, dass die globale Rolle der SVB grösser ist, als vielleicht auf den ersten Blick anzunehmen wäre. Gemäss eigenen Angaben soll die SVB schon seit 1999 in China tätig sein. 2012 ging sie ein Joint Venture mit der Shanghai Pudong Development Bank ein. Es war die erste sino-amerikanische Joint-Venture Bank, die seit 1997 eine Lizenz erhielt und soll eine Reihe von Dienstleistungen erbringen, inklusive chinesisches Onshore-Banking, «Liquiditätslösungen», Handelsfinanzierungen, Depositen in Lokal- und Fremdwährungen, Wealth Management, Forex-Settlements und Verkaufsdienstleistungen.

Ist es ein Zufall, dass am 9. März, als sich der Kollaps der SVB abzuzeichnen begann – frei nach Hemingway: allmählich und dann ganz plötzlich – die frohe Botschaft verkündet wurde, die Credit Suisse habe (laut einem internen Memo!) die langersehnten Lizenzen erhalten, um landesweit Anlageberatung, Eigenhandel und Brokerage zu betreiben; schon im ersten Halbjahr 2023 sollen die entsprechenden Dienstleistungen aufgebaut und die Mitarbeiterzahl in China verdoppelt werden.

Wie der Aktienmarkt auf diese in den Medien gestreute Nachricht reagiert hätte, wenn nicht gleichentags im Rahmen einer Ad-hoc-Mitteilung bekanntgegeben worden wäre, die Veröffentlichung des Geschäftsberichts verschiebe sich auf unbestimmte Zeit, wird man wohl nie wissen. Angeblich zog die amerikanische Börsenaufsicht SEC der Credit Suisse mit einem Telefonanruf vom Mittwochabend, 8. März, den Stecker, weil irgendwelche «technischen» Probleme hinsichtlich der Cash-Flow-Rechnungen per Ende 2019 und 2020 vorlägen. Das klingt zwar zunächst einmal harmlos, nur leider baut nun einmal die ganze Buchführung auf den Vorjahreszahlen aus, und ein kleiner Fehler (oder auch eine kleinere Bilanzfrisur) kann auch nach wie vor Jahre später ein grosses Durcheinander auslösen.

Ach ja, hat sich eigentlich jemals jemand gefragt, wieso die Credit Suisse bzw. die Schweizerische Kreditanstalt 1991 nicht zur heroischen Rettung der Spar- und Leihkasse Thun schritt? Entsprechende Gespräche wurden geführt, nur kamen bei der notwendigen «Due Diligence» (oder wie immer das damals hiess) immer mehr Leichen im Keller zum Vorschein (soweit bekannt nur sprichwörtlich), so dass die Risiken für die Geschäftsführung der SKA, unter der Führung des Präsidenten der Generaldirektion (neudeutsch: CEO) Robert A. Jeker, am Ende schlicht nicht zu überblicken waren. Ob der Verzicht auf ein Bail-out damals richtig war, darüber kann man nachträglich streiten; immerhin kann man der damaligen Geschäftsleitung damals nicht vorwerfen, sie sei kopflos Risiken eingegangen.

Geht die heutige Geschäftsleitung (und der heutige Verwaltungsrat) der Credit Suisse Risiken ein, wenn sie die Bankentätigkeit in China vorantreibt und als Rettungsanker präsentiert, nachdem es der SVB in China in über 20 Jahren nicht gelungen ist, dort ein genügend starkes Standbein aufzubauen, um sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen?

Oder tritt die Credit Suisse mit ihrem China-Geschäft die Flucht nach vorne an, was nach all dem Ärger mit der amerikanischen Börsenaufsicht SEC irgendwie verständlich wäre? Der Telefonanruf in letzter Sekunde, den die SEC am Mittwochabend gemacht haben soll, bevor der Geschäftsbericht am Donnerstagmorgen hätte veröffentlicht werden sollen, könnte hier das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Nun, da könnte die Credit Suisse vom Regen in die Traufe geraten. Am Freitag segnete der chinesische Nationalkongress eine tiefgreifende organisatorische Änderung bezüglich der Finanzaufsicht (z.B. Ant Financial, Immobilienmarkt), Datenverwaltung (z.B. Bewegungsdaten des Ride-sharing-Unternehmens Didi) und der Innovationsförderung (z.B. Chips) auf, bei denen die entsprechenden Bereiche noch stärker zentral kontrolliert werden, als ohnehin schon.

Die Folgen dieser Reorganisation sind momentan noch schwer zu überblicken. Einige befürchten, es entstehe so etwas wie das berüchtigte Volkskommissariat für innere Angelegenheiten (NKVD) der Sowjetunion, ein Superministerium wie dasjenige, welches Lawrenti Beria im Erbfolgekampf nach dem Tod Stalins errichtete (Beria unterlag letztendlich Chruschtschov und das Superministerium wurde wieder aufgeteilt). Sicher ist: Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und dgl. ist in China derzeit nicht so hoch im Kurs. Schlupflöcher, die sich ergaben, weil verschiedene Behörden verschiedene Prioritäten setzten, sollen verschwinden. Und die Macht der hochkarätig besetzten Zentralbank People’s Bank of China (PBOC) dürfte entschieden beschnitten worden sein. Dies ist insbesondere deshalb bedenklich, weil seitens der PBOC erstaunliche Zurückhaltung bezüglich der vor einem Jahr bei den olympischen Spielen grossartig herausposaunten Einführung einer Zentralbank-Digitalwährung (CBDC) zu verspüren war.

Das kann beispielsweise konkret heissen, dass das chinesische State Council direkt eingreift, wenn ein drohender Kollaps einer Bank wie der SVB eine ganze Generation von Start-up-Unternehmen auszulöschen droht, wie derzeit in den USA befürchtet wird (wovon auch nicht wenige chinesische Unternehmen dies- und jenseits des Pazifiks betroffen sein dürften). Wie? Ganz einfach, indem angeordnet wird, dass diese oder jene Bank dem Unternehmen x einen Kredit in der Höhe von y zu gewähren hat, zwecks Innovationsförderung. Oder indem alle Daten (einschliesslich Bankdaten) für die Verwaltung der Zentralbank-Digitalwährung (CBDC) bei der Zentrale im State Council deponiert werden müssen und dort entschieden wird, wem wieviele digitale Währungseinheiten zugeteilt oder entzogen werden. Neu ist dabei nicht die zentrale Kontrolle an sich, sondern deren Breite und Intensität, und vor allem die Bedeutung, die der allmächtige Xi Jinping selbst dieser Reform zuschreibt.

Die Geschäftsführung der Credit Suisse wird damit rechnen müssen, dass nicht nur Telefonanrufe von einem der 4’807 Mitarbeiter des SEC beim Paradeplatz eingehen, sondern auch solche aus einem der etwa hundert Ministerien, die neu Li Qiang, der rechten Hand Xi Jinpings unterstellt ist. Li Qiang wurde ebenfalls am Freitag mit 2’936 Stimmen «gewählt» (bei 3 Gegenstimmen und 8 Enthaltungen); wenn Li Qiang die Finanzmarktaufsicht mit der gleichen Konsequenz angeht wie die Durchsetzung der Zero-Covid-Policy in Shanghai, für die er verantwortlich war, dürften harte Zeiten für die CS-Banker anstehen. Und erst recht für die chinesische Bevölkerung, sollte die totale Kontrolle über den Finanzmarkt, Innovationen und digitale Daten ähnliche Schwierigkeiten bereiten wie die totale Kontrolle über ein Virus.


Dr. iur. Maja Blumer, LL.M. (Tsinghua), hat in der Schweiz, in der Volksrepublik China und in Taiwan studiert. Sie ist als Rechtsanwältin tätig.

Zentrale Kontrolle über die Kohle: Von einem «Mäzen» in der Provinz Shanxi gestifteter Tempel. (Bild: privat)