Fairer Wettbewerb oder «bösartige Konfrontation» – die neue Chinapolitik der USA

Im Anschluss an den Staatsbesuch von Präsident Biden legte der U.S. Secretary of State Antony Blinken unter dem Motto «invest, align, compete» die neue Chinapolitik der USA dar. China reagierte – einmal mehr – ungnädig. Der chinesische Botschafter in den USA, Qin Gang, sprach bezüglich des Plans, von einer «malicious confrontation», einer «bösartigen Konfrontation».

Blinkens Plan für die Chinapolitik

Ohne den Krieg in der Ukraine kleinreden zu wollen, sieht U.S. Secretary of State Antony Blinken Blinken in seiner Rede vom 26. Mai 2022 vor Studenten der George Washington University China als grösste Gefahr für internationalen Ordnung. Als Beispiele sieht er die Massenüberwachung, die Ansprüche in der South China Sea, die Missachtung der Regeln im internationalen Handeln, und Verletzungen von Souveränität und territorialer Integrität. Die deklarierte «Freundschaft ohne Grenzen» zwischen den Präsidenten Xi und Putin, signalisiert dabei aus der Sicht der USA eine «rote Linie», wohl nicht zuletzt nachdem sich diese Freundschaft anlässlich des Besuchs von Präsident Biden in Südkorea und Japan durch gemeinsame Übungen der russischen und chinesischen Luftwaffe in der Nähe manifestiert hat.

Weil Blinken davon ausgeht, dass China seinen gegenwärtigen Pfad kaum verlassen würde, sieht er den Zeitpunkt gekommen, die strategischen Gegebenheiten zu ändern.

“But we cannot rely on Beijing to change its trajectory. So we will shape the strategic environment around Beijing.” – Antony Blinken, U.S. Secretary of State

Die Strategie umfasst drei Eckpfeiler: investieren, Allianzen bilden, im Wettbewerb stehen («invest, align, compete»).

Bezüglich der Strategie des «Investieren» will Blinken auf die Grundlagen zurückgreifen, welchen den Erfolg der USA nach dem zweiten Weltkrieg ausgemacht haben: die industrielle Strategie, Investitionen in die Infrastruktur, Schule und Ausbildung, Forschung, Versorgungsketten und allem voran Stärkung des Humankapitals.

Das klingt zunächst einmal harmlos, ist es aus Sicht Chinas aber nicht:

  • Die Reindustrialisierung der USA oder die Verlagerung in andere Länder würde all das gefährden, was China als Werkbank der Welt als politischer Hebelwirkung in den letzten vierzig Jahren gewonnen hat. In den letzten zehn, fünfzehn Jahren hat hier China infolge eines rasanten Anstiegs der Lohnkosten massiv an Boden verloren. Daran dürfte auch der Masterplan von «Made in China 2025» nichts geändert haben. Insbesondere nach den Lockdowns in Shanghai dürften noch mehr Firmen die Verlagerung in andere Länder, wie z.B. Vietnam, in die Wege leiten.
  • Bezüglich der Infrastruktur liegt China auf den ersten Blick vorne, während Strassen, Brücken, Dämme etc. in den USA bröckeln. Doch da stellt sich die Frage: Was nützen Geisterstädte? Was nützen Hochgeschwindigkeitszüge, die bestenfalls nach vierzig Jahren profitabel sind (statt wie ursprünglich geplant nach zwanzig Jahren)?
  • Bezüglich Ausbildung stimmen die chinesischen Studenten und ihre Eltern mit den Füssen ab: 2021 wurden von den USA 100’000 Studentenvisa ausgestellt – und die Erfahrung zeigt, dass 80% der Doktoranden im Bereich der MINT-Fächer nach dem Abschluss in den USA geblieben sind. Inzwischen zeichnet sich ab, dass China diesen «Brain Drain» durch Ausreisebeschränkungen zu kontern sucht.
  • Der Plan Blinkens, die Investitionen langjährigen Forschung zu verstärken, konterkariert den Plan Chinas, sich durch Innovationen einer Verjüngungskur zu unterziehen. Dieser Plan hing in der Vergangenheit aber weitgehend davon ab, Innovationen aus dem Ausland zu adaptieren. Von chinesischer Seite wurde bisher ausgeschlossen, dass China innert nützlicher Frist sein Entwicklungsmodell ändern würde, indem auf die Verletzung des Rechts auf geistiges Eigentum oder technologischen Zwangstransfers verzichtet würde. Wird der Zugang Chinas zu fremden Innovationen beschränkt, könnte sich das ändern.
  • Bezüglich der Versorgungsketten besteht ebenfalls eine doppelseitige Abhängigkeit: Der Westen ist auf Billigprodukte aus China angewiesen (oder glaubt es jedenfalls). Aber China ist auch auf die Rohstoffe angewiesen, die es zu einem guten Teil importiert, und auf die Verkehrswege durch benachbarte Staaten, nicht zuletzt durch die Wasserstrassen von Indonesien führen.

Bezüglich der Allianzen als zweiter Säule der von Blinken verkündeten Strategie ist die Liste beinahe endlos. Neu sind das anlässlich des Staatsbesuchs von Präsident Biden in Südkorea und Japan lancierte Indo-Pacific Economic Framework und das gleichzeitig vereinbarte Indo-Pacific Partnership for Maritime Domain Awareness. Blinken betonte zwar, keiner der Bündnispartner werde gezwungen, zwischen den USA und China zu wählen, Ziel sei vielmehr, ihnen eine Wahlmöglichkeit zu geben. Ob dies aus Sicht Chinas, welches in vielen der beteiligten Länder im Rahmen der «Belt and Road Initiative» Milliardeninvestitionen getätigt hat, einen grossen Unterschied macht, ist allerdings zu bezweifeln.

Dritter Punkt im von Blinken vorgelegten Plan ist, China im Wettbewerb zu übertreffen, namentlich dadurch, dass die USA sich besser gegenüber Diebstahl geistigen Eigentums und Sicherheitslücken absichert. Blinken nennt namentlich Exportkontrollen, Schutz von Forschungsergebnissen, Schutz des Cyberspace und sensibler Daten, Überprüfung von Investitionen (namentlich bei heiklen Technologien, Daten, zentraler Infrastrutur und Versorgungsketten und strategisch bedeutsamen Sektoren).

Damals war Wettbewerb hart aber fair, noch keine «bösartige Konfrontation»: Rollstuhlrugby an den Paralympics in Bejing 2008. (Bild: Privat)

In dieser Hinsicht sendet Blinken eine Warnung an die Geschäftswelt: Das Interesse am chinesischen Markt dürfe nicht dazu führen, dass Grundwerte oder langfristige Vorteile im Wettbewerb geopfert würden:

“We believe – and we expect the business community to understand – that the price of admission to China’s market must not be to sacrifice of our core values or long term competitive advantages.” – Antony Blinken, U.S. Secretary of State

Blinken nennt hier als Beispiele unfairen Wettbewerbs die Stahlindustrie, die Solarzellen- und Batterieproduktion, pharmazeutische Stoffe oder kritische Mineralien.

Hinsichtlich der Grundwerte weist Blinken insbesondere auf die Verletzung von Menschenrechten, ganz besonders Zwangsarbeit hin. Ob es Zufall ist, dass von einem von den britischen BBC angeführtes Konsortium die Xinjiang Police Files veröffentlichte?

Die Warnung dürfte sich insbesondere auf westliche Firmen beziehen. Wie bei der Geldwäscherei dürfte es für die USA keine grosse Rolle spielen, ob Chinesische Waren aus Internierungslagern direkt auf den amerikanischen Markt geworfen werden, oder ob sie den Umweg über Zwischenhändler nehmen, um nur ein Beispiel zu nennen. Der Rat, Risiken nüchtern zu analysieren («to assess risk soberly») dürfte durchaus ernstzunehmen sein.

Die Reaktion Chinas

Die einleitend zitierte Einschätzung von Botschafter Qin Gang, beim angekündigten Plan handle es sich um eine «bösartige Konfrontation» ist selbst in Zeiten angespannter diplomatischer Beziehungen ausserordentlich undiplomatisch. Dies umso mehr, als er erst seit Juli 2021 im Amt ist, zumal er bei seinen wenigen Auftritten seit seinem Amtsantritt nicht unbedingt positiv aufgefallen ist. Und vorher auch nicht. In die Annalen der Geschichte der Diplomatie ist etwa seine Idee eingegangen, Präsident Obama müsste doch als Schwarzer Verständnis haben für den Einmarsch in Tibet und dies mit der Befreiung der Sklaven unter Abraham Lincoln verglichen – was Obama natürlich nicht davon abhielt, sich mehrfach mit dem Dalai Lama zu treffen. Bezüglich Qin Gang wurde bereits bei seiner Ernennung befürchtet, er sei ein Repräsentant der Wolf Warrior Diplomacy (战狼外交 zhànláng wàijiāo), was sich nun zu bewahrheiten scheint. Für die diplomatischen Beziehungen zwischen China und den USA verheisst das nichts gutes.

Immerhin kann man Qin Gang nicht vorwerfen, er nehme ein Blatt vor den Mund. Wenn er von einer «bösartigen Konfrontation» spricht, kann man davon ausgehen, dass die Volksrepublik China es so meint, egal was die USA sagen oder tun. Wenn Blinken sagt, Wettbewerb brauche nicht zu einem Konflikt zu führen, widerspricht ihm Qin Gang als offizieller Vertreter der Volksrepublik China.

“Competition need not lead to conflict. We do not seek it. We will work to avoid it.” – Antony Blinken, U.S. Secretary of State

Diese Feststellung ist wichtig im Hinblick auf einen weiteren Punkt. Der «friedlichen» Vereinigung der Volksrepublik China und Taiwan, ein Begriff der seit der «Normalisierung» der Beziehungen zwischen der Volksrepublik und den USA im Jahr 1972 immer wieder angerufen wird. Welch ein fundamentaler Unterschied der Definition von «friedlich» dies- und jenseits des Pazifiks existiert, machte Botschafter Qin Gang in einem «Opinion Piece» in der South China Morning Post vom 26. Mai 2022, welches kurz vor der Ansprache Blinkens veröffentlicht wurde:

“Promoting peaceful reunification while not giving up the use of force are like two sides of the same coin. Their ultimate purpose is to create favourable conditions for peaceful reunification.” – Qin Gang, Botschafter der VR China in den USA

Aus westlicher Sicht ist das etwas so, als ob ein Bankräuber erklären würde, er habe der Bankbeamtin nur die Pistole vorgehalten, um einer friedlichen Übergabe des Geldes Vorschub zu leisten.

Es blieb nicht nur bei der verbalen Ausfälligkeit von Qing Gang. Während er in den amerikanischen Medien ausführlich Gelegenheit gegeben wurde, die Position seines Landes darzulegen, wurde die von der amerikanischen Botschaft auf chinesischen Portalen publizierte Rede von Sechretary of State Blinken umgehend zensuriert.

Die Ironie der Geschichte: China verfolgt die Idee der Investitionen in Infrastruktur, Ausbildung etc. seit Jahren, zum Teil mit Erfolg. Und mit beträchtlichen ausländischen Mitteln. Ist es eine Kampfansage, wenn die USA das Gleiche Recht für sich beansprucht? Das Bilden von Allianzen hat sich allerdings als nicht so einfach erwiesen. Sieht man einmal von Russland und Nordkorea ab, ist China mit fast allen seinen Nachbarn in Territorialstreite verwickelt: die Philippinen, Vietnam, Japan, Nepal, Bhutan, Indien, Indonesien, Malaysia, Laos, Südkorea, die Mongolei, Myanmar, Tibet (bzw. die tibetische Exilregierung), Singapore, Brunei und Taiwan.

Auch China hat in die Infrastruktur investiert, hier eine 2008 neu eröffnete U-Bahnlinie in Beijing. (Bild: Privat)

Nun ist der chinesische Aussenminister beauftragt, die Scharte wettzumachen und weitere Verbündete zu suchen. Am 26. Mai 2022 trat er eine entsprechende zehntägige Reise in den Südpazifik an. Ziel sind neben den Salomonen (wo bereits ein Vertrag abgeschlossen wurde) die Inselstaaten Kiribati, Samoa, Fidschi, Tonga, Vanuatu, Papua Neuguinea und Timor Leste.

Mindestens im Fall von Kiribati dürfte hier ein Problem bestehen. Im Vertrag von Tarawan behielten sich die USA gegen Abtretung von Souveränitätsansprüchen das Recht vor, weiterhin Militärbasen im Inselstaat zu unterhalten und in Fragen von gemeinsamen Interesse konsultiert zu werden. Art. 2 des Vertrags von Tarawan sieht vor:

The two Governments, in the spirit of friendship existing between them, shall consult together on matters of mutual concern and interest in time of need, and, in particular, to promote social and economic development, peace, and security in the Pacific region. Any military use by third parties of the islands named in the preamble shall be the subject of such consultations.

Wenn China in Kiribati unmittelbar vor der Haustür der USA einen Militärstützpunkt errichten würde – Kiribati liegt knapp dreitausend Kilometer von Hawaii entfernt – könnte dies zu argen Verwicklungen führen.

Dass Anzeichen bestehen, dass ebensolche Pläne in den Salomonen bestehen (wo publik wurde, dass bereits 2020 ein «Letter of Intent» unterzeichnet wurde, einen Stützpunkt für die chinesischen Seestreitkräfte zu bauen), können solche Pläne von Seiten der Volksrepublik China nicht ausgeschlossen werden, selbst wenn sie vehement bestritten werden.

Angesichts der fundamental differierenden Verständnisses, was man unter friedlichen Konflikregelung versteht, ist es schwer vorstellbar, wie eine diplomatische Lösung gefunden werden kann. Die Skepsis teilt Blinken offensichtlich wenn er ausführt:

“The scale and the scope of the challenge posed by the People’s Republic of China will test American diplomacy like nothing we’ve seen before.” – Antony Blinken, U.S. Secretary of State

Dies ist umso bedauerlicher, als neben der Taiwanfrage seit Jahren Probleme im Raum stehen, deren Lösung – sollte man meinen – auch im Interesse Beijings liegen würden. Blinken nennt den Klimawandel, Covid, Nonproliferation, Drogenhandel (insbesondere synthetischer Opioide), Hunger und Lösung globaler makroökonomischer Probleme.

Brücke im Park der Tsinghua University in Beijing. (Bild: Privat)

Fazit

Aus westlicher Sicht ist die von U.S. Secretary of State Antony Blinken dargestellte Politik nachvollziehbar. Die geharnischte Reaktion Chinas und deren Hintergründe lassen aber darauf schliessen, dass China und die USA meilenweit von einer Normalisierung der diplomatischen, wirtschaftlichen und politischen Beziehungen entfernt sind.