Neue Handelsallianz zwischen USA und Taiwan?

Die Schweiz hofft immer noch auf eine Weiterentwicklung des Freihandelsabkommens mit China aus dem Jahr 2014, obschon Gespräche auf Seiten der Volksrepublik schon 2018 aufs Eis gelegt wurden. Die EU arbeitet noch daran, eine «entschlossenere, umfassendere und konsistentere China-Strategie» zu entwickeln, wobei die Ratifizierungsgespräche zum EU-China-Investitionsabkommen wohl definitiv in eine Sackgasse geraten sind. Derweil schmieden die USA und Taiwan eine neue Handelsallianz, wie die quasi-Botschaften American Institute in Taiwan (AIT) und das Taipei Economic and Cultural Representative Office in den USA (TECRO) am 1. Juni 2022 bekanntgaben.

Nach einer kleinen quasi-diplomatischen Verstimmung lichten sich die Wolken in Taipei. (Bild: privat).

Das die USA mit Taiwan Gespräche über die Verstärkung der Handelspartnerschaft führen, ist insofern überraschend, als Taiwan eine Woche früher bei der Schaffung des Indo-Pacific Economic Framework (IPEF) aussen vor blieb, was in Taipei für eine gewisse quasi-diplomatische Verstimmung sorgte. Aus gutem Grund: Die wirtschaftliche Bedeutung Taiwans ist weit grösser als vieler IPEF-Partner, Taiwan ist essentiell für die globalen Versorgungsketten im technologischen Bereich (allem Voran bezüglich Microchips), es ist ein wichtiger Handelspartner für alle IPEF-Länder und hat zudem eine zentrale geostrategische Position, so die Argumente.

Wenige Tage später beruhigten sich die Gemüter. Erst meldete sich die U.S. Senatorin Duckworth mit einer Delegation für einen Überraschungsbesuch in Taipei an, wo sie sich unter anderem mit der Präsidentin Tsai Ing-wen (蔡英文) und anderen hohen Regierungsmitgliedern traf. Und wenige Tage später wurden, wie gesagt, die Handelsgespräche, welche unter dem Titel «U.S.-Taiwan Initiative on 21st-Century Trade» geführt werden sollen, nach einem virtuellen Treffen zwischen dem taiwanesischen Minister ohne Portfolio John Deng (鄧振中) und Deputy U.S. Trade Representative Sarah Bianchi offiziell bekanntgegeben.

Die Gespräche sollen schon in diesem Monat in Washington beginnen. Es besteht die Hoffnung, dass diese Gespräche sehr viel rascher Früchte tragen könnten als diejenigen im Rahmen des IPEF. Anders als beim IPEF, wo je nach Präferenz der Allianzpartner nur einzelne der tragenden Säulen diskutiert werden – Regeln für den digitalen Handel, Versorgungsketten, Infrastruktur, Arbeitnehmerschutz und Umweltstandards – ist die Verhandlungsbasis im Falle von Taiwan und den USA sehr viel breiter. Und natürlich ist die gemeinsame rechtliche und wirtschaftliche Basis gegeben, um auch einen Konsens zu finden.

Nicht Gegenstand der Verhandlungen sollen klassische Themen von Freihandelsabkommen wie beispielsweise Zollreduktionen oder besseren Marktzugang. In diesen Bereichen dürfte mit einer noch harscheren Reaktion der Volksrepublik China gerechnet werden, als ohnehin schon. Bereits früher machte man in Beijing klar, dass der Beitritt Taiwans zur WTO im Jahr 2002 als Ausnahme von der Regel zu betrachten sei, dass sich Taiwan aus chinesischer Sicht aussenpolitisch nicht betätigen darf, Freihandelsabkommen oder der Beitritt zu Handelsallianzen also ein No-go sind. Ob die Ausklammerung von Zöllen und Marktzugang China beruhigt, ist allerdings zweifelhaft. Beijing opponierte jedenfalls einmal mehr vehement.

Für die USA und Taiwan dürfte ein klassisches Freihandelsabkommen ohnehin von keinem grossen Interesse sein. Bezüglich Zöllen ist Taiwan den USA bereits sehr stark entgegengekommen – der nominale Tarif für Importgüter beträgt im Durchschnitt gerade mal noch 6,34% (Vergleiche zu Festlandchina lassen sich schwer anstellen). Und auch für den Marktzugang in Taiwan werden bemerkenswert wenige Schwierigkeiten vermeldet (ganz anders als in der Volksrepublik, wo die «Herausforderungen» für den Marktzugang bandfüllend sind).

Die Themen, die neu angegangen werden sollen, sind aus wirtschaftlicher wie rechtlicher Hinsicht sehr viel interessanter als die Inhalte der althergebrachten Freihandelsabkommen. Genannt wird beispielsweise der Arbeitnehmerschutz, die Rolle kleinerer und mittlerer Unternehmen sowie der grenzüberschreitende digitale Handel mit Produkten und Dienstleistungen.

Besonders im letzten Punkt bestehen viele offene Fragen: Wie werden grenzüberschreitende Zahlungen kostengünstig und sicher abgewickelt? Wie besteuert man den digitalen Handel? Wie steht es um den Schutz der Rechte der «Datenarbeiter»? Welche Schranken errichtet man beim Online-Gambling und bei Pornographie? Wie regelt man den Datenschutz?

Hier sind zwar andere Länder wie die Philippinen oder Indien als Outsourcing-Destinationen oder die Volksrepublik China als einer der führenden Onlinehändler für Waren aller Art (man denke schon nur an Alibaba) zwar weit wichtiger als Taiwan. Aber gerade deshalb bietet sich Taiwan an, denn hier können eher erste Lösungsansätze gefunden werden, die andernorts noch nicht greifbar sind.

Man darf gespannt sein, was die Gespräche bringen. Erste Resultate sollen im Herbst 2022 vorliegen, wenn alles gut geht. Was für besorgte Beobachter nicht so sicher ist, denkt man doch an die bevorstehende Wiederwahl von Präsident Xi Jinping für eine dritte Amtszeit im Herbst 2022 und die sich in diesem Zusammenhang bereits abzeichnenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen in der Volkrepublik China im Allgemeinen und in der Kommunistischen Partei Chinas im Besonderen.