Biden’s Reise in den Osten – und die Lösung der Taiwanfrage

Drei Reisen als weltpolitische Wendepunkte für China

1972 krempelte Präsident Nixon bei einem Staatsbesuch in der Volksrepublik China die Geopolitik um, indem er Taiwan den Rücken zukehrte. Sie markierte die Rückkehr Chinas an den Tisch der Weltmächte.

Eine weitere Reise, diesmal innerhalb Chinas, markierte zwanzig Jahre später ebenfalls einen geopolitischen Wendepunkt: Deng Xiaoping besuchte 1992 auf seiner «Reise in den Süden» die Städte Guangzhou, Shenzhen und Shanghai und leitete dort die «kapitalistische Restauration» ein. Sie war Grundlage für die wachsende wirtschaftliche und militärischen Bedeutung, welche die Volksrepublik inzwischen erreicht hat.

Ein erneuter geopolitischer Wendepunkt war im Mai 2022 ein Staatsbesuch des amerikanischen Präsidenten Joe Biden in Südkorea und Japan. Nach drei Staatsbesuchen in Europa war es erst die vierte Auslandsreise des Präsidenten.

Anlässlich des Staatsbesuchs in Südkorea wurde der Lotte World Tower in Seoul (hier noch im Bau) mit den Nationalflaggen Südkoreas und der USA beleuchtet.

In Seoul besuchte er unter anderem eine Fabrik von Samsung Electronics und traf sich mit dem südkoreanischen Präsidenten Moon Suk-yeol. In Tokio beriet er sich mit dem japanischen Premierminister Fumio Kishida und traf anlässlich des Quad-Gipfel auch den indischen Premierminister Narendra Modi und den neugewählten australischen Premier Antony Albanese. Wenige Tage zuvor, am 12. und 13. Mai, traf er sich in Washington mit den Regierungsoberhäuptern der ASEAN Staaten Brunei Darussalam, Cambodia, Indonesien, Laos, Malaysia, Singapore, Thailand und Vietnam. Es fehlten lediglich die Philippinen (für den am 9. Mai gewählten neuen Präsidenten Ferdinand Marcos Jr. ist die Einreise in die USA aufgrund eines Gerichtsurteils schwierig) und Myanmar (welches in Ungnade gefallen ist).

Es ging um die Wirtschaft – Biden lancierte zusammen mit Australien, Brunei Darussalam, Indien, Indonesien, Japan, Südkorea, Malaysia, Neuseeland, den Philippinen, Singapore, Thailand und Vietnam das «Indo-Pacific Economic Framework for Prosperity».

Bei Staatsbesuch von Präsident Biden in Südkorea und Japan ging es vor allem auch um die Abwesenden: China und Taiwan. (Bild: 101 in Taipei)

Und es ging ums Militär, und damit um die Abwesenden: Die Volksrepublik China und Taiwan. Besonders aufsehenerregend war in dieser Hinsicht eine – scheinbare – Randbemerkung, welche der amerikanische Präsident anlässlich einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem japanischen Premierminister Fumio Kishida vom 23. Mai 2022 machte. Ganz am Ende antwortete Präsident Biden auf die Frage, ob die USA bereit wäre, militärisch einzugreifen, wenn es zu bei einem Angriff auf Taiwan käme, schlicht und einfach mit «Ja».

President Biden: We support the One China Policy. That does not mean that China has the ability […] the jurisdiction to use force to take over Taiwan.

Reporter: Are you willing to get involved militarily to defend Taiwan when it comes to that?

President Biden: [Zur Reporterin] Yes.

Reporter: You are?

President Biden: [Nickt zur Reporterin] That is a commitment we made. [Schaut in die Runde] This is a commitment we made. Look…

Dieses «Ja» ist ein Paradigmenwechsel, weil sie das Ende der strategischen Zweideutigkeit (strategic ambiguity) markiert, welche seit 1972 den Kern der Taiwanpolitik der USA darstellt. Oder man könnte auch sagen: es bedeutet eine Rückkehr zur Taiwanpolitik von 1950 bis 1972.

Die Taiwanpolitik der USA von 1950 bis 1972

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Insel Taiwan, welche zuvor seit 1895 eine japanische Kolonie gewesen war, in die Verwaltung der Republik China übergeben. Über den völkerrechtlichen Status der Insel, seine Geschichte und die Wünsche seiner Bevölkerung machte man sich zu diesem Zeitpunkt keine Gedanken, das Eiland war schlicht zu unwichtig. Daran änderte sich auch nichts, als die Republik China unter Chiang Kai-shek die Kontrolle über das Festland an die Truppen Maos verlor und sich nach Taiwan zurückzog, die Republik China also nur noch Taiwan bestand.

Selbstverständlich hätte Mao gerne auch noch Taiwan unter seine Kontrolle gebracht, und natürlich hätte Chiang Kai-shek liebend gerne das Festland zurückerobert.

Auch in der Vorstellung von Chiang Kai-shek gab es nur ein China – dasjenige unter der Führung der Republik China. (Bild: Chiang Kai-shek Memorial Hall)

Anfänglich waren die USA nach der Gründung der Volksrepublik China 1949 durchaus bereit, Taiwan seinem Schicksal zu überlassen. Als aber im Juni 1950 der Koreakrieg ausbrach, sahen die USA die Notwendigkeit, die Truman Policy auch im fernen Osten zu verfolgen. Entsprechend entsandten sie eine Kriegsflotte in die Taiwanstrasse, um die Ausdehnung des Koreakriegs (bei welchem «Freiwillige» der chinesischen Volksarmee auf Seiten der Nordkoreaner kämpften) zu verhindern, was vorerst auch gelang. Der Koreakrieg endete in der von China empfundenen Schmach des Verlustes des Kriegs gegen Südkorea und des Verlustes des «Gekaperten Koreakriegs», in dem 14’220 Kriegsgefangene es zwischen 1951 und 1953 vorzogen, nicht in die Volksrepublik zurückzukehren, sondern sich lieber in Taiwan niederzulassen.

Dieser «Gekaperte Koreakrieg» dürfte 1954 neben der Gründung der Southeast Asia Treaty Organization Mitursache gewesen sein, dass die Volksrepublik China einen Angriff lancierte und die Inseln Jinmen, Mazu und Dachen bombardierte. 1955 wurde daraufhin mit der Formosa Resolution Präsident Eisenhower die Vollmacht erteilt, für die Verteidigung Taiwans zu sorgen. Darauf erklärte sich die Volksrepublik bereit, Verhandlungen zu führen. 1958 flammten die Bombardements erneut auf, als die Volksrepublik dachte, die Welt sei von der Krise im Libanon abgelenkt. Dem war nicht so, die USA intervenierte, was unter anderem dazu führte, dass 1959 19’000 amerikanische Soldaten in Taiwan stationiert wurden. Darauf beruhigte sich der Konflikt in der Taiwanstrasse, sieht man einmal davon ab, dass auf Jinmen und Mazu noch während zwanzig Jahren Scharmützel stattfanden, bis die Beziehungen zwischen der Volksrepublik und den USA 1972 «normalisiert» wurden.

Die Grundlagen der Taiwanpolitik seit 1972

Die strategische Zweideutigkeit, welche die amerikanische Politik in den letzten 50 Jahren prägte, findet ihre Grundlage in den «Drei Communiqués» (三个联合公报, sān ge liánhé gōngbào), den «Sechs Zusicherungen» und dem Taiwan Relations Act.

Mit dem ersten der «Drei Communiqués» zementierten Präsident Nixon und Aussenminister Zhou Enlai im Jahr 1972 die sogenannte «One China Policy», welche beidseits des Pazifiks sehr unterschiedlich interpretiert wird. Nach Ansicht der Volksrepublik China gibt es nur ein China, und zwar nur eines unter der Führung der kommunistischen Partei Chinas. Zu Zeiten der Militärdiktatur in Taiwan war die dortige Auffassung, es gebe ebenfalls nur ein China: ein China unter der Führung der Republik Chinas bzw. der Kuomintang.

Aus amerikanischer Sicht geht aus dem ersten Communiqué bezüglich der «One China Policy» nicht mehr oder weniger hervor, als der Text besagt, nämlich die USA anerkenne, dass alle Chinesen dies- und jenseits der Taiwanstrasse die Auffassung vertreten würden, es bestehe nur ein China. Oder anders gesagt: Man war sich einig, dass man nicht einig ist. Im Detail wird ausgeführt:

The US side declared: The United States acknowledges that all Chinese on either side of the Taiwan Strait maintain there is but one China and that Taiwan is a part of China. The United States Government does not challenge that position. …

Mit dem zweiten «Communiqué» 1979 wurde die Volksrepublik China diplomatisch anerkannt und Taiwan hinsichtlich formeller diplomatischer Beziehungen (nicht aber in politischer und ökonomischer) Sicht aberkannt. Aus Sicht von Festlandchina bedeutete das im Lichte der chinesischen «One China Policy», dass Taiwan zur Volksrepublik China gehöre.

Aus der Perspektive der USA änderte sich bis auf die Umbenennung der Botschaft und der Botschafter wenig. Das gilt insbesondere bezüglich der «One China Policy», bei der die USA erneut zur Kenntnis nahm, was die Haltung Chinas in dieser Frage ist, ohne selber dazu Stellung zu beziehen. Im Wortlaut:

  1. The United States of America and the People’s Republic of China have agreed to recognize each other and to establish diplomatic relations as of January 1, 1979.
  2. The United States of America recognizes the Government of the People’s Republic of China as the sole legal Government of China. Within this context, the people of the United States will maintain cultural, commercial, and other unofficial relations with the people of Taiwan.
  3. The United States of America and the People’s Republic of China reaffirm the principles agreed on by the two sides in the Shanghai Communique and emphasize once again that:
  4. Both wish to reduce the danger of international military conflict.
  5. Neither should seek hegemony in the Asia-Pacific region or in any other region of the world and each is opposed to efforts by any other country or group of countries to establish such hegemony.
  6. Neither is prepared to negotiate on behalf of any third party or to enter into agreements or understandings with the other directed at other states.
  7. The Government of the United States of America acknowledges the Chinese position that there is but one China and Taiwan is part of China.
  8. Both believe that normalization of Sino-American relations is not only in the interest of the Chinese and American peoples but also contributes to the cause of peace in Asia and the world.

Im gleichen Jahr regelten die USA im Taiwan Relations Act die quasi-diplomatischen und militärischen Beziehungen zu Taiwan, so dass es im grossen und ganzen alles beim seit den 1950iger Jahren geltenden Status quo blieb.

Diese ambivalente Haltung verstärkte sich 1982 im dritten «Communiqué». Hier stellte die USA klar, dass sie nicht auf Waffenverkäufe an Taiwan verzichten würden, jedenfalls nicht bevor der Taiwankonflikt friedlich gelöst würde.

Gleichzeitig gab die USA 1982 gegenüber Taiwan die «Sechs Zusicherungen» ab, dass:

  • die USA keinen Zeitpunkt setzen werden, um Waffenverkäufe nach Taiwan zu beenden.
  • die USA die Bedingungen des Taiwan Relations Act nicht ändern werden.
  • die USA nicht mit der Volksrepublik China verhandeln werden, bevor über Waffenverkäufe nach Taiwan entschieden wird.
  • die USA nicht zwischen Taiwan und der Volksrepublik China schlichten werden.
  • die USA ihre Meinung über die Unabhängigkeit Taiwans nicht ändern, und Taiwan nicht in Verhandlungen mit der Volksrepublik China zwingen. Die Meinung der USA ist, dass die Frage friedlich zwischen den Streitparteien geregelt werden muss.
  • die USA eine Staatshoheit der Volksrepublik China über Taiwan formal nicht anerkennen.

Die «Sechs Zusicherungen» rütteln aus Sicht der USA in keiner Art und Weise an der «One China Policy» und dem Taiwan Relations Act. Sie wurden nicht nur im amerikanischen Kongress diskutiert, deren Bestand war von Anfang an auch der chinesischen Seite bekannt. Die Materialien dazu wurden allerdings bis 2019 bzw. 2020 unter Verschluss gehalten.

Zusicherungen sind ähnlich den vorerwähnten «Communiqués» ein diplomatisches Instrument, insofern sie nicht den Formalitäten eines Staatsvertrages entsprechen, nicht starr sind und bezüglich der Durchsetzbarkeit noch stärker von der Interessenlage der Parteien und gegenseitigem Vertrauen abhängig sind. Gerade aufgrund der Möglichkeit einer dynamischen Anpassung haben sich durchaus bewährt. So hätte z.B. die Möglichkeit bestanden, dass die USA ohne wortbrüchig zu werden die Waffenverkäufe an Taiwan zurückgefahren hätte, wie es im dritten «Communiqué» vorgesehen war – wenn sich denn eine friedliche Lösung der bilateralen Beziehungen von Taiwan zu China abgezeichnet hätte.

Die strategische Zweideutigkeit wurde zwischen 1972 und 1982 auf die Spitze getrieben. Nie findet sich in einem Dokument eine klare Zusicherung der USA gegenüber China oder Taiwan, immer wird auch das Gegenteil geschrieben, ohne aber China offen zu widersprechen. Jede Partei konnte so herauspicken, was ihr gerade am besten gefiel, ohne dass man der Lösung der Taiwanfrage nur um einen Deut näher kam. Man hoffte, das Problem würde sich selber lösen, irgendwann, irgendwie, durch irgendwen.

Konkretisierung der Drei Communiqués, des Taiwan Relations Act und der Sechs Zusicherungen

Aus Sicht der USA sind die «Drei Communiqués», die «Sechs Zusicherungen» und der Taiwan Relations Act nach wie vor gültige Grundlagen der Taiwanpolitik und auch Grundlagen der Verpflichtungen der USA gegenüber Taiwan – den «commitments», auf die Präsident Biden Bezug nimmt. Auf diese Grundlagen findet eine Konkretisierung statt, bezüglich derer man den USA keine Zweideutigkeit vorwerfen kann: im jährlich erlassene National Defense Authorization Act und im 2018 erlassenen Asia Reassurance Initiative Act. Letzterer führt bezüglich der Verpflichtungen der USA gegenüber Taiwan Folgendes aus:

SEC. 209. [22 U.S.C. 3301 note] COMMITMENT TO TAIWAN.
(a) UNITED STATES COMMITMENT TO TAIWAN.—It is the policy of the United States—
(1) to support the close economic, political, and security relationship between Taiwan and the United States;
(2) to faithfully enforce all existing United States Government commitments to Taiwan, consistent with the Taiwan Relations Act of 1979 (Public Law 96-8), the 3 joint communiques, and the Six Assurances agreed to by President Ronald Reagan in July 1982; and
(3) to counter efforts to change the status quo and to support peaceful resolution acceptable to both sides of the Taiwan Strait.
(b) ARMS SALES TO TAIWAN.—The President should conduct regular transfers of defense articles to Taiwan that are tailored to meet the existing and likely future threats from the People’s Republic of China, including supporting the efforts of Taiwan to develop and integrate asymmetric capabilities, as appropriate, including mobile, survivable, and cost-effective capabilities, into its military forces.
(c) TRAVEL.—The President should encourage the travel of highlevel United States officials to Taiwan, in accordance with the Taiwan Travel Act (Public Law 115-135).

Die USA sieht sich also – gesetzlich – verpflichtet, eine enge wirtschaftliche, politische und sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Taiwan auf höchster Ebene zu führen, d.h. quasi-diplomatische Beziehungen zu pflegen, die man bei eng verbundenen Staaten sieht, wie z.B. in der EU. So sind bei der amerikanischen quasi-Botschaft in Taipei und dem amerikanischen quasi-Konsulat in Kaohsiung um die fünfhundert Mitarbeiter stationiert.

Dies ist der Volksrepublik China selbstverständlich ein Dorn im Auge. Wie viele Mitarbeiter des diplomatischen Corps die USA in Festlandchina beschäftigt, ist aus naheliegenden Gründen nicht bekannt. Im Januar 2022 erregte es in China grosses Aufsehen, dass die Mitglieder des diplomatischen Corps darum ersuchten, die Volksrepublik verlassen zu dürfen, soweit ihre Anwesenheit nicht zwingend ist. Damals wurde geschätzt, dass 10% bis 15% der etwa 1’000 Mitarbeiter davon Gebrauch machen würden. Der mit einem solchen Begehren verbundene Gesichtsverlust ist beachtlich und es folgten auch prompt geharnischte Reaktionen in der chinesischen Presse. Im April 2022 ging das U.S. State Department noch einen Schritt weiter und ordnete an, dass die amerikanischen Mitarbeiter des Konsulats in Shanghai China nicht nur verlassen dürften, sondern müssten. Wie sich die Sache im Hinblick auf (drohende) Lockdowns in Beijing, Tianjin und Guangzhou entwickelt, bleibt abzuwarten.

Die Frage der diplomatischen Beziehungen ist insofern von Bedeutung, als im National Defense Authorization Act für das Jahr 2022 ein Türchen offengehalten wird, die diplomatischen Beziehungen mit China zu überdenken, wenn die Volksrepublik zur gewaltsamen Annexion schreiten wird. In Section 1246 (2) des National Defense Autorization Act 2022 wird ausgeführt:

(2) as set forth in the Taiwan Relations Act, the United States decision to establish diplomatic relations with the People’s Republic of China rests upon the expectation that the future of Taiwan will be determined by peaceful means, and that any effort to determine the future of Taiwan by other than peaceful means, including boycotts and embargoes, is of grave concern to the United States;

Auch wenn der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zum wirtschaftlich, flächen- und bevölkerungsmässig wesentlich bedeutsameren China auf den ersten Blick als abwegig erscheint, darf nicht vergessen werden: Erstens wurden mit Blick auf den Abzug des Personals im Konsulat in Shanghai im April 2022 und der Schliessung des Konsulats in Chengdu 2020 bereits seit längerem Personal in die USA rückbeordert. Zweitens ist Taiwan einer der beliebtesten Destinationen der Welt für «Expats» – nicht wenige davon Amerikaner. Das weckt eine entsprechende Nachfrage nach konsularischen und diplomatischen Dienstleistungen. Die Zahl derjenigen, die noch in China ausharren, dürften vergleichsweise gering sein. Wie bereits beim Abzug des Personals aus Shanghai dürfte eine nüchterne Interessenabwägung zwischen der Sicherheit der amerikanischen Bürger einerseits und den zu wahrenden diplomatischen Interessen stattfinden, denen nicht vorgegriffen werden kann.

Die One China Policy

Summa summarum ist die «One China Policy» aus amerikanischer Sicht seit jeher eine leere Worthülse. Die Absicht, die Hoheit Festlandchinas über Taiwan zu anerkennen, bestand weder formell noch materiell zu irgendeinem Zeitpunkt. Taiwan würde nach dem Ausschlussprinzip im Lichte der «Drei Communiqués» und der «Sechs Zusicherungen» dann und nur dann zu China gehören, wenn sich Taiwan der Volksrepublik freiwillig unterwerfen würde – oder die Volksrepublik der taiwanesischen Regierung. Beides waren schon 1982 sehr unwahrscheinliche Szenarien, die nach der Demokratisierung Taiwans und dessen kometenhaften wirtschaftlichen Aufschwung je länger je unwahrscheinlicher erscheinen.

Taiwan hat sich entsprechend de facto schon längst von der «One China Policy» verabschiedet und sieht sich als eigenständiger Staat. Es sieht sich in seiner Auffassung durch völkerrechtliche Grundprinzipien wie Souveränität, Selbstbestimmungsrecht der Völker und der Definition von Staaten bestätigt, welche in der UN Charta, im Vertrag von Montevideo bzw. in der Badinter-Kommission kodifiziert wurden, aber unabhängig davon aus völkerrechtlicher Sicht zwingendes Recht (ius cogens) darstellen. Gemäss der herrschenden Drei-Elementen Lehre bedarf es für einen Staat eines Staatsgebiets, eines Staatsvolks und einer Staatsgewalt (d.h. einer gegen aussen und innen effektiven und unabhängigen Regierung als Ausdruck der staatlichen Souveränität). Ob ein Staat nicht, oder wie im Falle Taiwans nur von einzelnen Staaten anerkannt wird, spielt keine Rolle, denn massgebend für die Beurteilung der Staatenqualität sind einzig die tatsächlichen Umstände («Effektivitätsprinzip»). Und es bestand auch nie auch nur der geringste Anlass, diese Unabhängigkeit zu «deklarieren» (wie einige «Experten» meinen), denn die Republik China bestand ja schon, bevor die Volksrepublik China auch nur gegründet wurde. In letzter Zeit wurde allerdings in der englischen Bezeichnung die Bezeichnung «Taiwan» in den Vordergrund gerückt.

Die englische Bezeichnung «Republik of China» ist im seit 2021 ausgestellten taiwanesischen Pass (rechts) im Kleingedruckten verschwunden. Ausdruck davon, dass sich Taiwan de facto von der «One China Policy» entfernt hat.

Die letzte Frage

Einzige im Lichte «Drei Communiqués», der «Sechs Zusicherungen» und des faktischen Verzichts der Republik Taiwan auf Rückeroberung Chinas verbleibende Frage war, was im Falle einer zwangsweisen Annexion Taiwans durch die Volksrepublik geschehen würde, d.h. wenn die bereits im Taiwan Relations Act von 1979 vorgesehenen Waffenlieferungen und die Vorkehrungen im National Defense Authorization Act 2022 sowie im Asian Reassurance Initiative Act 2018 nicht ausreichend wären, damit Taiwan sich selbst verteidigen kann.

Würde die Staatengemeinschaft im Allgemeinen und die USA einen gewaltsamen Anschluss hinnehmen, wie beim Einmarsch der Volksarmee in Tibet 1950 oder bei der Annexion der Krim durch Russland 2014? Würden lediglich leicht zu umgehende Wirtschaftssanktionen ergriffen, wie im Fall der Ukraine? Oder würden die USA und ihre Alliierten Taiwan beistehen, wie es seinerzeit im Falle von Südkorea geschah?

Diese letzte Frage, und nur diese, beantwortete Biden nun mit einem klaren «Ja». Für einmal ohne Zweideutigkeit. Dieses «Ja» gibt aus amerikanischer Sicht keinen Anlass, an der bisher verfolgten Politik, einschliesslich der «One China Policy», der «Drei Communiqués», dem Taiwan Relations Act und der «Sechs Zusicherungen» irgendetwas zu ändern, was Präsident Biden auch in aller Deutlichkeit festhielt.

Die chinesische Sicht

Die Politik der Volksrepublik China war in den letzten 70 Jahren bemerkenswert eindeutig. Aus Sicht Chinas ist «One China» so und nur so zu verstehen, dass die Insel Taiwan ohne Wenn und Aber zur Volksrepublik gehört. Die Volksrepublik China hat wiederholt und insbesondere in den letzten Monaten glasklar gemacht, dass bezüglich Taiwan kein Raum für Kompromisse oder Konzessionen bestehe.

Für China war diese Frage so wichtig, dass sie die Normalisierung der Beziehungen zu den USA von der Anerkennung der Position der Volksrepublik abhängig machte, wie aus dem ersten «Communiqué» hervorgeht.

The Chinese side reaffirmed its position: the Taiwan question is the crucial question obstructing the normalization of relations between China and the United States; the Government of the People’s Republic of China is the sole legal government of China; Taiwan is a province of China which has long been returned to the motherland; the liberation of Taiwan is China’s internal affair in which no other country has the right to interfere; and all US forces and military installations must be withdrawn from Taiwan. The Chinese Government firmly opposes any activities which aim at the creation of “one China, one Taiwan”, “one China, two governments”, “two Chinas”, an “independent Taiwan” or advocate that “the status of Taiwan remains to be determined”.

China muss zugutegehalten werden, dass Präsident Nixon bei seiner ersten Chinareise möglicherweise Dinge versprochen hat, die schlussendlich nicht den Weg ins erste «Communiqué» gefunden haben. Dass man die Taiwanfrage, die für China offensichtlich wichtig war, und bezüglich derer die USA zu keinem Zeitpunkt ein Entgegenkommen signalisiert hat, einfach unter den Tisch wischte, ist schwer nachvollziehbar.

China hält jedenfalls nach wie vor jegliche Art von zwischenstaatlichen Beziehung zu Taiwan für illegal, falsch und ungültig, ebenso natürlich den Taiwan Relations Act und die «Sechs Zusicherungen», und sieht sie als Verletzung der «Drei Communiqués» an.

Die einzige Konzession, welche China machte, war die Idee des «ein Land, zwei Systeme», welche von Deng Xiaoping bereits im Jahr 1979 propagiert wurde – der zeitliche Konnex mit der diplomatischen Anerkennung der Volksrepublik ist offensichtlich. Diese Idee hat Taiwan eine Unterwerfung unter das Festland nicht schmackhaft machen können, besonders seitdem die Taiwaner gesehen haben, was in Hong Kong daraus geworden ist.

Für den Fall, dass dies nicht klar genug war, erliess der Volkskongress 2005 ein Anti-Sezessionsgesetz, welches an der «One China Policy» festhält und dabei Taiwan als Teil von China definiert (selbstverständlich der Volksrepublik).

Im Vordergrund stand selbst im martialischen Anti-Sezessionsgesetz seitens der Volksrepublik China ein «friedlicher» Anschluss, wobei nicht ganz klar ist, was China unter «friedlich» versteht und wie eine friedliche Lösung praktisch ablaufen sollte. Wie sollten Streitpunkte geklärt werden, wenn von Vornherein klar ist, dass kein Raum für Kompromisse und Konzessionen besteht? Würden Mitglieder der demokratisch gewählten Regierung Taiwans am Verhandlungstisch geduldet, oder dürften sie als «Sezessionisten» nicht mitreden? Oder würde Beijing seine Verhandlungspartner gleich auch selber auswählen? Und können die taiwanesischen Verhandlungspartner über das ob und wann der Verhandlungen mitreden?

Klarheit schuf das Anti-Sezessionsgesetz mindestens bezüglich der Frage, was passiert, wenn ein friedlicher «Anschluss» (aus Sicht Chinas) als aussichtslos erscheint: In diesem Fall kann das chinesische State Council (unter Vorsitz von Premier Li Keqiang) zusammen mit der Central Military Commission (unter Vorsitz von Präsident Xi Jinping) über «nicht-friedliche» Massnahmen entscheiden. Die Gründe, weswegen aus chinesischer Sicht solche Gewaltmassnahmen aus chinesischer Sicht gegeben wären, wurden über die Jahre immer zahlreicher und immer vager. Die chinesische Regierung bzw. das chinesische Militär hat diesbezüglich Carte Blanche.

Falls von westlicher Seite irgendwelche Zweifel bestanden, dass es die Volksrepublik China mit seinem Anti-Sezessionsgesetz ernst meint, wurden diese spätestens 2021 beseitigt. Präsident Xi Jinping drohte anlässlich der Hundertjahrfeier der KPC im Juli 2021, allen fremdländischen Kräften, die China drangsalieren würden, würden die Köpfe gespalten und erklärte darüber hinaus im Oktober 2021 die «Wiedervereinigung» mit Taiwan zur persönlichen Mission.

Er hat dabei viel zu gewinnen – und viel zu verlieren. Gelingt ihm die «Integration», steht er als Held dar, der erreicht hat, was seine Vorgänger inklusive Chairman Mao vor ihm während 70 Jahren vergeblich versucht haben. Die angestrebte lebenslange Amtszeit, welche er angesichts seiner Wiederwahl im nächsten Herbst anstrebt, wäre ihm dabei gewiss. Ein Scheitern wäre ein Gesichtsverlust sondergleichen, zumal diverse (hausgemachte) Krisen – Naturkatastrophen, der Zerfall des Immobilienmarktes, die Lockdowns, der Kollaps des Wirtschaftswachstums (welches für dieses Jahr erstmals seit 1979 mit prognostizierten 2% unter demjenigen der USA veranschlagt wird) – das «Mandat des Himmels» Xi Jinpings gefährden.

Letzteres ist umso mehr gefährdet, als Taiwan 2021 ein Bruttosozialprodukt pro Kopf von USD 33’000 ausgewiesen hat, während die Volksrepublik China bestenfalls einen Drittel davon erzielt. 2021 schaffte Taiwan gemessen am Bruttosozialprodukt pro Kopf, sich auf der weltweiten Rangliste innerhalb der ersten zwanzig Ländern zu halten, während es China in vierzig Jahren knapp erreicht hat, das Odem eines Entwicklungslandes abzuschütteln.

Das Wachstum des Bruttosozialprodukts pro Kopf in China nach der Reform- und Öffnungspolitik anfangs der Achzigerjahre ist beeindruckend – und trotzdem hat sich die Schere gegenüber Taiwan immer mehr geöffnet.

Der mögliche Reputationsgewinn ist also gross. Offen bleibt nur noch die Frage des «wann». Wann sieht China die Möglichkeiten einer friedlichen Wiedervereinigung ausgeschöpft und eine zwangsweise Annexion angezeigt, sei es durch einen konventionellen oder unkonventionellen Militärschlag, oder durch ein Embargo bzw. Boykott (wie in Section 1246 (2) des National Defense Autorization Act 2022 angedeutet)?

Ein blosser Versprecher?

Das «Ja» von Präsident Biden wurde vom Weissen Haus und einigen Medien wie schon in früheren Fällen abtemperiert. Vom Weissen Haus mit dem Verweis, an der «One China Policy» ändere sich ja nichts. Henry Kissinger – der Schöpfer der «One China Policy» – meldete sich aus Davos und plädierte dafür, die Sache unter dem Deckel zu behalten; wie, das bleibt sein Geheimnis..

Einige Medien verstiegen sich sogar darin, es bleibe bei der strategischen Zweideutigkeit, das eindeutige «Yes» des Präsidenten sei ein Versprecher, es sei eine «Gaffe», ein «Fauxpas» gewesen, er sei sich angesichts der Risiken seiner Aussage nicht bewusst gewesen, was er verspreche, und wenn, dann handle es sich nicht um eine «formelle» Garantie.

Ein «Ja» ist ein «Ja»: Präsident Biden während der Pressekonferenz in Japan.

Das ist blanker Unsinn. Wer sich die Pressekonferenz anschaut, sieht ohne weiteres, dass die Frage und die Antwort sorgfältig orchestriert wurde. Nicht weiter verwunderlich, ist Präsident Biden doch ein langjährig erfahrener Aussenpolitiker und Rhetoriker. Er sass schon im U.S. Senat, als die politischen Entscheide und Vereinbarungen getroffen wurden, auf denen er nun beharrt.

Es war im Übrigen nicht zum ersten Mal, dass die entsprechende Frage so beantwortete, sondern mindestens das dritte Mal, auch wenn seitens des Weissen Hauses und der Medien immer sofort versucht wurde, die Aussage zu relativieren.

Eine identische Aussage machte Präsident Biden im Oktober 2021 als ihm folgende Frage gestellt wurde:

Student: China just tested a hypersonic missile. What will you do to keep up with them militarily and can you vow to protect Taiwan?

President Biden: Yes and Yes. – We are, militarily. China, Russia and the world knows: we have the most powerful military in the history of the world. Don’t worry about whether we’re gonna be or they’re gonna be more powerful. What you do have to do have to worry about is whether or not they’re gonna engage in activities that will put them in a position where they may make a serious mistake. And so I have spoken and spent more time with Xi Jinping than any other world leader has.That’s why you have, you know, hear people saying Biden wants to start a new Cold War with China. I don’t want to start a Cold War with China. I just want to make China understand that we are not going to step back, that we are not going to step back, that we are not going to change any of any of our views.

Reporter: So are you saying that the United States would come to Taiwan’s defense if China attacked?

President Biden: Yes. Yes we have a commitment.

Das «Ja» findet sich im übrigen nicht nur etwas versteckt in den weiteren Aussagen von Präsident Joe Biden, sondern auch bei seinem japanischen Amtskollegen Premier Fumio Kishida. Beide wiederholten, ein einseitiger Versuch, den Status quo gewaltsam zu ändern wäre nicht durchsetzbar, nicht machbar, niemals akzeptabel und nicht rechtmässig, und zwar unabhängig davon, ob ein solcher Versuch in der Ukraine, der East China Sea oder in der South China Sea stattfinde.

Das «Ja» findet sich auch zwischen den Zeilen versteckt in einer Änderung eines Factsheet betreffend Taiwan des US Department of State vom 5. Mai 2022: Dort verschwand gegenüber der früheren Version die Aussage, «the United States does not support Taiwan independence». Ebenso verschwand die Aussage, Taiwan sei Teil von China. Dem Westen mag das entgangen sein, die Reaktion Beijings war jedenfalls geharnischt. Die Retourkutsche folgte umgehend: das Factsheet vom 12. Mai 2022 stellt die diplomatischen Beziehung zwischen USA und China gelinde gesagt ungeschönt dar.

Zum Grund für die Aufgabe der strategischen Zweideutigkeit

Ob das Beibehalten der Politik der strategischen Zweideutigkeit für die USA günstig oder nachteilig ist – die Haltung der demokratisch gewählten taiwanesischen Regierung interessiert seit jeher ebensowenig wie die Haltung der taiwanesischen Bevölkerung – wurde insbesondere von Militärstrategen ausführlich diskutiert. In der Diskussion spielen spieltheoretische Ansätze ebenso eine Rolle wie Reputationsrisiken und Strategeme.

Experten sprachen sich schon seit einiger Zeit dafür aus, von der Politik der strategischen Zweideutigkeit zu einer solchen einer strategischen Klarheit überzugehen und der Volksrepublik China klarzumachen, dass die USA sowohl mit Wirtschaftssanktionen als militärischer Intervention auf einen Angriff auf Taiwan reagieren würde. Das Argument: China hat nicht nur militärisch aufgerüstet, sondern ist auch zunehmend selbstsicherer aufgetreten, nachdem die Niederschlagung der Demokratiebewegung in Hong Kong und die Vereinnahmung der South China Sea keine Reaktionen hervorgerufen haben. Spätestens seit dem Krieg in der Ukraine ist bei der Politik der strategischen Zweideutigkeit der Lack ab – schon vor Kriegsausbruch wurde kritisiert, dass vage «Garantien», die klaren roten Linien von Präsident Putin gegenüberstanden, mehr schadeten als nützten.

Das Ja bleibt also ein Ja, die Frage ist allerdings: Wie, und wie lange? Für Beobachter war bereits unter der Ägide von Trump klar, dass die USA China die Stirn bieten würde, und dass sich unter Biden nichts ändern würde. Aber wie lange hält dieses Versprechen, wenn sich die politischen Verhältnisse ändern? Und in militärischer Hinsicht stellt sich die Frage: was kann die USA, welches Taiwan mit Waffenlieferungen und anderer logistischer Hilfestellung noch beitragen?

Taiwan verfügt mit 1,8 Mio. Soldaten (inklusive Reservisten) über eine der grössten Armeen der Welt. Wenn man die gesamte wehrtaugliche Bevölkerung einrechnet (Männer und Frauen im Alter zwischen 15 und 54 Jahren) wären es sogar über 13 Mio. Personen, welche für die Verteidigung eingesetzt werden könnten – nach den Erfahrungen in der Ukraine nicht unwichtig. Das dazu noch in einem für Angreifer schwierigen Terrain – hohe Berge und dicker Dschungel, wo sich auch geübte Berggänger kaum zurechtfinden. Und das nur auf einer Fläche von in etwa der Schweiz. Die Streitkräfte dürften nach jahrelanger Vorbereitung auf den Ernstfall auch bestens ausgerüstet sein. Taiwan produziert auch eigene Waffensysteme und nicht zuletzt die Computerchips, die für alles und jedes gebraucht werden. Und es ist nicht auszuschliessen, dass Taiwan selbst über Atomwaffen verfügt.

Irgendwo zwischen diesen Bergen ist die Millionenstadt Taipei verborgen – und zahllose militärische Anlagen. (Bild: Auf einem der 97 Berggipfel im Yangmingshan-Nationalpark bei Taipei)

Warum gerade jetzt?

Es wird im Kern argumentiert, die strategische Zweideutigkeit habe solange funktioniert, als Taiwan und die USA militärisch die Überhand hatten. Deutlich war dies in den Fünfzigerjahren, als es mit relativ geringer Mühe gelang, China von einer Invasion in Taiwan abzuhalten. Nachdem sich China nun aber seit 25 Jahren auf einen Militärschlag vorbereiten konnte, sei die Lage eine andere.

Zweitens muss sich die chinesische Führung ermutigt gefühlt haben, dass die Missachtung der Zusicherungen hinsichtlich Hong Kong ebensowenig zu Konsequenzen führte wie die Missachtung des Schiedsgerichtsurteils, welches auf Betreiben der Philippinen 2016 hinsichtlich der von China behaupteten Ansprüche im Südchinesischen Meer gefällt wurde. Zweifellos wird China nicht nur beobachtet haben, dass das Budapester Memorandum von 1994 mit der Invasion der Krim durch Russland zwanzig Jahre später zu Makulatur wurden, sondern auch festgestellt haben, dass die Wirtschaftssanktionen seither ziemlich zahnlos blieben und eine militärische Intervention bisher ausgeschlossen wurde. China konnte angesichts der zwiespältigen Haltung der USA ohne weiteres davon ausgehen, dass es sich bei einer Annexion Taiwans ähnlich verhalten würde.

Aber besteht zeitliche Dringlichkeit oder hätte man besser noch ein bisschen zugewartet? Viele Beobachter nehmen es an, andere behaupten das Gegenteil. Wenn sich ein ein amerikanischer Präsident innerhalb eines Monats die Mühe macht, persönlich nicht weniger als ein Dutzend Staatsoberhäupter in der Region zu treffen, muss etwas im Gange sein.

Die Lösung?

Erklärtes Ziel von Präsident Biden war, China von einem militärischen oder anderweitigen Angriff abzuhalten. Wird die Warnung diesmal ernstgenommen, wäre nach 50 Jahren von widersprüchlichen Aussagen viel erreicht.

Bei allem Respekt für Kissinger: Seine Idee der strategischen Zwiespältigkeit hat ein heilloses Chaos angerichtet. Eine «One China Policy», die aber nur gilt, wenn sich Taiwan der Volksrepublik freiwillig unterwirft (oder vice versa), der formelle Abbruch der diplomatischen Beziehungen bei gleichzeitiger faktischer Fortführung derselben, die jahrzehntelange Fortführung von Waffenlieferungen von die man eigentlich reduzieren wollte: Kein Wunder, dass China aus diesem Sammelsurium herauspickte, was ihm gerade in den Kram passte.

Halten sich die USA an ihre eigenen Gesetze, einschliesslich des zwingenden Völkerrechts, würde die Abkehr von der strategischen Zwiespältigkeit zwei Optionen eröffnen: Entweder könnte China ernsthafte Verhandlungen mit der demokratisch gewählten Regierung Taiwans führen. Oder aber, China könnte akzeptieren, dass Taiwan Taiwan und China China ist – so wie andere Länder akzeptieren mussten, dass nicht alles was sie gerne als Territorium hätten auch bekommen.

Sich von alten Wunschvorstellungen zu verabschieden ist schmerzhaft. Die Alternative ist schmerzhafter. Nicht nur was den möglichen Blutzoll eines militärischen Angriffs auf beiden Seiten betrifft. Wie Präsident Biden am Schluss der Pressekonferenz in Japan zu Recht sagte, die gewaltsame Annexion Taiwans würde die gesamte Region «dislozieren».