Ohne Air Service Agreement (ASA) droht Bruchlandung
In Teil 1 dieser Serie wurde aufgezeigt, dass Direktflüge zwischen Taiwan und der Schweiz derzeit nicht möglich sind, weil der Bundesrat eine Rechtsgrundlage für entsprechende Streckenrechte verneint. In Teil 2 wurde erläutert, wie ganz konkret vorgegangen werden könnte um Direktflüge zwischen Zürich und Taipei schon ab 2026 zu ermöglichen. In Teil 3 wurde ausgeführt, dass es gute Gründe gäbe, darüber zu diskutieren, ob eine Direktverbindung zwischen Zürich und Taipei im Interesse der Schweiz und der Schweizer Bürger sei.
Wenn ein Interesse an einer Flugverbindung zwischen Taiwan und der Schweiz besteht, gilt es, sich mit dem Totschlagsargument des Bundesrates auseinanderzusetzen: Es gebe keine Streckenrechte zwischen der Schweiz und Taiwan und ganz allgemein keine rechtliche Grundlage für Direktflüge.
Teil 5 dieser Serie wird der faszinierenden Geschichte der rechtlichen Grundlage der Flugverbindungen zwischen Taiwan und Europa im Allgemeinen seit 1979 und den politischen und rechtlichen Grundlagen der von 1995 bis 2002 bestehenden Flugverbindung zwischen Zürich und Taipei im Speziellen gewidmet sein. Es ist die Geschichte dessen, was «mit ein wenig Vorstellungskraft und mit einer guten Dosis Pragmatismus» erreicht werden kann.
Vorerst soll aber erklärt werden, wieso nicht einfach eine (taiwanesische) Fluggesellschaft kommen kann und in der Schweiz einen Antrag auf Streckenrechte stellen kann.
von Maja Blumer, 5. Juli 2025
Darf eine taiwanesische Fluggesellschaft in der Schweiz Antrag auf Streckenrechte stellen?
Streckenrechte (Verkehrsrechte) i.e.S.
Wie die Aussage des Bundesrates, es liege «kein konkreter Antrag einer Fluggesellschaft für die Erteilung von Streckenrechten» vor, zu verstehen ist, erschliesst sich nicht ganz.
Wenn es einen solchen Antrag bräuchte, könnte er doch jederzeit gestellt werden?! Warum hat das die fragliche taiwanesische Fluggesellschaft noch nicht getan?! Ist sie selber schuld, wenn sie 2026 noch keine Direktflüge aufnehmen kann?!
Aber auch aus Behördensicht macht diese Aussage wenig Sinn: Warum sollte man sich über die möglichen oder notwendigen Grundlagen einer Flugverbindung generell-abstrakt Gedanken machen, wie das der Bundesrat plant, wenn man im Rahmen eines Antrags individuell-konkret prüfen kann, wobei einem der Antragssteller vielleicht sogar eine pfannenfertige Begründung für den Entscheid über den Antrag liefert?
Streckenrechte im eigentlichen Sinn (auch Verkehrsrechte genannt) sind internationale Vereinbarungen über die Verkehrszulassung von Fluglinien erlauben es Luftfahrtunternehmen, bestimmte Flugrouten zwischen zwei oder mehr Flughäfen zu befliegen. Für die Vergabe von Streckenrechten sind die Luftfahrtbehörden der jeweiligen Länder zuständig, denn jeder Staat hat eigene Vorschriften, die bestimmen, ob ausländische Flugzeuge und Betreiber in seinem Hoheitsgebiet fliegen dürfen und welche Rechte sie ausüben dürfen, wenn sie dort landen.
Ein wichtiger Bestandteil der Verkehrsrechte sind die «Freiheiten der Luft». Diese reichen in der Basisversion von der 1. Freiheit (Überfliegen) über die 2. Freiheit (technische Zwischenlandung ohne kommerziellen Zweck) über Beförderung von Passagieren und Fracht vom Heimatflughafen in den Vertragsstaat und zurück (3. und 4. Freiheit). Für die 5. Freiheit braucht es schon recht viel Verhandlungsgeschick: Flug in einen fremden Staat und Weiterflug in einen weiteren fremden Staat. Es geht weiter bis zur 9. Freiheit, bei der eine Fluggesellschaft Flüge ausserhalb ihres Heimatlands durchführen, die diesen nicht einmal berühren.
Die Streckenrechte mit Ländern ausserhalb Europas werden meist durch ein bilaterales Abkommen, einem sogenannten Air Services Agreement (ASA) geregelt. Ein Beispiel aus neuerer Zeit ist z.B. das Abkommen zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Demokratischen Volksrepublik Laos über den Luftlinienverkehr,abgeschlossen am 26. Juli 2024, in Kraft getreten durch Notenaustausch am 12. Mai 2025[1]. Eine andere Möglichkeit ist, die Streckenrechte durch multilaterale Vereinbarungen (z.B. Verordnung (EG) Nr. 1008/2008) zu regeln.
Air Services Agreements sind international weitgehend standardisiert[2]. Gleichwohl gibt es beim Abschluss eines Air Services Agreement sehr viel zu diskutieren: Welche Freiheiten gegenseitig zugestanden werden, ob eine Beschränkung auf eine oder einzelne Fluggesellschaften hinsichtlich einer einzelnen Strecke zugelassen werden, welche Flughäfen bedient werden können, und in welcher Frequenz etc. Dass das Aushandeln eines neuen oder revidierten Air Services Agreements Jahre oder sogar Jahrzehnte dauert, ist keine Seltenheit.
Die Streckenrechte zwischen Taiwan und der Schweiz wurden schon vor 30 Jahren geregelt. Dies geschah unter Einbezug der Regierungen (Bundesrat Delamuraz 1991, Handelsminister Siew 1991 und 1992, Gesamtbundesrat 1992 und 1994) und der Luftfahrtsbehörden beider Länder (1992, 1993 und 1994). Die Initiative für den schliesslich im Januar 1995 konkret geschlossenen Vertrag ging, auf Wunsch der Swissair, von den Bundesräten Ogi und Cotti aus und wurde vom Gesamtbundesrat beschlossen.
Wenn sich auch die taiwanesische Regierung mit dem 1995 geschlossenen Vertrag einverstanden erklärt hat, kann es vorliegend eigentlich nicht um die Erteilung von Streckenrechten gehen, wenn die Anfrage von einer einzelnen, in Taiwan ansässigen Fluggesellschaft stammt, wie die Formulierung der Frage von Nationalrat Addor vermuten lässt. Welche taiwanesische Airline die Streckenrechte konkret beanspruchen darf, ist entsprechend dem 1995 geschlossenen Vertrag durch die Taipei Airlines Association zu entscheiden, die das Recht hat, eine Fluggesellschaft aus ihrem Kreis zu designieren.
Wenn die Streckenrechte zwischen Taiwan und der Schweiz aus irgendeinem Grund komplett neu ausgehandelt werden müssten, weil sich die Vereinbarung von 1995 irgendwie in Luft aufgelöst hat, so käme diese Anfrage direkt von der taiwanesischen Civil Aviation Administration (CAA). Eine von einer Fluggesellschaft ausgehandelte Vereinbarung würde von der CAA schlicht nicht genehmigt. Auf Schweizer Seite wäre dafür entsprechend der seit 1. Januar 1995 geltenden Rechtsgrundlage der Bundesrat bzw. faktisch das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) zuständig.
Auch für das Initiieren einer Anpassung der bestehenden Vereinbarung von 1995 käme nicht eine beliebige Fluggesellschaft in Frage, sondern auf taiwanesischer Seite müsste neben der CAA allenfalls noch die Taipei Airline Association (TAA) einbezogen werden. Seitens der Schweiz müsste wohl das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) aktiv werden, wobei zu prüfen wäre, ob Bundesrat bzw. das BAZL den konkreten Vertragsschluss wie damals an eine quasi-private Organisation delegieren dürfte, und wenn ja, an wen.
Mindestens die Führungskräfte der drei im Interkontinentalgeschäft tätigen taiwanesischen Fluggesellschaften, die in hoher Kadenz neue Strecken rund um den Globus eröffnen, dürften genaustens im Blick haben, wo welche Streckenrechte bestehen. Wenn wirklich eine taiwanesische Fluggesellschaft 2026 eine Flugverbindung zwischen der Schweiz und Taiwan eröffnen will, dann geht es wohl nicht um eigentliche Streckenrechte, sondern eher um eine Vorabinformation über das geplante Vorgehen.
Die Notwendigkeit einer Vorabinformation ist auch durch das bestehende Abkommen von 1995 begründet: Die Informationspflichten vor der Aufnahme des Flugbetriebs sind im bestehenden Abkommen nur rudimentär geregelt. Wenn das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) offiziell erst mit der Einreichung des Flugplans 30 Tage vor dem Jungfernflug vom Vorhaben erfahren würde, wäre es etwas ungünstig, wenn das BAZL sich dann zum ersten Mal mit den Streckenrechten auseinandersetzt.
Streckenkonzession und gleichzeitige Erteilung von Streckenrechten an eine Flugrechte
Rolle der Streckenrechte im Rahmen der Streckenkonzession
Der Bundesrat dürfte wahrscheinlich eher von der Streckenkonzession (Route Licence) gesprochen haben. Eine Streckenkonzession kann vom vom Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) an eine ausländische Fluggesellschaft unter der Voraussetzung erteilt werden, wenn eine Betriebsbewilligung (Art. 30 Abs. 1 i.V.m Art. 29 Luftfahrtgesetz [LFG][3]) vorliegt und entweder
(a) die Streckenrechte und die anderen Bewilligungsvoraussetzungen, die sich aus einem Staatsvertrag ergeben, gegeben sind (Art. 30 Abs. 2 LFG)
oder
(b) oder indem das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr und Energie (UVEK) die Streckenrechte (Verkehrsrechte) der Fluggesellschaft im Rahmen der Streckenkonzession entsprechend den vom Bundesrat statuierten Regeln erteilt, wo «staatsvertragliche Regelungen» ganz oder teilweise fehlen (Art. 30 Abs. 3 LFG).
Demnach wäre es nach dem Wortlaut des Gesetzes tatsächlich denkbar, dass die Streckenrechte im Zuge der Erteilung der Streckenkonzession an eine einzelne Fluggesellschaft erteilt werden, auch wenn kein Air Services Agreement besteht.
Keine Streckenkonzession ohne Mitwirkung der ausländischen Behörden
Hinsichtlich der Streckenkonzession ist die Rechtslage im Falle von Taiwan leider etwas komplizierter, als der Gesetzestext des Luftfahrtgesetzes (LFG) vermuten lässt:
Man kann die im Januar 1995 geschlossene Vereinbarung anhand ihres Inhaltes und ihrer Entstehungsgeschichte als «staatsvertragliche Regelung» oder als quasi-Staatsvertrag, genau genommen als Geheimvertrag, qualifizieren. Geheim war nur der Staatsvertragscharakter, nicht der Vertrag an sich oder dessen wesentlicher Inhalt. Geheimverträge sind zwar völkerrechtlich problematisch, Versuche, sie abzuschaffen, sind aber in den letzten 100 Jahren gescheitert.
Mit dem Bundesratsbeschluss vom 26. September 1994 war öffentlich bekannt gemacht geworden, dass man den Abschluss dieses Vertrages beabsichtigte und welchen Inhalt dieser Vertrag in den Grundzügen haben sollte. Wer diesen Vertrag genau abschliessen sollte, wurde damals noch nicht offengelegt und war möglicherweise noch nicht einmal bekannt, obwohl der Flugbetrieb schon im Herbst 1994 hätte aufgenommen werden sollen, also sofort.
Jedenfalls aber erfolgte eine Delegation der Vertragsabschlusskompetenz vom Bundesrat an die Swissair bzw. die von ihr zu gründende Swissair Asia und der vom Bundesrat offensichtlich genehmigte Vertragsentwurf vom 22. Dezember 1994 unterlag dem Genehmigungserfordernis der schweizerischen wie auch der taiwanesischen Behörden. Beides – Vertragsentwurf wie auch Delegation – blieb im Verborgenen. Lediglich die Aufnahme der im Herbst 1994 angekündigten Flugverbindung nach Taipei am 7. April 1995 konnte nicht verheimlicht werden und wurde sogar im Geschäftsbericht der Swissair erwähnt.
Denkbar ist, dass der Bundesrat daran festhalten will, dass die Vereinbarung, in der die Rechte und Pflichten für die Flugverbindung zwischen Taiwan und der Schweiz 1995 geregelt wurden, eine «rein kommerzielle» Vereinbarung sei, die den privatrechtlichen Regeln folgt, und nicht den Regeln für Staatsverträge. Dann könnte das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr und Energie (UVEK) gestützt auf Art. 30 Abs. 3 LFG tatsächlich Streckenrechte an eine einzelne taiwanesische Fluggesellschaft erteilen – bei isolierter Betrachtung aus Schweizer Perspektive.
Kein Problem bildet dabei der Bundesratsbeschluss, mit dem die Voraussetzungen für solche Streckenrechte in Ermangelung einer staaatsvertraglichen Regelung definiert werden müssten. Hier kann bezüglich Taiwan auf den Bundesratsbeschluss vom 26. September 1994 zurückgegriffen werden.
Das Erfordernis der Reziprozität ist nicht nur ein unter Art. 30 Abs. 3 zu berücksichtigender Aspekt, es ist auch Ausfluss der Meistbegünstigung entsprechend dem Freundschaftsvertrag mit der Republik China von 1918 und abgesehen davon ein Grundprinzip des Völkerrechts.
Bezüglich der Reziprozität gibt es ein relativ leicht lösbares und ein praktisch unlösbares Problem:
Das lösbare Problem ist, dass die taiwanesische Regierung bezüglich der Einräumung von Streckenrechten in Vorleistung gegangen ist. Sie hat der von der Schweiz designierten Swissair Asia die Ausübung der vereinbarten Streckenrechte 1995 umgehend – innert weniger Wochen – und im gewünschten Masse bewilligt. Die taiwanesischen Airlines haben somit berechtigte Erwartungen, dass in der Schweiz ebenso rasch Gegenrecht gewährt wird, falls eine von ihnen tatsächlich einen entsprechenden Antrag stellt und die Bewilligungsvoraussetzungen auf taiwanesischer Seite (Designation durch die Taipei Airlines Association) erfüllt sind.
Die Reziprozität bei den Streckenrechten beschränkt sich aber nicht nur auf die Fluggesellschaften, sondern auch auf den Staat, in dem sie die Fluggesellschaften ihren Sitz haben. Dies gilt allgemein, im besonderen Masse aber bezüglich Taiwan. 1991, 1992, 1993 und 1994 wurden mehrere Gespräche zwischen den Zivilluftfahrtsbehörden Taiwans und der Schweiz geführt sowie auch anderen Regierungs- und Behördenvertretern geführt. Es ging schon damals nicht ohne Vereinbarung mit der taiwanesischen Regierung. Der damalige taiwanesische Handelsminister Vincent Siew hat bereits 1991 signalisiert, dass es gewisse Möglichkeiten hinsichtlich «gemischter» Delegationen gebe, aber auch, dass gewisse politische Sensibilitäten Taiwans zu berücksichtigen seien[4].
Streckenrechte im internationalen Linienflugbetrieb betreffen immer mindestens zwei Länder, welche jeweils auf ihrem Territorium für die Sicherheit und den geordneten Betrieb des Flugverkehrs zuständig sind. Sie handeln dadurch die nötigen Air Services Agreements einschliesslich der Streckenrechten aus, sind für die Aufsicht ihrer «Home Carriers» zuständig, erteilen diesen Home Carriers die nötigen Betriebsbewilligungen und Streckenkonzessionen, teilen die Slots für sämtliche Fluggesellschaften zu etc. Dieser Prozess kann nicht einfach übersprungen werden, indem die Streckenrechte irgendwie Streckenkonzession hineingemogelt werden, welche der privaten ausländischen Fluggesellschaft von den schweizerischen Behörden ohne internationale Absprache erteilt wird.
Die taiwanesische Civil Aviation Authority hat bereits im Jahr 2000 klargestellt, dass eine einseitig geschaffene Rechtsgrundlage nicht ausreichend für die Aufnahme des Flugbetriebs sind. Dänemark, Tschechien und Spanien wollten damals «temporäre Bewilligungen» an taiwanesische Fluggesellschaften erteilen, die diesen erlaubt hätte, Personentransporte nach Kopenhagen, Prag, Madrid oder Barcelona durchzuführen. Tschechien und Spanien haben inzwischen Air Services Agreements mit Taiwan ausgehandelt. Taiwan könnte ein unilaterales Vorgehen der Schweiz nicht tolerieren, ohne die unzähligen Länder und Destinationen vor den Kopf zu stossen, mit denen sie über Jahrzehnte hinweg Verträge ausgehandelt und immer wieder erneuert hat.
Die taiwanesischen Behörden stellten aufgrund der Vorstösse von Dänemark, Tschechien und Spanien damals klar, dass CAA die Erteilung der Streckenkonzessionen verweigern würden, wenn eines dieser drei Länder einseitig Streckenrechte an taiwanesische Fluggesellschaften vergeben würde. Der Abschluss von Air Services Agreements sei unabdingbar. Begründet wurde dies vorab damit, die Rechte der Flugpassagiere wären mit solchen provisorischen Bewilligungen ungenügend geschützt, könnten diese Rechte doch jederzeit entzogen werden, insbesondere auf Druck der Volksrepublik China[5].
Zudem käme es einer Wiedereinführung extraterritorialer Rechte gleich, wenn ein fremder Staat alleine über die Rechte von Fluggesellschaften und Flugpassagieren verfügen könnte. Der Bundesrat hat gegenüber der Republik China «schon» 1946 auf die extraterritoriale Rechte in Taiwan verzichtet, den entsprechenden Bundesratsbeschluss und den zugehörigen Notenaustausch mit dem Botschafter der Republik China auch negieren zu wollen, ist nun wirklich keine gute Idee.
Die Schweiz hat im «Jahrhundert der Demütigung» Chinas kein Ruhmesblatt verdient, indem sie als letztes Land überhaupt einen «ungleichen Vertrag» mit der Republik China geschlossen hat und den Verzicht auf die extraterritorialen Rechte bis 1946 zugewartet hat, in der Hoffnung, so noch irgendwelche Konzessionen der Republik China herauszuholen. Ohne Erfolg. Am Ende diktierte der Botschafter der Republik China in der Schweiz – dummerweise ein Völkerrechtsexperte – den Inhalt des Notenaustauschs, mit dem die extraterritorialen Rechte sang- und klanglos aufgegeben wurden. Solche Experimente sollte man nicht unbedingt wiederholen.
Betriebsbewilligung
Als Voraussetzung für die Erteilung der Betriebsbewilligung nach Art. 29 Luftfahrtsgesetz (LFG) gelten wiederum die Bedingungen eines allfälligen Staatsvertrages, wo kein solcher vorhanden ist, ist diese zu erteilen, wenn das Luftfahrtsunternehmen und die Aufsichtsbehörden von dessen Sitzstaat die entsprechenden Sicherheitsstandards erfüllen und für einen möglichst ökologischen Betrieb gesorgt ist. Eine Bewilligungserteilung kann verweigert werden, wesentliche schweizerischen Interessen dagegen sprechen (derzeit bei der russischen Aeroflot) oder die Reziprozität nicht gewährleistet ist.
Nachdem die in Frage kommenden taiwanesischen Fluggesellschaften (EVA Air und Starlux) international geltenden Vorschriften zweifellos entsprechen und zudem weder der Bundesratsbeschluss vom 26. September 1994 noch der Vertrag vom Januar 1995 noch nicht einmal eine Betriebsbewilligung für notwendig erklären, könnte diese wohl kaum verweigert werden.
Antragsverfahren: Reziprok oder Red Tape?
Für die Erteilung der Streckenkonzession bzw. Betriebsbewilligung basierend auf einem Staatsvertrag ist es tatsächlich an der Fluggesellschaft, einen formellen Antrag zu stellen. Davon scheint auch der Bundesrat auszugehen, wenn er darauf hinweist, ein solcher Antrag sei nicht noch nicht eingegangen.
Die Vereinbarung vom Januar 1995 spricht bezüglich der Flugverbindung Taiwan und der Schweiz spezifisch nur vom Flugplan, der 30 Tage vor der Aufnahme des Linienflugbetriebs eingereicht werden muss, was auch voraussetzt, dass rechtzeitig die nötigen Slots reserviert wurden. Dies entspricht den damaligen Gepflogenheiten, das Erfordernis einer Betriebsbewilligung (abhängig vom jeweiligen Staatsvertrag) und einer Streckenkonzession (ebenfalls abhängig von einem Staatsvertrag) wurde erst 1998 eingeführt.
Es ist aber davon auszugehen, dass das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) ungeachtet der Vereinbarung von 1995 (die das BAZL ja nicht als ausreichende Rechtsgrundlage ansieht) der übliche Berg an Formularen und Nachweisen einzureichen wären: 49.04 (Antrag auf Erteilung der Streckenkonzession), 49.01 (Flugplan), evtl. 49.02 (Tarife) und 49.06 (Liste der eingesetzten Flugzeuge), Beleg für Designation entsprechend dem bilateralen Abkommen bzw. Bestätigung der Reziprozität, Angaben zum Rechtsdomizil etc.
Inwieweit das Verfahren von demjenigen in anderen Ländern konkret unterscheidet, ist schwer zu sagen. Es fällt jedenfalls auf, dass EVA Air nach der Gründung 1989 in grosser Kadenz internationale und insbesondere auch interkontinentale Fluglinien eröffnen konnte und Starlux Airlines 2023 in noch schnellerer Kadenz das gleiche tut. Wenn die administrativen Erfordernisse überall vergleichbar wären, können die entsprechenden Formulare im Copy-Paste-Verfahren eingereicht werden.
Dass sich EVA Air 30 Jahre lang und Starlux 5 Jahre lang nicht die Mühe gemacht haben, die von 1991 bis 1995 ausgehandelte Vereinbarung über die Flugverbindung zwischen der Schweiz und Taiwan nutzbar zu machen, könnte ein Hinweis auf «Red Tape» sein, ein Zeichen für Aussenstehende unsichtbare bürokratische Hürden, welche ausländischen Fluggesellschaften in den Weg gelegt werden. Dass EVA Air 2022 lieber in Italien und Deutschland neue Fluglinien Konkurrenz zu China Airlines eröffnet hat, statt sich in der Schweiz zu erkundigen, ob Interesse bestehe, die damals seit 20 Jahren brachliegende Flugverbindung wieder zum Leben zu erwecken, dass es hierzulande irgendwo ein Problem gibt.
Wiederholt sich die Geschichte? 1991 war es nicht etwa die Swissair, die nach einer Direktflugverbindung nach Taiwan rief, sondern einerseits EVA Air und andererseits Bundesrat Delamuraz und Botschafter Girard. Letztere erkannten, dass der Schweiz in Taiwan die Felle davonschwammen. Erst ab September 1994 wird ein konkretes Engagement der Swissair ersichtlich. Am Ende war es die Swissair, die von der Vereinbarung profitierte.
Wenn die Swiss sich doch entscheiden sollte, die von der Swissair Asia aufgegebene Flugverbindung wieder zu bedienen und die der Swissair erteilte Schweizer Einzelkonzession auf die Swiss übertragen worden sein sollte, müsste die Swiss wohl bei der Beantragung einer Streckenkonzession in Taiwan unter dem Aspekt der Reziprozität genau gleich wie im Formular des BAZL 49.04 gegenüber den taiwanesischen Behörden die Frage beantworten, aus welchem Staatsvertrag sich die Reziprozität ergebe bzw. ob die Schweizer Regierung eine entsprechende Zusicherung abgebe.
Die Frage ist, ob eine solche Zusicherung ausreichen würde: Die Schweizer Regierung hat sich an die im Bundesratsbeschluss vom 26. September 1994 enthaltene implizite Zusicherung, dass nicht nur die Swissair, sondern auch eine taiwanesische Fluggesellschaft die Strecke zwischen Taiwan und der Schweiz bedienen dürfe, nicht gehalten, wenn sie nun plötzlich das Vorliegen von Streckenrechten verneint. Auch an den als «Freundschaftsvertrag» bezeichneten Staatsvertrag fühlt sich die Schweiz nicht gebunden. Als Vertragspartnerin hat sich die Schweiz gegenüber der Republik China nicht gerade als vertrauenswürdig erwiesen.
Fazit: Keine Streckenrechte ohne Air Service Agreement (ASA)
Zusammenfassend gibt es keine Streckenrechte zwischen der Schweiz und Taiwan (mehr), wenn sich diese nicht aus einem mit der taiwanesischen Regierung ausgehandelten Air Service Agreement (Luftverkehrsabkommen) oder einer anderen «staatsvertraglichen Regelung» hervorgehen.
Vordergründig erfüllt der 1995 abgeschlossene Vertrag, der sich zu den Streckenrechten äussert, die Voraussetzungen an eine staatsvertragliche Regelung. Die Vereinbarung erfolgte auf Initiative des Bundesrates und wurde mit der taiwanesischen Regierung ausgehandelt, unter Einbezug des Bundesamtes für Zivilluftfahrt und der taiwanesischen Civil Aviation Administration. Seitens der taiwanesischen Seite bestand soweit ersichtlich kein Einverständnis, eine rein privatrechtliche Vereinbarung abzuschliessen, zu dem die taiwanesischen Behörden nichts zu sagen gehabt hätten. Noch weniger gab es ein Einverständnis der taiwanesischen Seite, das dem Bundesrat erlaubt hätte, handelt, ist unter diesen Umständen eher unwahrscheinlich.
Streckenrechte für eine einzelne taiwanesische Fluggesellschaft können auch bei Vorliegen eines konkreten Antrag einer Fluggesellschaft entgegen dem Wortlaut von Art. 30 Abs. 3 Luftfahrtsgesetz (LFG) nicht einseitig durch den Bundesrat oder duch das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr und Energie (UVEK) verfügt werden.
Disclaimer
Dr. iur. Maja Blumer hat keinerlei privaten oder kommerziellen Interessen hinsichtlich der diskutierten Fluggesellschaften, Behörden, Vertragsparteien, Verbände und sonstigen Personen. Sie ist auch als Mitglied der FDP derzeit inaktiv. Sämtliche Informationen stammen aus öffentlich zugänglichen Quellen und die ausschliesslich darauf gestützte eigene Analyse wurde mit niemandem diskutiert. Keine der genannten Personen wurde eingeladen, sich dazu zu äussern. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der gezogenen Schlüsse und die Vollständigkeit der Rechtsgrundlagen. Insbesondere befinden sich die diplomatischen Dokumente des Jahres 1995 und der Folgejahre noch unter Verschluss.
@ Das Coverbild zeigt eine Maschine auf einem Direktflug von Taiwan nach Deutschland vor dem Landeanflug auf Frankfurt am Main und ist privat.
[1] https://www.fedlex.admin.ch/eli/oc/2025/358/de
[2] https://www.icao.int/sustainability/pages/eap_ep_tasa.aspx
[3] https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1950/471_491_479/de
[4] dodis.ch/59212
[5] https://www.taipeitimes.com/News/front/archives/2000/10/12/0000056934