Auch in der Frühjahrssession 2025 befassten sich National- und Ständerat vielfach direkt oder indirekt mit der Volksrepublik China und Taiwan. Neuerdings vor allem unter sicherheitspolitischen Aspekten. Bundesrat Martin Pfister wird seine historischen Kenntnisse zweifellos benötigen, denn die meisten drängenden Fragen des Parlaments betreffen nicht nur sein Departement, sondern sind Resultat von über lange Jahre in der Schweiz gepflegten Narrativen, die einer historischen Überprüfung nicht standhalten.
von Maja Blumer, 24. März 2025
1. Investitionsprüfgesetz ein Schrittchen weiter
2. Die China-Strategie 2.0 und die G20-in-Asien-Strategie
3. Drohende Lieferrestriktionen für Computerchips
4. Suche nach einem Verantwortlichen für den Nachrichtendienst
5. Drohender Ausschluss von Informationen von «Five Eyes»
6. Versorgung mit Computerchips aus Taiwan
7. Direktflugverbindung Schweiz-Taiwan
8. Abhängigkeit von Rohstoffen aus China
9. Transnationale Repression
10. Fazit
1. Investitionsprüfgesetz ein Schrittchen weiter
Am 17. März 2025 trat der Ständerat – entgegen dem Willen der vorbereitenden Kommission – auf die Gesetzesvorlage ein, die 2018 als «Lex China» bzw. als Motion Rieder (Motion 18.3021) ihren Anfang nahm und inzwischen die unverfänglichere Bezeichnung «Investitionsprüfgesetz» trägt[1]. Dies, nachdem der Nationalrat bereits im September 2024 eine gegenüber der Botschaft des Bundesrates vom Dezember 2023 verschärfte Version beraten und mit deutlicher Mehrheit verabschiedet hat.
Damit ist die Lex China irgendwo in einer Extraschlaufe gelandet. Die Vorlage wird wohl irgendwann in diesem Jahr noch vom Ständerat beraten werden, dann dem Gesetzesreferendum unterstellt werden und irgendeinmal, wenn nichts schiefläuft, vielleicht schon 2027 oder so, in Kraft gesetzt werden. Für die tatsächliche Umsetzung müsste man dann noch die Leute finden, die den Spreu vom Weizen trennen und erkennen, ob ein «privates» Unternehmen und die involvierten Personen (die durchaus nicht einen chinesischen Pass haben müssen) staatlich gelenkt werden oder nicht. Ein gut vernetzter Nachrichtendienst, der etwas mehr über die involvierten Personen in Erfahrung bringen kann, als diese in schönen Powerpointpräsentationen von sich selbst preisgeben, wäre natürlich auch nützlich. Eine gewisse Koordination mit dem sich in Revision befindlichen Nachrichtendienstgesetz (NDG) könnte hilfreich sein.
Bis zum schönen Tag, an dem die Lex China in Kraft tritt, bleibt die Schweiz das Loch im Donut, wie es der nun-nicht-mehr-US-Botschafter Scott Miller so nett ausgedrückt hat. Inzwischen sind Investitionskontrollen nicht nur in allen OECD-Staaten und allen EU-Ländern sowie Grossbritannien Standard[2], auch Länder des globalen Südens werden wohl in Zukunft etwas genauer hinschauen müssen, wenn es um staatlich gelenkte Investitionen geht.
In den Philippinen wird beispielsweise neuerdings mit grosser Entschiedenheit gegen POGOs (Philippines Offshore Gaming Operators[3]) und die damit verbundenen Probleme wie politischer Einflussnahme durch fremde Staaten, Menschenhandel, Korruption, Urkundenfälschung und Betrug vorgegangen. POGOs waren direkt (Arbeitsplätze) und indirekt Quelle (Bürogebäude) von nahmhaften ausländischen Investitionen. 2024 erfolgte – auch auf Druck Chinas – ein Verbot. Die Folgen für die philippinische Wirtschaft sind noch ungewiss. Das an eine TV-Soap erinnernden Drama um Guo Hua Ping alias Alice Guo mit Senatsanhörung, Flucht, Verhaftung, diversen Anklageschriften und Konfiskation betrügerisch erlangten Grundeigentums[4] dürfte erst der Anfang sein[5]. Letztendlich werden die Philippinen stärker kontrollieren müssen, welche ausländischen Investitionen und Investoren im Land willkommen sind, und welche nicht.
In den rohstoffreichen afrikanischen Ländern dürfte spätestens jetzt ein Umdenken stattfinden. Am 18. Februar 2025 wurden in Sambia bei einem Dammbruch der Kupfermine Sino-Metals Leach Zambia, die im Mehrheitsbeseitz des Staatsunternehmens China Nonferrous Metals Industry Group ist, 50 Millionen Liter eines toxischen Cocktails «aus konzentrierter Säure, gelösten Feststoffen und Schwermetallen»[6] zunächst in den Bach Mwambashi und dann in den Fluss Kafue geschwemmt, der in den Sambesi mündet. Vom Desaster und dessen Langfristschäden könnten um die 100 Millionen Menschen und unzählige Tiere betroffen sein[7].
Statt in Schweizer Forschungsinstitutionen von natürlichen Kläranlagen und dem sauberen Wasser im Sambesi zu schwärmen[8] wäre es vielleicht Zeit, wie man mit gutem Beispiel vorangehen kann, um solche ökonomischen und ökologischen Desaster zu vermeiden. Dazu gehört auch, dass man nicht einfach kopflos chinesische Investitionen ablehnt oder begrüsst, sondern sich überlegt, welche Rahmenbedingungen gegeben sein müssen, damit die eigenen Interessen gewahrt werden. Gerade China tut dies mit seinen eigenen Investitionskontrollen und -vorgaben ja auch.
Aber warum tut sich die Schweiz mit Investitionskontrollen so schwer, wenn sich sogar die Philippinen und Sambia darüber Gedanken machen, welche Anforderungen sie an die ausländischen Geldgeber stellen wollen? Sind diese Länder nicht ungleich abhängiger von ausländischen Direktinvestitionen als die Schweiz, welche sich ständig über den starken Schweizerfranken beschwert?
Ein Blick in die Statistik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) betreffend Direktinvestitionen zeigt[9], dass die Schweiz tatsächlich ein Problem mit der Lex China bekommen könnte. Nicht mit chinesischen Direktinvestitionen in der Schweiz, die sich auf einem immer noch recht bescheidenen Niveau bewegen. Sondern mit der Akzeptanz von Schweizer Investitionen in China. 2022 soll der Kapitalbestand allein in der Volksrepublik China (ohne Hong Kong) 17,4% aller Investitionen in ganz Asien ausgemacht haben und sich auf rekordhohe 28,1 Milliarden Schweizerfranken belaufen haben. 1993, zu Beginn der statistischen Erfassung, war die SNB noch auf die Zahl von CHF 80 Millionen gekommen, die in der Volksrepublik China investiert waren. 54% der Direktinvestitinen in Asien gingen damals in die Länder der First Island Chain (Südkorea, Japan, Taiwan, Philippinen). 2022 waren es in diesen vier Ländern rekordtiefe 17,8%.
So richtig die Post ab ging nach der «Great Financial Crisis», die Schweizer Direktinvestitionen in der VR China verdoppelten sich zwischen 2009 und 2011 von CHF 6,555 Milliarden auf CHF 13,217 Milliarden. Tofu-Dreg statt Sub-Prime? Bis zur nächsten Verdoppelung dauerte es dann immerhin bis 2022.
Wenn man der Statistik der SNB glaubt, hat das De-Risiking der Schweizer 2023 begonnen. Der Kapitalbestand der Schweizer Direktinvestitionen in der Volksrepublik China (ohne Hong Kong) sank um 20%, von CHF 28,1 Milliarden auf CHF 22,5 Milliarden, was noch 15% der Schweizer Investitionen in Asien entsprach.
Es zählt nicht als Panik, wenn man als erster zum Ausgang rennt, wenn das Kartenhaus zu kollabieren droht. Wenn aber alle zum Ausgang drängen, kommt es eigentlich auch nicht mehr so gross darauf an, ob man Massnahmen, die man vor 7 Jahren hätte ergreifen können, noch ein bisschen länger auf die lange Bank schiebt. Immerhin werden Investitionskontrollen je länger je weniger als anti-Chinesisch gewertet werden können, je hartnäckiger die Schweiz ihren Sonderweg verfolgt. Und vielleicht sind die CHF 22,5 Milliarden in China ja wirklich gut angelegt.
Mit dem Auf-die-lange-Bank-Schieben bei der Lex China ist das Thema China leider nicht abgehakt. National- und Ständerat hatten sich in der Frühjahrssession 2025 diverse Male mit China – der Volksrepublik und der Republik – befassen müssen bzw. werden sich auch in Zukunft nicht um Diskussionen drücken können.
2. Die China-Strategie 2.0 und die G20-in-Asien-Strategie
Da ist einmal die China-Strategie 2025 bis 2028. Nachdem der erste Anlauf der China-Strategie 2021 bis 2024 nicht gerade geglückt ist, wollte der Bundesrat die zweite Auflage in eine Asien-Strategie verpacken. Asien reicht ja je nach Definition Einiger (immer dann, wenn es um Forschungsgelder geht) von Kairo über Surabaya bis Wladiwostok, da wird man die kommenden Monate und Jahre getrost damit zubringen, eine Expertengruppe zusammenzustellen, die sich die Köpfe darüber zerbricht und irgendwann ein Papier produziert, das dann allen Adressaten gleichermassen missfällt.
Es wurde vom Bundesrat zwar präzisiert, gemeint sei «nur» eine G20-in-Asien-Strategie (also Türkei, Saudiarabien, Indien, Indonesien, Japan, Südkorea, Russland und China?). Ein gemeinsamer Nenner der 8 und schon nur der 4 letztgenannten ostasiatischen Länder erschliesst sich nicht gerade auf Anhieb.
Der Nationalrat wollte von einer G20-in-Asien-Strategie nichts wissen und hat mit 101 zu 88 Stimmen an einer 2. Auflage einer Schweizer China-Strategie festhalten[10]. Das Argument: Mit einer Asien-Strategie würde die China-Strategie verwässert, China habe z.B. mit Südkorea wenig zu tun; ein Ende der bilateralen China-Strategie «würde die China-Kompetenz in der Schweiz und die Ressourcen in der Verwaltung zu China schwächen, ein Hüst und Hott in der Aussenpolitik darstellen und in der aktuellen geopolitischen Lage ein falsches Signal aussenden»[11].
Die Abstimmung verlief entlang der üblichen Parteigrenzen, wie man sie aus Abstimmungen betreffend China bzw. Taiwan kennt. SVP und FDP geschlossen für das, was als chinafreundliche Poltik wahrgenommen wird, SP und Grüne auf der Gegenposition, die Mitte irgendwo in der Mitte. Diesmal gab es zwei verblüffende Abweichungen: SP, Grüne, Grünliberale und die Mitte wollten alle eine Chinastrategie. Die SVP stimmte geschlossen «Nein». Nur bei der FDP war eine gewisse Wankelmütikeit vorhanden: Neben drei Enthaltungen gab es auch eine Ja-Stimme, und die kam ausgerechnet von Laurent Wehrli, dem Präsidenten der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Schweiz-China[12].
Schön, dass man in der FDP wieder unterschiedlicher Meinung sein darf! Wir warten gespannt darauf, welche Rückschlüsse auf die China-Kompetenz der Schweizer Bundesverwaltung aus der China-Strategie 2.0 gezogen werden können. Auch darüber, was mit dem Ansatz des «Whole of Switzerland» in der China-Strategie 1.0 passiert ist, würde man gerne mehr erfahren.
Vordergründig haben die anderen Parteien FDP-Bundesrat Cassis einen Gefallen getan: Man kann kaum von einer G20-in-Asien-Strategie sprechen, ohne auf die Grenzkonflikte und historischen Gebietsansprüche der Volksrepublik China betreffend die G20-Staaten Indien (Grenzkonflikt), Japan (Senkaku und Ryukyu), Südkorea (chinesische Unterstützung für Nordkorea seit Beginn des Koreakriegs vor 75 Jahren) und Russland (u.a. Ost-Mandschurei) einzugehen. Bei einer Chinastrategie kann man weiterhin so tun, als gäbe es das andere China – die Republik China (Taiwan) – gar nicht und so tun, als seien die Territorialkonflikte in Ost-, Südost- und Südasien vor allem ein Problem von Präsident Trump.
3. Drohende Lieferrestriktionen für Computerchips
Auch sonst sorgte die FDP bezüglich ihrer Chinapolitik für Aufsehen. Der Tessiner FDP-Politiker Simone Gianini stellte am 4. März 2025 einen Eilantrag (Interrogazione urgente 25.1000[13]): Wieso figuriert die Schweiz nicht auf der Liste der Staaten, die uneingeschränkten Zugang zu AI-Chips aus den USA erhalten? Andere Länder wie Italien, Frankreich, Deutschland, Spanien, Belgien, die Niederlande, Dänemark, Irland, Finland oder Schweden hätten diesen Zugang doch ausdrücklich erhalten!
Die Sorge ist berechtigt. Was passiert, wenn z.B. Forscher an der ETH einen Nvidia GH-200 Chip benötigen, um Large Language Models (LLMs) zu entwickeln oder ein Schweizer Zulieferer eines Autobauers einen spezifischen Chip nicht erhält?
Die Bundesverwaltung beeilte sich sehr, die Fragen zu beantworten, wusste aber scheinbar nicht so genau, wieso die Schweiz es nicht auf die Liste geschafft hat und wie gross der Bedarf in der Schweiz überhaupt ist. Man sei daran, die Frage mit Wirtschaftsvertretern abzuklären und werde Gespräche mit den Amerikanern führen. Schliesslich sei die entsprechende Regelung am 13. Januar 2025 und damit noch unter der Regierung Biden erlassen worden. Die Bestimmungen würden auch erst ab Mitte Mai 2025 gelten, manche sogar erst ab Januar 2026.
Die Antwort auf die Kernfrage, wieso es die Schweiz nicht auf die Liste geschafft hat, kann man erraten, wenn man sich die ganze Liste anschaut: Australien, Belgien, Kanada, Südkorea, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Japan, Irland, Italien, Norwegen, Neuseeland, die Niederlande, Grossbritannien, Spanien, Schweden und Taiwan.
Neben den wichtigsten Technologiepartnern der USA, namentlich Taiwan (z.B. TSMC und im Grunde genommen auch Nvidia), Südkorea (z.B. Samsung), Japan[14] (z.B. Fujitsu) und den Niederlanden (ASMC) haben es die engsten militärischen Verbündeten der USA auf die Liste geschafft.
Es sei daran erinnert: die grössten amerikanischen Militärbasen befinden sich nach wie vor in Japan, Deutschland, Südkorea, Italien, Grossbritannien und Spanien. Wenn die USA den Verteidigungskräften dieser Länder den Rücken stärkt, schützt es auch sich selber. Australien, Grossbritannien bildet mit den USA das Verteidigungsbündnis AUKUS. Die Chips, deren Exporte Restriktionen unterworfen sind, dienen auch oder sogar vorwiegend militärischen Zwecken.
Unter den Ländern, die es auf die Liste geschafft haben, sind auch die Länder, welche sich für Taiwan stark gemacht haben, etwa Australien, Deutschland und Frankreich, deren Seestreitkräfte zusammen mit den USA in der Taiwanstrasse sowie im süd- und ostchinesischen Meer Präsenz markieren.
Ein gemeinsamer Nenner findet sich auch insofern, als etliche Länder auf der Liste figurieren, die sich im Juni vergangenen Jahres in Taipei zu einer ersten «Elefantenrunde» getroffen haben und an der zweiten «Elefantenrunde», derjenigen der IPAC, nicht nur teilgenommen haben sondern inzwischen auch aktiv geworden sind. Wie es US State Secretary Blinken gesagt hat: Wer im internationalen System nicht am Tisch sitzt, steht auf dem Menu.

Und es sind zumeist Länder, die schon im Koreakrieg unter UN-Flagge an der Seite der Amerikaner Nordkorea, China und der Sowjetunion die Stirn geboten hatten (Schweden, Norwegen, Dänemark, Westdeutschland und Dänemark hatten Sanitätstruppen geschickt, Australien, Belgien, Kanada, Grossbritannien und natürlich Südkorea stellten Kampftruppen).
Dass die Liste auf 18 Länder beschränkt bleibt, ist relativ unwahrscheinlich. Aber dass es diese 18 Länder auf die Liste geschafft haben, und andere Länder (noch) nicht, ist nicht zufällig.
Kurzum: der Elefant im Raum ist die Volksrepublik China. Das wurde im entsprechenden amerikanischen Erlass[15] auch klargemacht: «Glaubwürdige Berichte aus allgemein zugänglichen Quellen haben Unternehmen aus der Volksrepublik China (VRC) identifiziert, die ausländische Tochtergesellschaften in einer Reihe von unkontrollierten Bestimmungsländern zum Kauf von ICs [IC=Integrated Circuit] genutzt haben, die der EAR-Kontrolle [EAR = Export Administration Regulations] unterliegen. […] Dementsprechend erfordern die nationale Sicherheit und die Aussenpolitik der USA, dass das BIS [BIS=Bureau of Industry and Security] jede Transaktion mit einem Bestimmungsort oder Endverbraucher, der ein erhöhtes Risiko des Abzweigens oder des Missbrauchs darstellt, genau prüft.»
Wenn die Schweizer Forschung und Industrie uneingeschränkten Zugang zu den begehrten Chips erhalten wollen, müssen sie garantieren, dass die Technologie in die falschen Hände gerät – namentlich diejenigen Chinas, Russlands oder des Irans – werden sie schon etwas mehr bieten müssen, als schöne Worte.
Beispielsweise einen Background-Check für Forscher an der ETH[16]. Beispielsweise das konsequente Ausweisen von Spionen – von der Umsetzung des entsprechenden Beschlusses[17] des Parlaments im Dezember 2023 bzw. Mai 2024 hat man noch nicht gerade viel gemerkt. Wirksame Investitionskontrollen (Lex China!). Wirksame Exportkontrollen. So etwas wie einen Sicherheitsdialog mit Taiwan. Einen Verteidigungsminister, der im In- wie im Ausland Vertrauen geniesst. Mitziehen bei Sanktionen, etwa was die Überwachung von Uiguren und anderen Minderheiten mittels künstlicher Intelligenz betrifft (vgl. unten, Ziff. 9). Einem Aussenminister, der zum Telefonhörer greifen kann und schnell bei Marco Rubio (als China-Hawk bekannt) nachfragen kann, wo es denn genau klemmt[18]. Einen gut vernetzten Nachrichtendienst und ein neuer Nachrichtendienst-Chef (unten, Ziff. 4), der schnell bei Tom Cotton (siehe unten, Ziff. 5) nachfragen kann, wo es denn genau klemmt.
4. Suche nach einem Verantwortlichen für den Nachrichtendienst
Damit sind wir beim Nachrichtendienst. Dieser hat nicht nur personelle Probleme, einschliesslich dem Abgang der obersten Chefin Bundesrätin Amherd und dem Ende Februar angekündigten Abgang von Nachrichtendienstchef Dussey und dem Armeechef Süssli.
Diesbezüglich kam am 5. März 2025 von Jean-Luc Addor (Mitte) der nächste Hieb (Motion 25.3045[19]): Er forderte, der Armee- und Nachrichtendienstchef sollten sofort abtreten. Das gilt für allem für den vielfach kritisierten Nachrichtendienstchef Dussey, der Diplomat hatte erst am 1. April 2022 sein Amt angetreten und soll noch bis Ende März 2026 auf seinem Posten bleiben. Die etwas ungewöhnliche Forderung, lieber eine Vakanz in Kauf zu nehmen, begründet Addor bezüglich Dussey wie folgt: «son maintien en fonction risque de saper durablement (plus d’un an, c’est long !) la confiance des services partenaires».
Addor hatte bereits bei der Stabsübergabe vom Vorgänger von Dussey, Jean-Philippe Gaudin, auf Ungereimtheiten hingewiesen[20]. Der Arbeitsvertrag mit Gaudin, der erst seit 1. Januar 2018 im Amt war, wurde im Mai 2021 per Ende August 2021 «einvernehmlich» aufgelöst. Dussey, damals Botschafter im Iran (und zuvor in Russland), wurde am 10. November 2021 ernannt, trat sein Amt aber erst fünf Monate später, am 1. April 2022 an. Die Leitung des NDB lag damit de facto während fast einem Jahr in den Händen des stellvertretenden Leiters. Dies ausgerechnet dann, als dringend zuverlässige Informationen hinsichtlich des sich schon Monate zuvor abzeichnenden russischen Angriffs auf die Ukraine benötigt wurden. Der Stellvertreter seinerseits, Jürg Bühler, ist schon lange beim NDB, hatte diese Funktion auch erst am 1. Februar 2021 befördert worden.
Bloss: wie kann man das Vertrauen mit einer bloss interimistischen Besetzung wiederherstellen? Und wer stellt sich für die Aufräumarbeiten nach all den Skandalen, die den NDB durchgeschüttelt haben, zur Verfügung, nur damit sich ein Jahr später ein anderer auf den ins gemachte Nest setzen kann? Und hängt das Vertrauen in den Nachrichtendienst nur von der Person an der Spitze ab, oder nicht vielmehr von den rund 400 Mitarbeitern und den rechtlichen Strukturen der Organisation insgesamt?
5. Drohender Ausschluss von Informationen von «Five Eyes»
Ausgerechnet der FDP-Chef Thierry Burkart stellte am 13. März 2025 die Frage (Interpellation 25.3102[21]), ob der Schweiz der Verlust von Informationslieferungen der als «Five Eyes» bekannten Allianz der Nachrichtendienste von USA, Kanada, Grossbritannien, Neuseeland und Australien drohe. Hintergrund der Interpellation von Burkart ist ein Vorstoss des republikanischen Senators Tom Cotton und heutigen Vorsitzenden des amerikanischen Nachrichtendienst-Ausschusses, der verlangt, dass mit Staaten, die 5G-Technologien des chinesischen Herstellers Huawei Ltd. im Einsatz haben, keine nachrichtendienstlichen Informationen mehr geteilt werden.
Eigenartigerweise erwähnt Burkart nicht, dass gleichentags bekannt geworden war, dass bei Razzien in Belgien und Portugal mehrere Lobbyisten für Huawei verhaftet wurden, die Bestechungsgelder an EU-Parlamentarier gezahlt haben sollen.
Die Ironie der Sache ist, dass es Ständerat Burkhart war, der am 17. März 2025 für das Nichteintreten betreffend das Investitionsprüfgesetz plädiert hat (vgl. oben, Ziff. 1), und bei dem es gerade auch um den Rüstungsgüter, zivil und militärisch verwendbare Güter, Stromnetze, Stromproduktion, Wasserversorgung sowie Gesundheits-, Telekom- und Transportinfrastrukturen geht.
Die Antwort auf die Frage Burkarts «Wer trägt die politische Verantwortung, dass der Ausschluss von nachrichtendienstlichen Informationen der USA nicht rechtzeitig antizipiert wurde?» ist mit Blick auf das Schicksal der «Lex China» ziemlich klar: Die FDP, welche das Investitionsprüfgesetz schon in der Vernehmlassung im Sommer 2022 klar abgelehnt hat. Dasselbe gilt für die Ausweisung von Spionen. In der entsprechenden Abstimmung vom 12. Dezember 2023 bildeten FDP und SVP im Nationalrat einmal mehr eine unheilige Allianz, die gegen die konsequente Durchsetzung des Schweizer Rechts gewandt hat. Wenn ausländische Geheimndienste immer wieder Informationen über Spione in der Schweiz liefern, der Bundesrat aber weder eine Strafverfolgung zustimmt noch spionierende Diplomaten ausweist, braucht es nicht allzu viel Phantasie, dass irgendeinmal einfach gar keine Informationen mehr in die Schweiz fliessen.
In diesem Zusammenhang ist die Frage Burkhalters nach der Vorwirkung des Gesetzesentwurfs von Cotton höchst relevant: Wenn umliegende Länder geeint gegen illegale Polizeistationen, transnationale Repression, Korruption, Menschenhandel, Spionage usw. vorgehen, und die entsprechenden Informationen nicht mehr mit der Schweiz geteilt werden, steigt das Risiko, dass die Täter ihre Tätigkeit einfach in die Schweiz verlagern. Der Nachrichtendienst ist damit noch mehr gefordert oder überfordert, versagt er, ist es für den neuen Nachrichtendienstchef noch schwieriger, das Vertrauen der «Five Eyes» wiederzuerlangen.
Man darf gespannt sein, wie die FDP sich bezüglich der Lex Huawei stellen wird. Der Bundesrat hat nämlich in seinem Bericht zum Postulat Pult (20.3984) am 15. Dezember 2025[22] vorgeschlagen, im «FMG eine neue Bestimmung vorzusehen, die ihm die Möglichkeit gibt, bei Eintreten eines geopolitischen Risikos unter Einhaltung der internationalen Verpflichtungen der Schweiz die erforderlichen Massnahmen zu ergreifen. Unter anderem soll er die Beschaffung, die Einrichtung und den Betrieb von Ausrüstungen verbieten können, die von Lieferanten stammen, die als problematisch für die Sicherheit unseres Landes gelten oder die sich im Besitz, unter der Kontrolle oder dem Einfluss eines ausländischen Staates befinden, der ein geopolitisches Risiko für die Schweiz darstellt.»
Das heisst konkret, dass die Schweiz einer allfälligen Umsetzung des Vorschlags von Senator Cotton momentan nichts entgegenzuhalten hat. Das heisst auch, dass die Nutzer der Schweizer Telekommunikation vor Transnationaler Repression und Überwachungsaktionen bis auf weiteres nicht geschützt sind, wenn von den verbauten Komponenten tatsächlich ein entsprechendes Risiko ausgehen sollte.
Es besteht allerdings kein Grund zur Panikmache. Es kann auch bei anderen IT-Komponenten und Apps Sicherheitslücken geben. Die «Five Eyes» werden ihre Informationen auch weiterhin weitergeben, wenn es in ihrem eigenen Interesse ist. Und sie werden diese unabhängig davon, ob an sicherheitskritischen Stellen in der Schweiz Huawei-Komponenten verbaut sind, Informationsrisiken zurückhalten, wenn sie in die falschen Hände geraten.
Wenn der Bundesrat in seinen Berichten ad nauseam wiederholt, dem Nachrichtendienst seien die Hände gebunden, entfaltet das im In- und Ausland eine seltsame Wirkung. Ein Beispiel ist der Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates 20.4333 APK-N vom 9. November 2020 in dem festgehalten wurde: «Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) kann sich wegen fehlender Rechtsgrundlagen nur dann mit den chinesischen Aktivitäten zur Einflussnahme im Hoheitsgebiet der Schweiz befassen, wenn er über Beweise für eine Beteiligung chinesischer Geheimndienste verfügt.» D.h. die ausländischen Geheimdienste bzw. die Schweizer Opfer müssen handfeste Beweise präsentieren, dass sie Repressalien von Angehörigen der chinesischen Geheimdienste (und nicht etwa nur eines «normalen» Botschaftsangehörigen) ausgehen, damit vielleicht ein Verfahren an die Hand genommen wird, die dann zur Ausweisung der fehlbaren Person führen könnte.
Wenn die Rechtsgrundlagen in der Schweiz derart mangelhaft sind, dass die «Five Eyes» guten Grund haben, keine Informationen mehr zu liefern, müsste man vielleicht eher dort ansetzen, statt sich über einen Gesetzesentwurf in den USA Sorgen zu machen.
6. Versorgung mit Computerchips aus Taiwan
Mauro Poggia brachte am 13. März 2025 einmal mehr seine Sorge um Versorgung mit Computerchips in Verbindung, nachdem die Antwort auf seine letztjährige Motion 24.3526[23] ihn nicht befriedigend ausgefallen war (Interpellation 25.3103[24]). Die Beschaffung einfach der Privatwirtschaft überlassen und ein bisschen Zusatzinvestitionen für ETH und andere Schweizer Forschungsinstitutionen sprechen «n’est-il pas l’expression d’une insuffisante prise de conscience des risques qui nous guettent et des défis qui nous attendent?» fragt Poggia.
Die Antwort auf die Frage ist wohl «Nein», vor allem wenn nun auch schon tatsächlich eine amerikanische Gesetzesgrundlage besteht, welche bereits ab Mai 2025 die Lieferung von AI-Chips in Frage stellt (oben, Ziff. 3). Bloss was kann die Schweiz machen?
Natürlich kann man Computerchips in der Schweiz ebensogut in der Schweiz produzieren wie in Taichung, Dresden oder in Arizona. Im Glarnerland gäbe es noch einige schöne Fabrikbrachen, genug Wasser und Strom in Hülle und Fülle. Geldgeber für eine «Fab» würde man hier ebensogut finden wie Arizona oder Dresden. Die Maschinerie kommt eh von überall her, unter anderem aus den Niederlanden (AML).
Doch woher will man die Leute holen, die über das nötige Know-how verfügen? Diese Leute kommen nun einmal sehr oft aus der Republik China, einem Land, das die Schweiz bereits 1913 anerkannt hat und dessen Existenz seit 75 Jahren vehement geleugnet wird. Was kann die Schweiz diesen Leuten bieten, das ihnen ihre Heimat oder die USA oder Deutschland nicht bieten kann?
Oder will die Schweiz Studierende nach Taiwan schicken, um sich das nötige Wissen dort zu erwerben, ähnlich wie es z.B. die Studierenden der TU Dresden schon tun? Na dann wäre es vielleicht an der Zeit, den Botschafter der Republik China in der Schweiz anzurufen, und sich zu erkundigen, ob vielleicht Interesse an einem Forschungsabkommen[25] bestünde. Nur zu dumm, wurde der letzte Botschafter der Republik China, der von der Schweiz akkreditiert wurde, vor 75 Jahren vor die gestellt wurde. Man könnte aber natürlich nachfragen, ob Dr. David Huang vom «Taipei-Kultur- und Handelsbüro» so nett wäre, sich akkreditieren zu lassen, so dass er im Namen der Regierung der Republik China einen entsprechenden Vertrag aushandeln könnte. Immerhin wurde die entsprechende Rechtsgrundlage, der Freundschaftsvertrag, den die Schweiz mit der Republik China geschlossen hat, noch nicht formell aufgehoben.
Oder man könnte wie z.B. die USA ein Wirtschaftsabkommen mit der Republik China abschliessen, das für eine präferenzielle Lieferung mit Chips sorgen würde. Zu dumm, wurde ein entsprechendes Postulat letztes Jahr ebenfalls diskussionslos beerdigt[26].
Kurz und gut: die Versorgung mit Computerchips egal ob aus Taiwan, Dresden oder Arizona ist ein Problem. Aber ein hausgemachtes.
7. Direktflugverbindung Schweiz-Taiwan
Am 17. März 2025 trat Jean-Luc Addor wieder auf. Mit Interpellation 25.3108 stellte er folgende scheinbar einfache Fragen[27]:
1. Les autorités fédérales compétentes ont-elles été saisies par une compagnie aérienne basée à Taiwan d’une demande tendant à proposer des vols directs entre la Suisse et Taiwan ?
2. Où en est la procédure ?
3. Pouvons-nous nous attendre à ce que de tels vols puissent être proposés en 2026 déjà ?
4. Le Conseil fédéral est-il disposé à faciliter la mise en place d’une telle offre ?
Die Fragen klingen einfach, der Bundesrat wird sich aber winden und wenden, diese zu beantworten.
Fischt Addor im Trüben, oder weiss mehr, als er verrät? Tut sich da hinter den Kulissen vielleicht etwas? Irgendwie logisch wäre es. Milano, Rom (China Airlines), Wien (China Airlines, Eva Air), Paris (Eva Air), München (Eva Air), Frankfurt (China Airlines): Alle umliegenden Länder bieten Direktflüge nach Taipei.
Taiwan ist nicht nur selbst als Tourismusdestionation interessant, sondern als Hub von/nach Japan, in die Philippinen (dorthin gibt es auch noch keine Direktflugverbindung) und Südkorea beliebt. Hinzu kommt, dass man in Deutschland in letzter Zeit ziemlich streikfreudig ist, ein Zwangsaufenthalt in München oder Frankfurt vor oder nach einem Hoppserflug nach Zürich ist nicht gerade erfreulich.
Das touristische Potiential ist beträchtlich. Die Schweiz verzeichnete 2024 für die vier Länder der First Island Chain immerhin Total 44’121 Übernachtungen (Südkorea 16’178, Japan 9’997, Philippinen 9’518 und Taiwan 8’428). Die VR China und Hong Kong brachten es zusammen auf 43’149 Übernachtungen. Der grosse Unterschied ist: Die Zahl der Logiernächte von Festlandchinesen ist gegenüber 2019 auf die Hälfte zurückgegangen (von 68’181 auf 34’164), von Bürgern von Hong Kong um 42% (von 15’381 auf 8’985), die Zahl der Übernachtungen von Besuchern aus den Philippinen hat letztes Jahr gegenüber 2019 um 47% zugelegt, diejenige von Taiwanern um 22%. Bereits 2019 verzeichnete der Flughafen Zürich 34’643 indirekte Passagiere nach Taiwan. Nur bezüglich Denpasar auf Bali waren mehr Passagiere zu verzeichnen (48’152), die vielleicht lieber direkt geflogen wären. D.h. mit Direktflugverbindungen könnte man gleich zwei wachstumsstarke Märkte bedienen.

Zu bedenken ist, dass Flügeverbindungen nicht nur wegen dem Tourismus interessant ist, sondern vor allem wegen der Fracht, die im Bauch der Maschine mitfliegt. Das können beispielsweise auf dem Weg von Taiwan nach Europa dringend benötigte Mikrochips und Elektronikbauteile sein, Südfrüchte und vieles mehr. Und in die Gegenrichtung wertvolle Uhren, Käse oder Schokolade.
Die Handelsbeziehungen zwischen Taiwan und der Schweiz entwickeln sich durchaus unerfreulich. Die Importe aus Taiwan sanken im Vergleich zum jeweiligen Vorjahresmonat von Oktober 2022 bis November 2024 unaufhörlich. Importierte man in der Schweiz aus Taiwan im Oktober 2021 noch Waren im Wert von CHF 163’509’449 (Allzeithoch auf Monatsbasis), und im Oktober 2022 noch solche von CHF 139’281’206, waren es im Oktober 2024 noch solche im Wert von CHF 108’665’563 (-33,6% gegenüber 2021 bzw. -22% gegenüber 2022). Noch ärger ist es bei den Exporten, wenngleich die Entwicklung uneinheitlicher ist. Die Schweiz exportierte im März 2021 Waren im Wert von CHF 233’535’693 und im März 2022 für CHF 254’226’624 (bisheriger Rekord auf Monatsbasis) nach Taiwan, im März 2024 waren es nur noch CHF 151’509’258 (-40% gegenüber 2022, -35% gegenüber 2021).
Ob Direktflugverbindungen aus der Schweiz nach Taiwan diesen im Stillen tobenden Handelskrieg zu stoppen vermögen, ist fraglich. Ebenso, ob ein zeitlicher Zusammenhang mit den neuen Flugverbindungen nach Milano und München besteht, die just im Herbst 2022 eröffnet wurden. Wenn man sich aber über einen drohenden Chipmangel beschwert, wäre es schon eine Idee, sich zu überlegen, wie diese eigentlich in die Schweiz kommen sollen.
Es stellt sich die Frage nach dem Huhn und dem Ei: Gibt es keine Direktflugverbindungen, weil der Handel mit Taiwan schwächelt, oder schwächelt der Handel, weil es keine Direktflugverbindungen gibt?
Sicher ist, in Zeiten, als der Handel zwischen der Schweiz und Taiwan noch florierte, gab es auch eine Direktverbindung der Swissair Asia (von 1995 bis 2001) zwischen den beiden Ländern. Die Swissair Asia ist zwar dem Grounding von 2001 zum Opfer gefallen, das Schweizer Luftrecht und die bilateralen Absprachen der Regierungen der beiden Länder (irgendjemand muss ja der Swissair Asia Landerechte eingeräumt haben), die nun einmal unverzichtbar sind, dürften sich aber seither kaum gross geändert haben. Internationalrechtliche Probleme sind nicht in Sicht, China Airlines und Eva Air fliegen ja andere Destinationen rund um die Welt und in den Nachbarländern an. Ob sich die Sache rechnet, müssen die Fluggesellschaften und die Allianzen, denen sie angehören (Star Alliance bzw. SkyTeam) selber herausfinden. Möglicherweise ist das Interesse der taiwanesischen Fluggesellschaften nach einer Direktverbindung in die Schweiz nicht mehr allzu gross, nachdem erst 2022 Milano und München hinzugekommen sind.
Es ist also kein wirtschaftliches oder rechtliches Problem, wenn es seit rund 25 Jahren keine Direktflugverbindungen zwischen Taiwan und der Schweiz mehr gibt, sondern eher ein politisches. Die Antwort des Bundesrates wird einmal mehr sinngemäss sein: Die Schweiz anerkennt Taiwan nicht, deshalb gibt es keine taiwanesische Fluggesellschaften und keine taiwanesische Regierung und deshalb können wir auch mit niemandem über eine Direktflugverbindung gesprochen haben, 1995 nicht und heute immer noch nicht.
Trotz dieser zu erwartenden Abfuhr stellt sich die Frage: Wären Direktflugverbindungen nicht ein Ansatz, mit der man die «Bürgerdiplomatie» fördern könnte? Würden Direktflugverbindungen jungen Forschenden aus Taiwan bzw. der Schweiz nicht den Entschluss erleichtern, einen Studienaufenthalt im jeweils anderen Land einzuschalten, um gemeinsame Probleme – dasjenige der Chipknappheit ebenso wie dasjenig von Vertragsabschlüssen zwischen den beiden Ländern – gemeinsam zu lösen? Und wäre es nicht dienlich, die Tourismusförderung in Ostasien eher auf Individualtouristen aufzustellen, statt riesige Anstrengungen zu machen, um die riesiegen Touristengruppen aus der Volksrepublik China wieder in die Schweiz zu locken? Und wären Direktflugverbindungen nicht ein Versuch wert, um den stillen Handelskrieg zwischen der Schweiz und Taiwan zu beenden?
8. Abhängigkeit von Rohstoffen aus China
Elisabeth Schneider-Schneiter (Mitte) warf einmal mehr die Frage auf, wie es um die Abhängigkeiten der Schweiz im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit und der Verteidigung, insbesondere im Zusammenhang mit Rohstoffen aus China stehe. Die entsprechenden Risiken waren in einem Bericht des Bundesrates vom 13. Dezember 2024 aufgezeigt worden, die Nationalrätin will nun wissen (Interpellation 25.3188[28]): «Welche konkreten Massnahmen plant der Bundesrat zur Überprüfung und Minderung der Versorgungsrisiken in Bezug auf die nationale Sicherheit und Verteidigung?», dies namentlich im Hinblick auf Exportrestriktionen für Rohstoffe, die für “Dual-Use”-Technologien relevant sind.
Auch hier dreht sich die Frage wieder darum, dass sich die Schweiz international, nicht einfach nur bezüglich der USA sondern auch innerhalb der EU, ins aussenpolitische Abseits gebracht hat und wohl Massnahmen getroffen werden müssen, um zu verhindern, dass die Schweiz bzw. in der Schweiz ansässige Firmen nicht für Umgehungsgeschäfte missbraucht werden.
Grundsätzlich wird ein kleines Land wie die Schweiz immer von ausländischen Rohstoffen abhängig sein und die Handelsbeziehungen zur Volksrepublik China abzuwürgen (de-coupling) verlangt niemand. Die Frage ist: ist es zielführend, sich in diesem Masse von Rotchina abhängig zu machen, wie es die Schweiz ist?
Eine Schweizer Statistik gibt bezüglich der Abhängigkeit von Rohstoffen besonders zu denken: Die Handelsstatistik des Schweizer Bundesamtes für Zoll und Grensicherheit. Im Januar 2024 (als die Schweiz für die chinesische Delegation den roten Teppich ausrollte und State Secretary Blinken die kalte Schulter zeigte) exportierte die Schweiz Waren im Wert von CHF 8’625’924’045 in die VR China bzw. nach Hong Kong, was 24,4% der Schweizer Gesamtexporte in diesem Monat. Ähnliche Werte auf Monatsbasis wurden soweit ersichtlich nur im Mai 2013 (CHF 8’427’706’747 bzw. 24,8% der Schweizer Gesamtexporte) und im Dezember 2016 (CHF 8’506’888’254 bzw. 30,2% der Schweizer Gesamtexporte) erreicht.
Dass dies nicht gross gefeiert wurde, ist klar. Das meiste davon war nämlich Gold, das importiert, in der Schweiz umgegossen wird und dann wieder exportiert wird. Gold ist zwar ein Rohstoff und die «Goldwäsche» ist ein lukratives Geschäft, aber nicht besonders konjunkturwirksam. International wurde die Frage aufgeworfen, ob diese Goldwäsche nicht der Umgehung von Sanktionen diene. Grosse Mengen von Gold wurden nämlich aus zentralasiatischen Ex-Sovietrepubliken importiert und weil die Volksrepublik China gegenüber Russland ein grosses Handelsbilanzdefizit aufweist, wurde die Frage kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Volksrepublik China ihre Einkäufe mit Gold bezahlt.
Dass chinesische Goldimporte nach China in dieser Höhe auf Dauer sich nicht würden aufrechterhalten lassen, ist klar. Im Januar 2025 kollabierten die Schweizer Exporte im Vorjahresvergleich nach China um 82,2%, nach Hong Kong um 84,9% und machten noch 3,4% der Schweizer Gesamtexporte aus. Februar 2025 sah nicht viel besser aus. Happy End: Andere Kunden (USA, Taiwan…) sprangen in die Bresche und die Schmelzöfen im Tessin liefen heiss.
Lehre aus der Geschichte: selbst bezüglich weltweit vorhandenen Rohstoffen macht man sich besser nicht von einem einzigen Land abhängig.
9. Transnationale Repression
Christinie Badertscher nahm mit Interpellation 25.3225[29] Bezug auf den Bericht des Bundesrates vom 12. Februar 2025 betreffend der Transnationalen Repression, die Uiguren, Tibeter aber auch andere Menschen auch in der Schweiz widerfährt, welche von der chinesischen Regierung als nicht genehm klassifiziert werden. Dass das nicht nur ein Problem für die betroffenen Personen ist, sondern auch für die Schweiz als Rechtsstaat ist klar.
Von den 10 Fragen, die Nationalrätin Badertscher in den Raum stellt, interessiert eigentlich nur eine: «Welche konkreten Schutz- und Unterstützungsmassnahmen sind für Betroffene vorgesehen?» Sollen die Betroffenen Strafanzeige einreichen? Beobachtungen beim Nachrichtendienst des Bundes melden? Und wenn ja: bewirkt das etwas? Oder müssen die Betroffenen annehmen, noch mehr angegriffen zu werden und tun sie besser daran, den Mund zu halten und Selbstzensur zu üben?
Aus anderen Ländern ist bekannt, dass die Druckausübung sehr oft von Botschaften oder von botschaftsnahen Organisationen (z.B. Studierendenverbindungen) ausgeht. Bei Personen, die unter dem Deckmäntelchen des Diplomatenstatus agieren, läge es eigentlich nahe, diese zur persona non grata zu erklären (was das Parlament auch gefordert hat). Bei Personen ohne Schweizerpass drängt sich ein Strafverfahren und ein anschliessender konsequenter Landesverweis auf. Voraussetzung in beiden Fällen sind natürlich ausreichende Informationen von in- und ausländischen Nachrichtendiensten.
Die Informationen von Nachrichtendiensten stammen wiederum von den betroffenen Personen, die ja in der Regel schon über gewisse Beweise hinsichtlich der Repressionsmassnahmen verfügen, die aber erst vom Nachrichtendienst bzw. den Strafverfolgungsbehörden zu einem grossen Ganzen zusammengefügt werden können. Das setzt einen Nachrichtendienst mit genügenden personellen Ressourcen voraus, der nicht nur mit sich selbst und dauernden Personalrochaden befasst ist.
Vor allem braucht es natürlich auch eine entsprechende Grundlage. Diese könnte allenfalls in der Revision des Nachrichtendienstgesetzes (NDG), die bis Ende 2025 verabschiedet werden sollte und 2027 in Kraft treten könnte. Die SP hat entsprechende Anpassungen zum besseren Schutz von Exilkreisen bereits in der Vernehmlassung 2022 gefordert, dass der «NDB die Exilkreise in der Schweiz besser vor der Bespitzelung durch die Dienste ihrer Herkunftsländer schützt»[30]. Wenn man bedenkt, dass die aktuelle Version des Nachrichtendienstes am 25. September 2026 mit deutlicher Volksmehrheit (65,5% Ja-Stimmen) und dies keine ersichtliche Besserung brachte, sondern inzwischen mit Christian Dussey nach Jean-Philippe Gaudin und Markus Seiler schon der dritte Nachrichtendienstchef den Hut nehmen muss (wie man annimmt, es gilt die Unschuldsvermutung!), stimmt das nicht gerade optimistisch.
10. Fazit
Man wird den Eindruck nicht los, das Parlament kreise immer wieder um die gleichen Probleme und verlange vom Bundesrat immer wieder Antworten auf die immergleichen Fragen, die dieser nicht bieten kann und vor allem nicht bieten will. Viele Probleme sind schlicht hausgemacht und beruhen auf Denkverboten und vorauseilendem Gehorsam gegenüber der Volksrepublik China.
Das wichtigste Denkverbot beruht auf der These, die Schweiz anerkenne die Republik China (Taiwan) nicht. Daraus wird z.B. abgeleitet, es könne keine diplomatischen Beziehungen oder bilaterale Verträge zwischen der Schweiz und Taiwan geben, man könne gegen chinesische Diplomaten, die ihre Vorrechte missbrauchen, nichts unternehmen, man könne Tibeter, Uiguren und andere Opfer transnationaler Repression nicht schützen und so weiter und so fort.
Wahrscheinlich wird der Bundesrat mit dem gleichen Denkverbot argumentieren, wenn er die Frage nach der Möglichkeit von Direktflugverbindungen nach Taiwan beantwortet oder die China-Strategie 2.0 verabschiedet, bei der eine Republik-China-Strategie zweifellos fehlen wird.
Mit diesem Denkverbot verspielt die Schweiz ihren wichtigsten Trumpf: Die Schweiz hat die Republik China 2013 de iure anerkannt, mit ihr 1918 einen rechtlich nach wie vor gültigen Freundschaftsvertrag abgeschlossen, auf dessen Basis die Republik China schon seit 1918 diplomatische Vertreter in die Schweiz entsendet (das Agrément für den ersten chinesischen Botschafter Wang Tchoung-pao wurde am 17. Oktober 1918 verlangt). Und die Schweiz hat die Volksrepublik China 1949 oder 1950 mindestens de facto anerkannt und führt mit ihr schon seit 75 Jahren diplomatische Beziehungen. Die Schweiz ist wahrscheinlich das einzige Land der Welt, das – rein theoretisch – seit jeher über die rechtliche und historische Basis verfügt, um gedeihliche Beziehungen zur Republik China und zur Volksrepublik China pflegen zu können.
Praktikable Vorschläge für die Lösung aktueller Probleme, wie etwa die Lex China oder die Lex Huawei werden seit Jahren diskutiert. Ebenso die Frage eines Forschungsabkommens mit Taiwan, auch, aber nicht nur im Zusammenhang mit einer möglichen Chip-Knappheit. Die Idee von Direktflugverbindungen Schweiz-Taiwan ist keineswegs neu und könnte helfen, den stillen Handelskrieg zwischen der Schweiz und Taiwan zu beenden, bevor Schweizer Importeure und Exporteure vergessen, wie Handel geht. Den aktuellen Bedürfnissen angepasste Rechtsgrundlagen für den Schweizer Nachrichtendienst könnten durchaus geeignet sein, Spionage und transnationaler Repression entgegenzutreten und damit auch dem Vertrauensverlust im In- und Ausland.
Der Bundesrat verfügt erstmals über keinen Juristen mehr, dafür erst zum zweiten Mal einen Historiker (nach Emil Welti). Vielleicht ist das hilfreich, um angeblich unabänderliche gesetzliche Gegebenheiten zu überdenken, egal ob es um die Gesetzgebung zum Nachrichtendienst oder das Freundschaftsabkommen mit der Republik China geht.
Immerhin war es ein Jurist, Bundesrat Max Petitpierre, der es zuliess, dass sein Untergebener 1949 den amtierenden chinesischen Botschafter vor die Tür stellte und sich nicht nur über den Freundschaftsvertrag mit der Republik China hinwegsetzte, sondern auch gegen Völkerrecht verstiess, wie die UN-Generalversammlung (der die Schweiz damals allerdings noch nicht angehörte) kurz darauf festhielt. Und immerhin war es eine Juristin, die geduldet hat, dass Misstände mit zwei (!) weiteren Gesetzesrevisionen behoben werden sollen, die noch in weiter Ferne liegen, während man die mangelhaften Rechtsgrundlagen beklagt. Viel schlimmer kann es ohne Juristen eigentlich auch nicht mehr kommen.
[1] https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/amtliches-bulletin/amtliches-bulletin-die-verhandlungen?SubjectId=67461
[2] https://dievolkswirtschaft.ch/de/2025/03/investitionskontrolle-so-machen-es-die-oecd-staaten/
[3] POGOs fassten ab 2003 in den Philippinen Fuss und bedienten vorab den chinesischen Markt für Online-Gambling. Insbesondere ab 2016 sollen die POGOs sprunghaft zugenommen haben und es wurde versucht, diese besser zu regulieren, im Glauben, die ausländischen Investitionen (vorab aus China), die mit den POGOs verbunden waren, seien für die philippinische Wirtschaft vorteilhaft.
[4] https://www.pna.gov.ph/articles/1245902
[5] https://www.youtube.com/watch?v=H2Bo9VN1Rg8
[6] https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/sambia-fluss-im-kupferguertel-stirbt-ueber-nacht-wegen-saeureabfalls-aus-chinesischer-mine-a-1599dba0-4f26-4bc8-ad7d-67d1b5e1d661
[7] https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/sambia-fluss-im-kupferguertel-stirbt-ueber-nacht-wegen-saeureabfalls-aus-chinesischer-mine-a-1599dba0-4f26-4bc8-ad7d-67d1b5e1d661
[8] https://www.eawag.ch/en/info/portal/news/news-detail/natural-sewage-treatment-plants-float-on-the-zambezi-river/
[9] https://data.snb.ch/de/topics/aube/cube/fdiausbla?dimSel=d0(T0,T1,T2,T3,T4,CN,HK,JP,KR,PH,TW,T5,T6)&fromDate=1985
[10] https://www.parlament.ch/poly/Abstimmung/52/out/vote_52_30396.pdf
[11] https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/amtliches-bulletin/amtliches-bulletin-die-verhandlungen?SubjectId=67503
[12] https://www.parlament.ch/centers/documents/de/freundschaftsgruppe-bundesversammlung.pdf
[13] https://www.parlament.ch/it/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20251000
[14] https://www.youtube.com/watch?v=0Av6aGG2vZY
[15] https://www.federalregister.gov/documents/2025/01/15/2025-00636/framework-for-artificial-intelligence-diffusion
[16] Der Schweizerische Nachrichtendienst hat entsprechende Massnahmen der ETH im vergangenen Jahr veranlasst (https://ethz.ch/staffnet/en/news-and-events/internal-news/archive/2024/10/dual-use-and-sanctions-these-applications-require-security-screening.html), inwieweit andere Universitäten und Fachhochschulen betroffen sind, ist nicht bekannt.
[17] https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20233969
[18] Bundesrat Cassis hat im Januar 2023 dem US State Secretary Blinken scheinbar die kalte Schulter gezeigt und gezielt China hofiert. Ob das beim als China-Hawk bekannten US State Secretary Rubio gut ankommt, wird sich zeigen.
[19] https://www.parlament.ch/fr/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20253045
[20] https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20223851
[21] https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20253102
[22] https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/85382.pdf
[23] https://www.parlament.ch/fr/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20243526
[24] https://www.parlament.ch/fr/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20253103
[25] Es sei allerdings daran erinnert, dass bezüglich der Frage, ob ein Forschungsabkommen mit Taiwan im Halbleitersektor ein Desiderat sei, nicht einmal eine Diskussion geführt wurde (https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20243501).
[26] https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20213967
[27] https://www.parlament.ch/fr/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20243526
[28] https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20253188
[29] https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20253225
[30] https://www.fedlex.admin.ch/filestore/fedlex.data.admin.ch/eli/dl/proj/2022/15/cons_1/doc_6/de/pdf-a/fedlex-data-admin-ch-eli-dl-proj-2022-15-cons_1-doc_6-de-pdf-a.pdf