Die Schweiz spielt mit ihrer chinafreundlichen Politik mit dem Feuer. Sie riskiert nicht nur die Verärgerung ihrer wichtigsten Handelspartner, welche grossmehrheitlich der Nato angehören, vorab der USA, aber auch europäischer Länder, welche eine Politik des De-risking verfolgen. Die Schweizer Politik und Wirtschaft straft auch die Länder der First Island Chain (Südkorea, Japan, Taiwan und Philippinen) mit Verachtung, obwohl diese Länder als Gruppe ähnlich wichtig sind, wie die Volksrepublik China. Dies könnte sich bei einer weiteren Eskalation der Konfliktherde in der First Island Chain, rächen. Insbesondere könnte die Schweiz vor die Entscheidung gestellt werden, ob sie weiterhin am Dogma des Nutzen des Freihandelsabkommens mit der Volksrepublik China festhalten will, oder ob sie sich eingesteht, dass dieses Abkommen mehr schadet als nützt.
von Maja Blumer, 8. August 2024
Die Kriege in der Ukraine und in Israel scheinen kein Ende nehmen zu wollen, die latent bestehenden Konflikte in der First Island Chain von Südkorea bis in die Philippinen sind etwas in Vergessenheit geraten, sind aber von einer Deeskalation weit entfernt. Das hat, nicht zuletzt wegen der Sanktionen, welche die Schweiz teilweise1 übernommen hat, naturgemäss auch Ausfluss auf Handelsbeziehungen. Und zwar nicht nur bezüglich russischer Oligarchen, sondern unter anderem auch bezüglich Unternehmen aus Hong Kong und der Volksrepublik China, die mit Lieferungen von Dual-Use-Gütern in Verbindung gebracht werden.
Die lange gehegte Illusion, man könne unter dem Deckmäntelchen der Neutralität florierende Geschäfte mit allen Parteien eines Konfliktes betreiben, hat sich im Grunde genommen schon im Zweiten Weltkrieg zerschlagen (mit der Folge, dass Bundesrat Pilet-Golaz wegen zu grosser Nähe zu Hitler 1944 den Hut nehmen musste und die Schweiz nach dem 2. Weltkrieg aussenpolitisch ins Abseits brachte). Spätestens seit dem Ukrainekrieg dürfte den Meisten klar geworden sein, dass Kriege nicht nur mit konventionellen Waffen geführt werden. Sondern auch, oder vor allem, mit Erdöl (bzw. Energieträgern), Geld und Finanzen. Die Schweiz als Drehscheibe für Geld- und Gold (u.a. Bank of International Settlements, BIS), Öl und andere «Commodities» und als Finanzplatz tut entsprechend gut daran, die Sanktionen der europäischen Nachbarn offen mitzutragen statt heimlich eine Kriegspartei zu stützen.
In the past, war was all about fighting with guns and swords, it was about killing each other. Of course, there are nuclear bombs and missiles. But they don’t exist so we can go to war. They exist so we don’t go to war. These days, war is about money, oil, and finance. – Lee Young-mi, «Money Game», Koreanische TV-Serie, tvN 2020, ep 6
Der Schweizer Bundesrat hofft derweil weiterhin, das missratene Freihandelsabkommen mit der Volksrepublik China irgendwie retten zu können, obwohl die Volksrepublik China sowohl bezüglich Russland als auch bezüglich Iran und Nordkorea sowie den Ländern der First Island Chain eine reichlich dubiose Rolle spielt.
Derweil werden wichtige Handelspartner der Schweiz mit Verachtung bestraft. Das gilt insbesondere für die USA als mit Abstand wichtigste Destination von Schweizer Exporten, mit denen die Schweiz im 1. Halbjahr 2024 einen gigantischer Handelsbilanzüberschuss von CHF 19’347’835’123 erwirtschaftete. Das gilt aber auch für die Länder der First Island Chain (Südkorea, Japan, Taiwan und Philippinen), welche mit CHF 3’271’888’268 den drittgrössten Beitrag an den Handelsbilanzüberschuss der Schweiz leisteten.
Wie realistisch ist der seit 75 Jahren von Schweizer Diplomaten gehegte Traum, anderen Ländern in der Volksrepublik China ein Schnippchen zu schlagen und gleichzeitig zu den wichtigsten Handelspartnern der Schweiz pflegen zu können? Und wer sind eigentlich die wichtigsten Handelspartner der Schweiz?
Die Antwort auf die letzte Frage ist einfach. Gemessen am bilateralen Handelsvolumen sind die USA und Deutschland eindeutig die wichtigsten Handelspartner der Schweiz. Vielleicht muss man noch eine andere Frage stellen: Welche Handelspartner sind unseren wichtigsten Handelspartnern wichtig? Welche Prioritäten setzen unsere wichtigsten Handelspartner? Werfen wir also erst einmal einen Blick über die Grenze.
Ein erster Blick über die Grenze: Die USA
Wichtigste Exportdestination für Schweizer Produkte (unter Ausklammerung von Gold etc.) sind die USA.
Die USA wiederum sind nicht nur in militärischer Hinsicht zum Schutz der Länder der First Island Chain und ihrer europäischen Nato-Partner rechtlich verpflichtet und mit ihren nächsten Nachbarn Mexiko und Kanada sowie Japan, Südkorea und Taiwan mit Wirtschaftsabkommen verbandelt. Sie haben auch ein eminentes wirtschaftliches Interesse an diesen Ländern.
Unabhängig davon, welcher Kandidat im Rennen um das amerikanische Präsidentenamt den Sieg davonträgt ist eines klar: Wenn man die 15 Länder betrachtet, die rund drei Viertel des Gesamthandels der USA Im Juni 20242 ausmachten, sind für die USA gemessen am Handelsvolumen die wichtigsten Handelspartner die Nachbarländer Mexiko (1) und Kanada (2). Im Juni 2024 entfielen über 30% des Handels auf die unmittelbaren Nachbarn der USA.
Ost- und Südostasien ex. China kommt an zweiter Stelle. Allein drei Länder der First Island Chain, Südkorea (6), Japan (5) und Taiwan (7), machten im Juni 2024 zusammen 11,4% des amerikanischen Gesamthandels aus. Hinzu kommen Vietnam (Rang 9, 2,9%) und Singapore (Rang 14, 1,8%). Insgesamt wurden über 16% des amerikanischen Handels mit Ländern ennet dem Pazifik abgewickelt, sozusagen mit den nächsten Nachbarn der USA im Westen.
Knapp hinter diesen fünf Ländern folgen an dritter Stelle die 6 wichtigsten Handelspartner der USA in Europa: Deutschland (4), Grossbritannien (8), Niederlande (11), Italien (12), Irland (13) und Frankreich (15): rund 15% des Gesamthandels der USA entfielen auf diese Länder.
Erst an vierter Stelle folgt Festlandchina mit 10,3%, das bei einer Betrachtung auf Länderbasis Platz 3 belegen würde.
Den Kreis der 15 grössten Handelspartner der USA rundete im Juni 2024 Indien mit 2,5% ab (Platz 10).
Die Länder der First Island Chain sind für die USA damit auch in wirtschaftlicher Hinsicht mindestens ähnlich bedeutsam wie die Volksrepublik China, wenn nicht bedeutsamer – Importe von Mikrochips aus Japan, Südkorea oder Taiwan sind auch für die USA weniger leicht zu substituieren wie diejenigen von Gestängen für Regenschirme aus der Volksrepublik China (letzteres eines der Beispiele, bei denen laut «Experten» der Bundesverwaltung eine «Importabhängigkeit» der Schweiz besteht).
Die Volksrepublik China ist aus amerikanischer Sicht nur noch in einer Disziplin überragend: bezüglich Handelsbilanzüberschuss. Im ersten Halbjahr 20243 resultierte gegenüber Festlandchina immer noch ein Handelsbilanzdefizit der USA von USD 127’653.6 Millionen. Die Exporte beliefen sich dabei auf USD 70’756.8 Millionen (-2,6% gegenüber dem 1. Halbjahr 2023), die Importe auf USD 198’410.4 Millionen (-2,1% gegenüber der Vorjahresperiode). Die Handelsbilanzdefizite gegenüber Mexiko und Vietnam verblassen neben dieser Zahl beinahe.
Dass sich die amerikanischen Politiker, egal von welcher Partei, sich bezüglich des gigantischen Handelsungleichgewichts mit der Volksrepublik China etwas einfallen lassen müssen, wenn sie vom Volk gewählt werden wollen, ist irgendwie naheliegend. Dass dies nicht ein «Deal» sein wird, bei dem die amerikanischen Exporte in die Volksrepublik China verdoppelt oder verdreifacht werden, dürfte in der Natur der Sache liegen. Der Hebel wird wohl auch in der Zukunft bei der Reduktion der chinesischen Importe angesetzt. Sprich: die von den Präsidenten Trump und Biden errichteten Importzölle werden wohl weiter erhöht, unabhängig davon, wer das Rennen um das Weisse Haus gewinnt.
Wenn sich die USA im Konfliktfall zwischen zwei Handelsblöcken entscheiden müssen – sei es zugunsten der europäischen Nato-Staaten, sei es zugunsten eines der Länder der First Island Chain, wo die USA staatsvertraglich (Abkommen mit Südkorea, Japan und Philippinen) bzw. gesetzlich (Taiwan Relations Act) zum Beistand verpflichtet ist – wird dieser Entscheid schon aus wirtschaftlichen Gründen zulasten der Volksrepublik China ausfallen, wenn diese offen oder verdeckt als Agressor auftritt.
Die Schweiz täte gut daran, sich so zu positionieren, dass sie von ihrem wichtigsten Exportpartner im Konflikfall nicht mehr länger als «Loch im Donut»4, sondern zumindest als neutral wahrgenommen wird.
Ein zweiter Blick über die Grenze: Deutschland
Wichtigster Handelspartner der Schweiz sowohl bei den Importen wie auch unter Berücksichtigung des bilateralen Handelsvolumens ist Deutschland.
Wichtigster Handelspartner Deutschlands sind wiederum die USA, mit einem bilateralen Handelsvolumen von EUR 126’753’726’000 im 1. Halbjahr 20245. Deutschland exportierte zwischen Januar und Juni 2024 Waren im Wert von EUR 80’701’189’000 in die USA, importierte von dort solche im Wert von EUR 46’052’537’000, erzielte also einen Handelsbilanzüberschuss von stolzen EUR 34’648’652’000.
Zweitwichtigster Handelspartner Deutschlands war im 1. Halbjahr 2024 gemessen am Gesamthandel die Volksrepublik China. Das chinesische Festland belegt Platz 1 bei den Importen und Platz 5 bei den Exporten. Der deutsch-chinesische Handel ist gegenüber der Vorjahresperiode deutlich zurückgegangen. Bei den Importen aus Hong Kong waren es -25,3%, aus Festlandchina -7,9%, bei den Exporten nach Hong Kong -17,6%, nach Festlandchina -2,7%.
Auch im Falle des ehemaligen Handelsweltmeisters Deutschland dürfte das Handelsbilanzdefizit mit Festlandchina von EUR 25’270’897’000 nicht so einfach mit einigen «Dialogen» zwecks Steigerung der Exporte wegzudiskutieren sein.
Alle anderen der 15 wichtigsten Handelspartner Deutschlands befinden sich in Europa. Sprich: Deutschland ist erstaunlich wenig diversifiziert. Die Länder der First Island Chain tauchen erst auf den hinteren Rängen auf, auch wenn sie mit einem Handelsvolumen von EUR 53’513’938’000 im ersten Halbjahr 2024 auch nicht ganz unbedeutend waren.
Unabhängig von einer Eskalation des Konflikts in der First Island Chain dürfte Deutschland ein Interesse haben, den Weg eines De-risking weiterzuverfolgen, indem es die Importabhängigkeiten gegenüber der Volksrepublik China verringert, was auch die Exporte weiter in Mitleidenschaft ziehen dürfte.
Die Schweiz: Vernachlässigung wichtiger Handelsbeziehungen zugunsten der VR China
Das Bild, welches sich aufgrund der aktuellen Zahlen (1. Halbjahr 2024) für die Schweiz ergibt, ist nur auf den ersten Blick vergleichbar mit den USA und Deutschland.
Die unmittelbaren Nachbarn Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich vereinen etwa 37% des Schweizer Gesamthandels im 1. Halbjahr 2024 auf sich6. Sechs weitere wichtige europäischen Handelspartner der Schweiz (Slowenien, Spanien, Niederlande, Grossbritannien, Belgien und Polen) bringen es auf auf knapp 19%.
An dritter Stelle folgen die USA mit 13% des Schweizer Gesamthandels. Erst an vierter Stelle folgt die Volksrepublik China, welche inklusive Hong Kong rund 7% des Handelsvolumens der Schweiz ausmacht. Es folgen die Länder der First Island Chain: Südkorea, Japan, Taiwan und die Philippinen werfen zusammen 4% in die Waagschale.
Das Schlusslicht der 15 wichtigsten Handelspartner der Schweiz bilden Singapur und Kanada mit 1,4% bzw. 0,8%. Zusammen machen die 15 genannten Länder rund 84% des Schweizer Handelsvolumens aus.
Die Schweiz ist allerdings anders als die USA – noch – in der glücklichen Lage, gegenüber den meisten Ländern ein Handelsbilanzdefizit auszuweisen.
In merkantilistischer Hinsicht sind die USA mit Abstand wichtigster Handelspartner der Schweiz: gigantische CHF 19’347’835’123 betrug der Handelsbilanzüberschuss der Schweiz gegenüber den Amerikanern im 1. Halbjahr 2024, also rund USD 22 Milliarden. An zweiter Stelle folgte Slowenien mit CHF 3’712’802’385. Und dahinter die First Island Chain mit CHF 3’271’888’268. An vierter Stelle folgt Hong Kong von CHF 2’251’400’115.
Mit Festlandchina resultiert für die Schweiz seit Jahren ein Handelsbilanzdefizit – das berühmt-berüchtigte Freihandelsabkommen mit der VR China hat lediglich bewirkt, dass dieses seine Importe in die Schweiz deutlich steigern konnte, zeitweise machten diese beinahe 10% der Gesamtimporte aus. Bei den Schweizer Exporten waren seit dem Inkrafttreten der Freihandelsabkommen mit Hong Kong und der Volksrepublik China keine nennenswerten Steigerungen zu verzeichnen. Die Mehrexporte nach Festlandchina gingen zulasten von Hong Kong.
Bei den Exportdestinationen liegen die Prioritäten der Schweiz anders. Weitaus wichtigster Abnehmer für Schweizer Produkte sind die USA und Deutschland, gefolgt von Slowenien und Italien. Erst auf Platz fünf folgt im ersten Halbjahr 2024 die Volksrepublik China inkl. Hong Kong mit einem Exportvolumen von rund CHF 10 Milliarden (Festlandchina: CHF 7’912’023’716, Hong Kong: CHF 2’251’400’115) und als nächstes mit Exporten von insgesamt CHF 7’091’408’088 kumulativ die Länder der First Island Chain. Festlandchina und die First Island Chain liegen somit praktisch gleichauf.
Bei den Exporten fällt auf, dass die Exporte nach Hong Kong stark abgenommen haben (-23,9% im 1. Halbjahr 2024), während die Exporte nach Festlandchina stagnieren (+1,4%). Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der Handelsbilanzüberschuss der Schweiz gegenüber Hong Kong das Handelsbilanzdefizit gegenüber Festlandchina nicht mehr auszugleichen vermag.
Momentan wird diese Tatsache von offizieller Seite noch durch die enormen Goldexporte nach Hong Kong und Festlandchina kaschiert. Inklusive Gold, Diamanten und dgl. betrugen die Exporte CHF 32’726’773’961 was rund 17% der Gesamtexporte (Total 2) der Schweiz entspricht. D.h. bei 69% der Ausfuhren in die Volksrepublik China handelte es sich nicht um konjunkturrelevante Exporte sondern um die Verschiebung von Edelmetallen, welche historisch primär die Rolle von Zahlungsmitteln hatten und auch heute teilweise noch haben. Dass solche «Gschäftli» im Hinblick auf die aktuellen Konfliktherde und die Umgehung von Sanktionen hochproblematisch sind, braucht wohl keiner näheren Erläuterung.
Demgegenüber sind die Exporte nach Japan und Taiwan auch ohne Bilanzkosmetik mittels Goldgeschäften moderat (+4,5% bzw. +3,3%) bzw. bezüglich Südkorea stark (+13,6%) gewachsen. Lediglich in den Philippinen gingen die Schweizer Exporte auf ohnehin sehr tiefem Niveau noch weiter zurück (-14,7%). Der Anteil der Philippinen an den Schweizer Gesamtexporten machte im 1. Halbjahr 2024 gerade mal noch 0.10% aus.
Schweizer Aussenpolitik: Affront gegen die wichtigsten Handelspartner
Unter den gegebenen Umständen müsste man eigentlich annehmen, der Schweiz würde auch auf politischer beziehungsweise diplomatischer Ebene alles daran setzen, insbesondere zu den USA und ihren wichtigen Handelspartnern in der First Island Chain besonders enge Beziehungen zu pflegen. Aber weit gefehlt!
Schweizer Diplomaten lästern nicht nur heimlich über «Uncle Sam», dem sie mangelnde Kohärenz in der Aussenpolitik vorwerfen, sondern lassen diese Kritik auch an die Öffentlichkeit dringen7. Am WEF im vergangenen Januar hatte man im Schweizer Bundesrat Zeit für alles Mögliche, nur nicht für den amerikanischen Aussenminister Tony Blinken8. Es war für den Schweizer Bundesrat wichtiger, sich mit irgendeinem chinesischen Vize-Aussenminister zu treffen, dessen Namen und Funktion man nicht einmal genau notierte, um am 15. Januar 2024 ein offensichtlich belangloses Memorandum zu unterzeichnen, das schon deshalb belanglos ist, weil es vom falschen «Wang» unterzeichnet wurde, wobei man das im EDA offensichtlich nicht einmal gemerkt hat.
Schlimmer ist die Vernachlässigung der Beziehungen zu Ostasien:
- Das Freihandelsabkommen mit Hong Kong hat man zugunsten des wenig später abgeschlossenen Freihandelsabkommens mit der Volksrepublik China kannibalisiert. Wie lange der einst wichtige Finanz- und Handelsplatz die riesiegen Handelsbilanzdefizite, die nicht nur im Handel mit der Schweiz, sondern auch mit den USA, Deutschland etc. entstehen, durch den Zufluss von Finanzmitteln ausgleichen kann, ist fraglich. Der Einbruch der Exporte der Schweiz (-24%) und Deutschlands (-17,6%) deutet darauf hin, dass sich die Handelsbilanzdefizite der Schweiz mit Festlandchina nicht mehr lange durch den Handelsbilanzüberschuss gegenüber Hong Kong kaschieren lassen.
- Bezüglich Südkorea ist man auf die Idee verfallen, eine Nachbesserung des Freihandelsabkommens zu verlangen, um Gleichbehandlung mit den EU-Staaten zu erreichen9. Das erinnert an den Beginn des 20. Jahrhunderts, als man bezüglich der Republik China eine Gleichbehandlung mit den Kolonialmächten verlangte, die der Qing Dynastie «ungleiche Verträge» aufgezwungen hatten, welche die junge Republik nur allmählich abschütteln konnte. Dringender wäre es, auf die Ursachen einzugehen, weshalb die Schweizer Importe aus Korea im ersten Halbjahr 2024 gegenüber der Vorjahresperiode um 34,3% zurückgegangen sind. Dass die Schweizer Exporteure ihre Einnahmen gegenüber der Vorjahresperiode um immerhin 13,6% steigern konnten, ist auf einen Basiseffekt zurückzuführen: In den vorangehenden Halbjahren waren die Exporte um 5,9% und 14,9% zurückgegangen. Dringender, als Seoul ein Forderungskatalog zu präsentieren, wäre es, sich im diplomatischen Corps darüber Gedanken zu machen, wie es kommt, dass es in den 130 Jahren, die seit der ersten Erkundungstour eines Schweizer Diplomaten in Seoul (Paul Ritter) verflossen sind, immer noch nicht gelungen ist, tragfähige Beziehungen diesem wirtschaftlich und geopolitisch wichtigen Land aufzubauen, um im Gegenzug zu den gewünschten Nachbesserungen des Freihandelsabkommens etwas bieten zu können und dem erfolgreichen Südkorea auf Augenhöhe zu begegnen. Dass ein Schweizerischer Botschafter in Beijing die Rolle der Volksrepublik China auf der koreanischen Halbinsel belobigte, dürfte weder in Pyeongyang noch in Seoul gut angekommen sein. Das unbedachte Lob erweckt nicht nur den Eindruck, die Schweiz betrachte Korea immer noch als Vasallenstaat Chinas, sondern wirkt auch als verbale Unterstützung einer Kriegspartei (der Koreakrieg wurde nie durch ein Friedensabkommen beendet und die Volksrepublik China ist damit weiterhin eine Kriegspartei) und ist geeignet, die Neutralität der Schweiz in diesem Konflikt in Frage zu stellen.
- Japan ist das einzige Land in der «First Island Chain», welches es noch ganz knapp in die Top Ten der wichtigsten Exportpartner der Schweiz schafft. Auch hier gäbe es wohl hinsichtlich der Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen wohl noch Luft nach oben. Die Schweizer Exporte nach Japan sind seit ihrem Höhepunkt im 2. Halbjahr 2022 um 14% zurückgegangen.
- Bezüglich Taiwan dürfte der Zug für die Schweiz abgefahren sein. Dass die Importe der Schweiz aus Taiwan im 1. Halbjahr 2024 gegenüber der Vorjahresperiode um 17% abgenommen haben, klingt zunächst als viel und ist nicht unbedingt geeignet, den Taiwanern Schweizer Produkte oder Anliegen schmackhaft zu machen. Wenn man die Schweizer Importe aus Taiwan in der Höhe von CHF 605’081’875 ins Verhältnis der Gesamtexporte Taiwans von USD 225’033’000’000 (ca. CHF 199’822’102’944) von Januar bis Juni 2024 setzt10, erscheint die Schweiz mit einem Anteil von 0,3% an den taiwanesischen Gesamtexporten doch recht marginal. Dasselbe gilt für den Schweizer Anteil an den taiwanesischen Gesamtimporten: CHF 937’068’618 (ca. USD 1’055’101’781) vs. USD 188’911’000’000 (knapp 0,6%). Dass in der Schweiz der politische Wille fehlt, die Wirtschaftsbeziehungen zu Taiwan zu verbessern, dürfte es auch erschweren, die gewünschten Abkommen im Wissenschafts- und Technologiebereich weiterzubringen. In diplomatischer Hinsicht dürfte es nicht gerade hilfreich sein, dass die Schweizer Botschaft in Beijing ungefiltert chinesische Propaganda verbreitet, etwa diejenige, es sei gerechtfertigt, taiwanesische «Separatisten» wie den z.B. den ehemaligen Aussenminister und heutigen Generalsekretär des National Security Council Joseph Wu mit der Todesstrafe zu belegen11.
Dass die Schweiz den USA und den Ländern der First Island Chain die Kalte Schulter zeigt, liesse sich wohl noch korrigieren. Allenfalls ist man bereit, der guten Geschäfte wegen darüber hinwegzusehen. Das publik gewordene Lästern von Schweizer Diplomaten über «Uncle Sam» und dem dadurch zum Ausdruck gebrachten Unverständnis gegenüber der von U.S. State Secretary Blinken verfolgten Strategie sowie die Parteinahme der Schweizer Botschaft in Beijing zugunsten der Volksrepublik China auf Kosten von Korea und Taiwan dürfte nicht gerade geeignet sein, das Vertrauen in die Schweiz als Handelspartnerin zu stärken.
Nicht ganz auszuschliessen ist, dass die USA, Südkorea und Taiwan bewusst vor den Kopf gestossen werden sollen, um sich in der Volksrepublik China einzuschmeicheln.
Einige Mitarbeiter im diplomatischen Corps haben sich nämlich vor 75 Jahren in den Kopf gesetzt, bei den ersten zu sein, die in Festlandchina wirtschaftlich Fuss fassen. Bundesrat, Parlament und Volk hatten bezüglich der «Anerkennung» der maoistischen Regierung oder bezüglich der «Aberkennung» der Republik China nichts zu melden (wer diese Entscheide gefällt hat, ist unklar). Vor zehn Jahren wurde das Freihandelsabkommen mit der Volksrepublik China als fait accompli und als Exploit der Schweizer Diplomaten dargestellt, Vernehmlassung, rechtliche Bedenken und Volksabstimmung wurden unter den Tisch gewischt. Mit dem Ergebnis, dass man zehn Jahre später immer noch auf die versprochenen Erfolge wartet und über Nachbesserungen streitet. Auch die Grossbanken setzten inzwischen all ihre Hoffnungen auf die Volksrepublik China als unerschöpfliche Quelle von «High Net Worth Individuals».
Das Vorhaben, die Volksrepublik China ins Zentrum der schweizerischen Aussenpolitik zu rücken, ohne Rücksicht auf Verluste, ist inzwischen insofern geglückt, als die Volksrepublik China inkl. Hong Kong im ersten Halbjahr 2024 nach Deutschland und Italien der drittwichtigste Importpartner der Schweiz war. Noch vor Frankreich, Slowenien, den USA und Österreich. Erst auf Platz 8 folgen die Länder der First Island Chain. Und auch insofern, als die Volksrepublik China dank der Goldexporte von CHF 32’726’773’961 sogar die USA als wichtigste Exportdestination überholt haben – die Ausfuhren aus der Schweiz in die USA inkl. Gold betrugen «nur» 29’042’880’892,die Goldexporte machten 8,7% der Exporte in die USA aus, und nicht 69% wie im Falle der Volksrepublik China. Ob diese «Erfolge» im Gesamtinteresse der Schweiz sind, muss allerdings bezweifelt werden.
Fazit
Zusammenfassend spielt die Schweiz mit ihrer chinafreundlichen Politik mit dem Feuer. Sie riskiert nicht nur die Verärgerung ihrer wichtigsten Handelspartner, welche grossmehrheitlich der Nato angehören, vorab der USA, aber auch europäischer Länder, welche eine Politik des De-risking verfolgen.
Die Schweizer Politik und Wirtschaft straft die Länder der First Island Chain (Südkorea, Japan, Taiwan und Philippinen) mit Verachtung, obwohl diese Länder als Gruppe für die Schweizer Exporteure mindestens ähnlich wichtig sind, wie Festlandchina. Dies umso mehr, als die Exporte nach Hong Kong drastisch eingebrochen sind und Südkorea, Japan sowie Taiwan über eine weit zahlungskräftigere Mittelklasse verfügen als die Volksrepublik China. Auch bei den Importen ist zu bedenken, dass Südkorea, Japan und Taiwan über Schlüsseltechnologien verfügen (u.a. Mikrochips), welche die Volksrepublik China auf absehbare Zeit nicht liefern kann.
Die Schweiz riskiert weiter, angesichts der massiven Goldexporte in die Volksrepublik China, welche 79% der Schweizer Exporte dorthin bzw. knapp 17% der Schweizer Gesamtexporte ausmachen, in den Verdacht zu geraten, bei der Umgehung von Finanzsanktionen behilflich zu sein. Abgesehen davon ist es ökonomisch nicht gerade einleuchtend, Goldreserven gegen chinesische Renminbi oder Hongkong-Dollars einzutauschen, deren Kurse sich in den letzten 20 Jahren in etwa halbiert haben und wie die Börsen in Hong Kong und Shanghai ins Bodenlose zu fallen drohen.
Sofern es nicht gelingt, die Konfliktherde in der First Island Chain unter Kontrolle zu bringen, könnte die Schweiz vor die Entscheidung gestellt werden, ob sie weiterhin am Dogma des Erfolgs des Freihandelsabkommens mit der Volksrepublik China festhalten will, oder ob sie besser über die Bücher geht und ihre Handelsbeziehungen zu ihren wichtigsten Partnern einer wirtschaftlichen und politischen Analyse unterziehen will, um konkrete Schritte zu einer Verbesserung dieser Beziehungen zu unternehmen.
- Die Schweiz hat bezüglich des Ukrainekriegs sämtliche 14 Sanktionspakete übernommen. Nicht übernommen wurden die «Thematischen Sanktionen» der EU bezüglich Menschenrechtsverletzungen, insbesondere in Xinjiang. ↩︎
- Alle Angaben bezüglich den wichtigsten Handelspartner der USA im Juni 2024 stützen sich, soweit nichts anderes angegeben ist, auf folgende Quelle: https://www.census.gov/foreign-trade/statistics/highlights/topcm.html ↩︎
- Alle Angaben zum Handel der USA mit China im 1. Halbjahr 2024 stützen sich, soweit nichts anderes angegeben ist, auf folgende Quelle: https://www.census.gov/foreign-trade/balance/c5700.html ↩︎
- Der Scott Miller, der US-Botschafter in der Schweiz, verglich diese mit einem Loch im Donut. Entgegen der Auffassung der Schweizer Medien hatte das nicht mit dessen Unerfahrenheit zu tun (https://www.srf.ch/news/schweiz/schweiz-mit-imageproblem-das-donut-loch-im-neuen-kalten-krieg.), vielmehr tauchte dieses schon viel früher im Zusammenhang mit Israel auf und mit der Beobachtung, dass man die Existenz Israels nicht einfach ignorieren kann, wenn man den Konflikt im Nahen Osten einer Lösung zuführen will (https://americandiplomacy.web.unc.edu/2004/05/the-hole-in-the-doughnut/). ↩︎
- Alle Angaben zum Aussenhandel Deutschlands im 1. Halbjahr 2024 stützen sich, soweit nichts anderes angegeben ist, auf folgende Quelle: https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Aussenhandel/Tabellen/aussenhandel-detaildaten.html ↩︎
- Alle Angaben zum Aussenhandel der Schweiz im 1. Halbjahr 2024 (aus Konjunktursicht, d.h. ohne Handel mit Gold etc.) stützen sich, soweit nichts anderes angegeben ist, auf folgende Quelle: https://www.gate.ezv.admin.ch/swissimpex/ ↩︎
- https://www.blick.ch/politik/buergenstock-nemo-niger-die-schweiz-ist-zurueck-id19801486.html ↩︎
- https://www.politico.com/news/2024/01/15/davos-china-blinken-ukraine-00135530 ↩︎
- Die Motion 23.4321 mit dem Titel «Modernisierung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und der Republik Korea» wurde https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20234321 ↩︎
- https://service.mof.gov.tw/public/Data/statistic/trade/news/11306/11306_%E8%8B%B1%E6%96%87%E6%96%B0%E8%81%9E%E7%A8%BF.pdf ↩︎
- https://focustaiwan.tw/cross-strait/202408080018 ↩︎