Die Cat Warrior Diplomatie in Taiwan und Südkorea (Teil 1/2)

Bislang war viel von der Wolf Warrior Diplomatie in der Volksrepublik China die Rede. Die im Westen gehegte Hoffnung, dass die Absetzung des obersten Wolf Warriors Zhao Lijian eine Ära einer «weicheren» Diplomatie einläuten würde, erwies sich spätestens nach dem Auftritt des wohl ranghöchsten Wolf Warriors Wang Yi an der Münchner Sicherheitskonferenz 2023 als Illusion. Aber was haben die Nachbarländer Chinas den Wolf Warriors auf diplomatischer Ebene entgegenzuhalten? Was Taiwan und Südkorea betrifft: Die Cat Warriors.

von Maja Blumer, 19. Februar 2022

Schockierender Aufritt von Wang Yi an der Münchner Sicherheitskonferenz

Auch wenn man die Rhetorik der Wolf Warriors langsam gewohnt ist, war der Auftritt von Wang Yi (Wang Yi war bis Dezember chinesischer Aussenminister und ist seit Oktober Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Chines, dem wichtigsten Machtorgan in der Volksrepublik China) im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz für westliche Beobachter einigermassen schockierend.

Im Detail auf diesen «Dialogue de sourds» dürfte müssig sein, egal ob es um die Haltung Chinas zur Ukraine, zum abgeschossenen Ballon oder um den Konflikt zwischen China und Taiwan geht. Was immer es zu letzterem von der Volksrepublik China und der Republik China und den «Zaungästen» gesagt wurde, wurde bereits gesagt. Nur auf eine Frage ist es wert, einzugehen, nämlich die Frage, die allen auf den Zunge brennt, und die auch an der Münchner Sicherheitskonferenz gestellt wurde: Ob in unmittelbarer Zukunft eine militärische Annektion Taiwans durch die Volksrepublik China droht. Die chinesische Antwort ist sinngemäss: Ja.

Dies machte das Gespräch zwischen Wolfgang Ischinger, Präsident des Stiftungsrates der Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), und dem ranghöchsten Wolf Warrior Wang Yi im Anschluss an die Rede des Letzteren an der MSC am 18. Februar 2023 deutlich:

Wolfgang Ischinger: Mein Team signalisiert mir, dass unsere Zeit bereits um ist. Aber ich denke, Sir, dass diese Diskussion nicht abgerundet wäre, wenn wir uns nicht eine Minute Zeit nehmen würden – mehr haben wir nicht –, um den hier Anwesenden zu versichern, dass eine militärische Eskalation im Hinblick auf Taiwan nicht unmittelbar bevorsteht.

Wang Yi: Ich kann dem Publikum in aller Kürze versichern, dass Taiwan Teil des chinesischen Territoriums ist. Es ist kein, es war nie ein Land, und wird auch in Zukunft kein Land sein. Das ist der Status quo der Taiwanfrage. Es ist nicht China, welches den Status quo ändern will, sondern separatistische Kräfte auf der Insel Taiwan. Es sind die für die Unabhängigkeit Taiwans eintretenden Kräfte, welche Frieden und Stabilität in der Taiwanstrasse unterminieren. Deshalb müssen wir uns gegen wir uns gegen die taiwanesischen Kämpfer für die Unabhängigkeit und die taiwanesischen Separatisten wehren. Wir müssen das One China Principle einhalten. Das ist auch der Konsens der internationalen Gemeinschaft. Wir betonen einmal mehr die Bedeutung des Respekts hinsichtlich Souveränität und territorialer Integrität. Das ist gut. Wir hoffen, dass bezüglich China Souveränität und territorialer Integrität auch respektiert werden, weil die separatistischen Kräfte Taiwans unsere Souveränität und unsere territoriale Integrität bedrohen. Wir wollen keine Doppelstandards bezüglich dieser Sache von grosser Bedeutung sehen. Das ist meine Antwort.

Keine Antwort ist auch eine Antwort, oder der langen Rede kurzer Sinn: Es muss mit einer militärischen Eskalation bezüglich Taiwan in unmittelbarer Zukunft gerechnet werden.

Es kann brenzlig werden, dass war schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts so, zur Zeit des Niedergangs der Qing-Dynastie (Quelle: https://visualizingcultures.mit.edu/boxer_uprising/gallery/images/puck_1900_11July_firec.jpg)

Cat Warrior Diplomatie als Möglichkeit, eine militärische Eskalation punkto Taiwan abzuwenden?

Die Frage ist damit nur noch: gibt es noch diplomatische Mittel, die militärische Eskalation abzuwenden, und wenn ja: welche?

Die Zeit der «strategischen Zwiespältigkeit», bei der alle Länder der Welt, einschliesslich der Republik China von «One China Policy» sprechen, aber ganz verschiedene Dinge darunter verstehen, ist eindeutig abgelaufen. Dies insbesondere seit Präsident Biden mehrfach klargemacht hat, dass ein Angriff Chinas die USA veranlassen würde, einzugreifen.

Auf Wolf Warrior-Strategien zu setzen, wäre möglich, aber gefährlich. Natürlich kann die Republik China auch auf seiner Fasson der One China Policy pochen und behaupten, das chinesische Festland gehöre von Rechts wegen zur Republik China und werde von den kommunistischen Separatisten seit 1949 widerrechtlich besetzt. So gerechtfertigt diese Sichtweise aus historischer Sicht wäre, so wenig wünschenswert wäre, dass Taiwan diesen Anspruch mit Gewalt durchsetzt. Taiwan bereitet sich seit über siebzig Jahren auf einen Angriff vom Festland vor, es ist keineswegs garantiert, dass es sich einfach einigeln würde und darauf warten würde, bis ihm vielleicht zu Hilfe eilt, wie man das mancherorts gerne hätte. Die Möglichkeit ist da, dass Taiwan die eine oder andere Grossstadt in Reichweite seiner Raketen in Schutz und Asche legen würde.

Die Durian-Diplomatie, wie sie etwa von den Philippinen praktiziert wird, scheint bisher eher kontraproduktiv gewesen zu sein. Das Jahr ist noch jung und schon haben die Philippinen den achten diplomatischen Protest gegen China erhoben. Die ungefähr ähnlich viel nützen dürften wie die 195 «notes verbales» im letzten Jahr oder das Urteil des Schiedsgerichts, welches die Philippinen 2016 gestützt auf die «1982 United Nations Convention on the Law of the Sea» (UNCLOS) erzielt haben.

Was aber sind die Alternativen zu diplomatischen Protesten, zur Anrufung von Staatsverträgen und zur Durian-Diplomatie, um die Wolf Warrior Diplomatie zu kontern?

Taiwan setzt schon seit längerem auf die Cat Warrior Diplomatie. Mit dieser stellen sich die taiwanesischen Gesandten in Szene, indem sie Taiwan als verantwortungsvollen und demokratischen Mitspieler auf der Weltbühne darstellen, welcher praktische Lösungen für globale Krisen findet und dabei die Bevölkerung einbezieht, statt auf Zensur und Zwang zu setzen, wie die Sinologin Simona Grano von der Universität Zürich die Cat Warrior Diplomatie auf den Punkt bringt.

Hsiao Bi-khim als berühmteste Cat Warrior-Diplomatin

Bekannteste Exponentin der Cat Warriors dürfte die taiwanesische Politikerin und quasi-Botschafterin in Washington Hsiao Bi-khim (蕭美琴) sein. Sie dürfte einen für taiwanesische Botschafter inzwischen geradezu typischen Lebenslauf haben. Ihr Vater ist Taiwaner, ihre Mutter Amerikanerin, geboren wurde Hsiao Bi-khim in Japan, verlebte ihre ersten Lebensjahre in Taiwan, bevor sie mit ihren Eltern in die USA zog, wo sie Politologie studierte. Sie war bereits in den USA Mitglied der Democratic Progressive Party (DPP) und verzichtete 2000 auf ihre amerikanische Staatsbürgerschaft, um eine politische Tätigkeit in Taiwan zu verfolgen.

Seit 2000 ist Hsiao Bi-khim de-facto Botschafterin in Washington, wo sie mit ihren vier Katzen residiert. Sie gilt als eine der einflussreichsten diplomatischen Stimmen in Washington, obwohl sie offiziell gar keinen diplomatischen Status hat.

Die Bezeichnung «Cat Warrior» stammt von Hsiao Bi-khim selbst. Sie sagt dazu (deutsche Übersetzung durch die Autorin):

Nun, ich bin ein Cat Warrior. Katzen sind freundlicher und verlässlicher. Wir sind flexibel, pragmatisch, überleben in einer harschen Umwelt, tauchen an unerwarteten Orten auf und wir lassen uns nicht dazu zwingen, uns zu unterwerfen. Das ist ziemlich genau so, wie ich hier arbeite.

Vincent Chao, der Newcomer

An der Münchner Sicherheitskonferenz machte aber noch ein anderer Cat Warrior auf sich aufmerksam. Als Vertreter Taiwans, das erstmals nach sieben Jahren wieder an die Münchner Sicherheitskonferenz eingeladen war, amtete Vincent Chao. Auch er hat eine «typische» Laufbahn als taiwanesischer Diplomat hinter sich. Er ist Politologe, mit einem BA von der York University in Kanada und einem juristischen Masterabschluss (LL.M.) der London University. Er verzichtete für seine politische Tätigkeit – er ist unter anderem Stadtrat für den Stadtbezirks Daan-Wenshan in Taipei – auf seinen kanadischen Pass. Vor bzw. neben seiner politischen Tätigkeit für die Regierung von Präsidentin Tsai Ing-wen, unter anderem als Chief of Staff des taiwanesischen Aussenministers Joseph Wu und bei der amerikanischen quasi-Botschaft, war er auch als Journalist für die englischsprachige Taipei Times tätig.

Dieser Werdegang dürfte erklären, wieso Vincent Chao trotz seines jugendlichen Alters (er hat Jahrgang 1988) in seinem Interview im Anschluss auf die Rede von Wang Yi auf Fragen des Reporters der Deutschen Welle mit so grosser Eloquenz – und mit einer Prise Humor – eingeht.

Das Interview sagt eigentlich soviel über die taiwanesische Cat Warrior Strategie, dass es keines weiteren Kommentars bedarf. Untenstehend daher nur einige Passagen daraus (deutsche Übersetzung und Hervorhebungen durch die Autorin):

Richard Walker (dw): Es ist offensichtlich, dass die Spannungen dies- und jenseits der Taiwanstrasse in den letzten Monaten stark zugenommen haben. Im Spätsommer/Herbst letzten Jahres gab es eine echte Verschärfung. Wie würden Sie die Situation jetzt beschreiben?

Vincent Chao: Ich halte es für gewiss, dass China die Spielregeln ändert und sich in einem Masse an Provokationen beteiligt, wie es in der Vergangenheit nicht der Fall war. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Sie wissen, dass die internationale Gemeinschaft sich sehr auf den Besuch der ehemaligen Sprecherin Pelosi in Taiwan konzentriert hat und dabei vergessen hat, dass es dafür schon früher eindeutig Präzedenzfälle gab. In den 1990er Jahren besuchten ehemalige US-Sprecher Taiwan, ohne dass die Volksrepublik China darauf militärisch reagierte. Es ist also klar, dass sich in der Volksrepublik China etwas geändert hat.
Es ist klar, dass Xi Jinping seinen Zeitplan für seine Wünsche und Ambitionen gegenüber Taiwan geändert hat. Und ich denke, dass wir darauf reagieren müssen, aber nicht nur “wir” im Sinne von Taiwan, sondern ich denke, “wir” im Sinne der internationalen Gemeinschaft, und wir müssen ein bisschen klarer sehen, was China will, was die Pläne und Aktionen angeht, die China zur Erreichung seiner Ziele geplant hat, wir müssen dabei wirklich klar fokussiert sein wie ein Laser sein, um zu verhindern, dass dies stattfindet…
Wir denken also, dass zum jetzigen Zeitpunkt, 2023, die Anzeichen für ein Auftreten Chinas mit grösserer Schlagkraft nicht nur in der Region, sondern insbesondere in der Taiwanstrasse zunehmen, und wir denken, dass es für die internationale Gemeinschaft, insbesondere für die demokratischen Länder auf der ganzen Welt, der richtige Zeitpunkt ist, in dieser Frage eine klare Sprache zu sprechen, um China zu zeigen, dass es Konsequenzen haben wird, wenn es aktiv wird, um zu zeigen, dass sie in der Unterstützung von Taiwans Demokratie geeint sind, und um zu zeigen, dass China es sich wirklich nicht leisten kann, sich auf eine Art militärisches Abenteurertum einzulassen, das es anstrebt.
Wir denken, dass es keinen besseren Zeitpunkt als jetzt gibt und dass es wichtig ist, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs sich dem internationalen Chor der Stimmen anschliessen, die wir bisher gesehen haben, einschließlich der Vereinigten Staaten, Japan, Australien, dem Vereinigten Königreich und so weiter, um ihre Unterstützung für die Sicherheit in der Taiwanstrasse und die Aufrechterhaltung der taiwanesischen Demokratie zu erklären.

Richard Walker (dw): Man erwartet, dass Kevin McCarthy, der neue Sprecher der sie (Nancy Pelosi) ersetzt hat, in Kürze nach Taiwan reisen wird. Ist das etwas, was Sie begrüssen, oder machen Sie sich Sorgen über die potentiellen Konsequenzen im Hinblick auf China?

Vincent Chao: Ich gehe davon aus, dass rational denkende Menschen in Taiwan diesen Besuch willkommen heissen, jeden Besuch eines Sprecher des US-Parlaments, und zwar erstens allein schon deshalb, weil es sich im Rahmen der Präzendenzfälle bewegt…zweitens aber auch, weil es für die Parlamente rund um die Welt wichtig ist, Unterstützung für Taiwan zu zeigen. Ich meine, wir müssen akzeptieren, dass Parlamente mindestens zu einem Teil die Stimme des Volkes repräsentieren, und wenn Taiwan hofft, Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft zu erhalten, ist es sehr wichtig, dass die Öffentlichkeit mit an Bord ist. Deshalb denken wir, dass der Austausch mit Parlamentariern, Besuche von Sprechern egal ob sie aus den USA oder aus europäischen Ländern oder anderswoher kommen, allesamt wichtig sind für die Sicherheit in der Taiwanstrasse.

Richard Walker (dw): Der neue oberste chinesische Diplomat weilt derzeit hier in München. Haben Sie Ihn getroffen, hatten Sie eine Gelegenheit, mit der chinesischen Delegation zu sprechen?

Vincent Chao (lacht): Nein, habe ich nicht. Das heisst, ich hatte keine Gelegenheit Hallo zu sagen. Ich habe ihn gesehen, ich war bei seiner Rede vorher anwesend. Ich denke, seine Rede bringt es auf den Punkt, was den Stand der Dinge hinsichtlich China’s internationalen Beziehungen nicht nur mit den USA sondern mit dem Rest der Welt angeht: Verleugnen im Hinblick auf den Vorfall mit dem Ballon, Überheblichkeit soweit sie die Ukraine und Taiwan über die gleiche Leiste schlagen wollen, und auch das Negieren bezüglich der die legitimen Befürchtungen was die Handlungen China’s in der Taiwanstrasse zum dritten Weltkrieg führen könnten. Ich denke, China hat diese Bedenken bisher nicht ernst genommen.
Ich denke auch, dass wenn wir uns die Antwort von Wang Yi auf die vom Moderator (Wolfgang Ischinger) gestellte Frage ansehen, im Hinblick auf die Frage, wie China der internationalen Gemeinschaft zusichern kann, dass China keine Pläne im Hinblick auf miliärische Aktionen bezüglich Taiwan hat, dass wir diese Antwort als sehr ausweichend bezeichnen können und er sich klar geweigert hat, eine Antwort auf die Frage zu geben. Zumindest aus taiwanesischer Perspektive, und ich denke, das gilt auch für den Rest der Welt, ist der Schluss, dass wir uns für den Eventualfall eines Militärschlags bereithalten müssen. Und auch, das wir sicherstellen müssen, dass wir alles in unserer Macht stehende tun, um den Chinesen zu helfen, sich dahingehend zu entscheiden, dass es das nicht wert ist. Das beinhaltet die Verstärkung unserer Selbstverteidigungskräfte, einerseits, und andererseits auch die Schaffung robuster Sicherheitsbeziehungen mit den USA und anderen gleichgesinnten Staaten rund um den Globus.
Wir denken, dass diese beiden Faktoren China eine Denkpause verschaffen können und Xi Jinping einen Grund geben um zu sagen, «heute ist nicht der Tag der ideal wäre, um Taiwan zu überfallen».

Richard Walker (dw): Wang Yi schob die ganze Verantwortung auf Taiwan und die dortige politische Führung, die dort derzeit am Ruder ist. Er sagt, die DPP, welcher sie als Parteimitglied angehören, auf Separatismus aus ist und den Status quo ändern will. Was sagen Sie dazu?

Vincent Chao: Ich denke, dass im Bereich der internationalen Beziehungen Taten mehr sagen als Worte…Taiwan zeugt von seiner politischen Verpflichtung, den Status quo bezüglich der Taiwanstrasse beizubehalten, und wenn Sie die Handlungen Taiwans mit denjenigen der Volksrepublik China kontrastieren, entsteht in der Gegenüberstellung eine ziemliche Dissonanz.

Wird die Cat Warrior Diplomatie das Schlimmste vermeiden? Die Geschichte wird es weisen. Immerhin ist es beruhigend, dass die heikle Gratwanderung der quasi-diplomatischen Beziehungen Taiwans nicht nur auf den Schultern der alten Garde wie dem taiwanesischen Aussenminister Joseph Wu oder dem quasi-Botschafter in Bern, Dr. David Huang (die man, mit oder ohne Katze zu den Cat Warriors zählen darf) lastet, sondern auch eine jüngere Generation von Taiwanern am gleichen Strick zieht.


Dr. iur. Maja Blumer, LL.M. (Tsinghua) hat in der Schweiz, in der Volksrepublik China und Taiwan studiert. Sie ist als Rechtsanwältin tätig.

Flieger der Schweizer Luftwaffe über dem Zürichsee, trotz der dramatischen Wolkenstimmung fürs Vergnügen unterwegs. (Bild: privat)