Das grosse Köpferollen: Zhao Lijian’s Vermächtnis

In diesem Blog war öfters die Rede von Zhao Lijian, dem berühmtesten Wolf Warrior Chinas. Ebenfalls wurde hier vielfach diskutiert, welche Machtkämpfe sich hinter den Kulissen der Kommunistischen Partei Chinas abspielen und welche nicht unbedeutende Rolle Zhao Lijian darin zukommt. Heute gilt es, Abschied von Zhao Lijian zu nehmen.

von Maja Blumer, 10. Januar 2023

Wer nämlich gedacht hat, mit den dramatischen Ereignissen der letzten Monate – von Coupgerüchten im September über die öffentliche Demontage von Hu Jintao (der als Rädelsführer des Coupversuchs im September genannt wurde) bis hin zum Kräftemessen um die Beerdigung von Jiang Zemin (der ebenfalls als Rädelsführer des Coupversuchs im September verdächtigt wurde) habe es sein Bewenden, wurde eines Besseren belehrt. Es sieht ganz danach aus, als ob die inzwischen 35 Episoden umfassende Soap Opera «General Hostilities» des Youtubers Chris Chappell auf neue Höhepunkte zusteuert.

Seit Beginn des Jahres brodelt die Gerüchteküche um das grosse Köpferollen. Nun scheint es auch den berühmtesten Wolf Warrior Zhao Lijian getroffen zu haben. Dieser stand offensichtlich schon seit Längerem auf der Abschussliste. Schon im Juli 2022 sah er gesundheitlich angeschlagen aus, und es gingen auch entsprechende Gerüchte um. Ab August 2022 trat er nur noch sporadisch auf, und meistens dann, wenn es galt, für seine Regierung die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Zum letzten Mal trat er am 2. Dezember 2022 auf, im dunklen Anzug, mit schwarzer Krawatte und einer Leichenbittermine. Am 9. Januar 2023 wurde bekannt, dass er seines Amtes als Sprecher des chinesischen Aussenministeriums enthoben und in ein anderes Departement versetzt wurde, das als Abstellgleis gilt. Über die Gründe kann nur spekuliert werden:

  • Soll Zhao Lijian aus der Schusslinie genommen werden, um ihn später mit einem neuen Image ausgestattet in eine Position zu hieven, die seinem bisherigen Status entspricht? Dafür spricht, dass ein intelligenter Diplomat mit grosser Anhängerschaft (wenn vielleicht auch nicht immer in den richtigen Kreisen) eine «Human Mine» (um das Schlagwort zu verwenden, das in China derzeit kursiert) ist, die eine Regierung nicht gerne aufgibt, wenn es sich um eine Goldgrube handelt (anders wäre es bei der Sorte Mine, die jederzeit explodieren kann).
  • Oder scheiterte er an den Tweets seiner Ehefrau (oder der Person, die sich als Ehefrau von Zhao Lijian ausgibt), welche die Loyalität Zhao Lijians zur Kommunistischen Partei Chinas doch arg in Frage stellen? Dafür spricht, dass schon im Juli 2022 nicht verifizierbare Gerüchte kursierten, es habe in dieser Ehe Probleme gegeben.
  • Oder gab Zhao Lijian mit seinen Twitterorgien zu viele Geheimnisse preis? Zhao Lijian sitzt an der Quelle hochsensitiver Informationen, und unter den 1,9 Millionen Followers auf Twitter dürfte schon der eine oder andere Geheimdienstmitarbeiter gewesen sein, der 1 und 1 zusammenzählen kann.

Gerade der letzte Punkt hat es in sich. In einer seiner von den offiziellen Staatsmedien Chinas verbreiteten Tiraden stellte Zhao Lijian vor zwei Jahren die rhetorische Frage: «Können Sie dem FBI vertrauen?» Was, wenn umgekehrt die Frage gestellt wird, ob Zhao Lijian und andere Sprecher des chinesischen Aussenministeriums und damit der chinesischen Regierung vertrauenswürdig sind? Ist die Antwort «Nein», ist das «nur» ein diplomatisches Debakel, man wird den chinesischen Repräsentanten einfach keine Beachtung mehr schenken, nach dem Motto, «Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er die Wahrheit spricht.» Was aber, wenn die ausländischen Geheimdienste und Regierungen Zhao Lijian ernst nehmen und den wahren Kern seiner scheinbar propagandistischen Botschaften erkennen?

Screenshot einer Twitternachricht von Zhao Lijian vom 26. September 2022. Kein fotografisches Highlight, aber durchaus informativ, wenn man eine Tageszeitung zur Hand und eine gewisse Vorstellungsgabe hat.

Immerhin haben Geheimdienste und auch einige Journalisten gelernt, die Propagandamaschinerie, welche die Volksrepublik China seit ihrer Gründung prägt, zu durchschauen. Dies ist bei den Wolf Warriors besonders einfach, weil sie sehr oft auf den psychologischen Trick der Projektion zurückgreifen. Hier ist es ganz einfach, die Botschaft um 180° zu drehen, und man kommt der Wahrheit schon ziemlich nahe.

Nehmen wir einmal die «Abschiedsvorstellung» von Zhao Lijian vom 2. Dezember 2022 und vertauschen die China und USA in der Antwort auf die Frage, die der staatliche Fernsehsender CCTV Zhao Lijian zugespielt hat. Dann könnte sich die hypothetische Rede wie folgt anhören:

ACTV [amerikanischer Fernsehsender]: Am 30. November sagte der chinesische Aussenminister Yang Jiechi nach einem Treffen mit den Aussenministern der SCO [Shanghai Cooperation Organisation] vor der Presse, die SCO sei sich “über einige der Herausforderungen, die die USA darstellen, im Klaren”. China sei nach wie vor “besorgt über die Zwangspolitik der USA, ihren Einsatz von Desinformation, ihre rasche, undurchsichtige militärische Aufrüstung, einschliesslich ihrer Zusammenarbeit mit Westeuropa”. Haben Sie dazu einen Kommentar?  

G. Clever [Sprecher des US State Department]: Die Äusserungen Chinas beruhen nicht auf Fakten und spiegeln die eingefleischte Mentalität des Kalten Krieges und ideologische Voreingenommenheit wider.

Wir möchten zunächst einmal betonen, dass China der Ursprung und der Experte für Zwangsdiplomatie ist. Von der Androhung von Gewalt bis zur politischen Isolierung, von wirtschaftlichen Sanktionen bis zur technologischen Blockade – China schreckt vor nichts zurück, um sein Ziel zu erreichen. Für die Zwangsdiplomatie Chinas gibt es zahlreiche Lehrbuchfälle.

Zweitens hat China eine lange Tradition in der Verbreitung von Desinformationen. Von der Operation im Koreakrieg, mit der in der Ära des Kalten Krieges hunderttausende von chinesischen Soldaten als «Freiwillige» manipuliert und als Kanonenfutter an die Front geschickt wurden, über die inszenierten Verbrechen, mit denen Menschen verurteilt wurde, damit deren Organe transplantiert werden konnten, bis hin zur Lüge des Jahrhunderts, die erfunden wurde, um Abwehrmassnahmen der USA gegenüber Covid zu verleumden und den USA die Schuld für das Virus in die Schuhe zu schieben, hat die Welt gesehen, wie China falsche Beweise ausheckt und Desinformationen verbreitet.

Drittens ist es China, das auf den mutwilligen Einsatz von Gewalt zurückgreift, um in der ganzen Welt Unruhe zu stiften. Die Militärausgaben Chinas waren 2022 so hoch wie noch nie zuvor und die Wachstumsrate von 7,1% überstieg das Wachstum des Bruttosozialprodukts bei weiten. In über 70-jährigen Geschichte führte China unzählige militärische Konflikte, welche wie die Invasion in Tibet oder der Koreakrieg, die immer wiederaufflammenden Grenzkonflikte in Indien, Streitigkeiten wie im Ost- und Südchinesischen Meer usw. bis heute nicht beendet sind. Hunderte «Polizeistationen» in fast allen Ländern der Welt greifen in die Souveränität dieser Lände ein. Chinesische Militärflugzeuge und Kriegsschiffe lassen rund um den Globus, insbesondere in der Taiwanstrasse und im südchinesischen Meer, ständig die Muskeln spielen. Es ist nur allzu klar, wer die internationale und regionale Sicherheit und Stabilität untergräbt.

Die USA sind einer unabhängigen Aussenpolitik des Friedens verpflichtet. Wir lassen uns niemals auf Zwang oder Desinformation ein. China muss aufhören, die USA zu verleumden und anzugreifen. Eine solide und stabile Beziehung zwischen China und den USA erfordert Anstrengungen von beiden Seiten. Wir hoffen, dass China mit uns in die gleiche Richtung arbeiten wird, um die wichtigen gemeinsamen Vereinbarungen unserer Parlamente und Regierungen umzusetzen und den richtigen Weg für das Miteinander unserer beiden grossen Länder zu finden. 

Macht doch durchaus Sinn, oder? Übrigens gibt es in der Psychologie nicht nur den Mechanismus der Projektion (welche mit Narzissmus und damit wenig gereiften Persönlichkeiten in Verbindung gebracht wird), sondern auch denjenigen der Perspektivenübernahme. Die Fähigkeit, die Position der Gegenseiten erkennen und sich in diese hineinversetzen zu können, gilt als Zeichen des Übergangs vom Kind zum Erwachsenen. In einigen Berufen ist die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme essentiell, ganz besonders bei Rechtsanwälten, welche nur so die Stärken und Schwächen der Gegenseite zu erkennen vermögen; und natürlich bei Diplomaten. Möge die Perspektivenübernahme Zhao Lijian auch in seiner neuen Position gelingen. Wie sagte Zhao Lijian doch gleich: «Actions speak louder than words.»

Screenshot einer Twitternachricht von Zhao Lijian

Nachtrag vom 21. März 2023: Auf Twitter ist Zhao Lijian verstummt. Aber es scheint eine schöne und sinnvolle Aufgabe gefunden zu haben: Er bereist das Land und frischt alte Grenzmarkierungen auf, wie die Zeitung Taiwannews berichtete. Auch wenn sein Talent damit offensichtlich verschwendet wird und seine Pinselaktionen für Gespött der Netizens und Angriffe unter der Gürtellinie sorgen (wie die Bezugnahme auf die «split personality» im vorerwähnten Artikel und damit auf das Gerücht, Zhao Lijian leide an einer psychischen Störung, das schon seit August zirkulierte), wirkt er auf den Photos wesentlich glücklicher als bei seinen Auftritten im Aussenministerium.

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Dr. iur. Maja Blumer hat in der Schweiz, in der Volksrepublik China sowie in Taiwan studiert und ist als Rechtsanwältin tätig.