Von wortgewaltigen zu gewalttätigen Wolf Warriors: Chinesische Diplomatie am Ende?

Zweimal haben chinesische Diplomaten verkappte Todesdrohungen gegen ausländische Politiker ausgesprochen: gegenüber dem japanischen Premierminister Shinzo Abe und der amerikanischen Politikerin Nancy Pelosi. Im Falle von Shinzo Abe hat sich die Prophezeiung verwirklicht, bezüglich Nancy Pelosi beinahe. Eine dritte ähnliche Drohung gegenüber Taiwan steht im Raum. Derweil ist ein Übergang von der ersten Generation von chinesischen «Wolf Warriors», die lediglich zu verbaler Gewalt griffen, zu solchen, die lieber die Fäuste sprechen lassen. Ist die chinesische Diplomatie am Ende?

Indirekte Todesdrohung gegen Premierminister Shinzo Abe – Lost in Translation

Es war nicht das erste Mal, dass ein chinesischer Diplomat Worte verwendete, die als Androhung von physischer Gewalt gewertet werden können, aber sie traf einen Prominenten Politiker, der sich einmal mehr auf die Seite Taiwans zu stellen wagte: Premierminister Shinzo Abe. Im Kontext gelesen, konnte die entsprechende Bemerkung von Wang Wenbin an der Pressekonferenz des chinesischen Aussenministeriums vom 1. November 2021, als Todesdrohung gelesen werden (jedenfalls wenn man das Original zu lesen weiss, und nicht die abtemperierte englische Fassung):


《北京青年报》记者:据报道,今天日本前首相安倍晋三在台湾智库线上演讲时称,台湾有事即日本有事,也就是日美同盟有事。请问中方对此有何评论?

汪文斌:日本前首相安倍晋三罔顾国际关系基本准则和中日四个政治文件原则,公然在台湾问题上胡言乱语、指手画脚,妄议中国内政,中方对此强烈不满和坚决反对,已通过外交渠道提出严正交涉。

台湾是中国的神圣领土,绝不容外人肆意染指。日本曾对台湾殖民统治长达半个世纪,犯下罄竹难书的罪行,对中国人民负有严重历史罪责。任何人都不要低估中国人民捍卫国家主权和领土完整的坚强决心、坚定意志、强大能力!任何人胆敢重走军国主义老路、挑战中国人民底线,必将碰得头破血流

Beijing Youth Daily: Speaking virtually at a Taiwanese think tank today, former Japanese Prime Minister Shinzo Abe said, “A Taiwan emergency is a Japanese emergency, and therefore an emergency for the Japan-US alliance.” Do you have any comment?

Wang Wenbin: In total disregard of the basic norms governing international relations and the principles of the four political documents between China and Japan, former Japanese Prime Minister Shinzo Abe blatantly babbled utter nonsense and wantonly leveled criticism on the Taiwan question, and made presumptuous remarks about China’s internal affairs. China deplores and rejects this and has lodged stern representations with the Japanese side through diplomatic channels.

Taiwan is China’s sacred territory, where no external interference shall be tolerated. During its colonial rule over Taiwan for half a century, Japan committed innumerable crimes, over which it has grave historical responsibilities to the Chinese people. No one should underestimate the strong resolve, determination and capability of the Chinese people to safeguard national sovereignty and territorial integrity. Those who dare to pursue the old path of militarism and challenge our bottom line will find themselves on a collision course with the Chinese people!

Auffallend ist die extreme Abweichung zwischen der chinesischen Originalversion und dem ebenfalls vom chinesischen Aussenministerium verbreiteten «Übersetzung», welche das Gesagte («…wird sich zwingend den Kopf blutig schlagen») komplett verdreht wiedergibt.

Geht man beim chinesischen Aussenministerium davon aus, dass niemand von der Presse und von den «Experten» in den betreffenden ausländischen Regierungen genug Grips und Chinesischkenntnisse hat, um diese Diskrepanz zu erkennen? Und haben sie vielleicht gar recht?

Unter dem Titel «The information vacuum» stellte die Financial Times in ihrer Ausgabe vom 28. September 2022 fest:

The tougher political environment and the travel restrictions are undermining some of the west’s strongest China expertise. “Some senior scholars who started studying China many years ago, some of the people they got to know and interviewed early on later became high-ranking politicians, opening doors and providing insights,” Lü [Lü Xiaobo, Associate Professor at the University of Texas] said. But, he adds, the understanding gained through connections is getting rare now.

Infolge dieses «Informationsvakuums» droht das, was man in der Psychologie den «Confirmation Bias» nennt. Man hört nicht das, was wirklich gesagt wurde, und sieht nicht das, was wirklich zu sehen ist, sondern sitzt Slogans der Propaganda wie dem «Friedlichen Aufstieg Chinas» auf oder lässt sich gar als Sprachrohr der chinesischen Propaganda missbrauchen, wie dies Botschafter Regazzoni geschehen ist (davon war in diesem Blog die Rede).

Bezüglich dem japanischen Premierminister Shinzo Abe hat sich die Prophezeiung des chinesischen Aussenministeriums bewahrheitet. Toris in Kyoto. (Bild: privat)

Tatsache ist und bleibt: Wang Wenbin hat Shinzo Abe mehr oder weniger unverhohlen gedroht, er würde sich unvermeindlicherweise einen blutigen Kopf holen. Ein Bluff? Wer auch immer hinter dem Mord an Shinzo Abe stand: die Prophezeiung des Wolf-Warriors Wang Wenbin hat sich am 8. Juli 2022 verwirklicht.

Indirekte Todesdrohungen gegen Nancy Pelosi – Lost in Translation

Es blieb aber nicht bei der verkappten Drohung gegen Shinzo Abe. In der Pressekonferenz des chinesischen Aussenministeriums vom 25. Juli 2022 verwendete ein weiterer Wolf-Warrier, Zhao Lijian, die gleiche Wendung, um im Zusammenhang mit einer Bemerkung der deutschen Aussenministerin indirekt auch Nancy Pelosi vor den Konsequenzen eines Besuchs in Taiwan zu warnen (mit der gleichen unzulänglichen englischen Übersetzung des chinesischen Aussenministerium):

新华社记者:据报道,22日,德国外交部长贝尔伯克接受采访时称,中国不再接受“一国两制”,德国须像美国一样认真对待中国大陆的“攻台”宣言,因此德美共同制定了北约战略;德国要与伙伴国家一起,减少对华经济依赖。中方对此有何评论?

赵立坚:这位德国官员的表态都是典型的对华偏见。我想强调四点:

第一,中方一贯主张尊重各国主权和领土完整,始终坚持走和平发展道路。在和平与安全问题上,中国是纪录最好的大国。我们从来没有主动挑起过一场战争,也从来没有侵犯过别国一寸领土,不对任何国家构成威胁。

第二,台湾问题是中国内政,任何外部势力不得干涉。中方坚持“和平统一、一国两制”的方针,任何人都不要低估中国人民捍卫国家主权和领土完整的坚强决心、坚定意志、强大能力,任何人胆敢挑战中国人民的底线,必将碰得头破血流。[…]

Xinhua News Agency: It is reported that German Foreign Minister Annalena Baerbock said in an interview on July 22 that China no longer accepts One Country, Two Systems, Germany should take China’s declaration on “attacking Taiwan” seriously just like the US and this is why Germany and the US worked out the strategy of NATO. Baerbock also said that Germany will work with partners to reduce economic dependency on China. Do you have any comment?

Zhao Lijian: The remarks of the German official you mentioned reflect some typical biased views on China. I would like to stress four points. 

First, China always stands for respecting the sovereignty and territorial integrity of all countries and is committed to the path of peaceful development. Among the major countries, China has the best peace and security record. We have never started a war or occupied one inch of foreign land. China does not pose a threat to any country. 

Second, the Taiwan question is China’s internal affair that brooks no external interference. China is committed to the policy of peaceful reunification and One Country, Two Systems. No one should underestimate the strong resolve, will and ability of the Chinese people to defend our sovereignty and territorial integrity. Anyone who dares to challenge China’s red line will find themselves on a collision course with the Chinese people. […]

Tatsache ist und bleibt: Zhao Lijian hat Nancy Pelosi in dieser und anderen Pressekonferenzen mehr oder weniger unverhohlen gedroht, sie würde sich unvermeindlicherweise einen blutigen Kopf holen. Ein Bluff? Wer auch immer hinter der Attacke auf Nancy Pelosi stand, welche ihren Ehemann traf: die Prophezeiung des Wolf-Warriors Zhao Lijian hat sich am 28. Oktober 2022 beinahe verwirklicht.

Taiwan soll unter die Räder kommen und selbst Drohung mit Nuklearwaffen kann China nicht abschrecken

Zwei Drohungen haben sich also verwirklicht. Aber zweimal ist keinmal. Aber wenn wir es mit drei Drohungen zu tun haben? Da hält man sich vielleicht besser an James Bond, bzw. an den Bond-Autor Ian Fleming:

Once is happenstance. Twice is coincidence. Three times is enemy action. – Ian Fleming, Goldfinger

Eine dritte Drohung steht noch im Raum: Taiwan soll einverleibt werden, wobei das seit jeher nur mit Gewalt denkbar ist. Nicht nur die Drohungen gegenüber Shinzo Abe und Nancy Pelosi steht im Zusammenhang mit Taiwan, diese Drohung gilt generell für Taiwan. Die erwähnte Wendung «头破血流» stammt nämlich weder von Zhao Lijian noch von Wang Wenbin, sondern vom grossen Führer Xi Jinping persönlich, aus einer Rede zum 100sten Jahrestag der Kommunistischen Partei Chinas:

…中国人民也绝不允许任何外来势力欺负、压迫、奴役我们,谁妄想这样干,必将在14亿多中国人民用血肉筑成的钢铁长城面前碰得头破血流!

…und das chinesische Volk wird niemals zulassen, dass eine fremde Macht uns tyrannisiert, unterdrückt oder versklavt. Jeder, der dies versucht, wird wird sich den Kopf an der grossen Stahlmauer blutig schlagen, die mit Fleisch und Blut von mehr als 1,4 Milliarden Chinesen errichtet wurde!

Die Rede von Xi Jinping machte in den chinesischen Social Media Furore. Auch hier wurde natürlich versucht, die englische Version herabzumildern, etwa im Sprachrohr der chinesischen Nationalisten, der Global Times, was nicht ganz unbemerkt blieb. In den westlichen Medien wurde die Sache aber weitgehend totgeschwiegen bzw. aus den Schlagzeilen ferngehalten.

Diese Drohung ist nicht neu – die Grosse Mauer aus Stahl errinnert an den «Grossen Sprung nach vorn», wo in der Volksrepublik China landauf landab versucht wurde, Stahl herzustellen, um den amerikanischen Feind zu besiegen und Taiwan «zu befreien». Die während dem «Grossen Sprung nach vorn» verfolgte Politik scheint gerade wieder einmal ein Revival zu erleben, darüber wurde andernorts in diesem Blog berichtet.

Nichts was Taiwan, die USA oder sonst jemand sagt, scheint die derzeitige Führung der Volksrepublik China von der fixen Idee abhalten zu können, Taiwan einverleiben zu müssen. Das dürfte zum einen daran liegen, dass die fixe Idee, Taiwan müsse annektiert bzw. «befreit» werden, schon seit über siebzig Jahren durch anhaltende Propaganda in die Köpfe der chinesischen Bevölkerung einschliesslich der «Elite» einzementiert worden ist; selbst wenn sich jemand in der Volksrepublik China selbständig eine Meinung dazu bilden könnte, dürfte er sich im Anbetracht des derzeitigen politischen Klimas dazu nicht äussern. Auf «Separatismus» steht die Todesstrafe. Zum anderen ist aber die Volksrepublik China in den letzten 25 in der Meinung bestärkt worden, man könnte vielleicht einen ähnlichen «Deal» über den Kopf der Taiwaner hinweg abschliessen wie seinerzeit im Geheimdeal mit Margaret Thatcher bezüglich Hong Kong. Elon Musk hat hier möglicherweise nur ausgesprochen, was sich viele Geschäftsleute, die in der Volksrepublik China die Felle davonschwimmen sehen, nur heimlich denken.

Um unter anderem die Volksrepublik China davon abzuhalten, ihre Drohungen gegenüber Taiwan früher als erhofft wahrzumachen, womöglich schon in den nächsten Wochen, wurden inzwischen auch Nuklearwaffen ins Spiel gebracht. Schenkt man den Worten des Wolf-Warriors Wang Wenbin Glaube, wird sich die Volksrepublik China auch davon nicht abhalten lassen. Die entsprechende Bemerkung in der gestrigen Pressekonferenz dazu (wiederum mit unzulänglicher englischer Übersetzung):

汪文斌:我们注意到,美方《2022年核态势审议报告》极力渲染大国竞争、阵营对抗,充斥着冷战思维、零和理念,将核武器作为推进地缘政治目标的工具,与防止核战争、避免核军备竞赛的国际期待背道而驰。

我想指出的是,美方作为拥有最大核武库的国家,持续升级“三位一体”核力量,有选择性地推动打压对手的国际核军控议程。美方政策反映出其谋求绝对军事优势的霸权逻辑,将刺激核军备竞赛。

美方声称要使用核武器应对核攻击与非核战略攻击,大力发展并谋求前沿部署战术核武器。美方强化核武器在国家安全政策中的作用,降低核武器使用门槛,日益成为核冲突风险的源头。

美方渲染特定国家的核威胁,为其量身定制核威慑战略,鼓吹违反《不扩散核武器条约》的“核共享”安排,声称要加强与亚太地区盟友的延伸威慑。此举损害大国互信,挑动核军备竞赛与核对抗,刺激核扩散,严重破坏国际和地区和平稳定。

我还要强调的是,美方在报告中对中国正常的核力量现代化指手划脚、妄加揣测,明目张胆针对中国量身定制核威慑战略,中方对此严重关切并坚决反对。我们正告美方,中方有能力、有信心维护国家安全利益,美方的核讹诈吓不倒中国。[…]

Dragon TV: On October 27 local time, the US Department of Defense released the 2022 Nuclear Posture Review (NPR). Do you have any comment?

Wang Wenbin: We noted that the US 2022 Nuclear Posture Review hypes up major-power competition and bloc confrontation and smacks heavily of Cold War and zero-sum mentality. It uses nuclear weapons as tools to advance its geopolitical agenda. This is clearly against the world’s desire to prevent a nuclear war or nuclear arms race.

I need to highlight the fact that the US has the largest nuclear arsenal in the world, and continues to upgrade its “nuclear triad” and selectively advances the international nuclear arms control process only when doing so serves to suppress the countries it sees as rivals. What’s behind the US policy is its hegemonic logic of seeking absolute military superiority, which could stoke a nuclear arms race.

The US claims it would use nuclear weapons in response to a nuclear or non-nuclear strategic attack and seek to develop or forward-deploy non-strategic nuclear weapons. The US has placed more importance on the role of nuclear weapons in national security policy and lowered the threshold for using nuclear weapons, which has gradually become a source of risks for nuclear conflict.

The US has been hyping up the so-called nuclear threat from certain countries, “tailoring” nuclear deterrence strategies targeting these countries and calling for “nuclear sharing” that violates the NPT. It has also tried to reinforce its extended deterrence commitments to its allies in the Asia Pacific. The US moves have undermined mutual trust between major countries, stoked nuclear arms race and confrontation, stimulated nuclear proliferation, and seriously harmed regional and international peace and stability.

I need to stress that in this latest NPR, the US has made irresponsible remarks and accusations as well as groundless speculations on China’s normal modernization of its nuclear forces. The US has brazenly “tailored” a nuclear deterrence strategy against China. China is seriously concerned about and firmly opposed to such a move. Let me make it clear that we have the capability and confidence to safeguard our national security interests. The US’s nuclear blackmail will not work on China. […] 

Wörtlich hat Wang Wenbin gesagt: Die amerikanische Drohung mit Nuklearwaffen kann China keine Angst einjagen. Das kann man verschieden interpretieren. Entweder wird die Drohung nicht ernst genommen, so wie auch die von Präsident Biden mehrfach gemachte Aussage, die USA würde bei einem Angriff auf Taiwan intervenieren, sowohl in China als auch sonstwo nicht ernstgenommen wird. Oder aber, es ist der Regierung der Volksrepublik China völlig egal, wieviele Todesopfer bei einem Angriff auf Taiwan zu beklagen wären. Letzteres übrigens unabhängig davon, ob und wie die USA intervenieren. Ob Taiwan über Nuklearwaffen verfügt, ist zwar unbekannt (ein entsprechendes Programm wurde in der Vergangenheit verfolgt, aber offiziell beendet), kann aber keineswegs ausgeschlossen werden. Was jedoch sicher ist, dass sich die taiwanesische Bevölkerung gegen eine Annektion mit allen Mitteln wehren würde.

Die Bemerkung von Wang Wenbin ist aber auch ein Echo davon, dass sich Nancy Pelosi durch die Drohungen nicht von einem Besuch in Taiwan abhalten liess. Nun also will sich die Volksrepublik China nicht von nuklearen Drohungen der USA abhalten lassen. Von der Drohung gegen die «Grande Old Dame» der amerikanischen Politik zur Drohung mit Nuklearwaffen. What’s next?

Es wäre angesichts dieser im Raum stehenden Drohungen dringend notwendig, den Konflikt zwischen Taiwan und der Volksrepublik China auf diplomatischem Weg zu lösen – einfach davon auszugehen, die beiden Seiten würden bluffen, und ihre Drohungen nicht wahrmachen, könnte gefährlich sein.

Eine friedliche Konfliktbeilegung würde zunächst einmal bedingen, dass man anerkennt, dass die Republik China ein eingeständiger Staat mit einer vom Volk gewählten Regierung ist und hier ein Wörtchen mitzureden hat. Und nicht etwa die 1,4 Milliarden Festlandchinesen alleine darüber entscheiden dürfen, wie das Xi Jinping behauptet. Den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine über den Konflikt der Ukraine hinweg zu entscheiden bzw. den USA dafür die Schuhe zu schieben, hat zum bekannten Ergebnis geführt.

Allerdings ist Taiwan weit besser gerüstet, einerseits wirtschaftlich und militärisch aber auch aufgrund des Umstandes, als die Demokratie stärker gefestigt ist als in der Ukraine. Je länger im Westen an der Fiktion festgehalten wird, Taiwan sei ein militärisch und wirtschaftlich unbedeutendes Anhängsel von China, während in China die Idee weitergepflegt wird, Taiwan sei ein Vasallenstaat Amerikas, der vom westlichen Hegemon befreit werden müsse, desto grösser ist die Gefahr, dass der Konflikt mit Waffengewalt gelöst wird.

Die neue Generation der Wolf Warriors – physische statt verbale Gewalt

Liegt es daran, dass das, was die Wolf Warriors sagen, von den westlichen Medien und Politikern nicht ernstgenommen wird? Jedenfalls sind zwei der berühmtesten Wolf Warriors, Zhao Lijian und Hua Chunying scheinbar definitiv von der Bildfläche verschwunden, was von den Beobachtern mit einem gewissen Bedauern verbunden ist:

Nun entsprachen diese beiden Wolf Warriors auch nicht gerade dem Bild eines erfolgreichen Diplomaten, der in einem brenzligen Konflikt die Interessen seines Landes überzeugend vertritt und eine Brücke zum Feind zu bauen. Immerhin beschränkten sie sich auf wortgewaltige Statements und liessen, wenigstens in der Öffentlichkeit, nicht die die Fäuste sprechen. Zhao Lijian trat zuletzt am 22. September 2022 auf, mit einer Tirade gegenüber den USA, die zwar nicht gerade geeignet ist, die bilateralen Beziehungen zu verbessern, aber immerhin doch einige Geschichtskenntnisse verrät. Die neue Sprecherin des Aussenministeriums, Mao Ning, glänzte in der Zwischenzeit durch braves Rezitieren bisher Gesagten, so dass man sich langsam fragt, ob es sich bei ihr um einen Menschen aus Fleisch und Blut handelt, oder um einen Roboter. (Nachtrag: kurz nach Veröffentlichung dieses Blogbeitrags meldete sich Zhao Lijian am 31. Oktober 2022 wieder zurück aus den «Ferien» [休假]).

Auffallend ist aber, dass zunehmend auch die chinesischen Diplomaten nicht nur verbal im Ausland unmöglich machen, wie etwa dem Konsul in Manchester, der es als seine Aufgabe ansieht, Demonstranten unter dem Schutz der diplomatischen Immunität zu verprügeln, sondern auch «Helfer», welche die Interessen Chinas in Polizeistationen in der ganzen Welt durchsetzen. Darunter gehört insbesondere die Verfolgung von Dissidenten im Ausland. Während die Niederlande die entsprechenden mit internationalem Recht nicht vereinbaren Aktivitäten nicht mehr dulden will, will man die Sache in Deutschland erst mal untersuchen; die Schweizer Presse ist sehr schnell zum Schluss gekommen, dass es solche Polizeistationen in der Schweiz nicht gebe. Wurden hierzulande tatsächlich die Konsequenzen aus dem Geheimvertrag gezogen, der 2020 publik wurde? Oder will man lieber nicht wissen, ob die entsprechenden illegalen Aktivitäten mit oder ohne Geheimvertrag weitergeführt werden?

Umgekehrt gilt internationales Recht in China natürlich nicht, das gilt auch für Diplomaten, welche in China stationiert sind und zum Teil unter dem Vorwand von Massnahmen gegen Covid über Wochen inhaftiert und misshandelt wurden.

Die Berichterstatter der Presse haben zum Teil bereits das Feld geräumt. Der kanadische Nachrichtensender CBC hat beispielsweise das chinesische Büro nach vierzig Jahren Präsenz vor Ort geschlossen und den für China vorgesehenen Reporter, Philippe Leblanc, in Taipei stationiert, nachdem er zwei Jahre vergeblich auf ein Visum gewartet hat.

Rückfall in die Zeiten des kalten Krieges

Die Frage stellt sich: wenn niemand dieser neuen diplomatischen Offensive von Seiten Chinas die Stirn bietet, und seine Interessen unter Missachtung internationalen Rechts lieber mit Gewalt durchsetzt: Welcher Diplomat, wer überhaupt, ist noch bereit, den Kopf hinzuhalten um mit China eine friedliche Lösung auszuhandeln? Bleibt nur noch das übrig, was sich im Moment abzeichnet: die Ausweisung von chinesischen Diplomaten, welche die Rechtsordnung ihres Gastlandes mit Füssen treten, der Abzug von Botschaftspersonal aus China (die USA kamen dem im Januar 2022 gestellten entsprechenden Begehren schliesslich im April 2022 nach) bzw. der Reduktion der diplomatischen und konsularischen Beziehungen auf das Minimum.

Es droht ein Rückfall in die diplomatische Isolation Chinas während des kalten Kriegs und zugleich das, was bezüglich der chinesischen Politik ein Schweizer Berichterstatter von der Schweizer Botschaft in Peking, Clemente Rezzonico, 1953 als «…léger glissement vers l’aile extremiste» bezeichnete.

Leider behielt besagter Berichterstatter recht, als er voraussagte, dass sich diese Entwicklung noch beschleunigen würde, solange Mao Zedong an der Macht bleiben würde. Endpunkt der Geschichte war, dass es für die Schweiz in China in den Siebziger Jahren, als Mao Zedong starb, gerade noch die Interessen von etwa ein halben Dutzend Schweizerbürgern zu wahren galt, sich die Hoffnung der Schweizer Exportwirtschaft zerschlagen hatte und der Ruf der Schweiz als neutrales Land darunter gelitten hatte, dass die chinesische Botschaft in Muri bei Bern jahre- wenn nicht jahrzehntelang als Basis für die Spionagetätigkeit in ganz Europa und vor allem auch bei der UNO in Genf missbraucht wurde.