Credit Suisse und die Gretchenfrage: Wie hast Du es mit China?

Die Credit Suisse hat am 27. Oktober 2022 endlich ihre Strategie bekanntgegeben. Diese fiel bei den Experten und an der Börse durch, wobei nicht so ganz klar ist, ob sie sich überhaupt Zeit genommen haben, die Strategie zu lesen. «Naiv-Duo Lehmann-Körner verschenkt First-Boston-Perle» titelte das Onlinemedium Insideparadeplatz, Cash brachte die Schlagzeile «Die Strategiepläne der Credit Suisse fallen an der Börse durch». Ob die Untergangspropheten recht behalten, welche die CS-Aktie als «Meme Stock» behandeln, wird sich weisen. Immerhin wurden jetzt ein paar Fragen geklärt, die zu einer faktenbasierten Einschätzung des Börsenwerts der Credit Suisse dienen sollten. Eine wichtige Frage blieb allerdings unbeantwortet: wie geht die Credit Suisse mit den Risiken in China um?

von Maja Blumer, 27. Oktober 2022

Eckpunkte der «neuen» Strategie der Credit Suisse

Die Credit Suisse veröffentlichte am 27. Oktober 2022 gleich eine ganze Serie von Ad-hoc-Mitteilungen, wobei im Zentrum die lange angekündigte Neuausrichtung bezüglich Strategie stand. Neben diversen Personalrochaden und einem massiven Personalabbau bereits im laufenden Quartal Inbesondere kommt es zu einer Ausgliederung der CS First Boston, einem Verkauf der Securitized-Debt-Einheit in der Investmentbank, der Gründung einer neuen «Bad Bank» (Non-Core-Unit NCU) für Geschäft, das für die CS nicht mehr als strategisch wichtig angesehen wird, sowie zu einer Kapitalerhöhung, die rund 4 Milliarden Franken in die Kasse spülen soll, wobei die saudische Nationalbank einen guten Teil davon übernehmen sollen und damit als Aktionärin noch stärker vertreten sein soll als bisher.

Ein bunter Strauss von Medienmitteilungen und Massnahmen hat die Credit Suisse am 27. Oktober 2022 veröffentlicht. Aber wie lange bleiben die Pläne zur «neuen» Strategie frisch? So lange wie diese Blumen auf einem Grossmarkt in Seoul? (Bild: privat).

Bei allem Jammern dürfte in einigen Kreisen ein Aufatmen zu hören sein. Ein «Bail-out» durch die Eidgenossenschaft oder ein «Bail-in» der Bankkunden scheint vorläufig vom Tisch zu sein. Und ein grosses Aufatmen dürfte bei den Spekulanten zu hören sein, die auf Leerverkäufe gesetzt haben. Es scheint, dass die Aktien der Credit Suisse in den letzten Wochen zu «Meme Stocks» mutiert sind, bei welcher etliche Spekulanten darauf gewettet haben, dass es zu einem «Bank Run» kommen würde. Einige von Ihnen dürften heute den grossen Reibach gemacht haben (die Aktie verlor im Tagesverlauf rund 19%).

«Meme Stocks» sind nun zwar nicht gerade neu, aber dass die Aktien einer Bank, die als global systemrelevant und damit als «Too Big to Fail» zu hochspekulativen Titeln mutieren, ist doch eher ungewöhnlich. Immerhin hat die Credit Suisse ihre Basis immer noch in der Schweiz, wo man glaubt, sich auf solide Staatsfinanzen, gefüllte Koffer der Nationalbank, ein funktionierendes, mit den europäischen und amerikanischen Vorgaben kompatibles Rechtssystem und einen funktionierenden Finanzmarkt verlassen zu können. Ein Rechtsstaat, der bis auf einige «Anomalien» der Markteffizienzhypothese (Efficient Market Hypothesis) vorschub leistet und in dem dank der Ad-hoc Publizität alle Investoren über die Gleichen Informationen verfügen und sich niemand auf wilde Gerüchte oder Insiderinformationen abstellen muss, um dem Markt ein Schnippchen zu schlagen.

Geopolitische Risiken werden totgeschwiegen

Aber stimmt es überhaupt, dass die Credit Suisse ihre Basis in der Schweiz hat bzw. entsprechend den Vorgaben des europäischen und amerikanischen Finanzmarktrechts funktioniert? Können die Investoren davon ausgehen, dass nun alle relevanten Informationen offengelegt wurden und eingepreist sind? Oder müssen sie fürchten, dass noch weitere Leichen im Keller liegen?

Hier fällt auf, dass eines der grössten in den Büchern der Credit Suisse geopolitische Risiken schlummern, die niemand überhaupt mehr anzusprechen wagt.

Ein offensichtliches Risiko ist die bedeutende Rolle, die den saudischen Nationalbank in den Sanierungsplänen der Credit Suisse zukommt. Man kann natürlich nach dem Motto «Geld stinkt nicht» über die Menschenrechtsverletzungen in diesem Staat hinwegsehen, es kann aber durchaus sein, dass andere Geldgeber und Kunden die Credit Suisse – oder besser gesagt die «Credit Saudi» – meiden.

Etwas weniger offensichtlich ist, welche geopolitischen Risiken dieser Schritt birgt. Saudi-Arabien galt seit den Siebzigerjahren als Verbündeter der USA. In den letzten Jahren und Monaten ist hier aber ein schleichender Wechsel hin zu einer Allianz mit China zu beobachten. Gerade in den letzten Tagen wurden vermehrt Zweifel laut, ob Saudi-Arabien überhaupt noch zu den Allianzpartnern der USA gezählt werden kann. Dies gilt umso mehr, als Saudi-Arabien und die Volksrepublik China in den letzten Tagen verkündeten, sie würden ihre Zusammenarbeit noch mehr vertiefen und ihre «Koordination» und «Kommunikation» verbessern – was das bedeuten kann, hat man bei der Umsetzung der von der Volksrepublik China favorisierten Massnahmen im Zusammenhang mit Covid gesehen bzw. sieht man bei China-hörigen Staaten nach wie vor.

Dies birgt für die CS das Risiko, bei einer Verschärfung eines Konflikts zwischen den USA und der Volksrepublik China, welcher sich momentan abzeichnet, als «Credit Saudi» zwischen die Fronten geraten könnte, je nachdem wie die USA ihre «multiplen Interessen» in Bezug auf Saudi Arabien gewichten und je nachdem die «Strait of Malakka», durch das südchinesische Meer und die Taiwanstrasse für Öllieferungen von Saudi-Arabien nach China offen bleiben (mindestens bezüglich letzterem haben auch noch die Taiwaner ein Wörtchen mitzureden).   

In der ganzen Strategie ist von China mit keiner Silbe die Rede. Nur aus einer Fussnote lässt sich lässt sich aus dem «Credit Suisse 2022 Strategy Update» schliessen, dass die Bank an ihren Expansionsplänen im Reich der Mitte eisern festhält (vgl. S. 25 Fussnote 1 der Präsentation).

Dies ist ungewöhnlich, zeichnen sich bezüglich der Volksrepublik China nicht nur in der Aussenpolitik extreme Risiken ab, die bereits angesprochen wurden, sondern befindet sich das Land auch innenpolitisch und wirtschaftlich derzeit im Sturzflug. Von den anvisierten «Ultra High Net Worth Individuals» (UHNWI), die ihr Vermögen nicht rechtzeitig ausser Landes gebracht haben, dürften viele ihr Vermögen dahinschmelzen sehen, egal ob sie ihr Geld in Luxusimmobilien angelegt haben (wo Preisabschläge von 40% in Kauf genommen werden müssen) oder an der Börse in Hong Kong (wo sich die Aktienkurse in den letzten anderthalb Jahren glatt halbiert haben). Es mag zwar sein, dass die UBS recht behält und die chinesischen UHNWI bis 2030 tatsächlich über ein Vermögen von USD 30 Billionen verfügen und nach Anlagemöglichkeiten lechzen, welche Ihnen westliche Banken zu bieten vermögen. Ob solchen hochfliegenden Prognosen Geo- und innenpolitische Risiken in China einfach auszublenden ist jedoch brandgefährlich.

Diesen Risiken müsste selbstverständlich Rechnung getragen werden. Das Risikomanagement, bei denen allen Risiken einschliesslich der geopolitischen Risiken im Auge behalten werden müssen, ist ebenso eine wie die Festlegung der Strategie eine primäre Aufgabe des Verwaltungsrates ist; auch wenn viele Firmen heutzutage angesichts der internationalen Vernetzung damit überfordert sind, ist das keine Ausrede, für ein KMU nicht, erst recht nicht für eine global tätige Bank, bei der das Risikomanagement zum Kerngeschäft gehört.

Andere Banken wie JP Morgan Chase, UBS und Société Générale sind erklärtermassen bereits daran, hier die nötigen Vorsichtsmassnahmen zu ergreifen, nicht zuletzt im Hinblick darauf, dass die wichtigsten amerikanischen Banken zugesagt haben, allfällige Massnahmen im Hinblick auf Sanktionen bei einem Angriff auf Taiwan umzusetzen. Wenn die Credit Suisse via CS First Boston weiterhin im amerikanischen Markt tätig sein will, täte sie gut daran, hier zum «autonomen Nachvollzug» zu schreiten und nicht zuzuwarten, bis die amerikanischen Behörden einmal mehr Bussen wegen fehlender Compliance verhängen.

Bezüglich China einen Notstopp zu reissen, ist augenscheinlich nicht ganz einfach. Per Ende 2021 soll die «Exposure» der Wall-Street-Banken in China immerhin USD 57 Milliarden ausgemacht haben. Wie viel für die Credit Suisse Spiel steht, ob Pläne zur Risikominimierung getroffen wurden und ob die beiden chinesischen Verwaltungsräte dabei eher eine Hilfe oder ein Hindernis sind, ist unklar.

Klar ist, dass die Credit Suisse früher oder später gezwungen sein wird, die Gretchenfrage «Wie hast Du’s mit China?» zu beantworten. Sich hier auf seitenlange «Disclaimer» abzustützen und hinterher zu sagen, man habe die Dinge nicht kommen sehen, wenn man mit seinen Plänen und Projektionen wieder einmal komplett daneben lagen, ist nutzlos. Die Risiken in und um die Volksrepublik China sind längst nicht mehr als «Black Swan» zu qualifizieren, sondern als «Grey Rhino» – sie sind offensichtlich und hochgefährlich, wenn man sie ignoriert.