Übernahmegerüchte um Credit Suisse: Kriminelle Dilettanten oder dilettantische Kriminelle am Werk?

Es begann ganz harmlos: Am Mittwochmorgen, 8. Juni 2022, gab die Credit Suisse eine Gewinnwarnung heraus, in der auf die geopolitischen Turbulenzen im Allgemeinen und die Probleme im Asiengeschäft im Speziellen hingewiesen wurde. Für Kenner der Szene nichts neues, trotzdem gerieten die Kurse ins Rutschen, wie in solchen Fällen zu erwarten. Dann aber am Mittwochnachmittag desselben Tages der (vermeintliche) Coup: Die amerikanische Bank State Street plane eine Übernahme der Credit Suisse, wurde im Finanznewsportal «Inside Paradeplatz» unter Berufung auf eine anonyme Quelle kolportiert. Was nur wenige Kommentatoren merkten: das Verbreiten solcher Gerüchte ist nicht nur dilettantisch, sondern möglicherweise kriminell.

Dilettantisch, aber trotzdem wirksam

Das verbreitete Gerücht, die Bank State Street plane eine Übernahme, war im Grunde genommen leicht als Falschmeldung zu entlarven. Kolportiert wurde nämlich auch, State Street werde die Credit Suisse zu einem Aktienpreis von sage und schreibe CHF 9 übernehmen.

Wer nach Schnäppchen am Aktienmarkt Ausschau hält, sollte schon etwas genauer hinschauen. Skulptur in der Paju Book City, Sürdkorea. (Bild: Privat)

Nun kommt es durchaus vor, dass Unternehmensübernahmen zu einem höheren Preis erfolgen, als dem aktuellen Wert entspricht. Für eine Aktie, die am Markt für CHF 6.50 gehandelt wird, CHF 9 zu bezahlen, macht nun aber nun wirklich wenig Sinn. Die Höhe des Kaufpreises ist ein erstes Indiz für «Fake News».

Zweitens sind bei M&A-Transaktionen zwar Lecks durchaus nicht auszuschliessen, etwa wenn die Mitarbeiter merken, dass Fremde in den Gängen herumschleichen und Informationen sammeln.

Wirklich relevante Informationen über das «Ob» und «Wie» dringen in der Regel selten nach draussen. Erstens haben die professionellen Berater, die bei solchen Transaktionen beigezogen werden, ein ureigenes Interesse, ihre Geheimhaltungspflichten ernstzunehmen, scheitert eine solche Transaktion an einem Leck, sind sie ein für allemal ihren Job los. Zweitens besteht selbst bei ernsthaften Kaufabsichten keine Gewissheit, dass die Transaktion zustandekommt. Es können im Rahmen der «Due Diligence» Risiken auftreten, die für die Käuferin als untragbar erscheinen und die zum Abbruch der Übernahme führen. Oder die Schlussverhandlungen über den Kaufpreis scheitern. Drittens wäre jemand, der wirklich über gesicherte Informationen über eine Übernahme verfügt, diese wertvolle Information niemals an die Öffentlichkeit tragen, sondern würde sich günstig mit Aktien oder Optionen eindecken und abwarten, bis die Kurse mit der offiziellen Bekanntgabe der Transaktion in die Höhe schnellen.

Wer immer das Gerücht gestreut hat, ist somit mit ziemlicher Sicherheit kein «richtiger» Insider, der eine gewisse Ahnung von M&A-Transaktionen hat. Es kann also ein Dilettant am Werk gewesen sein, der sich nur etwas aufspielen wollte, sei es, dass er wirklich etwas gehört hat, sei es, er hat sich eine schöne Geschichte ausgedacht.

Weshalb ist im Blogbeitrag von «kriminellen Dilettanten» die Rede? Ganz einfach deshalb, weil das gestreute Gerücht wider Erwarten nicht folgenlos blieb und Finanzmarktteilnehmer zu Schaden gekommen sind. Und zwar einen Schaden, welchen das Finanzmarktrecht verhindern sollte: Sowohl das «Ausnützen von Insiderinformationen» (Art. 154 FinfraG) als auch «Kursmanipulation» (Art. 155 FinfraG) sind unter Strafe gestellt.

Dass die «Insiderinformation» eine Wirkung hatte, zeigte sich am sprunghaften Emporschnellen des Börsenkurses der CS-Aktie. Am Morgen lag der Kurs nach der Ad-hoc-Mitteilung noch bei CHF 6.22, am Abend bei CHF 7.02 – ein Kursplus von knapp 13%. Nachdem es sich erwiesen hat, dass es sich um eine Zeitungsente handelte, sackte der Kurs wieder ab. Das Kursfeuerwerk endete am Freitagmorgen etwa dort, wo es am Mittwoch begonnen hatte.

Das Kursfeuerwerk hielt nicht lange an, wie die Reaktion auf die Ad-hoc Mitteilung am Morgen des 8. Juni, nach der Streuung von Gerüchten über eine Übernahme durch State Street am Mittwoch und Donnerstag.

Unter den gegebenen Umständen ist es auch möglich, dass ein dilettantischer Krimineller am Werk war: Eine Person, welche das Gerücht gestreut hat, um entweder vom Kursfeuerwerk zu profitieren (in der Form von Aktien oder Optionen) oder vom Kurssturz nach den Dementi von Credit Suisse und State Street. In beiden Fällen dürfte die Rechnung vorerst aufgegangen sein, in diesem Fall dürften aber die Spuren relativ leicht zurückzuverfolgen sein – falls sich denn die Strafverfolgungsbehörden um den Fall kümmern. Wenn also ein Krimineller am Werk war, besteht also die Hoffnung, dass es ein Dilettant war, der nicht klug genug war, um seine Spuren zu verwischen.

Etwas schwieriger dürfte der Fall sein, falls tatsächlich jemand am Kauf der Credit Suisse interessiert war, der so entweder State Street als Konkurrent ausgeschaltet hat oder mindestens hofft, der Aktienpreis würde noch tiefer in den Keller gehen, um dann als edler Ritter dazustehen, der die Credit Suisse vor dem Untergang rettet.

Der Schaden für die Beteiligten und den Finanzplatz

Verloren haben erstens Investoren, welche auf die Gerüchteküche gesetzt haben und nun auf Papieren sitzen, die sie nur mit Verlust wieder loswerden. Bei ihnen kommt wenig Mittleid auf.

Zweitens verloren haben die Credit Suisse und die State Street. Sie reagierten zwar umgehend und korrekt. Die State Street ging sogar über das in diesem Fall angezeigte «No Comment» hinaus und erklärte im Nachrichtenportal Bloomberg, es bestehe keine Grundlage für diese Gerüchte. Der Schaden ist aber gleichwohl angerichtet, denn ein Restverdacht bleibt hängen, dass die Banken etwas verbergen würden. Noch grösser wäre der Schaden, wenn tatsächlich Verhandlungen geführt wurden. Es ist kaum denkbar, dass diese unter den gegebenen Umständen fortgeführt würden.

Und drittens leidet der Finanzplatz. Die Straftatbestände des «Ausnützen von Insiderinformationen» (Art. 154 FinfraG) und der «Kursmanipulation» (Art. 155 FinfraG) schützt nicht nur die Marktteilnehmer (bei denen man wie gesagt wenig Mitleid hat, wenn sie Lehrgeld bezahlen), sondern auch die Integrität und damit die Wettbewerbsfähigkeit des schweizerischen Finanzplatzes. Auch wenn Marktmanipulationen weltweit ein Problem sind und für die Börsen heute neue Regeln zu gelten scheinen, wäre die Schweiz gut bedient, hier aufzuräumen und Raubrittern Einhalt zu gebieten.