Jin Keyu als Verwaltungsratsmitglied der Credit Suisse: Ein Vabanquespiel?

Das Vertrauen der Credit Suisse in das unaufhörliche Wachstum Chinas scheint unerschütterlich. Den kostspieligen Debakeln um Archegos und Luckin Coffee, den durchaus wahrgenommenen geopolitischen Risiken[1], den rekordhohen Abflüssen aus dem chinesischen Kapitalmarkt[2] und der drohenden Verbannung chinesischer Firmen von der amerikanischen Börse zum Trotz, präsentierte die Credit Suisse neulich den internationalen Medien ihre Auswahl von Aktien von 32 «kleinen Giganten» in China, die zukunftsträchtig sein sollen[3]. Und auch im kürzlich veröffentlichten Geschäftsbericht 2021 betont sie die Bedeutung des chinesischen Marktes:

«In der Region Asia-Pacific hat die Bank unserer Ansicht nach die einzigartige Gelegenheit, aus unserer Führungsposition heraus Wachstumschancen zu nutzen. Dies umfasst Investitionen in das Geschäft in Festlandchina, das sich massgeblich am «Bank für Unternehmer»-Modell orientiert, die Einbindung unserer erstklassigen Singapur- und Hongkong-Hubs für die weitere Expansion und die stärkere Nutzung der Anlage-, Finanzierungs-, Beratungs- und Kapitalmarktlösungen.» – Geschäftsbericht der Credit Suisse 2021, S. 13.

Folgenreicher als diese Absichtserklärungen dürfte der Entscheid sein, den Verwaltungsrat mit Jin Keyu, der linientreuen Tochter eines einflussreichen chinesischen Spitzenfunktionärs zu verstärken, um das Chinageschäft auszuweiten. 

Wer ist Jin Keyu?

Keyu Jin By Foundations World Economic Forum – China in the New Era, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=67111518

Wenn man über Jin Keyu spricht, kommt man nicht umhin, auch über ihren Vater, Jin Liqun, zu sprechen. Jin Liqun hat gemäss Wikipedia den typischen – beeindruckenden – Werdegang der in der Maozeit gross gewordenen Eliten. Geboren in der Provinz Jiangsu im Gründungsjahr der Volksrepublik China, 1949, musste er während der Kulturrevolution 1968 den Schulbesuch unterbrechen und wurde aufs Land geschickt, um Reis anzubauen. Während drei Jahren setzte er sein Studium auf eigene Faust neben der Arbeit auf dem Feld fort und wurde schliesslich als Lehrer an einer lokalen Sekundarschule eingesetzt. 1978, als die Universitäten in China wiedereröffnet wurden, konnte er seine Studien wiederaufnehmen und schloss diese 1980 mit einem Masterabschluss in Englisch ab. Von 1987 bis 1988 absolvierte er ein Nachdiplomstudium an der Boston University. Seine berufliche Laufbahn begann 1980 beim chinesischen Finanzministerium, wo er 1998 den Rang eines Vize-Finanzministers erreichte. Seine Stationen umfassten die World Bank in Washington, die People’s Bank of China, die Asian Development Bank und die China International Capital Corporation. Seit 2016 amtet er als Präsident der Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB).

Man könnte meinen, Jin Liqun spreche über ihren Vater, wenn sie in ihrem Loblied auf den chinesischen Präsidenten Xi Jinping ausführt:

“The fact is that, as a leader, Xi has a lot going for him. He is well-educated and experienced in international affairs. He has weathered serious challenges and experienced firsthand the consequences of political and economic policies gone awry. He has a vast political network, thanks not only to his own deftness, but also to his family: he is the son of a comrade of Mao.” – Jin Keyu[4]

Die 1982 in Peking geborene Jin Keyu als Vertreterin der 富二代 (fù’èrdài), der reichen zweiten Generation, weist gemäss Wikipedia ebenfalls einen für ihre Generation typischen Lebenslauf auf. Im Alter von 14 Jahren wurde sie nach New York an die Horace Mann School geschickt, eine private Prep School für die Ivy League. Von dort führte sie der Weg an die Harvard University, wo sie 2009 mit einem Doktorat in Wirtschaftswissenschaften abschloss. Im selben Jahr wurde sie zur Assistenzprofessorin an der London School of Economics ernannt, wo sie seit 2016 als Extraordinaria amtet. Gastprofessuren führten sie auch an die Yale University und die UC California Berkeley. Bereits seit 2014 gehört sie den Young Global Leaders des WEF an[5] – wobei die Organisation etwas in Diskredit geraten ist, seitdem Videos aufgetaucht sind, in denen Klaus Schwab sich damit brüstet, dass der Russische Präsident Putin zu dieser Organisation gezählt habe und es gelungen sei, diverse Regierungen in der ganzen Welt mit deren Angehörigen zu «penetrieren»[6]. Seit 2017 gehört Jin Keyu dem Verwaltungsrat des Genfer Luxusgüterkonzerns Richemont an.

In fachlicher Hinsicht ist es schwierig, sich ein Bild zu Jin Keyu zu machen. Was im Zeitalter des «Publish or Perish» auffällt, ist zunächst einmal, dass Jin Keyu in ihrem Lebenslauf[7] nur wenige Artikel in Journals oder Buchkapitel ausweist und keine einzige Monographie verfasst hat. Dazu kommen noch eine Handvoll Working Papers. Vor allem ist augenfällig, dass sie nur in einem Fall als Alleinverantwortliche für eine Publikation erscheint (im 2012 im American Economic Review erschienenen Paper mit dem Titel «Industrial Structure and Capital Flows»). In allen übrigen Fällen firmiert sie nur als Co-Autorin. Welchen persönlichen geistigen Beitrag sie zu diesen Publikationen geleistet hat, lässt sich nicht eruieren.

Den wissenschaftlichen Leistungsausweis zu bewerten ist auch schwierig, weil Jin Keyu offenbar in der Lage ist, ihren Fokus sehr schnell zu ändern. In einer 2013 veröffentlichten Studie waren sie und ihre Co-Autoren beispielsweise zum Schluss gekommen, dass die Einkindpolitik nicht nur rückwirkend betrachtet zur Steigerung des «Humankapitals» beigetragen habe, sondern auch noch für Jahre positive Effekte zeitigen würde[8]. Der menschliche Preis dieser angeblichen Steigerung des Humankapitals – Zwangsabtreibungen, Mord an unerwünschten Mädchen etc. wird ausgeblendet. Im Januar 2016, kurz nachdem China die Zweikindpolitik eingeführt hatte, stellte Jin Keyu diese als ideale Lösung dar, um den Konsum zu steigern[9]. Wie Jin Keyu zur 2021 angesichts des bevorstehenden demographischen Debakels eingeführten Dreikindpolitik steht, ist nicht bekannt.

Wandbild zur Einkindpolitik in einem Dorf in der Provinz Shanxi (Privat)

Aufschlussreicher als ihre wissenschaftlichen Publikationen sind die öffentlichen Auftritte und Blogbeiträge bei denen Jin Keyu einige doch eher befremdliche Thesen aufstellt, etwa dass der Schutz geistigen Eigentums der Innovation und dem «Fortschritt» abträglich sei und ihre Überzeugung kundtut, dass der Westen das chinesische Wirtschaftsmodell zum Vorbild nehmen sollte[10]

Jin Keyu konzediert zwar, dass China eines Tages seinen Beitrag zum globalen Handelssystem würde leisten müssen, in dem Masse, wie es davon profitiert habe und dass das bedeuten könnte, dass man den Schutz geistigen Eigentums ernster nehmen müsste. Kurzfristig, so meint Jin Keyu, sei es aber unrealistisch zu erwarten, dass China seine Gesetze ändere oder sein Entwicklungsmodell aufgebe:

“Still, China cannot simply write off economic and trade relations with the U.S. At some point, it will need to contribute to the global trading system in equal measure to what it has gained from that system. This may mean importing more and getting serious about intellectual-property protection. But in the near term, it is unrealistic to expect China to change its laws or abandon its development model, as the Trump administration is demanding.” – Jin Keyu[11]

Die Haltung von «abwarten und Tee trinken», die Jin Keyu zur Kunstform erhebt[12] mag für eine Akademikerin als vorsichtig gelten. Bei einer Verwaltungsrätin aber sollte vorausschauendes Denken und Handeln im Vordergrund stehen.

Ziemlich zynisch mutet es an, wenn Jin Keyu in einem Blogbeitrag «Verbesserungen» beim «Humankapital» während der Mao-Ära hervorhebt[13]. Der Koreakrieg, Hungersnöte, welche auf die wahnwitzige Agrarpolitik des «Grossen Sprungs nach Vorn» zurückzuführen waren, sowie diverse Säuberungen von «Konterrevolutionären», «Rechtsabweichlern» forderten einen Blutzoll von Abermillionen von Menschenleben – Schätzungen gehen von möglicherweise über 80 Millionen «unnatürlichen Todesfällen» in dieser Ära aus[14]. Millionen von Kindern und Jugendlichen wurde der Zugang zur Schulbildung während der Kulturrevolution verwehrt und es dauerte Jahrzehnte, bis die chinesischen Universitäten wieder den Anschluss an die westlichen Institutionen fanden. Es ist beileibe kein Zufall, dass Jin Keyu den grössten Teil ihrer Ausbildung in den USA absolviert hat und nicht etwa an den öffentlichen Schulen und Universitäten in China. 

Aber auch bezüglich diverser Aussagen von Jin Keyu zur chinesischen Politik der Gegenwart reibt man sich als Anhänger liberal-demokratischer Ideale die Augen. So etwa, wenn sie behauptet, die Xi-Jinping-Ideologie biete eine Alternative zur liberalen Demokratie und fordere das Glaubenssystem der kommunistischen Partei Chinas heraus, wobei sie annimmt Xi Jinping sei praktisch unangreifbar, er habe den Status einer säkularen Gottheit: 

“Now that Xi’s eponymous political ideology, which proposes an alternative to liberal democracy, is part of the school of thought around which the CPC coalesces, challenging Xi is tantamount to challenging the Party’s very belief system. In short, Xi has made himself virtually unassailable – his rare political skill elevating him to the status of secular deity.” – Jin Keyu[15]

Huldigung säkularer Götter in der Provinz Shanxi (Privat)

Die Aussage ist wohl vor dem Hintergrund zu sehen, dass in diesem Jahr die zweite und eigentlich letzte fünfjährige Amtszeit von Präsident Xi Jinping zu Ende geht. Es ist allerdings sehr wahrscheinlich, dass Xi Jinping wiedergewählt wird, denn die Amtszeitbeschränkung in der chinesischen Verfassung wurde 2018 aufgehoben, so dass Xi Jinping Präsident auf Lebzeit sein kann. Jin Keyu sieht sich wohl berufen, diesen innenpolitischen Entscheid den westlichen Beobachtern zu erklären. Dabei blendet sie allerdings die historischen und rechtlichen und politischen Implikationen der Verfassungsänderung[16] aus, und lässt damit die nötige intellektuelle Distanz, welche man von einer Akademikerin erwarten könnte, vermissen. 

Auch wenn die Wiederwahl als praktisch sicher gilt und nicht auszuschliessen ist, dass Xi Jinping sein Amt so lange ausüben kann, wie er will, besteht doch ein beträchtliches Risiko, dass er auf längere Sicht die zwei zwingenden Voraussetzungen nicht erfüllt, welche nach Ansicht von Jin Keyu dem chinesischen Entwicklungsmodell zum Durchbruch verhelfen würden: Erstens müsste China den Status eines «high-income» Landes erreichen, was etwa einer Verdreifachung des Bruttosozialprodukts pro Kopf entspräche, zweitens müsste die Belt and Road Initiative[17] ein Erfolg sein[18]. Wenn die Latte für Xi Jinping derart hoch hängt, stellt sich die Frage, was passiert, wenn er scheitert.

Dass dabei der gottgleiche Status von Xi Jinping nicht in Stein gemeisselt ist, ergibt sich aus einem ehernen Gesetz, welches in China über Jahrtausende[19] Bestand hatte, und anders als die Verfassung nicht einfach auf die Schnelle geändert werden kann: Das «Mandat des Himmels». Demnach schützt der Himmel die Autorität eines gerechten Herrschers, während er einem törichten Herrscher das Mandat entziehen und an einen anderen weitergeben werden kann, und zwar auch an einen Nachfolger von niederer Geburt. Als Zeichen für das legitime Herrschen gilt Frieden und Prosperität, wobei versucht wird, dem Herrschenden durch hagiographische Geschichtsschreibung die entsprechenden Tugenden und Verdienste zuzuschreiben. Als Beweis für die Übertragung des Mandats des Himmels auf einen neuen Herrscher gilt dagegen ein erfolgreicher Umsturz. 

Auch wenn Jin Keyu mit ihrer Einschätzung möglicherweise richtig liegt und Xi Jinping seinen gottgleichen Status bewahren kann, indem er sowohl hinsichtlich der Verdreifachung des Volkseinkommens als auch bezüglich der Belt and Road Initiative ein Wunder vollbringt, täte die Credit Suisse gut daran, auf eine Parteinahme zu verzichten. Der Schweizer Chinaspezialist und Publizist Urs Schoettli mahnte schon vor einiger Zeit: 

«Wie bei der Reideologisierung steht auch bei der Propagierung von Xis herausragender Persönlichkeit viel auf dem Spiel – besonders wenn der neue starke Mann mit den anstehenden Herausforderungen doch nicht so erfolgreich umgehen sollte, wie man dies von ihm erwartet hatte.» – Urs Schoettli[20]

Jin Keyu stellt in ihren Blogs und Zeitungskolumnen wiederholt das chinesische Entwicklungsmodell als «gangbare Alternative zur liberalen Demokratie westlicher Prägung» dar[21]. Sie belässt es allerdings nicht nur dabei, ihre Verachtung von in liberalen Demokratien hochgehaltenen Traditionen zum Ausdruck zu bringen[22]. Unlängst befragt zu den Demonstrationen in Hong Kong und dem Umgang Chinas mit der Minderheit der Uiguren tat sie die «Instabilität» in Hong Kong als von einigen Bürgern Hong Kongs verursacht ab, Pekings Politik habe damit nichts zu tun; die Internierungslager in Xinjiang, die ihrer Meinung nach dazu dienten, den Menschen die chinesische Sprache und Kultur zu vermitteln, hielt sie für legitim[23]. Ein knappes Jahr später wollte sie sich an solche Aussagen allerdings nicht mehr erinnern können[24].

Verwaltungsratswahl im Hinblick auf Corporate Governance  und Risikomanagement 

Es ist nicht ganz klar, weshalb englisch- und deutschsprachige Medien jemandem ein Forum bieten, der derart dezidiert Propaganda für eine anti-liberale und anti-demokratische Ideologie betreibt. Aber die Meinungsäusserungsfreiheit als zentraler Wert einer liberalen Demokratie bringt es mit sich, dass eine chinesische Bürgerin in den westlichen Medien auch anti-liberale und anti-demokratische Ansichten vertreten darf. 

Allerdings gibt es bezüglich der Meinungsäusserungsfreiheit auch in der Schweiz gewisse Grenzen. Und diese könnten überschritten worden sein. Immerhin steht im Zusammenhang mit der Behandlung der Uiguren in Xinjiang der Vorwurf des Völkermords im Raum. In einem Bericht des wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestags wird nach Erörterung der einzelnen Vorwürfe dazu ausgeführt:

«Insgesamt gesehen erscheint die Annahme begründet, dass im Hinblick auf die Behandlung der Uiguren in Xinjiang durch die chinesische Regierung in objektiver Hinsicht die Voraussetzungen aller fünf Tatbegehungsvarianten des Artikel 2 der Völkermordkonvention jeweils erfüllt sind.» – Wissenschaftliche Dienste des deutschen Bundestags[25]

Leugnung von Völkermord oder anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit stehen in der Schweiz als Delikt gegen den öffentlichen Frieden (Art. 261bis Abs. 4 zweiter Satzteil StGB) unter Strafe. Noch steht eine abschliessende Beurteilung zu den Vorfällen in Xinjiang noch aus. Wer keine gesicherten Kenntnisse zu den Vorfällen hat und sich mit den bereits vorliegenden Beweisen nicht auseinandersetzen mag, täte gut daran, zu schweigen.

Fraglos ist Meinungsvielfalt auch im Verwaltungsrat einer Schweizer Bank erwünscht. Aber gilt das auch, wo von einem (designierten) Mitglied liberale und demokratische Grundwerte bis hin zu den elementarsten Menschenrechten in Frage gestellt werden? Was, wenn die Bank zu Äusserungen eines Verwaltungsratsmitglieds schweigt, welches Völkermord (wie möglicherweise im Fall von Xinjiang) leugnet, schwere Menschenrechtsverletzungen verharmlost und Grundwerte wie Freiheitsrechte und Demokratie für entbehrlich hält? 

Kann sich eine Bank in einer solchen Sitationen «neutrale» Haltung berufen? Ich meine: Nein. Denn jedes Verwaltungsratsmitglied spricht nicht nur für sich, sondern auch für die Bank. Und wenn die anderen zwölf Mitglieder des Verwaltungsrats schweigen[26], so gilt das, was das dreizehnte Mitglied sagt als Meinung der Bank. Wenn dieses Mitglied Völkermord als legitimes Mittel für die «Verbesserung» des «Humankapitals» ansieht, sind alle Statements zur Wahrung von Menschenrechten[27] wertlose Makulatur. Wie Brecht sagt: Wer nicht für seine eigene Sache kämpft, kämpft für die Sache des Feinds. 

«Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt
Und läßt andere kämpfen für seine Sache
Der muß sich vorsehen: denn
Wer den Kampf nicht geteilt hat
Der wird teilen die Niederlage.
Nicht einmal den Kampf vermeidet
Wer den Kampf vermeiden will: denn
Es wird kämpfen für die Sache des Feinds
Wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.» 
– Bertolt Brecht, Koloman Wallisch Kantate

Nun ist Jin Keyu zugute zu halten, dass sie ihre politische Aussagen gemacht, bevor eine Nomination für die Credit Suisse überhaupt nur zur Debatte stand. Vielleicht hoffte sie ja auf eine Position in der chinesischen Regierung, wie einer der wenigen Kommentatoren mutmasst, welcher sich kritisch zu den Thesen von Jin Keyu zu äussern wagte[28]? Das alles ändert aber nichts daran, dass die Credit Suisse diese Aussagen implizit unterstützt, wenn sie die Kandidatin im Wissen darum zur Wahl aufstellt.

Abgesehen von diesen eher philosophischen Überlegungen gibt es auch handfeste rechtliche Gründe, welche zur Vorsicht bei der Wahl eines Verwaltungsratsmitglieds mahnen, welches sich in der Vergangenheit durch politische Meinungsäusserungen exponiert hat, die den von einer Unternehmung deklarierten Grundwerten diametral widersprechen. Das Stichwort ist hier: Risikomanagement. 

Risikomanagement als zentrale Aufgabe des Verwaltungsrats

Das Risikomanagement ist eine zentrale Aufgabe des Verwaltungsrats – die Pflicht des Verwaltungsrats zur Oberleitung (Art. 716a OR) umfasst neben dem Festlegen, Durchsetzen und Überprüfen der Strategie auch die Pflicht, die Gesellschaft vor Risiken zu schützen und so ihre langfristige Existenz zu sichern[29]. Dabei muss eine gesamtheitliche Beurteilung aller Risikoarten, einschliesslich finanzieller, reputationeller, rechtlicher und auch geopolitischer Risiken stattfinden. 

Reputationsrisiko

Das mit der Nomination von Jin Keyu verbundene Reputationsrisiko im Zusammenhang mit der von ihr vertretenen politischen Ansichten zu Xinjiang und Hong Kong wurde in den Schweizer Medien bereits diskutiert[30], so dass darauf nicht weiter einzugehen ist. Dass sich dieses Reputationsrisiko noch verstärken würde, sollte sich der Verdacht erhärten, dass wir es in Xinjiang mit Völkermord zu tun haben, bedarf wohl keiner Erläuterung.

Was die chinesischen Kunden der Credit Suisse vom neuen Verwaltungsratsmitglied halten, wird die Zeit weisen. Grundsätzlich deckt sich die Wahrnehmung der Reputation aus westlicher Sicht nicht unbedingt mit derjenigen aus chinesischer Sicht – was aber nie jemals direkt sagen wird, denn es gilt das Gesicht zu wahren. Sehr oft sind in China die unauffälligsten Personen die Einflussreichsten. Die 富二代 (fù’èrdài), die oftmals einen flamboyanten Lebensstil pflegen, geniessen einen zweifelhaften Ruf. Und während es für die Elite schon fast zum guten Ton gehört, einen JD von der Harvard University oder ein MBA aus Stanford mitzubringen (oder noch besser: beides, auch das gibt es), hat die Crème de la Crème ihren Erstabschluss an einer chinesischen Spitzenuniversität – vorzugsweise der Tsinghua oder der Beida – gemacht.

Tsinghua University in Peking – wo die chinesische Elite studiert (Privat)

Jedenfalls riskant ist die Verehrung, welche Jin Keyu für Xi Jinping an den Tag legt. Aus dem Fehlen einer offenen Opposition kann nicht unbedingt geschlossen werden, dass es keine Opposition geben könnte. Diejenigen, welche in China leben und demnach die Folgen der verfolgten Politik im positiven wie im negativen Sinne am eigenen Leib erleben, haben jedenfalls eine andere Perspektive als jemand, der wie Jin Keyu fast ihr ganzes Leben ausserhalb Chinas verbracht hat. Definitiv diskreditiert wäre Jin Keyu, wenn es wider Erwarten zu einem Machtwechsel kommen würde. Diese Möglichkeit ist im Hinblick auf das Reputationsrisiko der Credit Suisse ebenfalls in Betracht zu ziehen.

Ob Jin Keyu aufgrund ihres Bildungshintergrunds und ihres Auftretens in der jetzigen Situation in chinesischen Augen ein Reputationsgewinn für die Credit Suisse ist, lässt sich zusammenfassend schwer sagen. Aus westlicher Sicht droht jedenfalls mit Bezug auf ihre Aussagen zu Xinjiang und Hong Kong ein Reputationsschaden.

Rechtliche Risiken

Wie aber steht es um die rechtlichen Risiken die sich aus der Nomination von Keyu Jin ergeben? 

Wäre Jin Keyu eine Bankkundin, kämen die Grundsätze des Geldwäschereigesetzes hinsichtlich von politisch exponierten Personen (PEP) – als Tochter[31] eines hochrangigen chinesischen Funktionärs[32] erfüllt sie die Definition gemäss Art. 2a Geldwäschereigesetz ohne weiteres. Doch gelten analoge Sorgfaltspflichten, wie sie für Bankkundenbeziehungen gelten, auch für die Ernennung von Verwaltungsräten einer Bank?

Während es in der Schweiz an Präzedenzfällen von ausländischen politisch exponierten Personen in Verwaltungsräten von Banken mangeln dürfte, gibt es mindestens einen vergleichbaren Fall der Beschäftigung von 富二代 (fù’èrdài)zwecks Generierung von Geschäften in China. Dies zwar nicht auf wohldotierten Ebene des Verwaltungsrats, aber in zweifellos lukrativen Positionen. Dieser Präzedenzfall betrifft die Credit Suisse: Sie und ihre Tochtergesellschaft Credit Suisse (Hong Kong) Limited einigten sich im Mai 2018 mit dem amerikanischen Department of Justice (DOJ) und der U.S. Securities and Exchange Commission (SEC) auf eine Gewinnabschöpfung und Strafzahlung von insgesamt rund US$ 77 Millionen. Die Credit Suisse war beschuldigt worden, dass sie über Jahre hinweg in Hong Kong Freunde und Familienmitglieder von einflussreichen chinesischen Parteikadern eingestellt hatte, die für die entsprechenden Positionen vielfach gar nicht qualifiziert waren. Dies mit dem Ziel, sich Geschäfte in der Volksrepublik China unter den Nagel zu reissen. Nach Ansicht des DOJ war dies als Bestechung im Sinne des Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) anzusehen[33].

Analoge Überlegungen könnten im Fall eines Verwaltungsratsmitglieds gelten, welches mit dem erklärten Ziel, die Akquise in China zu verstärken, ernannt wurde: 

«Keyu wird den Fokus des Verwaltungsrats auf die Wachstumsregion APAC weiter stärken und den Verwaltungsrat enger mit der nächsten Generation und der Fintech-Entwicklung in China verbinden.» – Axel Lehmann[34]

Ausgedeutscht bedeutet das erstens: Jin Keyu soll dafür sorgen, dass mehr Kunden ihrer Generation der富二代(fù’èrdài), der reichen zweiten Generation, ihr Vermögen der Credit Suisse anvertrauen. Dies dürfte die Compliance der Credit Suisse vor erhebliche Probleme stellen. Denn die Eltern dieser reichen Generation sind meistens nicht nur reich, sondern auch einflussreich. Das birgt automatisch ein gewisses Risiko, der Korruption beschuldigt zu werden. Und damit ist nicht zu spassen: Die Antikorruptionskampagne von Präsident Xi Jinping hat schätzungsweise einer Million chinesischer Funktionäre das Amt und teilweise den Kopf gekostet. Die Folgen für die Credit Suisse, falls sie in einen Korruptionsfall hineingezogen würde, wäre nicht absehbar.

Nicht minder heikel im Hinblick auf regulatorische Risiken sind die Ambitionen der Credit Suisse im chinesischen Fintech-Bereich. Die chinesische Regierung hat hier seit Jahren glasklar deklariert, dass sie hier das Heft in der Hand behalten will und (chinesische) Banken und Fintechs allenfalls als Juniorpartner akzeptieren will. Sich hier ein Stück vom Kuchen abschneiden zu wollen – und entsprechenden politischen Einfluss zu erlangen – dürfte ausserordentlich heikel sein. 

Und in regulatorischer Hinsicht besteht für Banken im Allgemeinen und für Fintechs im Besonderen in China ausserordentliche Ungewissheit: Die Revisionsvorhaben zum chinesischen Zentralbankengesetz[35] – welches im Hinblick auf die Einführung einer digitalen Zentralbankwährung mit Spannung verfolgt wurde – wurden ebenso auf Eis gelegt wie dasjenige zum chinesischen Bankengesetz[36]. Dass der chinesische Staatsrat soeben ein Finanzstabilitätsgesetz[37] in die Vernehmlassung geschickt hat, weckt Befürchtungen. Ein negatives Omen dürfte auch das 2021 erlassene Antisanktionsgesetz[38] sein, welches unmittelbare Auswirkungen für alle in China tätigen Banken hätte, wenn es denn zur Anwendung kommt[39]. Fintechs müssen sich zudem darauf gefasst machen, dass die Bekämpfung von Telefon- und Onlinebetrug verschärft wird, ein entsprechendes Gesetz[40] könnte in nächster Zeit in Kraft treten. Einziger Lichtblick am Horizont: Die revidierte Fassung des Revisionsgesetzes, welche hinsichtlich der Kotierung chinesischer Firmen an den amerikanischen Börse von Bedeutung sein könnte, denen ab 2023 die Verbannung droht, wurde per 1. Januar 2022 in Kraft gesetzt. 

Regulatorische Risiken drohen im Übrigen auch, falls die Idee der Credit Suisse sein sollte, chinesische Fintech-Innovationen in die ganze Welt zu exportieren. Dies dürfte schon nur im Hinblick auf Datenschutz und –sicherheit sowie die Finanzmarktstabilität in den Zielländern mit enormen rechtlichen Hürden verbunden sein.

So oder so dürfte Jin Keyu hinsichtlich der Bewältigung solcher regulatorischer Fragen eher hinderlich sein, und die anderen beiden neu nominierten Verwaltungsräte – Mirko Bianchi und Amanda Norton – aufgrund ihres Erfahrungshintergrundes jedenfalls in China auch keine grosse Hilfe. Dies ist umso heikler, als nach dem Rücktritt von Severin Schwan kein einziger Jurist im Verwaltungsrat der CS Einsitz haben wird. 

Auffallend ist im Zusammenhang mit rechtlichen Risiken, dass die rechtliche Entwicklungen in der Schweiz, der EU, in Grossbritannien und den USA im Geschäftsbericht in epischer Breite diskutiert werden[41], China dagegen nur ganz am Rande erwähnt wird (einmal im Zusammenhang mit den Sanktionen der USA und einmal im Zusammenhang mit dem neuen Datenschutzgesetz).

Zusammenfassend verschärfen sich mit der Nomination die im Zusammenhang mit China ohnehin schon bestehenden rechtlichen Risiken.

Finanzielle Risiken

Das finanzielle Hauptrisiko der Besetzung einer Verwaltungsratsposition liegt im Versagen des Risikomanagements zu dem jedes einzelne Verwaltungsratsmitglied seinen Beitrag leisten muss. 

Aber auch die direkten finanziellen Auswirkungen sind von durch Fehlbesetzungen bedingten Wechseln sind beträchtlich. So stieg die Summe der fixen Vergütung und der kurzfristigen «Incentives»[42] von CHF 29 Millionen 2020 auf CHF 38,6 Millionen 2021, entsprechend einer Steigerung von 33%. Oder, pro Verwaltungsratssitz gerechnet, eine Erhöhung der Vergütung von CHF 2,2 Millionen auf fast CHF 3 Millionen pro Verwaltungsratssitz, was nicht zuletzt auf das Intermezzo von Verwaltungsratspräsident Horta-Osorio zurückzuführen sein dürfte. Angesichts des atemberaubenden Reinverlusts der Creidit Suisse von CHF 1,65 Milliarden im Jahr 2021 muss man allerdings wohl zugeben, dass es auf einige Millionen mehr oder weniger für den Verwaltungsrat auch nicht mehr ankommt.

Zusammenfassend kann eine Fehlbesetzung im Verwaltungsrat beträchtliche finanzielle Konsequenzen haben, ob ein entsprechendes Risiko im Fall von Jin Keyu besteht, lässt sich aber schwerlich sagen.

Geopolitische Risiken

Geopolitische Risiken sind Risiken im Zusammenhang mit Kriegen, Terrorismus und Spannungen zwischen Staaten, welche die normalen und friedlichen internationalen Beziehungen stören. Geopolitische Risiken können sowohl neu entstandene Konflikte sein als auch die Eskalation bereits bestehender Konflikte[43]

Viele Unternehmen tun sich schwer mit geopolitischen Risiken, denn

«Politische Risiken zu erkennen, abzuwägen und die möglichen Folgen für ein Unternehmen abzuschätzen ist nicht einfach, …» – Dr. Christoph Ebnöther[44].

Dennoch führt gerade bei einer international operierenden Bank nichts daran vorbei, sich auch mit geopolitischen Risiken auseinanderzusetzen. Sie treten zwar recht selten ein, doch wenn sie eintreten, sind die Schäden oft gross. Das zeigt sich gerade im Zusammenhang mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine, von dem viele Banken auf dem linken Fuss erwischt wurden[45].

An dieser Stelle kann nicht auf die geopolitischen Risiken im Zusammenhang mit China im Allgemeinen eingegangen werden. Dieses Thema würde Bände füllen. Dass in Ostasien von Seoul bis Subic Bay etliche Konfliktherde bestehen, darf bei Unternehmen, das auf die Region Asia-Pacific (APAC) setzt, als bekannt vorausgesetzt werden.

Was allerdings die Region APAC betrifft, sticht ins Auge dass die Credit Suisse mit der Nomination von Jin Keyu das Signal aussendet, dass sie ganz ausschliesslich auf China setzt. Die Wirtschaftsgiganten Japan und Südkorea, die ASEAN-Länder (mit einer Gesamtpopulation von über 622 Millionen Menschen), der indische Subkontinent: Sie alle sind im Verwaltungsrat nicht (mehr) vertreten. Die Volksrepublik China dagegen nun doppelt – der ebenfalls aus Festlandchina stammende Li Shan ist bereits seit 2019 im Amt. Das notabene in einem Verwaltungsrat, in welchem nur noch zwei von dreizehn Mitgliedern ausschliesslich den Schweizer Pass haben. Diese Chinalastigkeit könnte sich insbesondere dann, wenn die Konflikte zwischen China und seinen Nachbarn zum Ausbruch kommen sollten, rächen. 

In geopolitischer Sicht fällt zusammenfassend auf, dass die Credit Suisse in Asien alles auf die Karte China zu setzen scheint.

Fazit

Insgesamt entsteht der Eindruck, dass durch die Nomination Jin Keyu’s als Verwaltungsratsmitglied die reputationellen, rechtlichen, finanziellen und geopolitischen Risiken noch vergrössert werden. 

Während das Thema der Reputationsrisiken in den Medien immerhin teilweise aufgenommen wurde, scheint das Bewusstsein für rechtliche Risiken komplett zu fehlen. Liegt das daran, dass man der Idee verhaftet ist, in China gäbe es keine Gesetze, und wenn doch, würden sie nicht durchgesetzt? Oder fehlt es im Verwaltungsrat an juristisch geschulten Personen, welche sich gegen die Übermacht von Ökonomen und Mathematikern Gehör zu verschaffen vermögen?

Grosse Besorgnis vor allem vor dem Hintergrund geopolitischer Risiken in der Region Asien-Pazifik weckt der mit der Nomination verstärkte Eindruck, dass die Credit Suisse alles auf die Karte der Volksrepublik China setzt. Die Frage steht dabei im Raum: 

«… ob China für die geschwächte Bank in der Vermögensverwaltung überhaupt noch ein Zielmarkt sein kann.» – Monica Hegglin[46]

Risikomanagement bei der Besetzung von Verwaltungsratspositionen und die Finma

Grundsätzlich ist die Auswahl neuer Verwaltungsratsmitglieder Sache des Verwaltungsrats. Es ist für Aussenstehende – sei es die Presse, seien es die Aktionäre – beinahe unmöglich, an die nötigen Informationen heranzukommen. Das gilt auch für Jin Keyu, über deren persönliche und fachliche Eigung in Bezug auf die Bedürfnisse der Credit Suisse wenig weiss. Was man ebenfalls nicht weiss, ist, welche anderen Kandidaten zur Verfügung gestanden hätten. Es besteht für die Generalversammlung der Aktionäre faktisch keine andere Option, als die vom Verwaltungsrat vorgeschlagenen Kandidaten abzunicken. Das gilt im Fall der Credit Suisse ganz besonders, denn die Generalversammlung soll in diesem Jahr erneut virtuell stattfinden.

Neben dem Verwaltungsrat gibt es allerdings noch eine Instanz, welche über interne Informationen zu den Kandidaten und zum Anforderungsprofil für diese verfügt: die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma). Muss die Finma einschreiten, wenn sie zum Schluss kommt, dass ein Verwaltungsratsmitglied ein untragbares Risiko für eine Bank darstellt?

Es ist eine Binsenwahrheit, dass gute Corporate Governance im Allgemeinen und sorgfältiges Risikomanagement im Besonderen massgeblich von sowohl fachlich als auch persönlich geeigneten Führungsorganen – der Geschäftsleitung wie des Verwaltungsrats – abhängig ist. Dies gilt gerade bei den Gewährspersonen einer Bank, welche Entscheide treffen, welche nicht nur die finanziellen Interessen der Kunden, sondern das gesamte Finanzsystem betreffen[47].

Entsprechend hat die Finma auch bei der Wahrnehmung ihrer Aufsichtspflichten auch ein Augenmerk darauf zu legen, ob die Verwaltungsräte einer Bank nicht nur über das nötige Fachwissen verfügen, sondern auch die nötige Integrität und das Engagement an den Tag legen, welches für ein solches Amt nötig ist. Zwar kann die Finma die Wahl einer aus ihrer Sicht ungeeigneten Person nicht direkt verhindern, sie kann jedoch ihre Meinung äussern und einzelnen Verwaltungsratsmitgliedern z.B. bei schweren Verfehlungen hinsichtlich des Risikomanagements oder bei Verletzung von Bestimmungen des Geldwäschereigesetzes gestützt auf Art. 33 FINMAG sogar ein Berufsverbot auferlegen[48]

De lege ferenda wäre es wünschenswert, wenn die Aktionäre tatsächlich eine Wahl hätten, und sie nicht nur vorbestimmte Kandidaten abnicken könnten. Zumindest müsste für eine nutzbringende Wahrnehmung der Aktionärsrechte das detaillierte Anforderungsprofil offengelegt und erläutert werden, inwiefern die Kandidaten geeignet sind, zur Wahrnehmung der vom Gesetzgeber und den Statuten vorgegebenen Kernaufgaben eines Verwaltungsrats beizutragen. Notabene: die Kundenakquise, für die Jin Keyu in den Verwaltungsrat der Credit Suisse gewählt werden soll, gehört nicht dazu!

Ein anderer Weg wäre das Modell Grossbritanniens, welches eine Bewilligungspflicht der Aufsichtsbehörden für die höchsten Funktionsstufen von Banken vorsieht, wobei ein detailliertes Pflichtenheft für diese erstellt und laufend aktualisiert werden muss[49]. Ein solcher obrigkeitlicher Eingriff in die Wahlbeschlüsse einer privatrechtlichen Aktiengesellschaft sollte aber ultima ratio sein, denn eigentlich ist er mit den liberal-demokratischen Idealen, von denen das schweizerische Aktienrecht geprägt ist, nicht vereinbar.


Über die Autorin: Dr. iur. Maja Blumer hat ihr Studium an der Universität Bern mit einer Dissertation zum Thema «Bilanzkosmetik und Schadenersatz» abgeschlossen und an der Tsinghua University in Peking einen Masterabschluss im chinesischen Recht erworben. Sie arbeitet als Anwältin in der Schweiz.


[1] Vgl. den Geschäftsbericht der Credit Suisse 2021, S. 151, wo unter anderem auf die Szenarien einer «harten Landung» der Wirtschaft in China und anderen Emerging Markets, eine Intensivierung des Handelskriegs China-USA und des Endes der Globalisierung Bezug genommen wird.

[2] Institute of International Finance, Global Macro Views – A Realignment in Global Capital Flows, 24. März 2022, <https://www.iif.com/Portals/0/Files/content/IIF032422_GMV.pdf?_cldee=cGV0ZXIudGhhbC5sYXJzZW5AdGhvbXNvbnJldXRlcnMuY29t&recipientid=contact-5bd0a75de6f0e81180d102bfc0a80172-407522d50cc042beab08868723f5c64c&utm_source=ClickDimensions&utm_medium=email&utm_campaign=Press%20Emails&esid=fbb3fa96-8bab-ec11-983f-000d3a16a8aa≥

[3] <https://www.cnbc.com/2022/04/06/credit-suisse-picks-chinese-little-giant-stocks.html>.

[4] Jin Keyu, What does Xi Jinping Want?, Chinausfocus, 8. November 2017, <https://www.chinausfocus.com/society-culture/what-does-xi-jinping-want>.

[5] <https://www.amtdinc.com/2019/02/28/company-news-28-february-2019/>.

[6] <https://www.youtube.com/watch?v=PbVD4tB4cVQ; https://www.youtube.com/watch?v=Tprc67izIb8>

[7] <http://cesi.econ.cuhk.edu.hk/wp-content/uploads/Keyu-Jin.pdf>.

[8] Taha Choukhmane, Nicolas Coeurdacier, and Keyu Jin, The One-Child Policy and Household Saving, Version vom 7. Juli 2017, S. 37, https://personal.lse.ac.uk/jink/cv.pdf; ibid., The One-child Policy and Household Savings, Version vom 16. Juli 2013, S. 47, <https://personal.lse.ac.uk/jink/pdf/onechildpolicy_ccj.pdf>.

[9] <https://www.weforum.org/agenda/2016/01/why-the-end-of-the-one-child-policy-is-a-major-opportunity-for-china/>.

[10] Jin Keyu, What the World Can Learn From Chinese Innovation, Oktober 2018, <https://www.youtube.com/watch?v=U5QC-73Col4>.

[11] Jin Keyu, Art of wait and see, The Korea Times, 15. Juli 2019, <https://www.koreatimes.co.kr/www/opinion/2021/07/197_272289.html>. Anzumerken ist, dass Jin Keyu möglicherweise einem etwas antiquierten Bild vom Rechtssystem Chinas verhaftet ist; eigentlich wird auch im Westen weitherum anerkannt, dass China enorme Fortschritte in der Rechtssetzung im Allgemeinen und bezüglich des Schutzes geistigen Eigentums im Besonderen erzielt hat. Insbesondere wurden sowohl das Patentgesetz als auch das Urheberrechtsgesetz 2020 revidiert.

[12] Jin Keyu, Art of wait and see, The Korea Times, 15. Juli 2019, <https://www.koreatimes.co.kr/www/opinion/2021/07/197_272289.html>.

[13] Jin Keyu, China’s 70 years of progress, The Korea Times, 2. Oktober 2019, <http://www.koreatimes.co.kr/www/opinon/2019/10/197_276516.html>.

[14] <https://www.washingtonpost.com/archive/politics/1994/07/17/how-many-died-new-evidence-suggests-far-higher-numbers-for-the-victims-of-mao-zedongs-era/01044df5-03dd-49f4-a453-a033c5287bce/>.

[15] Jin Keyu, What does Xi Jinping Want?, Chinausfocus, 8. November 2017, <https://www.chinausfocus.com/society-culture/what-does-xi-jinping-want>.

[16] Die Verfassungsbestimmung war unter der Regierung des Reformers Deng Xiaoping in den 1980iger Jahren mit Blick auf den Personenkult um Chairman Mao eingeführt worden. In den letzten 40 Jahren trug die Verfassungsbestimmung mutmasslich bemerkenswert stabilen politischen Situation bei, in welcher der Stabwechsel zwischen Präsidenten reibungslos ablief.

[17] Anzumerken ist, dass die Zielländer chinesischer Investitionen im Rahmen der Belt and Road Initiative sich bereits bis über beide Ohren verschuldet haben. Laut einem Bericht von AidData haben bereits 42 Länder (teilweise versteckte) Schulden bei chinesischen Institutionen, Firmen und Schattenbanken, welche 10% des ihres jeweiligen Bruttosozialproduktes übersteigen. Seit dem Jahr 2000 wurden 13’427 Projekte in 165 Ländern mit einem Investitionsvolumen von über US$843 Milliarden implementiert. Seit dem Beginn der Belt and Road Initiative im Jahr 2013 hat China grössere Projekte finanziert und ist höhere Kreditrisiken eingegangen, hat aber auch mehr Sicherheiten verlangt (Vgl. Alex Wooley, AidData’s new dataset of 13,427 Chinese development projects worth $843 billion reveals major increase in ‘hidden debt’ and Belt and Road Initiative implementation problems, 29. September 2021, <https://www.aiddata.org/blog/aiddatas-new-dataset-of-13-427-chinese-development-projects-worth-843-billion-reveals-major-increase-in-hidden-debt-and-belt-and-road-initiative-implementation-problems#:~:text=According%20to%20Brad%20Parks%2C%20AidData’s,to%20China%20was%20%2413%20billion>).

[18] Jin Keyu, China’s 70 years of progress, The Korea Times, 2. Oktober 2019, <http://www.koreatimes.co.kr/www/opinon/2019/10/197_276516.html>.

[19] Das Konzept tauchte bereits zu Zeiten der Zhou Dynastie, ca. 1122/1045–770 v. Chr. auf.

[20] Urs Schoettli, Der Retrokurs von Xi Jinping, Finanz & Wirtschaft, 14. Juni 2016 <https://www.fuw.ch/article/der-retrokurs-von-xi-jinping>.

[21] Jin Keyu, China’s 70 years of progress, The Korea Times, 2. Oktober 2019; Jin Keyu, What does Xi Jinping Want?, Chinausfocus, 8. November 2017, <https://www.chinausfocus.com/society-culture/what-does-xi-jinping-want>.

[22] Jin Keyu, What the World Can Learn From Chinese Innovation, Oktober 2018, <https://www.youtube.com/watch?v=U5QC-73Col4>.

[23] Sven Behrisch, «Alles, was China macht, zieht der Westen in den Dreck», Das Magazin, 20. Mai 2021, <https://www.tagesanzeiger.ch/alles-was-china-macht-zieht-der-westen-in-den-dreck-113108459461>.

[24] Jorgos Brouzos, Neue Frau an der CS-Spitze verteidigt Uigurenlager, Tagesanzeiger, 30. März 2022, <https://www.tagesanzeiger.ch/neue-frau-an-der-cs-spitze-verteidigt-uiguren-lager-164483175136>.

[25] Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Die Uiguren in Xinjiang im Lichte der Völkermordkonvention, Zum Tatbestand des Völkermordes, zu den rechtlichen Implikationen für deutsche Unternehmen und den Reaktionsmöglichkeiten der Staatengemeinschaft, Bericht vom 12. Mai 2021, S. 45, https://www.bundestag.de/resource/blob/842080/36cc70595f4d20a03e609de00eabce4d/WD-2-027-21-pdf-data.pdf>.

[26] Wozu sie grundsätzlich verpflichtet sind, die Charter des Verwaltungsrats der CS sieht vor, dass die Kommunikation nach Aussen in Angelegenheiten, welche die CS betreffen, über den Verwaltungsratspräsidenten erfolgt oder zumindest über das Chairman’s Office koordiniert werden müssen. 

[27] <https://www.credit-suisse.com/about-us/en/our-company/corporate-responsibility/banking/human-rights.html>.

[28] Deauwand Myers, On China’s rise, The Korea Times, 14.11.2019, <https://m.koreatimes.co.kr/pages/article.asp?newsIdx=278691>.

[29] Miriam Durrer/Marco Gruber, Der Verwaltungsrat als erste Verteidigungslinie im integralen Risikomanagement, Expert Focus 2/2020, S. 124-127, S. 124 f.

[30] Vgl. u.a. Monica Heggli, China – ein Fall von Selbstüberschätzung, Finanz Wirtschaft, 1. April 2022, <https://www.fuw.ch/article/credit-suisse-ein-fall-von-selbstueberschaetzung>; Jorgos Brouzos, Neue Frau an der CS-Spitze verteidigt Uigurenlager, Tagesanzeiger, 30. März 2022, <https://www.tagesanzeiger.ch/neue-frau-an-der-cs-spitze-verteidigt-uiguren-lager-164483175136>.

[31] Personen, die PEPs im Sinne von Art. 2a Abs. 1 Geldwäschereigesetz aus familiären, persönlichen oder geschäftlichen Gründen erkennbar nahestehen gelten selber auch als PEPs (Art. 2a Abs. 2 Geldwäschereigesetz).

[32] Aufgrund seines Rangs als Vizeministers im chinesischen Finanzministeriums und als Präsident der AIIB ist Jin Liqun fraglos als politisch exponierte Person im Sinne von Art. 2a Abs. 1 lit. a Geldwäschereigesetz zu betrachten.

[33] <https://www.justice.gov/opa/pr/credit-suisse-s-investment-bank-hong-kong-agrees-pay-47-million-criminal-penalty-corrupt>.

[34] Medienmitteilung der Credit Suisse vom 21. März 2022,<https://www.credit-suisse.com/about-us-news/de/articles/media-releases/bod-changes-202203.html>.

[35] Der Entwurf für die Revision des Gesetzes über die People’s Bank of China vom Oktober 2020 (https://npcobserver.com/wp-content/uploads/2020/10/law-on-the-peoples-bank-of-china-2020-draft-revision.pdf) ist in der Legislaturplanung weit nach unten gerutscht.

[36] Der Entwurf für die Revision des Bankengesetzes vom Oktober 2020 (https://npcobserver.com/wp-content/uploads/2020/10/commercial-banks-law-2020-draft.pdf) ist in der Legislaturplanung weit nach unten gerutscht.

[37] <https://npcobserver.com/wp-content/uploads/2022/04/Financial-Stability-Law-2022-Draft-1.pdf>.

[38] <http://www.npc.gov.cn/npc/c30834/202106/d4a714d5813c4ad2ac54a5f0f78a5270.shtml>.

[39] Dies ist Angesichts des möglichen Völkermords in Xinjiang durchaus nicht auszuschliessen.

[40] <https://npcobserver.com/wp-content/uploads/2021/10/Law-Against-Telecommunication-Network-Fraud-Draft.pdf>.

[41] Geschäftsbericht der Credit Suisse 2021, S. 20 bis 42.

[42] Die sogenannt langfristigen «Incentives», die hinsichtlich der Setzung von Anreizen und der Vermeidung von Fehlanreizen eher nachvollziehbar sind, sind allerdings 2021 weggefallen.

[43] Dario Caldara / Matteo Iacoviello, Measuring Geopolitical Risk, Board of Governors of the Federal Reserve System International Finance Discussion Papers, Number 1222, February 2018, S. 2, <https://www.federalreserve.gov/econres/ifdp/files/ifdp1222.pdf>.

[44] Christoph Ebnöther, Politische Risken – der unterschätzte Faktor, in: Competence Nr. 7: Risiko – zwischen Schutz und Chance, September 2016, S. 14 f., <https://www.zhaw.ch/storage/sml/ueber-uns/sml-magazin-competence-nr7.pdf>.

[45] Die italienische Bank UniCredit hat ihren Börsenwert beispielsweise infolge der Invasion in der Ukraine innert wenigen Tagen praktisch halbiert – der Aktienkurs fiel von knapp EUR 16 am 10. Februar 2022 auf EUR 8.50 am 7. März 2022. Ähnlich ging es der österreichischen Raiffeisen Bank International, deren Aktienkurs im gleichen Zeitraum von EUR 28 auf EUR 11 abstürzte.

[46] Monica Hegglin, China – ein Fall von Selbstüberschätzung, Finanz  Wirtschaft, 1. April 2022, <https://www.fuw.ch/article/credit-suisse-ein-fall-von-selbstueberschaetzung>.

[47] Mark Branson, Corporate Governance aus Sicht der Finma, 12. Zürcher Aktienrechtstagung, 18. März 2015, S. 4, <https://www.finma.ch/~/media/finma/dokumente/dokumentencenter/myfinma/finma-publikationen/referate-und-artikel/20150318_rede-bnm-aktienrechtstagung.pdf>.

[48] Mark Branson, Corporate Governance aus Sicht der Finma, 12. Zürcher Aktienrechtstagung, 18. März 2015, S. 4 f., <https://www.finma.ch/~/media/finma/dokumente/dokumentencenter/myfinma/finma-publikationen/referate-und-artikel/20150318_rede-bnm-aktienrechtstagung.pdf>.

[49] Mark Branson, Corporate Governance aus Sicht der Finma, 12. Zürcher Aktienrechtstagung, 18. März 2015, S. 7, <https://www.finma.ch/~/media/finma/dokumente/dokumentencenter/myfinma/finma-publikationen/referate-und-artikel/20150318_rede-bnm-aktienrechtstagung.pdf>.