Stand: 19. März 2022
Viele möchten den Menschen, welche vor dem Krieg in der Ukraine flüchten und in der Schweiz Zuflucht gefunden haben, helfen. Doch wie? Auch wenn man sich im Anbetracht der militärischen Gewalt und Zerstörung ziemlich hilflos fühlt, gibt es einiges, was man – über Geld- und Sachspenden an Organisationen hinaus – selber tun kann. Hier gibt es aber auch einige rechtliche Rahmenbedingungen zu beachten.
Orientierungshilfen für Flüchtlinge bieten – insbesondere für die Anmeldung für den Status S
Seitdem vor rund drei Wochen die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine eingetroffen sind, spriessen Hilfsangebote wie Pilze aus dem Boden. Die Solidarität und die Hilfsbereitschaft ist überwältigend. Es entsteht allerdings der Eindruck, dass auch einige «hilflose Helfer» am Werk sind. Um sich zu orientieren, drängt es sich deshalb auf, sich an das Staatssekretariat für Migration (SEM) sowie die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Dachorganisation von Hilfswerken wie HEKS, Caritas, SAH etc.) zu halten, die (leider) jahrzehntelange Erfahrung mit Flüchtlingswellen haben.
Die wichtigste Information für Flüchtlinge aus der Ukraine: Am 11. März 2022 hat der Bundesrat beschlossen, den Schutzstatus S für Menschen aus der Ukraine per 12. März 2022 zu aktivieren. Damit erhalten die Geflüchteten rasch und relativ unbürokratisch Schutz. Insbesondere gewährt der Status S ein vorerst auf ein Jahr beschränktes, aber verlängerbares Aufenthaltsrecht, das Recht auf Familiennachzug, das Recht auf Unterbringung, Sozialhilfe und medizinische Versorgung sowie Bildung im Rahmen der ordentlichen Schulpflicht. Der Status S erlaubt die sofortige Aufnahme einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit. Im Gegensatz zu Asylsuchenden behalten die Betroffenen mit dem Status S ihre Pässe und mitgebrachten Vermögenswerte und haben auch das Recht, ins Ausland zu reisen und in die Schweiz zurückzukehren.
Um sich für den Schutzstatus S zu bewerben, genügt es, ein entsprechendes Formular auszufüllen, welches unter folgendem Link zur Verfügung steht: https://www.sem.admin.ch/dam/sem/de/data/asyl/gesuch-schutzstatus-s.pdf.download.pdf/gesuch-schutzstatus-s.d.pdf
Zu beachten ist, dass das Formular für jedes Familienmitglied einzeln ausgefüllt werden muss (auch für Kinder).
Weitere Informationen zum Schutzstatus S finden sich auf dem Faktenblatt des Staatssekretariats für Migration: https://www.sem.admin.ch/dam/sem/de/data/asyl/faktenblatt-schutzstatus-s.pdf bzw. auf der Homepage des SEM.
Für diejenigen, welche die Voraussetzungen für den Schutzstatus S erfüllen, empfiehlt es sich, das Formular raschestmöglich auszufüllen und einzuschicken. Zwar gibt es momentan weder eine Kontingentierung der Zahl der Flüchtlinge noch eine zeitliche Limite. Damit die Koordination der Hilfe anlaufen kann, muss sich das SEM jedoch einen Überblick verschaffen können. Einzige Ausnahme sind Personen, die in Erwägung ziehen, in einem anderen Land Schutz zu suchen (ein analoger Schutzstatus besteht auch in den EU-Ländern), z.B. wenn sie dort Familienangehörige haben oder sich bessere Berufsaussichten erhoffen. Zwar erlaubt der Schutzstatus S die Ein- und Ausreise, aber wer den Status einmal erhalten hat, kann die entsprechenden Leistungen nicht auch in einem anderen Staat beanspruchen.
Für alle Geflüchteten, welche die Voraussetzungen für den Schutzstatus S nicht erfüllen – insbesondere Personen aus Drittländern, welche sich zu Studien- oder anderen Zwecken in der Ukraine aufgehalten haben – empfiehlt es sich, eine raschestmögliche Rückkehr in den Heimatstaat in Betracht zu ziehen. Theoretisch besteht zwar die Möglichkeit, ein Asylgesuch zu stellen, das will aber wohlüberlegt sein.
Unterbringung von Flüchtlingen
Wer Flüchtlinge aus der Ukraine privat unterbringt, muss sich bewusst sein, dass die Kostentragung derzeit noch nicht geregelt ist. Die Kantone erhalten vom Bund eine Pauschale, sind aber frei zu entscheiden, ob sie die private Unterbringung entschädigen wollen.
Grundsätzlich können Ukrainer privat während 90 Tagen entsprechend der visumsfreien Aufenthaltsdauer unentgeltlich beherbergt werden, danach müssen sie ihren Aufenthaltsstatus regeln – vorzugsweise mit dem oben erwähnten Aufenthaltsstatus S.
Bei der unentgeltlichen Beherbergung in Mietobjekten ist das Einholen der Zustimmung des Vermieters dringend zu empfehlen. Im Interesse der (psychischen und physischen) Gesundheit und der Sicherheit sollten Wohnungen zudem nicht überfüllt werden und gewährleistet sein, dass genügend Rückzugsmöglichkeiten (abschliessbare Zimmer) und Sanitärräume zur Verfügung stehen. Vor allem muss vermieden werden, dass die Flüchtlinge nach Kurzem erneut vertrieben werden – eine Mindestaufenthaltsdauer von drei Monaten sollte gewährleistet sein.
Wer bereit ist, Flüchtlinge aufzunehmen, wendet sich bezüglich der Koordination am besten an die Schweizerische Flüchtlingshilfe oder an die Organisation Campax.
Eine Beherbergung gegen Entgelt ist ebenfalls möglich, es besteht in diesem Fall aber eine Meldepflicht bei den kantonalen Behörden ab Ankunftstag. Ist die entsprechende Unterkunft gemietet, muss zwingend auch die Zustimmung des Vermieters zur Untervermietung eingeholt werden.
Weitere Antworten auf Fragen zur Unterbringung von Flüchtlingen finden sich auf der Website des SEM: https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/sem/aktuell/ukraine-krieg.html
Studien- und Arbeitsplätze
Für Kinder im schulpflichtigen Alter ist das Recht auf Schulbesuch mit dem Schutzstatus S gewährleistet. Hingegen besteht in der Schweiz kein Anspruch auf einen kostenlosen Studien- oder Ausbildungsplatz. Entsprechend müssen für Flüchtlinge, die sich in der Ausbildung befinden, individuelle Arrangements getroffen werden. Zu beachten ist, dass der Status S auf die Rückkehr in die Heimat fokussiert ist, es besteht also keine Gewähr, dass die Ausbildung nach Auslaufen des Schutzstatus in der Schweiz beendet werden kann.
Fest steht, dass Personen mit dem Schutzstatus S in der Schweiz eine Arbeitstätigkeit ausüben dürfen – ob selbständig oder unselbständig. Welche Massnahmen getroffen werden, um die Durchsetzung der einschlägigen Gesetzesbestimmungen hinsichtlich Lohndumping, Abführung von Quellensteuern und Sozialabgaben, Schutz vor (sexueller) Ausbeutung etc. sicherzustellen, ist momentan noch offen. Ebenso ist offen, wie die Unterstützung vorübergehend Aufgenommener und die Arbeitsintegration der anerkannten Flüchtlinge aneinander vorbeigehen. Vielerorts bestehen spezifische Angebote für Flüchtlinge, etwa beim Schweizerischen Arbeiterhilfswerk SAH in Zürich. Ob diese Angebote aber auch für Personen mit Schutzstatus S offensten, ist noch nicht geklärt.
Jedenfalls ist dringend zu empfehlen, vor Abschluss eines Arbeitsvertrages die kantonalen Behörden zu kontaktieren und von informellen Beschäftigungsverhältnissen (Arbeit gegen Kost und Logis, Bezahlung «unter dem Tisch») abzusehen.
Rechtsberatung und Übersetzung
Die Zahl der Anwälte, die sich für Flüchtlinge und Migranten einsetzen, ist relativ klein, und noch weniger können auf Erfahrungen aus den Neunzigerjahren zurückgreifen, als letztmals ähnliche Flüchtlingswellen aus dem Kosovo sowie aus Albanien zu bewältigen waren. Erfahrung mit dem Status S hat schlicht und einfach noch gar niemand, weil die entsprechenden Bestimmungen zum ersten Mal überhaupt zur Anwendung kommen. Eine Beantwortung von Rechtsfragen ist im Moment also schwierig. Dennoch stellt sich eine Reihe von Rechtsanwälten – in der Regel unentgeltlich – zur Verfügung, um Rechtsberatung hinsichtlich der aus der Ukraine Geflüchteten zur Verfügung zu stellen. Eine Liste der kantonalen Anlaufstellen findet sich auf der Website des Schweizerischen Anwaltsverbands. Nützliche Informationen werden auf der Website der NGO Asylex gebündelt.
Gefragt werden in nächster Zeit auch Übersetzungsdienstleistungen von ukrainisch und russischsprachigen Personen sein, sowohl im Alltag wie auch im Verkehr mit den Behörden. Viele der Geflüchteten sprechen wenig bis gar kein Deutsch und nur wenig Englisch. Insbesondere kann hier lokale Hilfe in der eigenen Wohngemeinde vonnöten sein.
Zur Waffe greifen? Keine so gute Idee…
Manch einer, der noch ein Sturmgewehr im Schrank stehen hat, mag geneigt sein, dem Aufruf des ukrainischen Präsidenten zu folgen und als Söldner in der ukrainischen Fremdenlegion Dienst zu leisten. Schliesslich wäre den ukrainischen Flüchtlingen am meisten geholfen, wenn die Russen aus ihrem Land vertrieben werden könnten und sie in ihre Heimat zurückkehren könnten. Der Dienst in der ukrainischen Fremdenlegion ist aus verschiedenen Gründen keine so gute Idee:
Erstens macht sich nach Art. 94 Militärstrafgesetz ohne wenn und aber strafbar, wer in einer fremden Armee dient – Ausnahmen sind die päpstliche Schweizergarde und Doppelbürger, die im entsprechenden Land niedergelassen sind.
Zweitens fallen Söldner kriegsrechtlich zwischen Stuhl und Bank. Im Fall einer Gefangennahme durch die russischen Streitkräfte gibt es wenig, was die ukrainische oder schweizerische Regierung für die entsprechenden Söldner tun können.
Drittens dürfte der praktische Nutzen ausländischer Söldner gering sein – einschliesslich Paramilitärs und Reservisten hat die Ukraine bereits jetzt 1’200’000 Soldaten.
Und viertens unternimmt die Schweiz eine neutralitätspolitisch heikle Gratwanderung, indem sie die Sanktionen gegen Russland unterstützt. Die rechtliche Einordnung dieser Neutralitätspolitik ist Thema für einen anderen Blogbeitrag. Bereits an dieser Stelle kann jedoch vorweggenommen werden: Sollte der Eindruck entstehen, dass die Schweiz bewaffnete Einsätze für fremde Armeen duldet, könnte dies die Sicherheit der Schweiz gefährden. Damit wäre den Ukrainern auch nicht geholfen.
Politische, wirtschaftliche und rechtliche Waffen
Der in der Ukraine herrschende konventionelle Krieg verdeckt den Blick auf die Tatsache, dass wir es aller Wahrscheinlichkeit nach mit einem hybriden Krieg zu tun haben, vor dem z.B. der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki bereits im November 2021 gewarnt hat.
Die Strategien in einem hybriden Krieg wie Cyberkrieg, Lawfare, diplomatischer Krieg etc., zu erläutern, sprengt den Rahmen des vorliegenden Blogs. Hingewiesen sei nur auf die wichtigsten Waffen in einem hybriden Krieg: Geld, Öl und Finanzen. Eine Szene aus dem koreanischen TV-Drama Money Game (welche sich um die Asiatische Finanzkrise dreht) bringt es auf den Punkt:
«In der Vergangenheit ging es im Krieg darum, mit Waffen und Schwertern zu kämpfen, es ging darum, sich gegenseitig zu töten. Natürlich gibt es Atombomben und Raketen. Aber sie existieren nicht, um damit in den Krieg zu ziehen. Sie existieren, damit wir nicht in den Krieg ziehen. Heutzutage geht es im Krieg um Geld, Öl und Finanzen.»
머니게임 Money Game (K-Drama), tvN 2020, ep. 6
Angriffen auf das Geld- und Finanzsystem bzw. Öl- und Energieversorgung mit konventionellen Waffen zu begegnen dürfte wenig zielführend sein. Wirtschaftssanktionen, wie sie bereits ergriffen wurden, zielen eher in die richtige Richtung, haben aber eine durchzogene Bilanz. Möglich, aber nicht einfach ist es, in den von der hybriden Kriegsführung besonders betroffenen Bereichen die Redundanz zu steigern, etwa indem Währungen auf ein solides Fundament gestellt werden, die Abhängigkeit von Energieimporten (einschliesslich verdeckten Energieimporten in Form von Rohstoffen, Agrarprodukten und Dünger) reduziert wird und indem mit öffentlichen Finanzmitteln haushälterisch umgegangen wird. Das ist nicht einfach, aber immerhin haben in einer Demokratie alle die Möglichkeit, darauf hinzuwirken.